1 Einleitung und Motivation

Mit einem Umsatz von 119 Mrd. € im Jahr 2020, 463.000 direkt Beschäftigten und über 2500 KMU ist die europäische Verteidigungsindustrie ein bedeutender Wirtschaftszweig (Cordina 2023).

Diese Industrie steht vor der grössten Transformation der letzten Jahre. Die Gründe dafür sind vielschichtig. In den letzten 30 Jahren wurden in vielen Ländern die Verteidigungsetats massiv herabgefahren. Nun hat der Ukraine Krieg und die von Deutschlands Bundeskanzler Scholz angesprochene Zeitenwende die Nachfrage nach Verteidigungsgütern und Dienstleistungen insbesondere in der Nato massiv ansteigen lassen. Zusammen mit dem Megatrend Digitalisierung und dem gleichzeitig stattfindenden demographischen Wandel ergibt sich ein bisher nicht dagewesener Veränderungsbedarf für die meist mittelständisch geprägten Unternehmen der Verteidigungsindustrie.

In der folgenden Fallstudie wird der Frage nachgegangen, wie Unternehmen der Verteidigungsindustrie mit diesem Veränderungsdruck umgehen, welche Ziele und Strategien sie zur Bewältigung definieren und mit welchen Herausforderungen sie zu kämpfen haben.

Eine weitere wichtige Fragestellung ist, welche digitalen Technologien für Innovationen und neue Geschäftsmodelle von Bedeutung sind.

Exemplarisch wird die Transformation am Fallbeispiel eines in der Schweiz ansässigen führenden Herstellers von komplexen Waffensystemen für die Flugabwehr (Rheinmetall Air Defence AG im Folgenden RAD) beschrieben.

1.1 Firmen-Porträt

Rheinmetall AG ist ein deutsches Unternehmen, das vor allem im Bereich Verteidigung und Automotive tätig ist. Das Unternehmen wurde 1889 in Düsseldorf gegründet und hat sich seitdem zu einem globalen Unternehmen entwickelt. Mit rund 25.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an 133 Standorten und Produktionsstätten weltweit erwirtschaftete Rheinmetall im Jahr 2022 einen Umsatz von 6,4 Mrd. €.

In den frühen Jahren spezialisierte sich Rheinmetall auf die Herstellung von Waffen und Munition. Im Laufe der Zeit erweiterte das Unternehmen seine Geschäftstätigkeit und produzierte auch andere militärische Ausrüstung wie Fahrzeuge und elektronische Systeme.

Unter dem Dach der Rheinmetall Air Defence AG (RAD) werden sämtliche Flugabwehr-Aktivitäten des Rheinmetall-Konzerns gebündelt.

In der Kanonen-Flugabwehr ist das Unternehmen Marktführer und einziger umfassender Anbieter für Feuerleitung, Geschütze, integrierte Lenkwaffenwerfer und Ahead Munition.

Das Kompetenz- und Fertigungszentrum Zürich ist ebenfalls Bestandteil der RAD und Partner der Industrie für Mechatronik-Fertigung, Lasersysteme und Engineering.

Am Standort Zürich sind rund 700 Mitarbeiter beschäftigt.

1.2 Forschungsmethodik

Die Fallstudienforschung ist eine Forschungsmethode, bei der der Fokus auf der detaillierten Analyse eines einzelnen Falls oder einer kleinen Anzahl von Fällen liegt. Wie in diesem Fall kann z. B. eine Organisation intensiv untersucht werden, um ein tieferes Verständnis zu gewinnen und entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Fallstudie berücksichtigt dabei den Kontext, in dem der Fall stattfindet. Dies ermöglicht es den Forschern, nicht nur das „Was“ zu verstehen, sondern auch das „Warum“ und „Wie“ hinter den beobachteten Phänomenen zu analysieren. Kritiker der Fallstudienmethodik messen der Fallstudie aus wissenschaftlicher Sicht nur heuristische Bedeutung zu, da sich ein Einzelfall nicht verallgemeinern liesse (Riedl 2006). Eine Verallgemeinerung ist in diesem Fall jedoch gar nicht das Ziel. Vielmehr kann die Fallstudie zum Verständnis der Branche und deren Herausforderungen, sowie als Ideengeber für allfällige Transformationsvorhaben dienen.

Die Datenerhebung erfolgte durch qualitative Methoden in Form von sechs ca. zweistündigen Einzel-Interviews mit Topmanagern aus verschiedenen Unternehmensbereichen und zusätzlich durchgeführten Dokumentenanalysen.

In den Interviews wurden zunächst die Treiber der Transformation und die strategischen Entscheidungen diskutiert. Anschliessend wurden die erforderlichen Veränderungen der Wertschöpfungskette, die zukünftigen Wettbewerbsvorteile und die organisatorischen Veränderungen besprochen. Abschliessend wurden die technologischen Entwicklungen und Risiken der Transformation analysiert.

Die Interviews wurden anschliessend transkripiert und den Interviewpartnern für einen Review zur Verfügung gestellt. Die konsolidierte Rohfassung der Fallstudie wurde den Interviewpartnern erneut zum Review zur Verfügung gestellt. Abschliessend erfolgte eine Abnahme und Freigabe der Fallstudie durch den Public Relations Bereich der Konzernzentrale.

Die folgende Fallstudie beginnt mit einer Darstellung der wichtigsten Treiber für die Transformation der Rüstungsindustrie. Anschliessend wird die Strategie für den Veränderungsprozess des Unternehmens RAD beschrieben. Die Strategie mündet in einem neuen Geschäftsmodell mit entsprechenden organisatorischen und technischen Anpassungen. Abschliessend wird auf die mit der Transformation verbundenen Risiken eingegangen und ein Ausblick für weitere mögliche Forschungsarbeiten gegeben.

Für die Leser/-innen der Fallstudie ergibt sich nun die Möglichkeit, Einblicke in die Veränderungen, strategischen Handlungsfelder, Technologien und organisatorischen Massnahmen in der Verteidigungsindustrie zu erhalten, die primär durch die „Zeitenwende“, aber auch durch die Digitale Transformation ausgelöst wurden.

