Lernziele

Nach Lektüre dieses Beitrags …

  • sind Sie in der Lage, die wesentlichen Unterschiede zwischen primärem, sekundärem und tertiärem Engstand zu erklären,

  • können Sie grundsätzliche Ursachen von Platzverlust im Zahnbogen, insbesondere durch vorzeitigen Milchzahnverlust und Zahnwanderungen, identifizieren,

  • leiten Sie geeignete präventive Maßnahmen sowie interdisziplinäre Ansätze zur Vermeidung des sekundären Engstands ab,

  • ist es Ihnen möglich, in Grundzügen geeignete kieferorthopädische Maßnahmen zur Therapie des sekundären Engstands zu benennen.

Einleitung

Engstände im Zahnbogen können entsprechend ihrem zeitlichen Auftreten in primäre, sekundäre und tertiäre Engstände eingeteilt werden. Während der primäre Engstand mit etwa 6 bis 8 Lebensjahren im Bereich der Inzisiven sichtbar wird und ein vererbtes Missverhältnis zwischen Zahn- und Kiefergröße darstellt, handelt es sich beim sekundären Engstand um einen Platzmangel in der Stützzone, der in der zweiten Wechselgebiss-phase ab ca. 9 Jahren auftritt. Im Gegensatz dazu bezeichnet der tertiäre Engstand den sog. „Erwachsenenengstand“ im Frontzahnbereich und wird mit Restwachstumsvorgängen des Unterkiefers in Verbindung gebracht. Die Annahme, dass auch die Weisheitszähne bei Durchbruch einen zunehmenden Engstand begünstigen, konnte in der aktuellen Literatur nicht bestätigt werden [1].

Im Gegensatz zum primären Engstand, bei dem es sich um ein anlagebedingtes Missverhältnis zwischen Zahn- und Kiefergröße handelt, sowie zum tertiären Engstand, dem entwicklungsbedingte Ursachen zugrunde liegen, gilt der sekundäre Engstand als erworben und in den meisten Fällen durch vorzeitigen Milchzahnverlust verursacht. Neben Karies stellen Traumata und Infektionen des Parodonts Ursachen für einen vorzeitigen Milchzahnverlust dar. Ein sekundärer Engstand kann auch durch unterminierende Resorptionen verursacht sein, bei denen die bleibenden 6-Jahres-Molaren eine abweichende Durchbruchsrichtung aufweisen und zur Resorption der Milchmolaren und Platzeinengung in der Stützzone führen.

Wichtig: Der sekundäre Engstand bezeichnet einen erworbenen Platzmangel für bleibende Zähne im Bereich der Stützzonen.

Frühkindliche Karies wird als Vorhandensein einer oder mehrerer kariöser, fehlender oder gefüllter Zahnoberflächen eines oder mehrerer Milchzähne bei Kindern unter 6 Jahren definiert [2] und stellt mit einer Häufigkeit von 46,2 % weltweit ein relevantes Krankheitsbild mit erheblichen Folgen dar [3]. Risikofaktoren sind neben altersspezifischen Ernährungsmustern wie häufigem Zuckerkonsum durch gesüßte Getränke oder Speisen, Flaschenernährung bzw. Stillen über das zweite Lebensjahr hinaus die vorhergegangene Karieserfahrung, Plaquebefall und pränatales sowie passives Rauchen [4, 5]. Betroffene Kinder leiden unter Zahnschmerzen, Zahnzerstörung, odontogenen Infektionen und Einschränkungen der Lebensqualität [2, 6, 7, 8, 9].

Wichtig: Die vorzeitige Entfernung eines Milchzahns mindestens 1 Jahr vor dem physiologischen Zahnausfall wird als vorzeitiger Milchzahnverlust bezeichnet und wird zumeist durch frühkindliche Karies verursacht.

