Die diesjährige Nutzfahrzeug-IAA, die vom 25. September bis 2. Oktober in Hannover stattfindet, steht im Zeichen konjunkturellen Rückenwinds und technischer Innovation. Dennoch muss sich die Branche anstrengen. Regulative Rahmenbedingungen und der zunehmende Kostendruck, unter dem die Flottenbetreiber ächzen, erfordern neue Ideen für den Güterverkehr von morgen und übermorgen.

Umfeld und Markt

Nutzfahrzeuge unterliegen immer komplexer werdenden Anforderungen: Aus Sicht der Flottenbetreiber — ob im Güterverkehr oder in der Personenbeförderung — sollen sie vorrangig wirtschaftlich und zuverlässig sein. Um den global steigenden Transportbedarf nachhaltig bewältigen zu können, müssen Nutzfahrzeuge außerdem möglichst sparsam mit Ressourcen haushalten und weltweit immer strengere Abgasnormen erfüllen. Hinzu kommen der weiterhin hohe Kostendruck sowie die Anforderung, mit jeder neuen Fahrzeuggeneration mehr Komfort und Sicherheit zu bieten, .

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Die Anforderungen an moderne Nutzfahrzeuge sind komplex und vielfältig (Bild © Daimler)

Diese sich eigentlich widersprechenden Trends eröffnen enorme Chancen. Sie stellen die Nutzfahrzeugindustrie aber auch vor immense Herausforderungen und erfordern Innovationen als Antworten auf Fragen, die Markt und Marktumfeld aufwerfen. Der globale Wettbewerb verlangt zudem immer kürzere Innovationszyklen und die Vielfalt der Modell- und Ausstattungsvarianten nimmt stetig zu. Immer höhere Produktkomplexität und die Verschiebungen in der Wertschöpfungskette fordern die Industrie insgesamt heraus.

Im Vorfeld der diesjährigen IAA Nutzfahrzeuge fallen diese Herausforderungen mit einem deutlichen konjunkturellen Rückenwind zusammen. „Westeuropa ist bei schweren Nutzfahrzeugen im bisherigen Jahresverlauf um 3 % gewachsen, der US-Markt hat bis Mai zweistellig zugelegt, China um 4 %“, betonte Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), auf einer Veranstaltung im Vorfeld der Messe.

Insbesondere der westeuropäische Markt für schwere Nutzfahrzeuge über 6 t habe sich bis April mit einem Wachstum von 3 % stärker entwickelt, als vor dem Hintergrund des Vorkaufseffekts von Euro-VI-Fahrzeugen zu erwarten war, . Die Einführung der Euro-VI-Norm zu Beginn des Jahres 2014 hatte vor allem im 4. Quartal 2013 noch zu erheblichen Käufen von Euro-V-Fahrzeugen geführt.

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Euro-VI-fähiger Nutzfahrzeugmotor mit bis zu 250 kW Leistung und mehr als 1000 Nm Drehmoment (Bild © MAN)

„Auch in Deutschland ist der bisherige Jahresverlauf sehr erfreulich: Bis Ende Mai 2014 wurden über 34.000 schwere Nutzfahrzeuge über 6 t neu zugelassen. Das sind 12 % mehr als im Vorjahreszeitraum“, sagte Wissmann. Auch dabei mache sich der „Euro-V-Effekt“ bemerkbar. Das Wachstumstempo werde voraussichtlich im weiteren Jahresverlauf aufgrund des Basiseffekts nachgeben. Bei den leichten Nutzfahrzeugen bis 6 t gab es bis Mai in Deutschland 88.000 Neuzulassungen (+7 %). Besonders dynamisch habe sich das Geschäft der Anhänger und Aufbauten entwickelt. In diesem Bereich lagen die Neuzulassungen bis Mai um 14 % im Plus. Die gute Lage zeige sich auch bei den Beschäftigten: „Jeder vierte der mehr als 760.000 Mitarbeiter, die in der Automobilindustrie im Inland beschäftigt sind, ist im Nutzfahrzeugbereich tätig. Das sind rund 190.000 Mitarbeiter“, betonte Wissmann.

