Zusammenfassung
Vorgeschlagen wird eine Umkehrung der Gesellschaftsanalytik: Statt einer Ökonomisierung der Gesellschaft (Neoliberalismusthese) herrscht die Ästhetisierung der Gesellschaft . Daraus folgt: Nicht die Wirtschafts- oder Finanzsoziologie (oder gar die Kapitalismustheorie) sollte die soziologische Aufklärung führen, sondern die Kunstsoziologie. Dass Kunst das eigentliche Kraftzentrum der Vergesellschaftung bildet, erschließt sich in der gelassenen Sichtung der durchgehenden, flächendeckenden Ästhetisierung der Gesellschaft . Vom Design der Dinge zum Konsum der Dinge, von den ästhetischen Kommunikationsverhältnissen der städtischen Baukörper zu den unendlichen Moden der Kleider, von der kosmetisch-chirurgischen Melioration der Körpergestalten zu den in Tattoos verrätselten Körperoberflächen und den facettierten Face(!)-Book-Stilisierungen der Subjekte, vom permanent begehrten Eintauchen in konzertante Schwingungen zur im Wochenrhythmus erbetenen und erflehten Partizipation an den Fußball-Spektakeln, von der naturästhetischen Obsession der millionenfachen aufwendigen Gartengestaltungen zum weltweiten Tourismus als Passion für die fremdästhetische Gestalt von Gesellschaften, von den zentral platzierten Tempeln der modernen Kunst zu den im Dunkel der Nacht aufgebrachten, taghell leuchtenden Graffi tis der nachwachsenden Ausdruckssubjekte. Bereits Werner Sombart hatte in seiner Kapitalismusanalyse von »Luxus, Liebe und Kapitalismus« die Kausalrelationen umgekehrt: Das sich erstmals zu Beginn der Moderne entdeckende ästhetische Begehren hetzt die kapitalistische Ökonomie vor sich her, immer neue Ausdrucksformen zu produzieren. So gesehen ist in der Gegenwartsgesellschaft die Ästhetisierung die Basis, der sogenannte Neoliberalismus die Magd der unerschöpflichen, massenhaften »Interphänomenalität«.
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Fischer, J. (2015). Ästhetisierung der Gesellschaft statt Ökonomisierung der Gesellschaft. In: Danko, D., Moeschler, O., Schumacher, F. (eds) Kunst und Öffentlichkeit. Kunst und Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-01834-4_2
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