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„Der Absprung ist Freiheit“ – Philosophische Dimensionen der Desertion

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Die Freiheit zu gehen
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Zusammenfassung

Die Freiheit zu gehen ist offensichtlich nicht in allen gesellschaftlichen Kontexten durchgängig gegeben. Im militärischen Kontext endet sie spätestens dann, wenn man sich unerlaubt von der Truppe entfernt – in diesem Fall droht ggf. eine Freiheitsstrafe. Desertion bzw. Fahnenflucht ist bisher kaum philosophisch reflektiert worden. Dabei stellt sich durchaus die Frage, wie dieser Vorgang moralphilosophisch, aber auch aus der Perspektive der Politischen Philosophie zu bewerten ist. Die moralphilosophische Einschätzung hängt maßgeblich sowohl vom Kontext als auch von den Motiven des Akteurs ab und setzt eine differenzierte Fallunterscheidung voraus. Die entscheidende Frage im Zusammenhang der Politischen Philosophie ist, ob und ggf. aus welchen Gründen der (liberale Rechts-)Staat berechtigt ist, diese individuelle Entscheidung dadurch unterbinden zu wollen, dass er sie strafrechtlich verfolgt. Die hier vertretene These ist, dass die Freiwilligkeit des Eintritts ins Militär maßgeblich ist für die Berechtigung, den eigenmächtigen Austritt verhindern zu wollen. Am Beginn steht allerdings eine existenzphilosophische Betrachtung, die deutlich zu machen sucht, dass die Desertion als ein Akt der Freiheit dem Akteur grundsätzlich immer offen steht und diese Freiheit auf besonders nachdrückliche Weise demonstriert. Hintergrund der philosophischen Erörterung der Desertion ist die Erzählung „Die Kirschen der Freiheit“ von Alfred Andersch, in der alle drei Perspektiven angesprochen werden.

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Notes

  1. 1.

    Hans-Jörg Sandkühler danke ich für ein inspirierendes Gespräch.

  2. 2.

    Wie ein Artikel von Jörg Döring und Rolf Seubert in der Frankfurter Allgemeinen vom 10.7.2014 nahelegt, könnte es sein, dass Andersch’ Bericht nicht den Tatsachen entspricht. Vgl. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/war-alfred-andersch-doch-kein-deserteur-13023358.html?printPagedArticle=true#pageIndex_0 Für meine Zwecke ist dies aber nicht entscheidend – er bleibt als Erzählung eine geeignete Grundlage meiner Ausführungen. Für den wichtigen Hinweis danke ich Tilman Wolbert.

  3. 3.

    Vgl. für eine genaue Analyse von Andersch’ Bezugnahme auf die Philosophie Sartres u. a. Koberstein (1996).

  4. 4.

    Dieser Entwurf muss kein expliziter sein, im Sinne eines (Lebens-)Plans. Er kann implizit sein. Aber auch, wenn es keinen expliziten Entwurf gibt, realisiert der Einzelne mit seinen Entscheidungen das Bild, das er von sich selbst hat. Er kann dem nicht ausweichen. Auch völlige Planlosigkeit und die Verweigerung, die Verantwortung für sein Leben zu übernehmen, sind eine Art ‚Entwurf‘.

  5. 5.

    Andersch sieht diese vier Momente als konstitutiv für den Menschen: „Der Wert des Menschen besteht darin, dass er Mut und Angst, Vernunft und Leidenschaft nicht als feindliche Gegensätze begreift, die er zerstören muss, sondern als Pole in einem Spannungsfeld, das er selber ist.“ (Andersch 1952, S. 93)

  6. 6.

    Wie Simone Dietz völlig zu Recht anmerkt, gilt für Kommunisten in der Regel eine besondere Verpflichtung, das unterdrückte und verblendete revolutionäre Subjekt über seine wahre Lage aufzuklären. Insofern könne man an dieser Stelle einen Widerspruch in Andersch‘ Selbstverständnis geltend machen. Ich danke ihr für diesen Hinweis.

  7. 7.

    Für diesen berechtigten Einwand danke ich Simone Dietz.

  8. 8.

    „Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, daß ich dem Führer des deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, dem Obersten Befehlshaber der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen.“ (Andersch 1952, S. 111)

  9. 9.

    Für wichtige Hinweise und Überlegungen danke ich Ulrich Tadday.

  10. 10.

    Eine Weisung gibt laut Definition der Bundeswehr „lediglich die Gesamtansicht des Vorgesetzten, die Zielsetzung im Großen an und gilt in der Regel für einen längeren Zeitraum. Sie lässt dem Empfänger weitgehende Handlungsfreiheit in der Durchführung und in der Wahl der anzuwendenden Mittel.“ (Nr. 305, ZDv 1/50 Grundbegriffe zur militärischen Organisation – Unterstellungsverhältnisse – Dienstliche Anweisungen).

  11. 11.

    Ein Auftrag gibt lediglich das Ziel an, das mit dem Befehl erreicht werden soll.

  12. 12.

    Es gibt im Übrigen im Soldatengesetz auch eine Pflicht, Kameraden beizustehen, auch unter Lebensgefahr. Dies regelt § 12 im Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten (Soldatengesetz – SG). Für seine hilfreiche Unterstützung bei der Recherche danke ich Tilman Wolbert.

  13. 13.

    Kant spricht sich gegen die Installation stehender Heere aus, räumt aber zugleich die Berechtigung, sich gegen Angriffskriege zu verteidigen ein. Desertion verurteilt er. Für den Hinweis danke ich Georg Mohr (Kant 2011).

  14. 14.

    Das Magazin berichtet von einem russisch-stämmigen Fallschirmjäger der Bundeswehr, der sich in der Ost-Ukraine den prorussischen Separatisten angeschlossen hat und in ihren Reihen kämpft.

Literatur

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Borchers, D. (2019). „Der Absprung ist Freiheit“ – Philosophische Dimensionen der Desertion. In: Dietz, S., Foth, H., Wiertz, S. (eds) Die Freiheit zu gehen. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-26668-4_6

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-26668-4_6

  • Published:

  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-26667-7

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