Zusammenfassung
Banker haben jüngst die philosophische Terminologie vollends versaut! Wer in der Zeitung etwas über ‚Spekulation‘ liest, denkt seitdem automatisch an Börsenzocker, die gnadenlos auf fallende oder steigende Kurse oder gegen ganze Volkswirtschaften wie etwa die der Griechen wetten.
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Notes
- 1.
Vgl. für Teile der folgenden Ausführungen und weiterreichende Hinweise Ritsert 2011.
- 2.
Vgl.: „Wer sein besonderes Lehrfach nur als besonderes kennt, und nicht fähig ist, weder das Allgemeine in ihm zu erkennen, noch den Ausdruck einer universellen wissenschaftlichen Bildung in ihm niederzulegen, ist unwürdig, Lehrer und Bewahrer der Wissenschaften zu sein.“ (ebd.)
- 3.
gl. dazu auch Ritsert 2008.
- 4.
- 5.
Z. B. in den §§ 81 und 82 der Enzyklopädie Hegels scheint es so etwas wie eine terminologische Differenz zwischen „Dialektik“ (§ 81) und „dem Spekulativen“ (§ 82) zu geben, wobei – trotz aller gleichzeitigen Unverzichtbarkeit der analytischen Verstandesarbeit (§ 80) und jener besonderen „dialektischen“ Denkungsart – das spekulative Denken als das „Positiv-Vernünftige“ (§ 82) den höchsten Rang einnimmt. Vgl. dazu auch: „Der philosophische Inhalt hat in seiner Methode und Seele drei Formen; 1. ist er abstrakt, 2. dialektisch und 3. spekulativ“ (WW 4: 412, Herv. i. O.).
- 6.
Es gibt allerdings interessante Versuche von Stekeler-Weithofer, den Begriffen „absoluter Geist“ und „absolute Idee“ einen nicht auf die Machenschaften eines „Großsubjektes“ beschränkten aktuell-sprachlogischen Sinn abzugewinnen (Stekeler-Weithofer 2005: 153 ff.).
- 7.
Vgl. dazu auch Ritsert 2009: 161 ff.
- 8.
„Es ist ein Begriff vorhanden in seiner Einheit, der Mitte des Schlusses, und in seiner Entzweiung, den Extremen des Schlusses“ (WW 4: 149).
- 9.
Auf seine besondere Weise diskutiert Hegel in seiner Naturphilosophie u. a. Vorgänge, die heute unter der Überschrift ‚Autopoiesis‘ in der Biologie und Systemtheorie eine zentrale Rolle spielen. „[N]ur als dieses sich Reproduzierende, nicht als Seiendes, ist und erhält sich das Lebendige“ (ENZ § 352). Deswegen unterscheide sich die Reflexion von der Reflektion bzw. von der Reflexivität. Die Reflexion bedeutet keine Selbstbespiegelung, sondern Kompetenzen, und Reflexivität bedeutet Selbstbezüglichkeit überhaupt, wozu auch die Autopoiesis oder Reproduktion ganzer Systeme gehört.
- 10.
Wir verstehen unter dem ‚Grund‘ oder den ‚Gründen‘ von Ereignissen oder Prozessen in vielen Fällen (a) ihre Ursache(n). Der Begriff des Grundes hat in diesem Falle die Bedeutung eines realen Daseinsgrundes von etwas. (Bei Leibniz heißt dies: causa efficiens). Grund oder Gründe gibt es auch (b) als logische Bedingungen für die weitere Aufrechterhaltung von Meinungen und Vermutungen. Es geht um Kriterien und Verfahren der Begründung von Urteilen bzw. der Bestätigung von Vermutungen, die dadurch der Erkenntnis, also der wahren Ansicht näher gebracht werden sollen. (Erkenntnisgrund; in Leibniz‘ Worten: ratio cognoscendi). Der Grund als (c) Handlungsantrieb (Motiv) bewegt uns zu überlegteren Mustern unseres Handelns. Habe ich gute Gründe, dies zu tun und jenes zu lassen oder nicht? Der Begriff des Grundes weist zudem (d) auf Handlungsgründe hin, die nicht gleich Ursachen sind. Etwas kann schließlich auch (e) auf einer wesentlichen Grundlage oder Grundbestimmung – etwa im Sinne einer Basis – aufbauen. Diese letztere Bedeutung werde ich im Folgenden vor allem berücksichtigen. Vgl. auch Schopenhauer 2007.
