Zusammenfassung
In der häuslichen Altenpflege in Deutschland besteht ein Betreuungsdefizit, dessen Ursachen vielfältig sind. Erstens vollzieht sich ein sozio-demographischer Wandel: Zum einen nimmt die Zahl der Älteren und der Pflegebedürftigen zu, zum anderen steigt die Zahl der Kinderlosen an. Zum zweiten wirken sich verschiedene sozio-ökonomische Veränderungen negativ auf das häusliche Pflegepotential aus: Die zunehmende Frauenerwerbstätigkeit begrenzt die zeitlichen Pflegekapazitäten der Personengruppe, die bislang große Teile der Angehörigenpflege übernommen hat. Zudem nimmt die beruflich bedingte Flexibilität und Mobilität zu, so dass die Elternpflege über größere räumliche Distanzen hinweg organisiert werden muss. Auch die Erhöhung der Regelaltersgrenze und des Renteneintrittsalters haben negative Auswirkungen auf die Pflege naher Angehöriger, denn ein beträchtlicher Teil davon wird im rentennahen Alter geleistet. Neben diesen demographischen und sozio-ökonomischen Veränderungen kann für Deutschland drittens ein pflegekultureller Wandel konstatiert werden: Häusliche Pflegeentscheidungen werden immer häufiger auf der Basis finanzieller Gegebenheiten und Kostenerwägungen getroffen, wohingegen die moralisch empfundene Verpflichtung zur Pflege abnimmt. Dies gilt insbesondere für einkommensstarke, bildungsnahe, bürgerliche Milieus mit modernen Wertvorstellungen, da hier die Opportunitätskosten des Selbstpflegens relativ hoch sind. Die pflegebezogenen Einstellungen sind aber auch eine Generationenfrage: Von den heute 40–60-jährigen häuslich Pflegenden können sich fast drei Viertel eine häusliche Versorgung durch ambulante Dienste vorstellen, und über die Hälfte hält die Versorgung in einem „gut geführten Pflegeheim“ für akzeptabel. Es zeigt sich, dass die Erwartung, (ausschließlich) von den eigenen Kindern gepflegt zu werden, in ihrer Bedeutung abnimmt.
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Notes
- 1.
Die Studie wird von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert und ist ein Kooperationsprojekt der FH Düsseldorf (Prof. Simone Leiber), der FH Köln (Prof. Sigrid Leitner) und der Universität Gießen (Dr. Diana Auth) (vgl. auch www.projekt-maennep.de).
- 2.
Bei den arbeitnehmerseitigen InterviewpartnerInnen handelte es sich in allen Fällen um Personalrats- oder Betriebsratsmitglieder, bei den unternehmensseitigen GesprächspartnerInnen zum größten Teil um Verantwortliche aus den Personalabteilungen der Unternehmen oder um sonstiges Führungspersonal.
- 3.
Die Interviews sind methodisch orientiert an Witzel (2000) vorbereitet und durchgeführt worden.
- 4.
Als Anhaltspunkte hierfür wurden beispielsweise die Mitgliedschaft in einschlägigen Netzwerken (z. B. Netzwerk Erfolgsfaktor Familie), die Zertifizierung als familienfreundlicher Betrieb (z. B. durch die Hertie-Stiftung) sowie die Teilnahme an Wettbewerben zur Familienfreundlichkeit gewertet.
- 5.
Die Namen und ausgewählte biographische Daten (z. B. Alter) aller befragten Personen wurden geändert.
- 6.
Wir stellen im Folgenden drei Interviews vor. Ein viertes durchgeführtes Interview konnte nicht berücksichtigt werden, weil keine Pflegesituation im eigentlichen Sinne gegeben war.
- 7.
Dafür spricht auch der Befund, dass sich die von uns interviewten Männer keine explizit geschlechtshomogenen Gesprächsgruppen zur Verarbeitung der Pflegesituation wünschen.
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Auth, D., Dierkes, M. (2015). Söhne in der Angehörigenpflege – Charakteristika, Ressourcen und Unterstützungsbedarfe im betrieblichen Kontext. In: Meier-Gräwe, U. (eds) Die Arbeit des Alltags. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-07376-3_10
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