Schwere Nutzfahrzeuge

Für Hersteller von Nutzfahrzeugen ist eine weitere Reduktion des Kraftstoffverbrauchs — und damit der CO2-Emissionen — nach Aussagen von Wissmann „die zentrale Herausforderung“ schlechthin. Allerdings seien schwere Nutzfahrzeuge nicht vergleichbar mit Pkw oder Transportern, für die es ja bereits EU-weite CO2-Regulierungen gibt. Beim schweren Lkw hingegen sei die Variantenvielfalt der Fahrzeuge so groß, dass es keinen CO2-Einheitswert geben könne, . Die Bandbreite reicht vom Baustellenkipper über Lieferfahrzeuge bis zum Fernverkehrs-Lkw. Auch Stadt- und Reisebusse zählen dazu. Viele Fahrzeuge werden maßgeschneidert für die Kunden gefertigt. Der Verbrauch wird von sehr vielen Faktoren beeinflusst: Größe, Gewicht, Einsatzbereich, Fahrleistung, aber auch Anwendungsbedingungen und vor allem die Ladung von Lkw sind verschieden.

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Viele schwere Nutzfahrzeuge werden kundenspezifisch aufgebaut (Bild © MAN)

„Es ist der Markt, der schon seit vielen Jahren bei schweren Nutzfahrzeugen für ständig sinkenden Kraftstoffverbrauch sorgt — ganz ohne CO2-Regulierung“, sagte Wissmann in Richtung Berlin und Brüssel. Denn die Transportunternehmer kalkulieren mit spitzem Bleistift. Sie müssen in ihrem Geschäft auf jeden Cent achten und fordern daher immer effizientere Lkw. Schon heute gibt es Lkw, die bei hoher Auslastung im Fernverkehr lediglich 1 l Diesel je transportierter Tonne auf 100 km verbrauchen. In diesem Zusammenhang sprach sich der VDA-Chef für größere Flexibilität bei den Fahrzeugabmessungen sowie für mehr Aerodynamik und zusätzlichen Bauraum für alternative Antriebe aus, .

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Ausgefeilte Aerodynamikmaßnahmen zählen heute zum Standard in der Entwicklung (Bild © Daimler)

Auch Anders Nielsen, Sprecher des Vorstands der MAN Truck & Bus AG, argumentiert in diese Richtung: „Effi-zienzsteigerungen und damit CO2-Reduzierungen liegen im Eigeninteresse der Transportbranche.“ Denn zur Sicherung der Kundenprofitabilität stehe die Total Cost of Ownership (TCO) im Fokus des Kundennutzen. Damit sei die Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs beziehungsweise der Emissionen von Nutzfahrzeugen ein Instrument der Selbstregulierung des Marktes.

Unter welchem Druck das Transportgewerbe steht, macht ein Blick auf die Zahlen deutlich. So liegen die Betriebskosten eines 40-t-Lkw mit Trailer nach Einschätzung von Dr. Alexander Sagel, Leiter der Division Hardparts der KSPG AG, bei durchschnittlich 160.000 Euro pro Jahr. Diese verteilen sich zu 31 % auf Lohnkosten, 26 % Kraftstoff, 11 % Maut, 12 % Kapitalkosten und Abschreibungen, 10 % Reparatur und Wartung, 7 % Versicherung und Steuer sowie 3 % Öl und Reifen. Vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, dass möglichst niedrige Betriebskosten, hohe Zuverlässigkeit und eine hohe Transporteffizienz für die Flottenbetreiber zu den maßgeblichen Investitionsentscheidungen zählen.

Als Instrument für mehr Effizienz und Klimaschutz im Straßengüterverkehr brachte Wissmann einmal mehr den Lang-Lkw auf die Agenda: „Schon heute zeigt der Feldversuch mit dem Lang-Lkw, wie mit vergleichsweise einfachen Mitteln die Kapazität des Straßengüterverkehrs erhöht werden kann. Das spart Fahrzeugkilometer und CO2.“ Mittlerweile fahren im Rahmen des Feldversuchs 79 Fahrzeuge auf festgelegten Routen. Die bisherigen Erfahrungen zeigten, dass der Lang-Lkw die Erwartungen erfülle: weniger Fahrten, weniger Spritverbrauch und damit auch weniger CO2-Emissionen. Der Lang-Lkw könne zudem „problemlos am täglichen Straßenverkehr“ teilnehmen, bis heute sei kein Zwischenfall zu verzeichnen. „Nachdem das Bundesverfassungsgericht die strittigen rechtlichen Fragen eindeutig geklärt hat, appelliere ich an die Bundesländer, die noch nicht teilnehmen: Beteiligen Sie sich aktiv am Feldversuch! Es geht um die wichtige Frage, ob und wie wir die Stärken des Lang-Lkw für einen zukunftsfähigen Straßengüterverkehr nutzbar machen können. Das betrifft alle Regionen in Deutschland — und auch den Einsatz in Europa“, betonte Wissmann.