Während der Verlust von Milchzähnen im Schneidezahngebiet hauptsächlich zu ästhetischen und funktionellen Einbußen führt, resultiert der Verlust von Milchzähnen im Seitenzahngebiet, insbesondere vor Durchbruch des 6-Jahres-Molaren, in einer Abwanderung benachbarter Zähne und einer Verkürzung des Zahnbogens [10, 11, 12, 13, 14, 15, 16]. Die Verkürzung des Zahnbogens führt auch zur Verkleinerung des sog. Leeway-Space, einer Platzreserve im Seitenzahngebiet, die durch den vergrößerten Durchmesser der Milchmolaren im Vergleich zu den bleibenden Zähnen entsteht. Der Erhalt des Leeway-Space spielt sowohl für die Einstellung der bleibenden Seitenzähne als auch für die Einstellung einer Neutralokklusion im bleibenden Gebiss eine große Rolle. Der Leeway-Space ist im Unterkiefer größer als im Oberkiefer (ca. 2,5 vs. 1,5 mm) und ermöglicht dadurch einen Mesialdrift der bleibenden Molaren während der zweiten Wechselgebissphase im Unterkiefer.

Wichtig: Zur sicheren Vermeidung eines sekundären Engstands werden nach vorzeitigem Milchzahnverlust im Seitenzahngebiet Lückenhalter empfohlen.

Obwohl Lückenhalter seit vielen Jahren im klinischen Einsatz etabliert sind, fehlen bisher klare, indikationsabhängige Handlungsempfehlungen und Behandlungsprotokolle für die Lückenhaltertherapie. Zudem hat sich gezeigt, dass auch das Wissen der Erziehungsberechtigten um das Thema Stützzonenerhalt mit Lückenhalter eingeschränkt ist und ausgebaut werden sollte, um die allgemeine Akzeptanz zu vergrößern [17]. Laut der letzten großen deutschen Mundgesundheitsstudie sind 40,4 % der 8- bis 9-jährigen Kinder in Deutschland von einer nach den Richtlinien der gesetzlichen Krankenversicherung behandlungsbedürftigen Malokklusion betroffen [18], und es ist davon auszugehen, dass ein nicht unerheblicher Anteil davon auf vorzeitigen Milchzahnverlust zurückzuführen ist. Dennoch stehen gezielte Lückenmanagement- und Behandlungsstrategien in diesem Bereich bisher noch wenig im Fokus.

Sekundärer Engstand nach vorzeitigem Milchzahnverlust

Bei der vorgestellten Patientin handelte es sich um ein 9,9 Jahre altes Mädchen mit einem konservierend anversorgten späten Wechselgebiss, bei dem die Eltern über vorzeitigen Milchzahnverlust berichteten. Das Orthopantomogramm zeigte eine Retention von Zahn 45 vor (Abb. 1) sowie kariöse Läsionen an 16 und 65 sowie Füllungen an 24, 26, 36, 46. Alle permanenten Zähne einschließlich 28, 38, 48 waren angelegt, und 18 war noch nicht erkennbar.

Abbildung 1 Figure 1
figure 2

Okklusale Ansichten des Ober- (a) und Unterkiefers (b) sowie Orthopantomogramm (c) einer 9,9-jährigen Patientin mit sekundärem Engstand

Occlusal views of the maxilla (a) and mandible (b) and orthopantomogram (c) of a 9.9-year-old girl with secondary crowding

Intraoraler Befund

Intraoral zeigte sich im Oberkiefer ein asymmetrischer Zahnbogen mit engstehender Front sowie Aufwanderungen beider Seitenzahnreihen unter Platzeinengung regio 13, 23 (Abb. 1). Ebenfalls fanden sich ein Palatinalstand von 15 und Mesialrotationen von 16, 26. Im Unterkiefer lag ebenfalls ein asymmetrischer Zahnbogen mit engstehender Front und Aufwanderungen der Seitenzahnreihen, insbesondere der rechten Seitenzahnreihe unter vollständigem Platzverlust regio 45 und Platzeinengung regio 33 vor. Bei der Okklusion handelte es sich um eine asymmetrische Distalokklusion mit vergrößerter sagittaler Frontzahnstufe und einem Tiefbiss in der Front, und es lag eine ausgeprägte dentale Mittellinienverschiebung im Unterkiefer nach rechts vor.

