In der Kinderzahnmedizin spielt das Verhalten des Kindes eine entscheidende Rolle für den Erfolg der Behandlung. Grundsätzlich sollte die für das Kind risikoärmste Behandlungsmethode gewählt werden, besonders wenn es um die Indikationsstellung zur Sedierungs- oder Narkosebehandlung geht. Gute Kenntnisse auf dem Gebiet des Verhaltensmanagements tragen wesentlich dazu bei, diesem Anspruch besser gerecht zu werden, wobei auch Grenzen aufgezeigt werden sollen.

Zitierweise: Meißner N (2024) Verhaltensmanagement in der Kinderzahnmedizin: ein Ansatz zur Förderung kindlicher Kooperation. Oralprophylaxe Kinderzahnmed 46:108-113 · https://doi.org/10.1007/s44190-024-1028-3 Eingereicht: 26.02.2024 / Angenommen: 16.04.2024 / Online publiziert: 12.06.2024 · © Deutsche Gesellschaft für Kinderzahnmedizin (DGKiZ) 2024

Präambel

Häufig werden die Begriffe „Verhaltensführung“ oder „Verhaltenslenkung“ verwendet, um die verschiedenen Techniken der nichtpharmakologischen Angst- und Schmerzkontrolle zu beschreiben [1, 2, 3]. Im Grunde genommen sind diese deutschen Begriffe jedoch überholt, da es sowohl unrealistisch als auch abwertend klingt, Kinder zu „führen“ oder zu „lenken“. Es sollte vielmehr darum gehen, die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Behandlung zu erhöhen, indem wir eine Umgebung schaffen und Konzepte anwenden, die Kinder dazu einladen, kooperatives Verhalten zu zeigen. In dieser Sichtweise geht es folglich nicht nur darum, das Verhalten des Kindes zu beeinflussen, sondern auch darum, die Dynamik zwischen dem Kind und seinen Eltern/Bezugspersonen sowie dem zahnärztlichen Team und der Praxisstruktur zu berücksichtigen. Der vorgestellte Ansatz beruht auf den Prinzipien systemischer Denkweise und betont die Wechselwirkungen innerhalb des Gesamtsystems.

Rahmenbedingungen

Ein kompetentes Team zeichnet sich sowohl durch kinderzahnärztliches Fachwissen aus als auch durch strukturierte Abläufe und ein trainiertes Zusammenspiel. Das Zeitmanagement sollte so ausgerichtet sein, dass trotz aller Effizienz genügend Pufferzeiten vorhanden sind, um die einfühlsame Betreuung jedes Kindes zu ermöglichen. Selbst in fordernden Situationen sollte das Team Ruhe und Kompetenz ausstrahlen und vertraut sein mit den Methoden der Stressverarbeitung und Emotionsregulation, denn die sensiblen Antennen von Kindern erfassen intuitiv Unsicherheit, Anspannung und Zeitdruck im Behandlungsteam. Eine gehetzt durchgeführte „Tell-Show-Do“-Methode mag technisch perfekt sein, wird beim Kind jedoch nicht die gewünschte Wirkung haben und birgt das Risiko eines - zudem unwirtschaftlichen - Behandlungsabbruchs. Die kindgerechte Praxisumgebung durch entsprechende Farbgestaltung und kinderfreundliche Einrichtung schafft ein für Kinder angenehmes und Vertrauen förderndes Umfeld [4].

Merke: Je geeigneter die Rahmenbedingungen sind, desto entspannter und wirtschaftlicher ist der Tagesablauf. Dazu benötigt man neben kinderzahnärztlicher Spezialisierung auch organisatorische Grundkenntnisse und Struktur bei der Planung sowie Konsequenz in deren Umsetzung.

Elternkommunikation

Kinder haben Eltern, und besonders bei jüngeren Kindern oder solchen mit negativer Vorerfahrung ist die Mitwirkung der Bezugsperson oftmals entscheidend für den Erfolg. Ein Beispiel hierfür ist der Knie-zu-Knie-Befund bei sehr jungen, präkooperativen Kindern, bei dem die Eltern eine essenzielle Rolle spielen: Sie sollen dem Kind Sicherheit vermitteln und zugleich die Notwendigkeit der Untersuchung durch Übergabe des Kindes unterstützen (Abb. 1). Die Aufgabe der Mutter besteht darin, das Kind in Zuversicht vermittelnder Stimmung aktiv auf den Schoß der untersuchenden Person zu legen. Durch die innere Haltung der Mutter wird dem Kind implizit Sicherheit gegeben (Spiegelneuronen-Theorie).