Um Transportlösungen nachhaltiger zu gestalten und gleichzeitig die Transporteffizienz der Kunden zu verbessern, sieht Claes Nilsson, Präsident von Volvo Trucks, vor allem drei Ansatzpunkte: Die Konnektivität von Nutzfahrzeugen, alternative Antriebe sowie weitere Investitionen in die Straßensicherheit. Vor allem der Informations- und Kommunikationstechnik spricht Nilsson das Potenzial zu, die Mobilität in verschiedenen Bereichen wie Emissionen, Sicherheit, Verkehrsfluss und Infrastruktur positiv zu beeinflussen. Als Beispiel nannte er die Kolonnisierung, früher auch elektronische Deichsel genannt. Die Schaffung eines solchen Lkw-Zugs durch das elek-tronische Verbinden einer Reihe von Fahrzeugen basiert auf der Anschlussfähigkeit von Fahrern, Fahrzeugen, Infrastruktur und Verkehrsmanagement.

Volvo Trucks war Nilsson zufolge bereits an erfolgreichen Feldtests der Kolonnisierung beteiligt, zum Beispiel beim Sartre-Projekt. Und die Technikentwicklung setze sich weiter fort. Doch dazu werde ein neuer rechtlicher Rahmen benötigt, um die Einführung autarker Fahrzeuge in einem größeren Maßstab zu ermöglichen.

Die Konnektivität kann auch eingesetzt werden, um die Verfügbarkeit eines Lkw zu verbessern. Nilsson: „Unsere neueste Lkw-Generation nutzt Telematik, um die Fahrzeuge und ihre wichtigsten Komponenten zu überwachen. Sie ermöglicht der Werkstatt, den tatsächlichen Komponentenverschleiß und -zustand online zu verfolgen.“ Dies mache es möglich, die vorbeugende Wartung richtig zu optimieren und ungeplante Stopps zu verhindern, die die Mobilität unterbrechen.

Handlungsbedarf sieht der Volvo-Trucks-Chef auch bei der Erforschung und Serienumsetzung alternativer Antriebe: „2011 waren wir die Ersten, die einen schweren Lkw mit einem Antrieb mit Methan-Diesel-Technik ausgerüstet haben. Mit Flüssiggas im Dieselprozess ist es unseren Methan-Diesel-Lkw möglich, längere und schwerere Transporte zu bewältigen — dies macht den Gas-Lkw einzigartig in der Qualität.“

Die Technik führe zu deutlich geringerem Kraftstoffverbrauch im Vergleich zu herkömmlichen Gas-Fahrzeugen. Da die flächendeckende Verfügbarkeit eines neuen Kraftstoffs auf lange Sicht noch wichtiger wird, hängt der Erfolg des Methan-Diesels allerdings vom Engagement der Kraftstoffhersteller und -händler ab. Ein breiterer Einsatz von Flüssiggas werde jedoch dazu beitragen, die Nachfrage nach Biogas aus erneuerbaren Quellen zu steigern.

Leichte Nutzfahrzeuge

Was für den schweren Lkw im Fernverkehr gilt, spiegelt sich auch bei den Transportern und leichten Lkw im Verteilerverkehr, . So ist die Zahl der produzierten leichten Nutzfahrzeuge im vergangenen Jahr gegenüber dem Vorjahr erneut gestiegen — und zwar um knapp 4 % von rund 17 Millionen auf nun 17,7 Millionen Einheiten. Länder wie China mit knapp 5,5 % Zuwachs, Japan mit über 7 %, die USA mit 8,2 % oder Brasilien sogar mit über 19 % sorgten 2013 dabei für das größte Wachstum.

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Unterschiedliche Abmessungen für zielgerichtete Einsätze zählen bei Transportern zum Standard (Bild © Opel)

Zum Vergleich: Vor rund zehn Jahren lag die Zahl der produzierten leichten Nutzfahrzeuge weltweit noch bei rund 14,8 Millionen. Allein in einer Dekade ist die Nachfrage also um ein Fünftel gestiegen.