Epikritische Beurteilung

Aufgrund der vorliegenden Befunde der 9,9-jährigen Patientin ist von einem vorzeitigen Milchzahnverlust von 85 auszugehen sowie wahrscheinlich auch von weiterem Zahn- oder zumindest Zahnhartsubstanzverlust in allen 4 Quadranten. Die Aufwanderungen im Oberkiefer stellen hier in der Folge Durchbruchshindernisse für die gemäß Durchbruchsreihenfolge als letzte durchbrechenden Eckzähne im Oberkiefer dar. Eine Aufwanderung im Unterkiefer führte zur Retention des Zahns 45 begleitet von einer ausgeprägten Mittellinienverschiebung nach rechts.

Merke: Zahnwanderungen nach vorzeitigem Milchzahnverlust unterliegen den Wanderungsgesetzen nach Baume.

Nach Baume gilt, dass der vorzeitige Verlust von Milcheckzähnen und ersten Milchmolaren zu einer Lückeneinengung von den Schneidezähnen kommend führt und von einer Mittellinienverschiebung begleitet sein kann, während der Verlust der zweiten Milchmolaren zu einer Mesialwanderung bzw. Mesialkippung der ersten Molaren führt [19]. Bei multiplem Milchzahnverlust erfolgt die Einengung aus beiden Richtungen [19].

Die Folgen sind vermehrte Zahnmigration, Engstände, Rotationen, Platzverlust im Zahnbogen und mögliche platzmangelbedingte Zahndurchbruchsstörungen permanenter Zähne und führen wiederum in vielen Fällen zu einem kieferorthopädischen Behandlungsbedarf [10, 11, 12, 13, 14, 15, 16].

Differenzialdiagnostik

Differenzialdiagnostisch kann bei einem Platzverlust im Bereich der Stützzonen auch eine unterminierende Resorption eines 6-Jahres-Molaren vorliegen (Abb. 2).

Abbildung 2 Figure 2
figure 3

Orthopantomogramm (a) und okklusale Ansicht des Oberkiefers (b) einer 7,5-jährigen Patientin mit unterminierender Resorption an 55 und 65 mit Durchbruchsstörung von 16, 26

Orthopantomogram (a) and occlusal view of the maxilla (b) of a 7.5-year-old girl with undermining resorption at 55 and 65 with ectopic eruption of 16, 26

Merke: Eine unterminierende Resorption bezeichnet die Resorption einer Milchzahnwurzel nicht durch den Nachfolgezahn, sondern durch einen benachbarten permanenten Zahn.

Die unterminierende Resorption tritt am häufigsten bei den zweiten oberen Milchmolaren auf. Bei einer unterminierenden Resorption dieser Milchmolaren liegt der erste bleibende obere Molar zu weit mesial und resorbiert die distale Wurzel des benachbarten zweiten Milchmolars. Andere Zähne, die von einer unterminierenden Resorption betroffen sein können, sind die seitlichen Milchschneidezähne, die von den ersten bleibenden Schneidezähnen unterminiert werden können, und die Milch-eckzähne, die von den seitlichen Schneidezähnen oder seltener von den ersten bleibenden Prämolaren resorbiert werden. Im Allgemeinen kommt diese Abweichung im Oberkiefer häufiger vor als im Unterkiefer, und Jungen scheinen häufiger betroffen zu sein als Mädchen [20, 21].

Bei Verdacht der unterminierenden Resorption eines zweiten Milchmolaren ist zur Verdachtsbestätigung ein Orthopantomogramm indiziert. Sollte es sich tatsächlich um eine unterminierende Resorption handeln, ist eine Aufrichtung des betroffenen 6-Jahres-Molaren sinnvoll, da dieser andernfalls nicht vollständig durchbricht.

Therapie des sekundären Engstands

Im Folgenden sollen exemplarisch kieferorthopädische Therapiekonzepte zur Behandlung des sekundären Engstands beschrieben werden, wobei die Auflistung nicht abschließend ist. Die kieferorthopädische Therapieplanung sollte dabei unter Berücksichtigung zugrunde liegender individueller Rahmenbedingungen wie der Okklusion, dem chronologischen und dentalen Alter, dem Entwicklungsstand, dem Gebisszustand, möglichen Vorerkrankungen sowie der Patientenkompetenz erfolgen.

