Auszug
Es gibt wohl keinen Begriff, der in der Soziologie so umstritten ist wie der Begriff der Gesellschaft. Für die einen ist er die Grundkategorie schlechthin. Andere weigern sich, ihn überhaupt zu verwenden. Ein Grund für diesen Dissens liegt unseres Erachtens darin, dass der Begriff nicht nur mannigfach konnotiert, sondern auch metaphorisch aufgeladen ist. Einerseits eröffnen Metaphern Freiräume, in denen sich die Fantasie frei entfalten kann, um die Begriffsbildung zu inspirieren. Andererseits kann man nie sicher sein, ob das mit dem Begriff Bezeichnete wirklich ist oder eben nur im übertragenen Sinne gemeint. Wie immer man zum Gesellschaftsbegriff steht, die Geschichtsschreibung der Soziologie hat von der Tatsache auszugehen, dass es eine einflussreiche Theorietradition gibt, deren Vertreter diesen Begriff mit Hilfe einer Metapher bestimmten. Gemeint ist die Tradition der Gesellschaftstheorie, die Auguste Comte begründete und die von Herbert Spencer, Emile Durkheim, Talcott Parsons und Niklas Luhmann fortgeführt wurde. Diese Theoretiker betrachten die Gesellschaft als sozialen Körper. Über diese Tradition, für die Friedrich H. Tenbruck die Bezeichnung “Gesellschaftsgeschichte„ fand,1 ist sehr viel geschrieben worden. Doch sind sowohl in systematischer als auch in historischer Hinsicht längst noch nicht alle Zusammenhänge erkannt. Die lange Zeit herrschende Meinung, derzufolge der vermeintlich naive Positivist Comte das Körper-Konzept aus der zeitgenössischen Biologie übernommen haben soll, um seine neue Disziplin namens Soziologie mit Hilfe eines harten naturwissenschaftlichen Paradigmas zu professionalisieren, hat sich als barer Unsinn erwiesen
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Literatur
Friedrich H. Tenbruck, Gesellschaftsgeschichte oder Weltgeschichte?, S. 75–98 in: ders., Perspektiven der Kultursoziologie. Gesammelte Aufsätze. Opladen: Westdeutscher Verlag 1996.
Dass diese Ansicht heute immer noch vertreten werden kann, ohne die Werke Comtes und Spencers—geschweige denn die vorliegende einschlägige Sekundärliteratur—auch nur zur Kenntnis zu nehmen, zeugt vom desolaten Stand der Forschung; vgl. als jüngsten Fehltritt: Susanne Lüdemann, Metaphern der Gesellschaft. Studien zum soziologischen und politischen Imaginären. München: Fink 2004, S. 24.
Vgl. bereits Gerhard Wagner Surfen für Fortgeschrittene. Plädoyer für eine soziologische Metaphorologie, in: Soziologie 33, 2004, S. 7–25; Gerhard Wagner, Soziale Schäume. Zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft, in: Schweizerische Zeitschrift für Soziologie 32, 2006, forthcoming.
René Descartes, Discours de la méthode. Von der Methode des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Forschung. Hamburg: Meiner 1969, S. 31.
Giambattista Vico, Die neue Wissenschaft von der gemeinschaftlichen Natur der Nationen (ausgewählt, übersetzt und eingeleitet von Ferdinand Fellmann). Frankfurt am Main: Klostermann, S. 30 (cap. 331).
Ebd., S. 30 (cap. 331).
Ebd., S. 30 (cap. 331).
Ebd., S. 70 (cap. 405).
Ebd., S. 49 (cap. 376).
Ebd., S. 69 (cap. 404).
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Ebd., S. 49 (cap. 376).
Ebd., S. 66–69 (cap. 401–403).
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Vgl. Mark Rollins (Hg.), Danto and His Critics. Oxford: Blackwell 1993; vgl. auch Peter-Ulrich Merz-Benz und Gerhard Wagner, Kultur und Kunst. Zur Systematisierung einer Unterscheidung, S. 231–264 in: Peter-Ulrich Merz-Benz und Gerhard Wagner (Hg.), Kultur in Zeiten der Globalisierung. Neue Aspekte einer soziologischen Kategorie. Frankfurt am Main: Humanities Online 2005; Gerhard Wagner, Die Atmosphäre der Kunstwelt. Arthur C. Danto, Andy Warhol und die Soziologie der PopArt, forthcoming in: Rainer Goetz und Stefan Graupner (Hg.), Atmosphäre(n). Würzburg: Röll 2006.
Vico, Die neue Wissenschaft von der gemeinschaftlichen Natur der Nationen, S. pp67 (cap. 402).
Ebd., S. 70 (cap. 405).
Vgl. Gerhard Dohrn-van Rossum, Organ, Organismus, Organisation, politischer Körper, S. 519–650 in: Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Stuttgart: Klett-Cotta 1978, hier S. 522–524.
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Hans Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, in: Archiv für Begriffsgeschichte 6, 1960, S. 7–142, hier S. 10–11.
Vgl. Marcel Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Bd. 9: Die Entflohenen. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1979, S. 3657.
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Vgl. Max Weber, Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft, S. 475–488 in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen: Mohr 1982, hier S. 481–483.
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Michael Salewski, Geschichte Europas. Staaten und Nationen von der Antike bis zur Gegenwart. München: Beck 2000, S. 215.
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Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Tübingen: Mohr 1980, S. 691–692.
Gelasius I. zitiert nach Friedrich Prinz, Von Konstantin zu Karl dem Großen. Entfaltung und Wandel Europas, Düsseldorf: Artemis & Winkler 2000, S. 72.
Walter Ullmann, Gelasius I. (492–496). Das Papsttum an der Wende der Spätantike zum Mittelalter. Stuttgart: Hiersemann 1981, S. 211.
Friedrich Prinz, Von Konstantin zu Karl dem Großen. Entfaltung und Wandel Europas. Düsseldorf: Artemis & Winkler 2000, S. 72.
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Hagen Schulze, Staat und Nation in der europäischen Geschichte. München: Beck 1999, S. 21.
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Simmel, Soziologie, S. 134 u. S. 142.
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Schulze, Staat und Nation in der europäischen Geschichte, S. 32–33.
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Bernard Mandeville, Die Bienenfabel oder Private Laster, öffentliche Vorteile. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1980.
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Dieter Grimm, Entstehungs-und Wirkungsbedingungen des modernen Konstitutionalismus, in: ders., bes. S. 31–66
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Vgl. aber bereits Gerhard Wagner, Auguste Comte zur Einführung. Hamburg: Junius 2001; Gerhard Wagner, Herausforderung Vielfalt. Plädoyer für eine kosmopolitische Soziologie. Konstanz: UVK 1999; Peter-Ulrich Merz-Benz und Gerhard Wagner (Hg.), Die Logik der Systeme. Zur Kritik der systemtheoretischen Soziologie Niklas Luhmanns. Konstanz: UVK 2000.
Peter-Ulrich Merz-Benz, Tiefsinn und Scharfsinn. Ferdinand Tönnies begriffliche Konstitution der Sozialwelt. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1995, S. 23ff. u. 55f.
Ebd., §§ 11 u. 12.
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Merz-Benz, PU., Wagner, G. (2007). Die Gesellschaft als sozialer Körper. In: Klingemann, C. (eds) Jahrbuch für Soziologie-geschichte. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90494-8_5
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