2 Treiber für die Transformation der Verteidigungsindustrie

Die Verteidigungsindustrie befindet sich, wie viele andere Branchen auch, in einem ständigen Wandel und muss sich an neue Bedrohungen, politische Prioritäten und technologische Entwicklungen anpassen. Für die Transformation der Verteidigungsindustrie sind vor allem die folgenden vier Gründe verantwortlich.

  • Erstens treiben Veränderungen in der globalen Sicherheitslandschaft, wie das Auftreten neuer Bedrohungen und die Verlagerung von konventioneller zu unkonventioneller Kriegsführung, die Nachfrage nach neuen Verteidigungslösungen voran und der Ukraine Krieg hat die Nachfrage nach Verteidigungssystemen radikal verändert. Die Verteidigungsausgaben der Nato werden bis 2026 voraussichtlich um bis zu 65 %, verglichen mit 2021, steigen (Cavendish et al. 2022).

    Diese Beobachtung macht auch Oliver Dürr, CEO RAD: „Über viele Jahre hatten Regierungen im Glauben an einen dauerhaften Frieden die Investitionen in die Verteidigung zurückgefahren. Das ändert sich gerade rapide.“

    Die Nato-Mitgliedsstaaten insbesondere in Europa haben, so Dürr, jetzt das Ziel, die Verteidigung möglichst schnell wieder auf einen aktuellen Stand zu bringen. Hinzu komme, dass es durch den andauernden Krieg in der Ukraine einen hohen Verschleiss an Waffen und Munition gäbe, der kurzfristig ersetzt werden müsse.

    Die schnelle Verfügbarkeit von Systemen und Material ist zu einem entscheidenden Kaufkriterium geworden, weil Beides dringend benötigt wird. So hat sich auch die Reihenfolge der Entscheidungskriterien der Kunden verändert. Früher hat der Preis an erster Stelle gestanden, gefolgt von der Qualität und erst an dritter Stelle die Verfügbarkeit. Heute entscheiden die Kunden zunächst aufgrund der Verfügbarkeit, gefolgt von Qualität und erst dann anhand des Preises. Für die Hersteller bedeutet das, dass ein Konkurrent gewählt wird, wenn nicht schnell genug geliefert wird, resümiert Markus Oberholzer, CTO und Head global Engineering bei RAD.

  • Der technologische Fortschritt ist ein weiterer wichtiger Treiber für die Transformation der Verteidigungsindustrie. Der rasche technologische Wandel zwingt Verteidigungsunternehmen zu ständigen Innovationen und zur Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen. Zwar würden die Erfahrungen aus den aktuellen Konflikten zeigen, dass mit den RAD Systemen Drohnen und Marschflugkörper sehr effizient bekämpft werden könnten und dass die Luftaufklärung zu einem wichtigen Erfolgsfaktor geworden sei, so Markus Oberholzer. Aber dennoch müsse das Unternehmen den technologischen Vorsprung weiter ausbauen, um sich von der Konkurrenz auch zukünftig abheben zu können.

    Für Oliver Dürr wird Künstliche Intelligenz eine grosse Rolle spielen. KI sei für die Luftabwehr eine Schlüsseltechnologie, die für die Klassifizierung und für den Decision Support, sowie die Automatisierung und die Logistik benötigt werde. Auch Daten würden für die moderne, agile Kampfführung (Datenhoheit) immer wichtiger.

  • Der dritte wichtige Treiber für die Veränderung in der Verteidigungsindustrie sind der demographische Wandel und der „Wettbewerb um Talente“. In der Verteidigungsindustrie ist es etwas schwieriger als in anderen Branchen, Talente anzuwerben, die für den Wachstum dringend benötigt werden. Annika Silva, die das Ressort HR bei RAD leitet, verweist zudem auf den Generationenwechsel. Die „Baby Boomer“ werden in den nächsten Jahren zunehmend in Ruhestand gehen und das Unternehmen muss sich auf eine neue Generation von Mitarbeitenden konzentrieren. Diese stellen neue Anforderungen an einen Arbeitgeber. Im Wettbewerb um die besten Köpfe müssten die Unternehmen der Verteidigungsindustrie ihre Attraktivität deutlich steigern und das Employer Branding verbessern (Refline Blogbeitrag 2022). Dafür sind Veränderungen bei Führung, Kultur und einigen Rahmenbedingungen erforderlich (Uhl und Fischer 2016).

  • Ein weiterer wichtiger Treiber für Veränderungen in der Verteidigungsindustrie sind regulatorische Vorschriften und deren Einhaltung. Die Verteidigungsindustrie unterliegt einer Reihe von Vorschriften und Compliance-Anforderungen, z. B. Exportkontrollen, Beschaffungsregeln und ethischen Standards, die sich auf die Geschäftstätigkeit auswirkt.

    Marc Honikel, Leiter Entwicklung RAD am Standort Zürich, sieht deshalb im „politischen Umfeld“ in der Schweiz einen weiteren Treiber für Veränderungen. Der Export der Produkte ist aufgrund von Restriktionen schwierig. In manche Länder könnte man nicht mehr liefern, sobald diese in einen Krieg verwickelt sind. Die RAD habe daher zum Ziel, noch mehr Produkte und Dienstleistungen aufzubauen, die auch unter diesen Rahmenbedingungen geliefert werden können (Abb. 1).

    Abb. 1
    figure 1

    Haupttreiber der Transformation. (Eigene Abbildung)

3 Die „richtige“ Strategie in einem sich radikal verändernden Umfeld

Es ist nicht einfach, in einem von so viel Veränderung geprägtem Umfeld, die richtige Strategie zu wählen. Eine klare Strategie ist jedoch erforderlich, um den Richtungswechsel zu planen und umzusetzen. Die Strategie sorgt für ein einheitliches Verständnis im Führungsteam und in der Organisation. Darüber hinaus trägt die Strategie dazu bei, Risiken zu minimieren, die mit der Transformation einhergehen, und die Kosten des Veränderungsprozesses zu senken (Uhl und Gollenia 2016).