Grundsätzlich kann versucht werden, bei Vorliegen eines sekundären Engstands eine Verkürzung des Zahnbogens durch Distalisierung der Molaren zu korrigieren. Zudem ist es möglich, Zahnbögen in der Transversalen zu erweitern, Frontzähne zu protrudieren sowie approximale Schmelzreduktion durchzuführen, um Platz im Zahnbogen zu generieren. Sollten Molaren infolge von Milchzahnverlust rotiert sein, ist auch eine Derotation anhand von Lingual- oder Transpalatinalbögen möglich, um Platz zu schaffen.

Liegt ein ausgeprägter Platzmangel oder eine ausgeprägte Frontmittenverschiebung vor, muss jedoch in manchen Fällen eine Extraktionstherapie bleibender Zähne erwogen werden.

Für die Extraktionsentscheidung spielt u. a. eine Rolle, ob der Ober- und/oder der Unterkiefer vom Platzmangel betroffen sind, denn Distalisierungsmaßnahmen sind im Unterkiefer nur eingeschränkt durchführbar. Weitere Faktoren zur Entscheidungsfindung sind die zugrunde liegende Okklusion, eine ausreichende Mundhygiene und die Mitarbeit der Patient:innen, die für bestimmte Distalisierungsapparaturen erforderlich ist. In der Regel werden dabei Prämolaren symmetrisch in einem oder beiden Kiefern entfernt.

Merke: Die Wahl der kieferorthopädischen Therapiestrategie erfordert stets eine umfassende Auswertung klinischer Befunde, der Modellbefunde sowie der Röntgenbefunde.

Herausnehmbare Plattenapparaturen mit Schrauben

Herausnehmbare Apparaturen mit sagittalen und transversalen Dehnschrauben können Platz schaffen, indem sie gekippte Zähne aufrichten. Sie bieten sich bei guter Mitarbeit und moderaten Aufwanderungen v. a. im Wechselgebiss an, um Platz im Zahnbogen zu generieren, der durch einen sekundären Engstand verloren gegangen ist.

Skeletal verankerte Distalisierungsapparatur

Bei ausreichender posteriorer Länge der Maxilla ist es möglich, aufgewanderte Molaren mittels skeletaler Verankerung und Dis-talslider zu distalisieren (Abb. 3). Hierzu werden 2 Miniimplantate im Bereich des dritten Gaumenfaltenpaars paramedian angebracht. Auf der skeletalen Verankerung wird eine Suprakonstruktion befestigt, die aus einem Führungsbogen und einer aktivierbaren Druckfeder aus einer Nickel-Titan-Legierung besteht, die mit dem zu distalisierenden Molaren verbunden ist [22]. Die Distalisierung erfolgt entweder als Vorbehandlung oder simultan zur Multibracket- oder Alignertherapie.

Abbildung 3 Figure 3
figure 4

Exemplarische Darstellung einer skeletal verankerten Distalisierungsapparatur

Example of a skeletally anchored distalization appliance

Headgear

Der Gesichtsbogen (Headgear) wird seit mehr als 100 Jahren in der kieferorthopädischen Behandlung eingesetzt. Er besteht aus mehreren Komponenten: einem Außenbogen und einem Innenbogen, die anterior verschweißt sind. Der Innenbogen wird in die vorgesehenen Headgear-Röhrchen an den kieferorthopädischen Molarenbändern vom Patienten selbst eingebracht. Der Außenbogen wird über ein Gummiband mit einem Kopf- oder Nackenband verbunden, das als Kraftquelle dient. Je nach Kraftrichtung ist es möglich, auf die Molaren des Oberkiefers extrusive, intrusive, distale oder mesiale Kräfte sowie deren Kombinationen auszuüben.

Extraktionstherapie bei ausgeprägtem sekundärem Engstand

Bei ausgeprägtem Platzmangel infolge von Aufwanderungen oder starken Mittellinienverschiebungen ist eine Extraktionstherapie indiziert, um eine funktionelle Okklusion einzustellen. Dies hängt mit mehreren Faktoren zusammen.