Abbildung 1 Figure 1
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Knie-zu-Knie-Befund bei einem jungen, präkooperativen Kind. Die Aufgabe der Mutter besteht darin, das Kind in Zuversicht vermittelnder Stimmung aktiv auf den Schoß der untersuchenden Person zu legen. Durch die innere Haltung der Mutter wird dem Kind implizit Sicherheit gegeben (Spiegelneuronen-Theorie). (Mit freundl. Genehmigung © N. Meißner, alle Rechte vorbehalten)

Knee-to-knee examination in a young precooperative child. The mother's task is to actively place the child on the examiner's lap in a confident manner. The mother's positive inner attitude implicitly gives the child a sense of security (mirror neuron theory). (With kind permsission © N. Meißner, all rights reserved)

Die Qualität der Interaktion zwischen Eltern und zahnärztlichem Team wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst, wobei deren Beziehung zueinander eine große Rolle spielt. Für die tägliche Praxis kann das von Friedemann Schulz von Thun entwickelte, auch als „vier Seiten einer Nachricht“ bekannte Kommunikationsquadrat wertvolle Hinweise zum gegenseitigen besseren Verständnis liefern [5]. Aus der reinen Sachebene „Ihr Kind hat Karies“ kann auf der Beziehungsebene durchaus die Botschaft „Sie sind eine schlechte Mutter“ entstehen. Dies erklärt die - für das zahnärztliche Team oft überraschende und unverständliche - Reaktion mancher Eltern mit Verleugnung oder Empörung bis hin zur Aggression. Häufig lässt sich beobachten, dass Eltern aufgrund larvierter Schuldgefühle sehr emotional reagieren, sobald invasive Behandlungen empfohlen werden. Wird die Diagnose hingegen vorwurfsfrei und in einer entspannten Haltung aus Optimismus, Humor und Fachkompetenz seitens des zahnärztlichen Teams vermittelt, so fühlen sich die Eltern entlastet und informiert („informed consent“ [6, 7]).

Hypnokommunikative Konzepte berücksichtigen die Tatsache, dass Worte im Unbewussten Bilder erzeugen. Die Elternaufklärung anhand von Metaphern in einer bildreichen Sprache („versteckte Karies ist wie ein Eisberg, der Großteil ist nicht sichtbar …“) oder die bewusste Wahl motivierender und positiver Formulierungen („zum Glück kommen Sie jetzt zu uns, damit wir bereits im Milchgebiss die Weichen stellen können …“) oder der Wechsel auf eine Metaposition bei Spannungen („ich merke gerade, dass das Thema sie sehr stark aufwühlt, und würde mir für unser Gespräch eine konstruktivere Basis wünschen …“) oder auch Gesprächstechniken aus der systemischen Beratung wie zirkuläre Fragen und das Konfrontieren mit Auswirkungen sind hilfreiche Methoden einer vertrauensbildenden, motivierenden, aber auch realistischen Gesprächsgestaltung mit den Eltern. Ihre Kinder überfordernde oder skeptische Eltern übertragen diese Haltung häufig auf ihre Kinder und gefährden den Behandlungserfolg. Sind die Eltern mit im Boot, lastet weniger Erfolgsdruck auf dem zahnärztlichen Team [7]. Das wirkt sich besonders dann positiv aus, wenn beispielsweise aufgrund des Missverhältnisses von Behandlungsumfang und altersentsprechender mangelnder Compliance des Kindes die Grenzen des Verhaltensmanagements erreicht werden und die Indikation zur Narkosebehandlung angesprochen wird.

Merke: Als Schlüsselwörter in der Kommunikation - sowohl mit dem Kind als auch dessen Eltern - gelten die Begriffe Vertrauen und Begegnung auf Augenhöhe. Empathie und Klarheit anstelle von verdeckten Appellen sowie die Botschaft „hier wird dir geholfen“ spiegeln idealerweise die innere Haltung des gesamten Teams wider. Eine gesunde Prise Humor vermittelt auch bei vermeintlich schweren Themen Leichtigkeit. Hypnokommunikative Konzepte zielen auf das (bildhafte) Erleben im Unbewussten ab, tragen zu mehr Verständnis und Vertrauen seitens der Eltern bei und wirken sich so positiv auf das Verhaltensmanagement des Kindes aus.