Aus der Sicht von Oliver Dürr wandelt sich die RAD bereits spürbar von einem „Bewahrer des Status Quo“ zu einem dynamisch wachsenden Unternehmen. Diese Wachstumsstrategie basiert auf den folgenden fünf strategischen Handlungsfeldern:

3.1 Strategische Handlungsfelder

Das erste Handlungsfeld ist die Beschleunigung der Produktion. Vor dem Ukraine Krieg hat die RAD eine Nische in der Nische bedient, so Oliver Dürr. Die Militärexperten seien davon ausgegangen, dass Luftabwehr nicht mehr über Geschütze erfolgen kann, weil High-Tech Flieger gar nicht mehr in deren Reichweite kommen würden. Die Realität in der Ukraine zeigt jedoch ein ganz anderes Bild. Die Bedrohung in der Luft entsteht primär durch Kampfdrohnen. Zur Bekämpfung der Drohnen gibt es derzeit kaum ein besseres Abwehrsystem als das RAD System. Es kann überall eingesetzt werden, ist sehr effektiv und effizient. Die Nachfrage ist deshalb gross, aber die Produktion noch zu langsam. Deshalb ist die schnellere Herstellung und Lieferung bestehender Produkte eines der wichtigsten strategischen Ziele.

Die Schaffung von Wettbewerbsvorteilen durch die Investition in Technologien, die eine effiziente Produktion, zuverlässige Lieferung sowie einen Top Service ermöglichen, ist ein weiteres strategisches Handlungsfeld. Um Produktion, Lieferung und Service zu optimieren, muss das Unternehmen die Verzahnung dieser Unternehmensbereiche weiter fördern. Für Oliver Dürr ist eine Entwicklung ohne die sofortige Verprobung in der Realität nicht zielführend. Die Produkte müssten schneller herstellbar, sofort einsatzfähig und leichter wartbar sein. Das Zusammenspiel von Entwicklungsingenieuren, Produktions‑, Qualitäts- und Service-Verantwortlichen ist folglich ein zentraler Erfolgsfaktor.

Die Entwicklung von Beziehungen zu strategischen Partnern, um den Zugang zu neuen Märkten und Kunden zu erhalten, ist das dritte strategische Handlungsfeld.

RAD bleibt der Schweiz verbunden, wo das Unternehmen seine Wurzeln hat. Das Unternehmen ist dankbar für das Knowhow, den Zugang zu hoch qualifizierten Mitarbeitenden und das verlässliche Umfeld. Allerdings wird die RAD – weit mehr als in der Vergangenheit – in den Kundenländern lokale Fertigungs‑, Lager- und Wartungsstandorte aufbauen. Damit sollen die industrielle Basis der Kundenländer, sowie die vorhandenen lokalen Ressourcen genutzt werden. Gleichzeitig wird die RAD skalierbarer, stärkt die Kundenbeziehungen und erfüllt rechtliche Anforderungen vor Ort.

Handlungsfeld Nummer vier sind Investitionen in Forschung und Entwicklung von innovativen Produkten. RAD Systeme sind heute schon wettbewerbsfähig. Nun gilt es, diese Wettbewerbsfähigkeit zu bewahren oder sogar auszubauen. Mitbewerber haben begonnen, RAD Produkte zu kopieren, und es ist schwierig, sich dagegen zu wehren. Die Differenzierung soll durch Innovationen erfolgen. Ein wichtiges Innovationsthema ist gelenkte Munition, ein weiteres Künstliche Intelligenz.

Das fünfte strategische Handlungsfeld ist die Zusammenstellung eines starken Teams aus Fachleuten, die Erfahrungen in der Verteidigungsindustrie haben. Der Anspruch des Managements ist, die RAD für die Zukunft „noch fitter“ zu machen – durch Top-Arbeitskräfte, Top-Produkte, sowie eine Top-Abwicklung der Aufträge und Projekte. Dies erfordert in vielen Unternehmensbereichen ein Umdenken der Führungskräfte und Mitarbeitenden und auch neue Verhaltensweisen. In einigen Bereichen werden wird sich die RAD quantitativ und qualitativ verstärken, resümiert Oliver Dürr (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Strategische Eckpunkte. (Eigene Abbildung)

3.2 Analyse und Transformation der gesamten Wertschöpfungskette

Aus Sicht des Führungsteams beginnt die Veränderung der Wertschöpfungskette mit einem kulturellen Wandel hin zu mehr Agilität im Unternehmen (Uhl und Schäfer 2020). Die Organisation ist aktuell noch zu statisch und in zahlreichen Prozessen und Entscheidungen teilweise zu kompliziert.

Deshalb hat das Führungsteam damit begonnen, Prozesse und Strukturen zu analysieren und zu verschlanken.

Dabei kommt ihnen entgegen, dass die Organisation über hochqualifizierte und sehr motivierte Mitarbeitende verfügt. Allerdings konnten sich viele Mitarbeitende in der Vergangenheit nicht immer genügend einbringen und entfalten. Das verändere sich nun und die beabsichtigten Verbesserungen sind bereits in vielen Bereichen zu spüren.

Kultureller Wandel ist auch für Anika Silva ein wichtiges Stichwort. Die Führungskräfte und Mitarbeitenden sind ein grosses Asset des Unternehmens. Damit das auch so bleibt, müssen aus HR-Sicht noch einige Veränderungen und Anpassungen vorgenommen werden. Von Führungskräften und Mitarbeitenden wird erwartet, dass sie „Out of Box“ Denken fördern und sich aktiv in die Veränderungen einbringen.

Darüber hinaus sind moderne Arbeitsplätze, flexible Arbeitszeiten und leistungsfähige IT-Systeme erforderlich. Letzteres ist besonders wichtig, da sich die jüngere Generation nicht mit komplizierten Benutzeroberflächen oder mangelnder Datenqualität auseinandersetzen möchte.

Anika Silva achtet auch darauf, dass bei dem Wandel die Herkunft des Unternehmens nicht vergessen wird. Die RAD kommt aus einer Fabrikwelt und die Produktion werde (wird) neben der Forschung und Entwicklung auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen.