Aufgrund der Knochenstruktur im Unterkiefer mit hoher Knochendichte im retromolaren Bereich sind die körperliche Distalisierung im Unterkiefer und somit eine Lückenöffnung nach Platzverlust nur eingeschränkt möglich. Auch für die Korrektur einer verschobenen Mittellinie wird Platz im Seitenzahnbereich benötigt, der im physiologischen Zustand beispielsweise über den sog. Leeway-Space generiert werden kann, einen Platzüberschuss im Seitenzahngebiet, der durch die größere Zahnform der Milchzähne im Vergleich zu den permanenten Eckzähnen und Prämolaren bedingt ist. Liegt jedoch ein vorzeitiger Milchzahnverlust ohne Offenhalten der Lücke vor, so ist diese Platzreserve oftmals bereits erschöpft oder durch Aufwanderungen verkleinert. Als zu extrahierende Zähne bieten sich Prämolaren an, sofern aus konservierender Sicht nicht bereits andere Zähne Defekte aufweisen. Entsprechend den okklusalen Verhältnissen werden in der Regel 2 oder auch 4 Prämolaren extrahiert, um eine funktionelle Okklusion sowie symmetrische Verhältnisse einzustellen.

Neben der Struktur des Unterkiefers sind auch die posterioren Platzverhältnisse ausschlaggebend für die Extraktionsentscheidung bei sekundärem Engstand. Insbesondere bei posterioren Engständen und dem Vorliegen einer kurzen Maxilla kann eine Extraktion Erfolg versprechender als eine Distalisierung sein.

Wichtig: Ist eine Extraktion aus kieferorthopädischen Gründen indiziert, sollte ein Konzept zur Verankerung bestehen, damit die entstehenden Lücken zielgenau geschlossen und symmetrische Verhältnisse eingestellt werden können.

Bei der vorgestellten Patientin wurden eine Extraktion der Zähne 15, 25, 35, 44 und eine Multibrackettherapie durchgeführt (Abb. 4, Abb. 5). Im Oberkiefer erfolgten nach Extraktion eine Distalisierung der Zähne 14, 24 sowie die Einordnung der Zähne 13, 23 und ein reziproker Lückenschluss. Im Unterkiefer wurde der retinierte Zahn 45 chirurgisch freigelegt und kieferorthopädisch eingeordnet. Die Mittellinie des Unterkiefers wurde nach links korrigiert, und die Extraktionslücken regio 35 und 44 wurden reziprok unter Zuhilfenahme intermaxillärer Gummizüge geschlossen (Abb. 4, Abb. 5).

Abbildung 4 Figure 4
figure 5

Kieferorthopädische Therapie bei einer 10,3-jährigen Patientin mit sekundärem Engstand. Okklusale Ansicht des Oberkiefers (a), des Unterkiefers (b) und seitliche Ansicht (c) zu Therapiebeginn mit einer Multibracketapparatur unter Extraktion der Zähne 14, 24, 35 und 44 sowie im Verlauf der Therapie im Alter von 10,8 Jahren (d, e) und unter Zuhilfenahme intermaxillärer Gummizüge (f)

Orthodontic treatment of a 10.3-year-old girl with secondary crowding. Occlusal view of the maxilla (a), mandible (b), and lateral view (c) at the beginning of treatment with a multibracket appliance with extraction of teeth 14, 24, 35, and 44 and during treatment (d, e) and with the help of intermaxillary elastics (f)

Abbildung 5 Figure 5
figure 6

Orthopantomogramm (a) sowie frontale (b) und okklusale Ansichten des Ober- (c) und Unterkiefers (d) nach Abschluss der Retentionsphase bei einer 14,5-jährigen Patientin mit sekundärem Engstand und Extraktionstherapie

Orthopantomogram (a) and frontal (b) and occlusal views of the maxilla (c) and mandible (d) at the end of orthodontic retention in a 14.5-year-old girl with initial secondary crowding and extraction therapy

Präventive Strategien zur Vermeidung des sekundären Engstands

Eigene Untersuchungen zeigen, dass Kinder, die ab der Geburt an einem kariesrisikoorientierten Recallsystem teilnahmen, eine bessere Mundgesundheit, weniger vorzeitigen Milchzahnverlust und weniger Platzverlust im Zahnbogen mit dadurch bedingtem kieferorthopädischem Behandlungsbedarf aufwiesen als Kinder, die nicht daran teilnahmen [23]. Da Karies besonders häufig in benachteiligten Gruppen auftritt, spielen auch aus sozioökonomischer Sicht Präventionsstrategien eine wichtige Rolle, um Risikogruppen zu erreichen [24, 25, 26].