- 11.
Siehe ähnlich auch WW 4: 130, 172f. und ENZ § 112.
- 12.
Das sind: 1. Der Satz der Identität (A = A). 2. Der Satz der gleichgültigen Verschiedenheit, demzufolge es keine zwei Dinge geben kann, die in allen Hinsichten einander völlig gleich sein können. (Denn dann wären sie eins). 3. Der Satz der Entgegensetzung. A ist entweder B (Positivität) oder ^B (Negativität), tertium non datur (vgl. WW 4: 18). 4. Der Satz vom (zureichenden) Grunde, wobei der Begriff Grund ganz verschiedene Bedeutungen aufweist (s. o.).
- 13.
So kann man nichts Bestimmtes wissen, ohne unbestimmt Vieles auszuschließen und gar nicht darüber nachzudenken.
- 14.
Vgl. dazu Ritsert 2002: 80 ff.
- 15.
Die Rolle, die nun – umgekehrt – Merkmale der eigensinnigen Phänomene innerhalb des Wesensprozesses spielen, klammere ich hier aus.
- 16.
Umgekehrt erscheinen auch Merkmale selbständiger Phänomene innerhalb des Wesensprozesses selbst.
- 17.
Es gibt verschiedene andere Bestimmungen vom Grund bei Hegel, die ich hier vernachlässige. So bringt er den Begriff des Grundes des Öfteren im Zusammenhang mit der Einheit von Gegensätzen: die „Einheit Entgegengesetzter oder der Grund" (WW 4: 130, Herv. i. O.). Dementsprechend heißt es auch in der Enzyklopädie: „ Der Grund ist die Einheit der Identität und des Unterschieds“ (ENZ § 121).
- 18.
Die verschiedenen Figuren des Syllogismus unterscheiden sich also je nachdem, wo A, B und E stehen. Die zweite Figur des Daseinsschlusses z. B. lautet B-E-A usf. (WW 6: 365 ff.).
- 19.
„Wer aber verlangt, daß nichts existiere, was in sich einen Widerspruch als Identität Entgegengesetzter trägt, der fordert zugleich, daß nichts Lebendiges existiere“ (WW13: 162).
- 20.
Den Begriff negative Dialektik gibt es bei Hegel selbst, wenn auch nicht mit einer so positiven Gewichtung wie bei Adorno. Die negative Dialektik stellt für ihn „das Seiende zugleich als endlich und zugleich als unendlich im gewöhnlichen Sinn des Worts“ dar (WW 4: 91). Aristoteles’ Philosophie lobt er, weil deren Momente einer „negativen Dialektik“ ihre Kraft „gegen das eigentlich dogmatische Verstandesbewußtsein“ richten. Sie sei jedoch „unkräftig […] gegen das Spekulative“ (WW 19: 397, Herv. i. O.). Bei Adorno richtet sich das Prädikat negativ gegen die Idee der letztendlichen Identität von Subjekt und Objekt.
- 21.
Vgl. auch: „Der Begriff ist das Allgemeine, das zugleich bestimmt ist, das aber in einer Bestimmung dasselbe Ganze, Allgemeine bleibt, oder die Bestimmtheit, welche die verschiedenen Bestimmungen einer Sache als Einheit in sich befaßt“ (WW 4: 139). Er ist das Prinzip der Zusammenfügung von mannigfaltigen Besonderheiten und Einzelheiten, worin er bzw. seine Bestimmungen zugleich enthalten sind (vgl. WW 4: 140). Durch sein Enthaltensein in der Einzelheit wird er überhaupt erst konkret.
- 22.
In dieser Hinsicht könnte man sich z. B. Fichtes Bildungsbegriff als „Bestimmung zur Selbstbestimmung“ anschauen.
