Zusammenfassung
In einem Gespräch zwischen ost- und westdeutschen Frauen, das u.a. den Abbau von wechselseitigen Vorurteilen bzw. Stereotypen zum Ziel hatte, wird am Ende eines dynamischen Kategorisierungsprozesses ein neues stereotypenverdächtiges Urteil konstruiert. Der Schwerpunkt meiner Analyse liegt auf den einzelnen Stationen dieses Prozesses sowie den Faktoren, die ihn zu beeinflussen und voranzutreiben scheinen.
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Literatur
Dieser Aufsatz ist eine überarbeitete und stark gekürzte Fassung des Beitrages “Beobachtungen zur Selbstdarstellung und Bearbeitung von Stereotypen in einem Gespräch zwischen ost- und westdeutschen Frauen” (Wolf 1993). Ich bedanke mich bei den Mitgliedern der Forschungsgruppe “Nationale Selbst- und Fremdbilder...” für anregende Diskussionen. Mein besonderer Dank gilt Peter Auer, Inken Keim, Werner Kallmeyer, Margita Pätzold, Andrzej Piotrowski, Uta Quasthoff, Reinhold Schmitt und Jürgen Streeck für wichtige Hinweise im Rahmen von Ko-Beiträgen und Workshops.
Es gibt in dem Gespräch ganz explizite Hinweise darauf, daß die Beteüigten sich dem Anliegen der Initiative entsprechende Interaktionsaufgaben zuschreiben. Das Gespräch verläuft weitgehend ungelenkt Die Teilnehmerinnen können problemlos assoziative Themenveränderungen, Refokussierungen, thematische Sprünge vornehmen, solange die aufgeworfenen Themen dem zentralen Ziel untergeordnet sind, Wissensasymmetrien über die Lebensumstände der jeweils “anderen” Gruppe zu reduzieren, Vorurteile abzubauen und sich verstehen zu lernen.
Dies entspricht einer Tendenz, “das konversationsanalytische Rekonstruktionsverfahren stärker fallbezogen und weniger universalistisch zu orientieren” (vgl. Schmitt 1992, 83).
Im Unterschied dazu können sich Gesprächsteilnehmer auch wechselseitig typisieren, indem sie mittels bestimmter Eigenschaftszuordnungen eine Kategorie konstruieren und sich als Angehörige dieser kategorialen Gruppe definieren (vgl. Schwitalla und Streeck 1989, 229 ff.). Ein wiederum anderer Typ von Kategorisierungen besteht darin, die Zugehörigkeit einer Person zu einer Kategorie herauszufinden, wobei diese Kategorie im Wechselspiel mit dem Identifizierungsversuch schrittweise an die “Oberfläche” gebracht wird (vgl. Keim und Schmitt 1993).
Sacks weist darauf hin, daß solche festen kognitiven Verbindungen von Kategorien und kategoriengebundenen Eigenschaften im Alltagswissen auch grob als Stereotype bezeichnet werden (vgl. Sacks 1992, Vol. I, 577). Diese feste Verbindung ist eine wichtige Ressource für die ethnographische Analyse interaktiver Kategorisierungsprozesse. Allerdings weiche ich in meinen Ausführungen von manchen sozialpsychologischen Unterscheidungen zwischen “Vorurteil” und “Stereotyp” ab, da diese Unterscheidung für meine Analyse nicht relevant ist. Wenn ich statt des Begriffs “Stereotyp” manchmal “Vorurteil” verwende, so lehne ich mich an die von den Teilnehmerinnen selbst verwendeten Begrifflichkeiten an.
Darauf weist auch Paul in diesem Band hin.
Zum Zeitpunkt des Gesprächs ist das Merkmal “wenig kreativ sein” zumindest lockerer an die Kategorie “Ostdeutsche” gebunden als z.B. das Merkmal “nicht/schlechter arbeiten können”. Ob mit dieser stereotypenverdächtigen Zuschreibung tatsächlich ein Stereotyp im strengen Sinne konstruiert wird, darüber wird letztlich nicht in einem Gespräch entschieden.