Es hat sich gezeigt, dass Maßnahmen wie die Eingliederung von Lückenhaltern, das regelmäßige Überwachen der Platzverhältnisse sowie die konservierende Versorgung von kariösen Zähnen ausschlaggebend sind, um die Entstehung eines erworbenen Platzmangels im Zahnbogen zu vermeiden.

Lückenhalter

Lückenhalter dienen dem Offenhalten einer Lücke nach vorzeitigem Milchzahnverlust, sofern eine bleibende Zahnanlage vorhanden ist und röntgenologisch verifiziert wurde. Sie haben Vorteile gegenüber einem abwartenden Verhalten und der Lückenüberwachung, da sie Platzverlust in der Stützzone sicher vermeiden. Studien weisen darauf hin, dass der maximale Platzverlust in den ersten 6 Monaten bis zu einem Jahr nach der Zahnextraktion auftritt und der Platzverlust mit zunehmender Zeit seit der Extraktion ebenfalls zunimmt [27].

Lückenhalter können als herausnehmbare oder festsitzende Apparaturen gestaltet sein. Herausnehmbare Lückenhalter werden nachts getragen und können entweder im zahntechnischen Labor aus gebogenen Haltelementen und gestreuter PMMA(Polymethylmethacrylat)-Basis entstehen (Abb. 6) oder im CAD(„computer aided design“)/CAM(„computer aided manufacturing“)-Verfahren aus PMMA-Blöcken gefräst werden.

Abbildung 6 Figure 6
figure 7

Herausnehmbarer Platzhalter auf einem Gipsmodell für ein 5-jähriges Mädchen

Removable space maintainer on a plaster model for a 5-year-old girl

Festsitzende Lückenhalter bestehen aus einem fest zementierten kieferorthopädischen Band, an dem ein horizontaler Metallsteg oder ein rechteckiger Metalldraht befestigt ist (Abb. 7). Die befestigten Elemente entsprechen in mesiodistaler Ausdehnung dem verlorenen Zahn und können zusätzlich an dem der Schaltlücke benachbarten Zahn befestigt werden.

Abbildung 7 Figure 7
figure 8

Okklusale Ansicht (a) eines 7-jährigen Patienten mit einem festsitzenden CAD(„computer-aided design“)/CAM(„computer-aided manufacturing“)-Lückenhalter im Unterkiefer sowie während der 3-D-Planungsphase (b)

Occlusal view (a) of a 7-year-old boy with a fixed computer-aided design/computer-aided manufacturing (CAD/CAM) space maintainer in the mandible and (b) during the 3D planning

Merke: Lückenhalter werden so lange getragen, bis der bleibende Nachfolgezahn in die Lückenregion durchbricht.

Festsitzende Apparaturen bieten den Vorteil, dass sie weitestgehend unabhängig von der Patientenmitarbeit sind und weniger Verlustraten aufweisen [28], stellen jedoch aktuell in Deutschland eine Privatleistung dar.

Fazit für die Praxis

  • Die frühkindliche Karies und der vorzeitige Milchzahnverlust stellen komplexe Krankheitsbilder im Kindesalter dar, die vielfach zu einem sekundären Engstand und einem späteren kieferorthopädischen Behandlungsbedarf führen.

  • Präventive Strategien umfassen frühzeitige Recallsysteme, konservierende Therapiemaßnahmen sowie die Eingliederung von Lückenhaltern und dienen in erster Linie dazu, orofazialen Fehlentwicklungen entgegenzuwirken und spezielle Risikogruppen zu erreichen.

  • Eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Kieferorthopädie und Kinderzahnmedizin ist essenziell, um Prävalenz und Ausmaß des sekundären Engstands zu verringern.

Zitierweise: Pies J, Coenen F, Lang N, Niederau C, Wolf M, Knaup I (2024) Sekundärer Engstand - aktuelle Präventions- und Therapiestrategien. Oralprophylaxe Kinderzahnmed 46: 198-206 · https://doi.org/10.1007/s44190-024-1043-4 Eingereicht: 11.06.2024 / Angenommen: 11.07.2024 / Online publiziert: 03.09.2024 · © Deutsche Gesellschaft für Kinderzahnmedizin (DGKiZ) 2024