Bei Veränderungen der Wertschöpfungskette ist Oliver Dürr grundsätzlich vorsichtig und setzt dabei immer erst auf eine fundierte Analyse. Diese wurde über alle Wertschöpfungsstufen hinweg – von der Entwicklung bis zum After Sales Service – durchgeführt.

RAD geht dabei vom Kunden und seinen Anforderungen aus. In der Vergangenheit hat die RAD ihren Kunden durch Individualisierung ihrer Produkte möglichst alle Wünsche erfüllt. Das ist sehr zeit- und kostenintensiv gewesen. Die Individualisierung ist den Kunden heute jedoch weniger wichtig. Sie benötigen Systeme, die schnell einsatzfähig sind. Also sind Schnelligkeit und Zuverlässigkeit auch die wichtigsten Key Performance Indikatoren für die Prozesse der RAD.

Bei der Analyse der Wertschöpfungskette wurden die folgenden Prozesse berücksichtigt:

  • Forschung & Entwicklung: Hier werden die konkreten Anforderungen des Verteidigungsmarktes definiert und technische Lösungen entwickelt.

  • Design und Konstruktion: Hier werden die Produkte und Systeme erstellt, die den Anforderungen des Verteidigungsmarktes entsprechen.

  • Produktion: Diese soll die Produkte in ausreichendem Maße herstellen.

  • Die Beschaffung: Diese soll die Komponenten und Materialien besorgen, die zur Herstellung der Produkte benötigt werden.

  • Der Vertrieb: Verkauft die Produkte an den Endkunden.

  • Der Service: Unterstützt den Kunden beim Betrieb und bei der Wartung der Produkte.

3.2.1 Agile Forschung und modulare, verteilte und datenbasierte Entwicklung

Die Analyse hat gezeigt, dass der Bereich Forschung & Entwicklung bei der RAD prinzipiell gut aufgestellt ist, da grosses Knowhow und viel Erfahrung vorhanden sind.

Neue Entwicklungsprojekte werden dagegen noch etwas zu zögernd und zu unverbindlich angegangen. Auch müssen die Zeitplanungen und Entwicklungsziele besser eingehalten werden.

Eine wesentliche Anforderung ist, dass die Entwicklungsprojekte schneller umgesetzt werden. Mit den gestiegenen Kundenanforderungen wird auch die Anzahl der Entwicklungsprojekte steigen. Trotz organisatorischem Wachstum können diese nicht alle intern geleistet werden und deshalb müssen bestimmte Teile der Entwicklung am Markt eingekauft werden.

Um schneller und effizienter zu werden, muss RAD aber auch noch stärker als bisher auf die Nutzung von digitalen Modellen setzen. Mit digitalen Modellen können Kunden-Anforderungen, wie z. B. das schnelle Erfassen einer Bedrohung, die Berechnung der richtigen Reaktion und das Auslösen des Effektors, besser und schneller umgesetzt werden.

Einen weiteren Optimierungsbedarf sieht Markus Oberholzer darin, modulare Produkte zu entwickeln, die schnell angepasst werden können. „Wir tendieren dazu, perfekte Lösungen zu entwickeln. Zukünftig geht es aber mehr um schnelle, praktikable und modulare Entwicklungen“.

In der Zukunft solle ein „Over Engineering“ vermieden werden. Es sei nicht entscheidend, was die Ingenieure für die beste Lösungen hielten, sondern, was der Soldat im Einsatz am besten und effizientesten nutzen könne.

Aufgrund der grossen Nachfrage werden alle Entwicklungsprozesse auf skalierbare, modulare Plattform-Lösungen ausgelegt.

Gleichzeitig wird die Entwicklung zunehmend in einer verteilten Organisation mit internen und externen Entwicklungspartnern stattfinden. Dazu müssen die Entwicklungs-Prozesse digitalisiert werden, so dass alle auf den selben Datensatz für die Entwicklung zugreifen und mit diesem arbeiten können.

Grundsätzlich gilt das für die gesamte Wertschöpfungskette – von der Beschaffung, über die Entwicklung, den Verkauf und die Aftersales Services, dass alle Änderungen an Produkten oder Services über den gesamten Produkt-Lebenszyklus hinweg auf derselben einheitlichen Datenbasis stattfinden (single source of truth). Das erfordert einheitliche Schnittstellen und die Vernetzung muss organisiert werden – mit Hilfe von Standards und einheitlichen Kommunikationsprotokollen.

Aufgrund der Digitalisierung werden Innovationzyklen immer kürzer, ist Marc Honikel überzeugt. Es ist heute ein „Must have“, dass Funktionen und Bedienung von Systemen digital sind. Das wird von den Kunden erwartet und falls ein Unternehmen dies nicht anbieten kann, verliert es den Anschluss.

Die RAD verkauft sehr langlebige Güter und diese müssen daher auch über einen langen Zeitraum technisch möglichst aktuell bleiben (Evergreen Design), leicht gewartet und schnell im Kampfwert gesteigert werden können. Dies erreicht man am ehesten durch digitale, Software-basierte Funktionen und Services. Hinzu kommt, dass auch militärische Systeme vermehrt mit künstlicher Intelligenz ausgestattet werden.

3.2.2 Lean Produktion

In vielen Branchen wurde schon vor Jahren auf Lean Production gesetzt. Dies ist eine Managementphilosophie und Produktionsprinzip, das darauf abzielt, den Kundennutzen zu maximieren, in dem Verschwendung minimiert und Effizienz optimiert werden (Pfeiffer und Weiss 1994).

Auch für die RAD Produktion gilt, dass diese leaner und schneller werden müssen, um den Kundenwert zu steigern, erläutert Oliver Dürr. Gleich zu Beginn seiner Tätigkeit bei RAD wurde ihm bewusst, dass eine Lieferzeit von 19 Monaten für ein Skynex System schon in Friedenszeiten viel zu lang ist. In Kriegszeiten ist eine solche Lieferzeit aus Sicht der Kunden jedoch völlig inakzeptabel.

Eine der ersten Initiativen war folglich die sogenannte „12 Monats Challenge“. Die Lieferzeit von Skynex Systemen sollte dadurch auf 12 Monate reduziert werden. Einige Monate später wurde dies auch erreicht.