Diese Kategorieneröffnung kann sowohl über Verfahren des Etikettierens als auch des Evozierens erfolgen (vgl. Drescher 1994 bzw. auch den Beitrag von Drescher und Dausendschön-Gay in diesem Band). Zum Teil decken sich diese Verfahren mit den Bearbeitungen der Kategorisierungsaufgaben, die Hausendorf (in diesem Band) als Markieren und Typisieren bezeichnet.
Im Hintergrund steht eine von mir für dieses Gespräch vorgenommene Unterscheidung zwischen universalistischen und partikularistischen Kategorien. Diese Dichotomie ist als eine relationale zu verstehen. Es sind Kontexte mit entsprechenden Relevanzsetzungen denkbar, wie z.B. Elternversammlungen in Schulen, in denen die Kategorisierung von Personen als Mütter, Väter, Lehrer universalistisch gegenüber z.B. ethnisch- oder politisch-kulturellen Kategorisierungen sind. Letztere wären im Schulkontext partiku-laristisch. In dem hier untersuchten Ost-West-Gespräch ist aufgrund der Aufgabenstruktur die politisch-kulturelle Kategorisierung (ostdeutsch/westdeutsch) universalistisch gegenüber anderen sozialen (z.B. familienbezogenen und berufsbezogenen) Kategorisierungen. 10 Eine ausführlichere Darstellung dieses Prozesses findet sich in Wolf (1993).
Parallel zur Kategorisierungsdynamik konstituieren sich entsprechende Teilnehmerinnengruppen “Ost”/“West”.
Zur Erklärung der Transkriptionssymbole s. S. VIII.
Die schnelle Zustimmung von C zu G’s Reaktion auf die eigene Äußerung und der damit verbundene Verzicht auf die Aufklärung des Mißverständnisses ist ein lokaler Hinweis auf eine Präferenz für Zustimmung vor Korrektur. Für eine solche Präferenz, die sich auf die Interaktionsaufgabe, Gemeinsamkeit und Verständigung zu erzielen, zurückführen läßt, gibt es in dem Gespräch weitere Hinweise. Wie das Beispiel zeigt, kann der Verzicht auf die Bearbeitung von Mißverständnissen aber auch negative Konsequenzen für den Umgang mit Vorurteilen haben.
Im Transkript wurden ostdeutsche Eigennamen (z.B. Orts- oder Betriebsnamen) mit dem Zeichen Δ symbolisiert, westdeutsche Eigennamen mit dem Zeichen ΔΔ.
Hier zeigt sich eine durch die besonderen Anforderungen der Identitätskonstitution im aktuellen politischen Kontext determinierte Differenzierung von Zuhörer und eigentlichem Adressaten im Sinne von footing (vgl. Goffman 1981b, 124ff.).
Bei einer solchen Interpretation lassen sich die scheinbar widersprüchlichen Zusammenhänge zwischen den vorangegangenen Strukturteilen erklären (vgl. Wolf 1993).
Es gibt zwar eine gewisse Nähe dieser Initiative zur SPD, doch definiert sie sich als insgesamt offen für Frauen auch anderer politischer Orientierungen. Tatsächlich nehmen an den gegenseitigen Besuchen und Gesprächen immer Frauen mit ganz verschiedenen politischen Interessen und Einstellungen teil. Insofern spiegelt die Initiative ein breites Spektrum der gegenwärtigen öffentlichen Meinungen wider.
Zu einem vergleichbaren Ergebnis gelangt Paul (in diesem Band) hinsichtlich “aufklärerisch-didaktischer” Mediendiskurse.
Das Konzept der “Schismogenese” wurde von Paul in die Diskussionen der Forschungsgruppe eingebracht. Nähere Erläuterungen dazu finden sich auch in seinem Beitrag in diesem Band. Vgl. auch die Anmerkungen in dem Beitrag von Fiehler.
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Wolf, R. (1995). Interaktive Fallen auf dem Weg zum vorurteilsfreien Dialog. Ein deutsch-deutscher Versuch. In: Czyżewski, M., Gülich, E., Hausendorf, H., Kastner, M. (eds) Nationale Selbst- und Fremdbilder im Gespräch. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-90504-8_7
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-531-12605-0
Online ISBN: 978-3-322-90504-8
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