Zusammenfassung
Barrieren stellen sich in ihrer Eigenschaft als Zuschreibung von Teilhabe-Begrenzungen an Diskursen in drei Formen dar: als exkludierende Barrieren, normalisierende Barrieren und Barrieren in Bezug auf die Sprechenden, wobei jeweils manifeste und latente Barrieren unterschieden werden können. Eine sozialpolitische Antwort auf Barrieren ist sogenannte Barrierefreiheit. Diese vollzieht sich in Ambivalenzen, z. B. hinsichtlich der Etablierung von Standards, die zwar Zugänge ermöglichen können, gleichzeitig jedoch bestimmte Personen weitergehend ausschließen. Barrieren sind auch nicht per se ‚schlecht‘. Sie werden oft nur individuell und situativ wirkmächtig. Außerdem sind Barrieren ambivalent und beschreiben sozialpolitische wie pädagogische Herausforderungen. Durch Praxen der kritischen Infragestellung können Barrieren dekonstruiert werden, worunter schließlich Inklusion verstanden wird.
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Notes
- 1.
Das Fallbeispiel wurde im Rahmen der Studie „Zwischen Herkunftsfamilie und dem Leben im ambulant betreuten Wohnen“ (Trescher 2018–2020) erhoben. Eine Veröffentlichung ist in Vorbereitung.
- 2.
‚Wort‘ referiert hier auf ‚Sprache‘, wobei ‚Sprechen‘ im Diskurs nicht auf Verbal- oder Schriftsprache beschränkt ist (vgl. Foucault 2003), sondern jegliche Kommunikation betrifft. Nach diesem Verständnis ist es nicht möglich, nicht zu kommunizieren bzw. nicht zu sprechen.
- 3.
Das Fallbeispiel wurde im Rahmen der Studie „Kommune Inklusiv“ generiert, in der fünf Städte und Gemeinden in Deutschland umfassend untersucht werden (Trescher und Hauck 2018, 2020a). Ein Teil der Studie sind sog. ethnographische Sozialraumbegehungen, anhand derer Einblick genommen wird in die Lebenspraxen vor Ort, auf welche Barrieren die Einwohner*innen stoßen und wie ihr je individueller Umgang mit diesen ist.
- 4.
Gleichwohl bestehen nach wie vor manifeste Barrieren, die die politische Partizipation bestimmter Personen einschränken. Beispielsweise dürfen Personen, die keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, nicht auf Bundes- und Landesebene wählen (Bundeswahlgesetz § 12).
- 5.
Dieses Fallbeispiel entstammt dem Projekt „Lebensentwürfe von Menschen mit geistiger Behinderung“ (Trescher 2017).
- 6.
Das Interview wurde im Rahmen der Studie „Barrierefreiheit und kognitive Beeinträchtigung“ (Trescher 2018b) geführt.
- 7.
Mittlerweile hat sich in öffentlichen und bezugswissenschaftlichen Diskursen die Schreibweise ‚Leichte Sprache‘ (Großschreibung) durchgesetzt, womit allerdings nicht impliziert werden soll, dass übereinstimmende und allgemeingültige Regeln zu ihrer Ausgestaltung vorliegen und angewendet werden. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall.
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Trescher, H. (2022). Barriere. In: Kessl, F., Reutlinger, C. (eds) Sozialraum. Sozialraumforschung und Sozialraumarbeit, vol 20. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-29210-2_37
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