Begonnen wurde mit einer Analyse der bestehenden Prozesse. Alle Abläufe wurden in Frage gestellt, um Wartezeiten, unnötige Transporte und übermässigen Arbeitseinsatz zu minimieren. Ein Beispiel, das die Optimierungspotentiale verdeutlicht, ist die die Herstellung eines Geschütz-Gehäuses. Dieser Prozess dauerte 19 Monate – heute dauert der Prozess nur noch 6 Monate.

Die Analyse zeigte auch, dass eine Betrachtung der Produktion zu kurz greift. Um noch schneller zu werden, müssen alle Prozesse der Wertschöpfungskette optimiert werden – vom Verkauf, über die Produktion, die Beschaffung der Exportgenehmigungen bis hin zur Auslieferung und dem Produktetraining.

Aus diesem Grund wurde die 12 Monats Challenge mit dem Folge-Projekt „P A C E“ auf eine breitere Basis gestellt und auf das gesamte Unternehmen und alle Produkte ausgeweitet.

Doch selbst dieses Projekt greift noch zu kurz, da in der Vergangenheit viele Teile der Wertschöpfungskette ausgelagert wurden. Auch die Partner produzieren häufig zu langsam. Als Folge davon wird geprüft, welche ausgelagerten Prozesse wieder unter das Dach der RAD zurückgeholt werden können.

3.2.3 Modul-Vertrieb statt Individualisierung

Da die Kunden erwarten, dass Produkte in kurzer Zeit geliefert werden können, muss der Vertrieb modulare Lösungen anbieten, die sich schnell umsetzen lassen. Denn durch die Verwendung modularer Systeme können die RAD Produkte schneller entwickelt und auf den Markt gebracht werden. Die Wiederverwendung von Modulen beschleunigt den Entwicklungsprozess, da nicht jedes Mal von Grund auf neu begonnen werden muss.

Auch bringt die Möglichkeit, Module wiederverwenden zu können, geringere Entwicklungskosten und eine verbesserte Auslastung der Produktionsanlagen, was zu niedrigeren Gesamtkosten pro Einheit führt.

Ein weiterer wichtiger Vorteil modularer Systeme ist die höhere Skalierbarkeit, um mit steigender Nachfrage Schritt zu halten. Die RAD kann die Produktion durch das Hinzufügen von Modulen ohne umfassende Änderungen an der gesamten Produktionslinie erhöhen.

Ausserdem können bei modularen Systemen defekte Module leichter ausgetauscht werden, ohne dass die gesamte Produktion gestoppt werden muss. Dies reduziert Ausfallzeiten und erleichtert die Wartung.

Da Module standardisiert und wiederholbar sind, kann die RAD eine höhere Produktqualität und Konsistenz erreichen. Die Konstruktion und Integration von Modulen folgen genau definierten Standards, was zu weniger Fehlern führt.

Modulare Systeme werden darüber hinaus die Integration neuer Technologien und Innovationen erleichtern. Unternehmen können neue Module entwickeln und in bestehende Systeme integrieren, um auf dem neuesten Stand der Technik zu bleiben.

Markus Oberholzer ist überzeugt, dass den Kunden klar gemacht werden muss, dass Wünsche ausserhalb der standardisierten Baukastensysteme viel Zeit und Geld kosten.

3.2.4 Neue und Daten-basierte Services

Bisher waren RAD eher Produktverkäufer und der Dienstleistungsgedanke war weitgehend auf die Inbetriebnahme und Schulung sowie das Ersatzteilgeschäft ausgerichtet, so Markus Oberholzer.

Zukünftig soll der Verkauf des Produkts der Beginn und nicht der Abschluss der Kundenbeziehung sein und RAD wird mehr Geld über den gesamten Kundenlebenszyklus verdienen (Bruhn et al. 2000).

Dominic Brunner, vormals Leiter der Geschützentwicklung, ergänzt, dass Service nicht nur die Versorgung der Kunden mit Ersatzteilen bedeuten würde, sondern dass RAD dauerhaft Qualität und Einsatzbereitschaft der Produkte sicherstellen müsse. Davon würden auch die Kundenbeziehungen profitieren und dies schaffe Chancen für Up- und Cross-Selling. Ausserdem könne die RAD so Daten von Kunden gewinnen, mit denen die Performance und Automatisierung der Geschütze verbessert werden könnten (Zeithaml et al. 2001).

Die intensivere Zusammenarbeit mit den Kunden hat noch einen weiteren, strategischen Vorteil. RAD wird alle benötigten Daten haben, so dass man berechnen kann, wann eine Komponente ausgetauscht werden muss, noch bevor diese tatsächlich ausfallen wird. Dies wird Predictive Maintenance genannt.

Gleichzeitig werden die Daten Rückschlüsse darüber zulassen, welche Ersatzteile oder Munition nachbestellt werden muss. Das wiederum erleichtert die Produktionsplanung und beschleunigt die Lieferung. Für die permanente Überwachung der System-Performance wird der Kunde einen Servicevertrag abschliessen können, ähnlich wie das bei Software-Unternehmen heute bereits der Fall ist.

Die RAD wird aber noch einen Schritt weitergehen. Markus Oberholzer ergänzt, dass die Daten Grundlage für die Entwicklung von künstlicher Intelligenz und digitalen Funktionen sind.

Die Kunden von Reinmetall sollen zukünftig nicht ein unveränderliches Luftverteidigungssystem kaufen, sondern ein Basissystem, dass dauerhaft über Software-Updates und die Integration neuer Sensoren und Effektoren verbessert und an den technologischen Fortschritt angepasst werden kann.

Die regelmässigen und kostenpflichtigen Updates werden der RAD wiederkehrende, zusätzliche Einnahmen ermöglichen (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Transformation der Wertschöpfungskette. (Eigene Abbildung)

3.3 Transformation des Geschäftsmodells, organisatorische und technische Anpassungen

Oliver Dürr fasst die Vision der RAD in einem Satz zusammen. „Wir liefern das effektivste, effizienteste und flexibelste Luftabwehrsystem (im Bereich bis 4 km) schnell und zuverlässig, warten und versorgen es mit Munition und sorgen dafür, dass es technologisch immer auf der Höhe der Zeit bleibt“.

