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Der anomische Schatten der Moderne — Gesellschaftliche Desintegration im Fokus der Forschergruppe um Wilhelm Heitmeyer

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Soziologische Gegenwartsdiagnosen I

Auszug

Folgt man Wilhelm Heitmeyers Diagnose, so ist für die soziale Entwicklung der westlichen Industriegesellschaften im ausgehenden 20. Jahrhundert eine Radikalisierung des Tempos sozialstruktureller, normativer und kognitiver Veränderungen charakteristisch. Als Vergleichsmaßstab, vor dem die Radikalität der Veränderungen deutlich wird, dient hier jener gemäßigte soziale Wandel, den die westlichen Gesellschaften im Zeitraum von ca. 1949 bis 1989 erfahren haben. Greift man Deutschland als ein Beispiel für den forcierten sozialen Wandel seit 1989 heraus, lassen sich mannigfache Indikatoren für eine krisenhafte Beschleunigung dieser Entwicklung herausstellen. Neben der anhaltenden Massenarbeitslosigkeit und einer allgemeinen Verunsicherung, die aus den Folgen der Globalisierung von Kapital und Kommunikation herrührt, benennt Heitmeyer unter anderem folgende Probleme, die sich in der Tendenz zu gesellschaftlichen Krisenlagen verdichten:

  1. 1.

    Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander: Soziale Ungleichheit verschärft sich, die bislang integrierenden Mittelschichten erodieren.

  2. 2.

    Immer mehr Menschen ziehen sich aus den Institutionen zurück. Dies gilt nicht nur für Ehe, Familie und Kirche, sondern im besonderen Maße auch für die konfliktvermittelnden intermediären Institutionen wie Vereine, Verbände, Gewerkschaften und Parteien.

  3. 3.

    Gesteigerte Anforderungen der Arbeitswelt, vor allem mit Blick auf Mobilität und Arbeitszeitflexibilität, führen zur Zerstörung von sozialen Beziehungen und zur Fragmentierung von Lebenszusammenhängen; der Lebenslauf wird zur „Bastelbiographie“.

  4. 4.

    Basale Wert- und Normenkonsense, die bislang gesellschaftsintegrierend wirkten, lösen sich auf (Heitmeyer 1997a: 10/11).

Zusammengenommen verdichtet sich dieses Spektrum von Problemlagen zu gesellschaftlichen Phänomenen, die die Soziologie seit den Tagen Emile Durkheims mit dem analytischen Begriff „Anomie“ beschreibt.

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Literatur

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© 2007 VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden

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Lange, S. (2007). Der anomische Schatten der Moderne — Gesellschaftliche Desintegration im Fokus der Forschergruppe um Wilhelm Heitmeyer. In: Schimank, U., Volkmann, U. (eds) Soziologische Gegenwartsdiagnosen I. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90736-9_7

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-531-90736-9_7

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