- 23.
Dass dieser Deutungsvorschlag sich nicht unvertretbar weit von Sinnmöglichkeiten in Hegels Te xten entfernt, kann u. a. die Textstelle andeuten, in der es heißt, „die spekulative Idee“ habe das „absolut Negative an ihr selbst, den Gegensatz in ihr selbst: sie ist in sich rund, enthält dies Bestimmte und sein Entgegengesetztes in ihr, diese Idealität in ihr selbst“ (WW 19: 397).
- 24.
Vgl. dazu Müller 2011: 55 ff. Zum Widerspruch sagt Adorno beispielsweise: „Widerspruch ist Nichtidentität im Bann des Gesetzes, das auch das Nichtidentische affiziert“ (Adorno 1966: 18). Das ist – zurückhaltend ausgedrückt – sicher keine unmittelbar eingängige Auskunft.
- 25.
Die zitierten Begriffe stammen aus Adorno 1966: 140. Siehe auch die Darstellung des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft gemäß Adornos ‚Prinzip der Dialektik‘ bei Müller 2011: 76 ff.
- 26.
Vgl. dazu Ritsert 2007.
- 27.
Vgl. dazu beispielsweise Adorno 1996.
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Vielen Rationalisten und Empiristen erscheint Einsicht durch Einfühlung als ein völlig irrationales Verfahren. Und es gibt Leute, für die Gefühl geradezu den Gegenbegriff von Vernunft darstellt – als gäbe es keine rationalen Gefühle.
Literatur
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Ders. (1963): Drei Studien zu Hegel, Frankfurt am Main
Ders. (1966): Negative Dialektik, Frankfurt am Main
Ders. (1970): Ästhetische Theorie, Frankfurt am Main
Ders. (1974): Philosophische Terminologie, Bd. 2, Frankfurt am Main
Ders. (1979): Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie, in: Soziologische Schriften I, Frankfurt am Main
Ders. (1996): Probleme der Moralphilosophie, Frankfurt am Main
Aristoteles (1970): Metaphysik, Stuttgart
Benjamin, Walter (1991a): Lehre vom Ähnlichen, in: Gesammelte Schriften, Band II/1, Frankfurt am Main, S. 204–210
Ders. (1991b): Über das mimetische Vermögen, in: Gesammelte Schriften, Band II/1, Frankfurt am Main, S. 210–213
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Müller, Stefan (2011): Logik, Widerspruch und Vermittlung. Aspekte der Dialektik in den Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Ritsert, Jürgen (2002): Asymmetrische und reine Anerkennung. Notizen zu Hegels Parabel über „Herr und Knecht“, in: Hafeneger, Benno/Henkenborg, Peter/Scherr, Albert (Hg.): Die Idee der Anerkennung in der Pädagogik, Schwalbach/Ts., S. 80–120
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Ders. (2008): Dialektische Argumentationsfiguren in Philosophie und Soziologie, Münster
Ders. (2009): Der Mythos der nicht-normativen Kritik. Oder: Wie misst man die herrschenden Verhältnisse an ihrem Begriff?, in: Müller, Stefan (Hg.): Probleme der Dialektik heute, Wiesbaden, S. 161–176
Ders. (2011): Moderne Dialektik und die Dialektik der Moderne, Münster
Schelling, Friedrich Wilhelm (1953): Studium Generale. Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums, Stuttgart
Ders. (1967): System des transzendentalen Idealismus (1800), in: Ders.: Ausgewählte Schriften, Darmstadt
Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst (1988): Dialektik. Einleitung zur Dialektik, Hamburg
Schopenhauer, Arthur (2007): Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grund, Zürich
Stekeler-Weithofer, Pirmin (2005): Philosophie des Selbstbewusstseins. Hegels System als Formanalyse von Wissen und Autonomie, Frankfurt am Main
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Ritsert, J. (2013). Antinomie, Widerspruch und Begriff. Aspekte der Hegelschen Spekulation. In: Müller, S. (eds) Jenseits der Dichotomie. Frankfurter Beiträge zur Soziologie und Sozialpsychologie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-02270-9_3
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