3.3.1 Analoges und digitales Geschäftsmodel

Wie das funktionieren soll? Die verbesserte Effektivität der RAD Produkte wird die Treffleistung und damit die Verfügbarkeit und Durchhaltefähigkeit erhöhen. Gleichzeitig werden der Munitionsverbrauch, sowie die Ausfallrate gesenkt.

Ausserdem werden die RAD Systeme mit weniger Personal auskommen, weil sie weitgehend automatisiert und sehr benutzerfreundlich sind.

Durch die digitalen Services können die Systeme schnell auf neue Herausforderungen angepasst und der Life Cycle des Produkts durch Upgrades, Updates und verbesserte Wartung verlängert werden (Uhl und Gollenia 2014).

Diese Entwicklungen führt zu deutlich niedrigeren Total Cost of Ownership als bei den Konkurrenzprodukten.

Marc Honikel sieht noch weitere Wettbewerbsvorteile, weil RAD als Old Economy auch über Fähigkeiten verfüge, die man nicht mehr so leicht finden würde. RAD hat eine eigene Produktion, elektromechanische Lösungen und auch Knowhow in diesen Bereichen. Die Konkurrenz könne das kaum aufbauen.

Als Beispiel hierfür erwähnt er den Gepard Panzer. Der Ukraine Krieg zeige, dass mobile Flugabwehr, wie der Gepard Panzer, wieder aktuell sei. Mit digitalen Lösungen könne der Nachfolger des Gepards in einem viel kürzeren Zeitraum als von der Konkurrenz gebaut werden, weil die RAD die alte und neue technologische Welt verbinden könne.

Ein weiterer Vorteil sei, dass die Produktion nicht wie bei anderen Unternehmen vollständig aufgegeben oder ins Ausland verlagert wurde. Dadurch sei die RAD nicht so abhängig von anderen Ländern. Das würden auch die Kunden schätzen.

Markus Oberholzer erklärt, dass kurz- und mittelfristig die bestehenden Produkte und Dienstleistungen die Haupteinnahmequellen seien. Langfristig werde die RAD zusätzlich mit digitalen Produkten und Services Einnahmen generieren. Dazwischen liege ein Entwicklungsschritt, bei dem die Kunden zwar nicht in Form von Geld bezahlen, dafür aber Daten zur Verfügung stellen würden, die für die Weiterentwicklung der Produkte und Dienstleistungen von grosser Bedeutung seien (Uhl und Loretan 2019).

Abb. 4 zeigt das Zusammenspiel von Einnahmen aus physischen und digitalen Produkten und Services im Zeitablauf. Erkennbar sind eine zunehmende Digitalisierung und Service-Orientierung (von unten nach oben und von links nach rechts).

Abb. 4
figure 4

Heutige und zusätzliche Einnahmemöglichkeiten. (Eigene Abbildung)

3.3.2 Organisatorische Anpassungen für die Transformation

Die Veränderungen werden nicht ohne Folgen für die Organisation bleiben.

Oliver Dürr erläutert, dass alle Mitarbeiter wissen und akzeptieren müssten, dass Schnelligkeit ein absolutes Muss ist. Die „höhere Geschwindigkeit“ sollte sich seiner Meinung nach schnell einspielen. Er vergleicht seine Organisation mit einem Weltklasse-Orchester. Die RAD habe grossartige Musiker. Aber es wäre nicht ausreichend, wenn alle Musiker die gleiche Melodie spielen würden.

Die Melodie gäbe zwar den Verlauf und die Höhe der Töne an, aber genauso wichtig sei der Rhythmus, der die zeitliche Abfolge und das Tempo der Töne beschreibe. Melodie und Rhythmus müssten verschmelzen – genau das verfolge die RAD mit dem Projekt P A C E.

Was für die eigene Organisation gilt, muss auch für die Partner gelten. Rheinmetall will zusammen mit seinen Partnern wachsen. Dazu ist ein noch näheres Zusammenrücken unabdingbar. Die Partner müssen RAD bei Auslandsprojekten begleiten und sie werden dabei ähnlich geführt wie die RAD Organisation selbst.

Bei einer so engen Zusammenarbeit erwartet der CEO von jedem Partner Loyalität – und dass sich die Kooperationspartner auch politisch entsprechend positionieren. Oliver Dürr ist überzeugt, dass man nur zusammen stark sein, die gemeinsamen Interessen vertreten und die Ziele erreichen kann.

Annika Silva hat primär das interne Wachstum und die Unternehmensidentität im Blick: „Um die richtigen Mitarbeitenden und Lehrlinge für unsere Organisation zu finden, müssen wir klar aufzeigen, welche Vorteile unser Unternehmen bietet und in welchen Bereichen wir uns von anderen Unternehmen unterscheiden oder sogar herausragen. Beispielsweise haben wir eine eigene Werkstatt und spannende Ausbildungsberufe, wie z. B. Polymechaniker, Elektroniker, Konstrukteure und verschiedene kaufmännische Berufe“.

Auf diese Berufe wird auch zukünftig viel Wert gelegt werden und die RAD bietet attraktive Rahmenbedingungen, z. B. werden die Lehrlinge auf langjährige Mitarbeitende mit vielen Jahren Berufserfahrung treffen.

Marc Honikel: „Darüber hinaus benötigen wir auch zusätzliche Data Scientists für die Verarbeitung und Analyse grosser Datenmengen und mehr Software-Entwickler. Auch die immer grösser werdende Bedeutung von Software und Daten ist eine kulturelle Herausforderung in einem Unternehmen in dem bisher Stahl und Munition im Vordergrund standen.“

Aus kultureller Sicht müsse sich das Engineering vom sogenannten „Not invented here“ Syndrom lösen, so Markus Oberholzer. Die Herausforderungen, die vor der RAD lägen, könnte man nur mit Partnern bewältigen. Die RAD muss offener sein für neue Partnerschaften, z. B. im Bereich Netzwerk und Cyber Security werden. Der sichere Austausch von Daten über Schnittstellen innerhalb und ausserhalb der RAD und mit den Kunden sind für die Zukunft überlebenswichtig.