Tell-Show-Do

Für viele Kinder ist der erste Besuch in einer Zahnarztpraxis ein aufregendes, neues Erlebnis und stellt die Weichen für die weitere Mitarbeit. Bereits beim Abholen aus dem Wartebereich gilt es, den vertrauensvollen Kontakt zum Kind aufzubauen und seine Neugierde zu wecken. Eine Begrüßung auf Augenhöhe und erster Körperkontakt durch Berührung oder Handgeben schaffen Nähe und Verbindung. Im Behandlungsraum wird zunächst, wie in Abb. 2 gezeigt, am Modell spielerisch der Ablauf der Untersuchung erklärt, bevor sich das Kind selbst auf die Liege bzw. den Behandlungsstuhl legt [3, 8]. Dies entspricht der Methode des Tell-Show-Do (TSD), die bereits 1959 von Addelston [9] beschrieben wurde. Kinder reagieren häufig mit Ablehnung und Verweigerung, wenn sie unangekündigt mit zahnärztlichen Geräten oder Geräuschen konfrontiert werden. Beispielsweise kann der Anblick von Ätzgel in einer stumpfen Kanüle („Spritze“) oder das plötzliche laute Rauschen des großen Saugers derartig bedrohlich auf sie wirken, dass auch nachgereichte Erklärungen nicht mehr ankommen und die Behandlung abgebrochen werden muss. Für den Kinder-unerfahrenen Behandler sind sowohl die Geschwindigkeit als auch die Vehemenz dieser Abwehrreaktion oft überraschend. Durch altersgerechte Verbalerklärung des Vorgehens wird also die weitere Behandlung gebahnt. Dabei sollten positive oder neutrale Begriffe verwendet werden, denn das menschliche Unbewusste denkt, wie bereits bei den hypnokommunikativen Konzepten erwähnt, bildlich und kennt keine Verneinung (bekanntes Negativbeispiel: „hab' keine Angst, das tut nicht weh“). Der Beziehungsaufbau gestaltet sich leichter, wenn die Eltern unterstützend und vertrauensvoll im Hintergrund bleiben.

Abbildung 2 Figure 2
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Tell-Show-Do (TSD): Bevor der Spiegel in den Mund des Kindes kommt, wird die intraorale Befundaufnahme zunächst erklärt und am Modell geübt. (Mit freundl. Genehmigung © N. Meißner, alle Rechte vorbehalten)

Tell-show-do (TSD): Before the mirror is placed in the child's mouth, the intraoral examination is first explained and practiced on a model. (With kind permsission © N. Meißner, all rights reserved)

Für den versierten Kinderzahnarzt bilden die verschiedenen Variationen von TSD die Basis der Verhaltensführung und sind buchstäblich „in Fleisch und Blut“ übergegangen [10]. Bei routinierten Kindern, zusätzlicher audiovisueller Distraktion (Deckenfernsehen) [11] oder bei begrenzter Aufmerksamkeitsspanne kann das Vorgehen auf „tell-do“ verkürzt werden. Manche Autoren empfehlen als eigenen Schritt, das Einverständnis des Kindes einzuholen, und fügen „tell-show-ask-do“ ein [12]. Bei sehr ängstlichen und skeptischen Kindern kann der Schritt „show“ unterteilt werden in „show-on-me/show-on-you“ oder in das Vorführen ganzer Behandlungsabläufe am Finger oder Modell.

Merke: Um die Angst vor dem Unbekannten zu verringern, wird beim TSD der Behandlungsschritt zunächst erklärt und an einer neutralen Stelle (wie dem Finger oder am Modell) gezeigt, bevor in der sensiblen Mundregion gearbeitet wird.

Stufenkonzept

Meist beinhaltet der erste Termin die intraorale Untersuchung, ergänzende Befunde wie Röntgenbilder und anschließend die Besprechung des Therapieplans mit den Eltern. Erst beim zweiten Termin wird mit einfachen Behandlungsmaßnahmen wie Prophylaxe oder Versiegelung die Behandlung gestartet oder stattdessen eine systematische Desensibilisierungssitzung [1] vereinbart (Abb. 3). Die Entscheidung, gleich beim Ersttermin zu behandeln und das Stufenkonzept zu verlassen, sollte sich nicht nach dem Elternwunsch, sondern nach den Möglichkeiten des Kindes zur Kooperation richten! Eine Serie von positiven Erfahrungen hilft dem Kind dabei, möglicherweise unangenehme Situationen besser zu meistern [13, 14, 15].

