Zusammenfassung
Es ist ein Gemeinplatz unter Historikern, dass Geschichte von den Siegern geschrieben wird. In der Soziologie ist das nicht anders. Es gibt in der Wissenschaft den Konkurrenzkampf verschiedener Paradigmen und Schulen. Den einen gelingt es, das begehrte Panier des „wissenschaftlichen Fortschritts“ für sich zu reklamieren und sich unter Umständen als „die“ Wissenschaft im exklusiven Sinne zu etablieren. Ein Beispiel ist die Wiener Schule der Nationalökonomie. Die Unterlegenen leben, da sich bald kaum noch einer für sie interessiert, als Artefakte, als negativ verzerrte Schattenbilder im Kollektivgedächtnis ihres Fachs fort. Ich möchte diesen Prozess und seine Problematik anhand der historischen Soziologie beschreiben, die in den 20er Jahren zu einer Hauptströmung deutscher Soziologie avancierte und nach dem zweiten Weltkrieg in der wissenschaftlichen Versenkung verschwand. Dabei werde ich zunächst Selbstverständnis, Geschichte und Eigenart der „deutschen historischen Soziologie“ skizzieren. Dann werde ich analysieren und problematisieren, wie historische Soziologie nach ihrem Untergang von den Siegern neu konstruiert und neu definiert wird. Abschließend sind Konsequenzen für die Soziologiegeschichte zu erörtern.
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Literatur
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Kruse, V. (2001). Wozu Soziologiegeschichte?. In: Klingemann, C., Neumann, M., Rehberg, KS., Srubar, I., Stölting, E. (eds) Jahrbuch für Soziologiegeschichte 1997/98. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-99644-2_4
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-99644-2_4
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-322-99645-9
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