Etwas Besonderes ist auch der Rheinmetall-Standort. Er liegt mitten in Zürich Oerlikon und umfasst die Produktion sowie Forschung und Entwicklung. Das Unternehmen ist umgeben von Dienstleistern wie Banken, Versicherungen, Beratungen. Doch nur Rheinmetall stellt hier noch etwas Physisches her.

Bei der Transformation kommt den Führungskräften eine besondere Rolle zu. Die Führungskräfte müssen sich mehr zu Coaches entwickeln, d. h. den Mitarbeitenden mehr Freiraum und Verantwortung übertragen und sie, wo notwendig, kontrollieren, unterstützen und fördern, ist Anika Silva überzeugt (Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Auswirkungen auf die Organisation. (Eigene Abbildung)

3.3.3 Technologien für die Umsetzung der Vision

Oliver Dürr hat zwei Arten von Technologien im Fokus. Bei den Standard-Technologien ist die RAD nach Ansicht ihres CEO noch nicht gut genug aufgestellt. Das wirkt sich auch auf die Prozessgeschwindigkeit aus. Wichtige Informationen, z. B. zur Verfügbarkeit von Materialien oder zum Produktions- und Lieferstatus, sind nicht auf Knopfdruck verfügbar und die Systeme nicht durchgängig integriert. Daran muss weitergearbeitet werden.

Für die Performance der RAD Verteidigungssysteme spielt Künstliche Intelligenz eine immer wichtigere Rolle. Mit KI können die Rheinmetall Systeme Gefahren am Himmel schneller erkennen, z. B. dass es sich um einen Drohnenschwarm und nicht um einen Vogelschwarm handle. Bessere Luftlagebilder sind auch die Grundlage für eine bessere Bekämpfung, d. h. die Zuteilung von Zielen auf Effektoren und die erfolgreiche und effiziente Bekämpfung der Gefahren (Holzki 2023).

Künstliche Intelligenz benötigt jedoch Daten. Je mehr qualifizierte Daten vorliegen, desto besser ist die Performance. Der CEO ist überzeugt, dass Daten das Öl und Künstliche Intelligenz der Strom des 21. Jahrhunderts sind. Daten können von dem RAD Mitbewerbern auch nicht kopiert werden, so dass der Innovationsvorsprung länger anhalten wird. Relevante Daten kann die RAD durch die Wartung und aus dem Einsatz der Systeme gewinnen.

Marc Honikel sieht noch eine weitere Technologie als „Match entscheidend“ an. Er denkt an digitale Zwillinge, die ein System physisch, funktional und logisch abbilden. Zukünftig sollen Produkte und Software mehrheitlich oder fast ausschliesslich mit Hilfe physikalischer Modelle entwickelt werden. Das spart Zeit und Kosten. Aus Lifecycle Daten der physischen Systeme können mit Hilfe von KI, Informationen gewonnen werden, die für Predictive oder Preventive Maintenance genutzt werden können.

Neben den Technologien ist auch die Entwicklungsmethodik wichtig. Die meisten „Mainstream“ Technologien setzt die RAD heute bereits ein. Was der RAD fehlt, ist eine einheitliche Methodik, um diese Technologien in einem digitalen Ökosystem zusammenzuführen. Wenn alle an einem Produkt oder Service beteiligten Personen die gleichen Werkzeuge nutzen würden, könnte die Zusammenarbeit der verschiedenen Fachbereiche verbessert und der Einsatz der Ressourcen viel flexibler gestaltet werden.

Markus Oberholzer betrachtet als Schlüsseltechnologien Künstliche Intelligenz, Big Data Management, die Vernetzung mobiler und stationärer Netze, Digital Twins, Gamification und Security (Abb. 6).

Abb. 6
figure 6

Schlüsseltechnologien der Transformation. (Eigene Abbildung)

3.3.4 Mit der Transformation verbundene Risiken

Jede Transformation birgt ihre Risiken. Im Folgenden werden die grössten Risiken aus Sicht RAD kurz erläutert.

Oliver Dürr sieht zunächst das unternehmerische Risiko des weiteren Ausbaus von Produktionskapazitäten. Diese würden deshalb zusammen mit Partnern aufgebaut. Dadurch würden die Investitionen, aber auch der Nutzen fair geteilt.

Ein weiteres Risiko ist die Materialversorgung. Bei vielen Teilen ist die RAD auf Lieferanten angewiesen. Diese Abhängigkeit soll bei kritischen Teilen, wie z. B. der Elektronik, reduziert werden. Dazu werden u. a. die Lagerbestände erhöht. Derzeit werden alle Teile, Komponenten und Materialien im Hinblick auf ihre Verfügbarkeitsrisiken analysiert und die Bevorratung individuell geplant. Zwar ist Oliver Dürr grundsätzlich kein Fan von grossen Lagerbeständen, aber die Resilienz gegenüber Lieferschwankungen und die Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten wiege schwerer.

Anika Silva betrachtet die Risiken aus HR-Sicht. Aktuell bestehe bei der RAD ein hoher Personalbedarf, denn zum einen müssten qualifizierte Abgänger aufgrund des demographischen Wandels ersetzt werden. Zum anderen wolle das Unternehmen wachsen.

Schon jetzt sei der Fachkräftemangel, der andere Länder schon lange erreicht habe, auch in der Schweiz spürbar. Auch sei es schwieriger geworden, qualifizierte Fachkräfte in die Schweiz zu holen, denn das virtuelle Arbeiten ermögliche es qualifizierten Fachkräften auch in ihren Heimatländern zu arbeiten.

Darüber hinaus sei der Wertewandel ein nicht zu unterschätzendes Risiko. Die jetzt ins Arbeitsleben eintretende Generation Z hätte andere Werte und Erwartungshaltungen, wie z. B. Work-life Balance, flexible Arbeitszeiten, Teilzeitarbeit, Homeoffice Möglichkeiten und Nachhaltigkeit. Gleichzeitig würden sie sich weniger als frühere Generationen mit einem einzelnen Unternehmen identifizieren und seien deshalb wechselbereiter.

