Abstract
Einstellungen zum Wohlfahrtsstaat unterliegen einer Vielzahl an Einflüssen, etwa der Schichtzugehörigkeit. Das Ziel der vorliegenden Studie ist es Unterschiede zwischen Personen, die den Aufstieg in die Mittelschicht geschafft haben und jenen, deren Eltern bereits der gesellschaftlichen Mitte angehört haben, in der Einstellung zum Wohlfahrtsstaat zu untersuchen. Dies wurde auf Basis der SSÖ-Daten für 2003 und 2016 anhand von linearen Regressionsanalysen realisiert. Dabei zeigt sich, dass sich Im Jahr 2003 die erste Generation der Mittelschicht im Vergleich zur Unter- und Oberschicht stärker für den Wohlfahrtsstaat ausspricht. 2016 ist die gesellschaftliche Mitte bezüglicher ihrer Einstellungen gegenüber dem Wohlfahrtsstaat homogener; Unterschiede zwischen Aufsteiger*innen in die Mitte und denjenigen, deren Elterngeneration bereits Teil der Mittelschicht waren, bestehen nicht mehr.
„Im Zentrum der Gesellschaft treffen Ingenieure auf kaufmännische Angestellte und Abteilungsleiter, hier sind Assistenzärzte und Lehrkräfte um Unterscheidungen bemüht, hier konkurrieren Berater, Projektentwickler und Therapeuten um Status und Position. Hier kreuzen sich die Wege der Emporkömmlinge und derjenigen, die den erworbenen Status nicht sichern können“ (Vogel 2011a, S. 507).
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Notes
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Abstiegsangst tritt nach Kraemer (2010, S. 211) dann auf, wenn der eigene Status, gemessen an der jeweiligen Referenzgruppe als gefährdet scheint. Erwartet werden demnach negative Folgen für einen selbst und die nächste Generation. Als Referenzgruppe tritt dabei das jeweilige Milieu auf, welches als normal betrachtet wird. Für das Aufkommen von Abstiegsangst muss zudem keine objektive Gefährdung vorliegen. Referenzgruppenforschungen haben gezeigt, dass Statusängste dann häufig auftreten, wenn Personen mehr Aufwand betreiben müssen, um in ihrer sozialen Schicht bleiben zu können als in der Vergangenheit (vgl. Kraemer 2010, S. 217).
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Nach Grausgruber (2019, S. 462 ff.) hat sich auf der Ebene allgemeiner Trends die Einstellung der österreichischen Bevölkerung zum Wohlfahrtsstaat zwischen 1986 und 2016 nur gering verändert, dabei kann jedoch eher von einem Bedeutungszuwachs als von einer Bedeutungsabnahme staatlicher Aufgaben gesprochen werden. Als zentrale Aufgaben des Staates stellten sich dabei die gesundheitliche Versorgung sowie die Absicherung von Pensionistinnen und Pensionisten heraus. Eine geringe Bedeutung wurde bspw. der Sicherung des Wachstums der Industrie sowie der Sicherung des Lebensstandards von Arbeitslosen zugesprochen. Die Reduktion der Einkommensunterschiede zwischen Arm und Reich hat im Beobachtungszeitraum hingegen klar an Bedeutung gewonnen.
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Grund dafür könnte die begrenzte Ausstattung des Humankapitals sein. Die begrenzte Menge an Humankapital führt zu einer Lebensführung, welches Schimank, Mau und Groh-Samberg (2014) als „Investitionskalkül“ bezeichnen: „Angehörige der Mittelschicht müssen demnach permanente ‚Statusarbeit‘ betreiben; sie müssen dauerhaft und umsichtig in den Erhalt des kulturellen Kapitals investieren, etwa durch stetige Weiterbildung oder durch besondere berufliche Anstrengungen, um befördert zu werden. Würde sie nicht investieren, wäre ihr begrenzter Kapitalstock bald aufgezehrt und der Status bedroht“ (Schimank et al. 2014, S. 25 f. zit. nach; Lengfeld und Ordemann 2017, S. 180).
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