Zusammenfassung
Die klassische Kontakthypothese aus der Forschung zu Fremdenfeindlichkeit postuliert einen negativen Zusammenhang: Je mehr und intensivere Kontakte zu einer ethnischen Minorität bestehen, desto eher werden Vorurteile reduziert und desto geringer sind fremdenfeindliche Einstellungen. Empirisch konnte dieser Effekt vielfach bestätigt werden. In unserem Beitrag untersuchen wir eine Erweiterung dieser „sozialen“ Kontakthypothese hin zu einer „räumlichen“ bzw. „geografischen“ Kontakthypothese. Konkret geht es um die Frage, ob Einstellungen gegenüber geflüchteten Menschen davon abhängen, inwieweit Befragte durch ihren Wohnstandort Kontakt bzw. eine räumliche Nähe zu Flüchtlingsunterkünften haben. Die geografische Kontakthypothese vermutet, dass sich Personen umso weniger ablehnend gegenüber Flüchtlingen äußern, je näher sie an einer Flüchtlingsunterkunft wohnen. Wir präsentieren Ergebnisse einer postalischen Befragung (N = 580) in Mainz, in welcher der Wohnort der Befragten sowie die Lage der Flüchtlingsunterkünfte im Stadtgebiet georeferenziert wurden. Die abhängigen Variablen bilden Einstellungen und selbstberichtete Protesthandlungen gegenüber geflüchteten Menschen. Im Ergebnis zeigt sich in der Tat ein Effekt für die Einstellungsindikatoren: Je größer die geografische Distanz der Befragten zu Flüchtlingsunterkünften, desto ablehnender äußern sie sich bezüglich geflüchteter Menschen. Zwischen räumlicher Distanz und Protesthandlungen finden wir keinen signifikanten Zusammenhang. Weiterhin zeigt sich der Tendenz nach, dass ein Teil, aber nicht der gesamte Distanzeffekt über soziale Kontakte mit Flüchtlingen zustande kommt.
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Notes
- 1.
An dieser Stelle möchten wir uns herzlich bei allen StudentInnen für ihr Engagement bei der Konzeption und Durchführung dieses Projektes bedanken. Ebenso danken wir den HerausgeberInnen der Festschrift für wertvolle Hinweise zum Manuskript.
- 2.
Zugegebenermaßen erscheint das letzte, hypothetisch formulierte Item unpassend für Befragte zu sein, die bereits sehr nahe an einer Flüchtlingsunterkunft wohnen. Allerdings ist kein maßgebliches Item-Nonresponse für solche Befragte zu beobachten.
- 3.
Diese Art der Kodierung von flüchtlingsfeindlichen Einstellungen oder Verhaltensweisen mit niedrigen Schwellenwerten soll Verzerrungen aufgrund sozial erwünschten Antwortverhaltens vorbeugen.
- 4.
Für R2-Statistiken von Mehrebenenmodellen mit multipel imputierten Daten haben wir in der Literatur keinen Berechnungsvorschlag gefunden. Daher berichten wir in den Tabellen 3 und 4 R2-Statistiken für konventionelle lineare Modelle.
- 5.
Tatsächlich zeigt sich auch in trivariaten Modellen mit Distanz und Kontakt zu Flüchtlingen als einzigen unabhängigen Variablen, dass sich bezüglich der Effektstärken nahezu identische Resultate einstellen wie in den Modellen mit allen Kontrollvariablen. Der Rückgang des Distanz-Effekts ist also nicht auf die mediierende Wirkung der übrigen unabhängigen Variablen zurückzuführen. Allerdings ist an der Höhe der Standardfehler der beiden Koeffizienten leicht ersichtlich, dass das Absinken der Effektstärken der Distanzvariablen in den vollen Modellen gegenüber den bivariaten Modellen nicht signifikant ist.
- 6.
Wir haben die Robustheit unserer Befunde ausführlich gegen andere Modellspezifikationen getestet. Wird eine complete-case-analysis ohne multiple Imputation durchgeführt, büßen wir über 100 Fälle ein; die Ergebnisse weichen substanziell jedoch ebenso wenig von den hier berichteten ab wie die Ergebnisse von binär-logistischen Regressionen.
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Wolter, F., Schiener, J., Preisendörfer, P. (2020). Einstellungen und Verhalten gegenüber geflüchteten Menschen: Ist die räumliche Distanz von Bedeutung?. In: Mays, A., et al. Grundlagen - Methoden - Anwendungen in den Sozialwissenschaften. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-15629-9_30
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