Anika Silva hofft, dass moderne Arbeitszeitmodelle bei der RAD nicht durch zu viele gesetzliche Vorgaben eingeschränkt würden, wie z. B. striktere Arbeitszeiterfassungen.

Die Gesetzgebung entwickle sich leider nicht so schnell, wie die RAD. Das gehe zu Lasten der Mitarbeitenden und des RAD Wachstums, erläutert die HR-Chefin.

Unberechenbar sei auch das schwankende Image der RAD. Das mediale Interesse an Unternehmen der Verteidigungsindustrie sei enorm gewachsen und frühere Vorurteile seien einem eher unverstellten Blick gewichen. Die Öffentlichkeit erkenne jetzt, dass es Verteidigungsunternehmen für die Sicherheitsvorsorge brauche. Da sich die RAD in einem hochpolitischen Umfeld bewege, komme es in der Kommunikation aber auf die richtige Balance an. Die RAD sei kein politischer Akteur – vielmehr habe man den Rahmen zu akzeptieren, den die Politik setze.

Last but not least sei der Knowhow-Verlust beim Weggang von Mitarbeitenden in den Ruhestand zu verhindern. Um das Knowhow im Unternehmen zu halten, habe die RAD ein eigenes, innovatives Wissensmanagement System, genannt CAP, entwickelt.

Ein weiteres Risiko sei mit den Daten und den zunehmend mächtigeren IT-Systemen verbunden. Ein Datenverlust könne sich sehr negativ auf das Unternehmen auswirken. Deshalb müssen Themen wie Cloud, Internet, Vernetzung, Verschlüsselung, Redundanz berücksichtigt werden. Datensicherheit ist vermutlich eine weitere Kernkompetenz, die die RAD weiter ausbauen muss.

Sollte man deshalb nicht etwas vorsichtiger bei der ganzen Digitalisierung sein? „Nein, ganz und gar nicht, so Markus Oberholzer. Das grösste Risiko sei, dass die Konkurrenz schneller sein könnte als die RAD“. Oberholzer befürchtet, dass ein „lineares“ Innovieren dazu führen könnte, dass man den Anschluss an die sich exponentiell entwickelnde Digitalisierung verlieren würde (Abb. 7).

Abb. 7
figure 7

Top Risiken der Transformation. (Eigene Abbildung)

4 Ausblick

Die RAD hat für sich einen Weg definiert, die kurzfristigen und mittel- bis langfristigen Ziele zu erreichen. Diese Ziele und Ergebnisse müssen klar definiert und messbar sein. Um die richtige Balance zwischen den Zielen zu finden, werden nicht nur der kurzfristige ROI, sondern auch der mittel- bis langfristige Knowhow Aufbau sowie innovative Lösungen und Geschäftsmodelle berücksichtigt.

Bei der Umsetzung der Ziele können Erfahrungen aus anderen Industrien, wie z. B. der Automobilindustrie genutzt werden. Dort haben z. B. Lean-Konzepte schon in den 90er-Jahren Kosten- und Durchlaufzeiten gesenkt und die Qualität verbessert. Ausserdem wurden in der Automobilindustrie schon zu Beginn der 2000er-Jahre die erforderlichen IT-Kernsysteme implementiert und Plattformkonzepte in der Entwicklung und Produktion eingeführt. Auch bei der Digitalisierung und der Entwicklung von neuen, service-orientieren Geschäftsmodellen ist die Automobilindustrie Vorreiter. Daten und Künstliche Intelligenz spielen z. B. beim autonomen Fahren eine grosse Rolle (Uhl und Ricken 2021).

So viel Zeit wie die Automobilindustrie wird die RAD jedoch nicht haben. Die RAD und vermutlich auch andere Unternehmen der Verteidigungsindustrie müssen diese Veränderungen in viel kürzeren Zeitvorgaben erreichen. Deshalb ist auch besonders wichtig, dass die für eine Transformation erforderlichen Erfolgsfaktoren, wie z. B. die Veränderungsfähigkeit und -bereitschaft der Organisation systematisch gestärkt werden. Nicht umsonst wird dies bei der RAD als ein Kernrisiko betrachtet und ein ganzes Massnahmenbündel zur Stärkung der Organisation aufgesetzt. Eine besondere Rolle für den Erfolg der RAD kommt deshalb einer auf die Strategie eingeschworenen Führungsmannschaft zu (Uhl und Gollenia 2016).

Grundsätzlich ist die Fallstudien-Methode besonders nützlich, wenn es darum geht, komplexe Phänomene in ihrer natürlichen Umgebung zu verstehen, tiefergehende Einblicke zu gewinnen und Hypothesen zu generieren. Da es noch keine vergleichbare, aktuelle Fallstudie aus der Verteidigungsindustrie gibt, kann die Transformation der RAD als Blaupause für andere Unternehmen in der Verteidigungsindustrie gelten, denn es ist anzunehmen, dass diese vor vergleichbaren Herausforderungen stehen. Andere Unternehmen können sich deshalb an den strategischen Handlungsfeldern und Massnahmen der RAD orientieren, so dass die Studie zur Verbreiterung des Body of Knowledge in der praxisnahen wissenschaftlichen Community beiträgt. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass aufgrund einer einzelnen Fallstudie keine Verallgemeinerungen auf eine breitere Population gezogen werden können.

Obwohl die Effizienzsteigerungsprogramme gut vorankommen und auch die Entwicklung von digitalen Lösungen begonnen hat – noch befindet sich die RAD mitten in der Transformation und einige grosse Hürden sind noch zu überwinden. Es wäre sehr spannend, mittels einer Nachfolgestudie, den Erfolg der Transformation und der getroffenen Massnahmen zu analysieren. Welche Ziele konnten wie schnell erreicht werden, welche Massnahmen waren besonders hilfreich, welche sollte man noch hinzufügen oder ausbauen? Vielleicht gelingt es uns ja, in einigen Jahren auf diese Fragen nochmals einzugehen.