Beigetragen zum weltweiten Aufschwung hat vor allem das gestiegene Transportvolumen, das auch künftig weiter zunehmen wird. Eine Prognose des World Business Council for Sustainable Development zum Beispiel geht von einer Verdreifachung des weltweiten Transportvolumens zwischen 2000 und 2050 aus.

Für Bernd Mattes, Vorsitzender der Geschäftsführung der Ford-Werke GmbH, Köln, sind die Herausforderungen für den Transportermarkt vielfach identisch mit denen der Mobilität im Allgemeinen. Einer der wichtigsten Trends seien hier wie dort steigende Umweltanforderungen. Mattes: „Pkw und Nutzfahrzeuge müssen leichter, effizienter und sparsamer werden — nicht zuletzt aufgrund immer strengerer politischer Vorgaben.“ Erst vor kurzem hat die EU beschlossen, die CO2-Emissionen bei leichten Nutzfahrzeugen ab 2020 auf 147 g/km zu senken.

Vernetzung und Telematik sind für Mattes „weitere, sehr wichtige Trends“. Bei Nutzfahrzeugen vor allem in Bezug auf die optimale Steuerung und Überwachung ganzer Flotten primär zur Senkung von Kosten, Verbrauch und damit auch von Emissionen. Bei der Routenplanung gehe es über die normale Navigation hinaus, um die optimale Tourenplanung, die Vermeidung von Leerfahrten, die Reduzierung von Wartezeiten bis zur Überwachung der Lenkzeiten. Auf die Frage, wie die Hersteller auf die sich wandelnden Rahmenbedingungen auf den weltweiten Transportermärkten am besten reagieren, nennt Mattes vor allem „ein differenzierteres und größeres Angebot, also mehr Varianten anzubieten“. Denn auch die Zahl der Größenklassen für die unterschiedlichsten Bedarfe nimmt zu — vom größeren Transporter für den Überlandverkehr bis hin zum kompakten und wendigen Stadtlieferwagen zur Auslieferung von Medikamenten oder für den Heizungsnotdienst. Darüber hinaus geht es für Mattes auch darum, außer den Standardnutzfahrzeug-Modellen auch sehr differenzierte und kundenspezifische Lösungen anzubieten, also Fahrzeuge für ganze Branchen oder Berufsgruppen im Programm zu haben.

Trailer

Nicht nur die Zugmaschinen, sondern auch die Trailer können die Transporteffizienz verbessern. Nach Aussagen von Thomas Heckel, Geschäftsführer der Kögel Trailer GmbH & Co. KG, können sinnvoll eingesetzte aerodynamische Maßnahmen und Verdecke CO2-Emissionen und Kraftstoffverbrauch um 4 bis 5 % senken. Heckel nutzte die Vorveranstaltung des VDA zur IAA Nutzfahrzeuge einmal mehr, um für eine Aufweichung der bestehenden Längenbeschränkungen zu werben. So zum Beispiel für Auflieger, die um 1,3 m länger als das übliche Maß von 13,6 m sind, . Diese moderate Verlängerung erlaube es, pro Fahrt bis zu acht Paletten mehr zu transportieren. Und zwar bei unverändertem zulässigen Gesamtgewicht. Der Vorteil liegt für Heckel auf der Hand: „Je nach Transportbedarf werden bis zu 10 % weniger Sattelzüge benötigt, 10 % weniger Sprit verbraucht und 10 % weniger CO2 ausgestoßen.“ Alternativ könne ein um 1,3 m verlängerter Auflieger zwei Wechselbrücken auf einem Fahrzeug transportieren. Eine Eigenschaft, die führende Spediteursverbände seit langem fordern.

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Verlängerter Trailer mit Platz für acht Europaletten mehr (Bild © Kögel)

Ausblick

Die diesjährige Nutzfahrzeug-IAA steht unter dem Motto „Nutzfahrzeuge — Zukunft bewegen“. Vom Kleintransporter über den mittelgroßen Lkw bis hin zum schweren Lkw reicht die Palette der Exponate. Hinzu kommen die Busse, die Hersteller von Anhängern und Aufbauten sowie die vielen innovativen Zulieferer und Dienstleister. „Effizienz, Flexibilität, Vernetzung — das sind die Stichworte für die Innovationen, die uns auf der IAA erwarten“, unterstrich Wissmann. Die IAA ist zudem ein großer Kongress mit rund 30 Fachveranstaltungen. Dazu zählen unter anderem der China-Day, der India-Day, eine CO2-Veranstaltung sowie zahlreiche Symposien.