Abbildung 3 Figure 3
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Stufenkonzept: Beispiel einer Terminabfolge. (Mit freundl. Genehmigung © N. Meißner, alle Rechte vorbehalten)

Step-by-step concept: example of a sequence of appointments. (With kind permission © N. Meißner, all rights reserved)

Eine traumatisierende Erfahrung, wie beispielsweise die Extraktion eines infizierten Milchzahns bei unzureichender Schmerzausschaltung, ist ein denkbar schlechter Einstieg. In diesen Fällen sollte - je nach weiterem Behandlungsumfang - die Behandlung in Sedierung oder Narkose bzw. nach vorheriger Antibiose geplant werden. Zum Behandlungsmanagement zählt folglich auch die Wahl der geeigneten Schmerzkontrolle [1].

Merke: Die Abfolge der Termine steigert sich in der Regel von einfachen Behandlungen hin zu invasiveren oder komplexeren Sitzungen.

Bottom-up-Techniken

Je ängstlicher und nervöser ein Kind ist, desto weniger gut wirken die Verbalerklärungen. Bekanntlich nimmt in stressigen Situationen die Fähigkeit der kognitiven Verarbeitung in den evolutionär jüngeren Gehirnanteilen wie dem prä-frontalen Kortex ab. Bei zunehmendem Stress werden deshalb ältere Bereiche im Stamm- und Zwischenhirn aktiviert bis hin zum Auslösen des Flucht-, Kampf- oder Totstellreflexes. Neuere Erkenntnisse dazu liefert die Polyvagaltheorie von Stephen Porges [16]. Sie postuliert, dass das autonome Nervensystem des Menschen sich in drei Bereiche aufteilt, wobei dem ventralen Vagusnerv eine wesentliche Rolle bei der Emotionsregulation und dem Sozialverhalten zugeschrieben wird. Dieser wird aktiviert durch menschliche Interaktionen wie Blick- und Körperkontakt sowie Sicherheit vermittelnde Beziehungsgestaltung. Als kinderzahnärztlich relevante Folgerung daraus können einige hilfreiche Interventionen zur Stimulation des ventralen Vagus wie Atemregulation, bifokale Klopfakupressur (PEP®), Musik [17] oder das Einbeziehen des Körpers durch spezielle Grifftechniken abgeleitet werden. Eine wesentliche Bereicherung erfährt TSD deshalb also durch Grundkenntnisse auf dem Gebiet dieser weiterführenden sog. Bottom-up-Techniken und den Einsatz von hypnotischen Verfahren [18].

Merke: Großer Stress kann die kognitive Verarbeitung beeinträchtigen und entwicklungsgeschichtlich ältere Gehirnareale aktivieren. Bottom-up-Techniken („von unten nach oben“) beziehen auf emotional-sensorischer Ebene den Körper mit ein und helfen dabei, die Stressbewältigung zu regulieren.

Kognitives Modellieren und operantes Konditionieren

Kognitives Modellieren, sprich Lernen am Modell, erfolgt durch Beobachtung des Verhaltens anderer [19]. Häufig sind die Vorbilder die Eltern oder älteren Geschwister [8], sofern sie eine positive Einstellung haben. Die Empfehlung an Eltern, ihre Kinder zu eigenen Zahnarztterminen mitzunehmen, ist allerdings kritisch zu sehen, denn rein statistisch fürchten sich 60 % aller Erwachsenen vor dem Zahnarztbesuch. Kinder erfassen und übernehmen intuitiv die Körpersprache ihrer Eltern mit Zeichen von Nervosität oder Angst.

Operantes Konditionieren bedeutet Lernen am Erfolg und besagt, dass ein Verhalten häufiger wird, wenn sich eine Verstärkung daran anschließt [20]. Eine gezielt eingesetzte Belohnung, z. B. eine Münze für den Belohnungsautomaten oder das Vorführen von Zaubertricks unmittelbar im Anschluss an die Behandlung („… weil der Mund heute noch länger und noch weiter offen war als das letzte Mal“), wirkt als positiver Verstärker und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass das gewünschte Verhalten beim nächsten Mal wiederholt wird. Vorsicht vor der sog. „Entscheidungsmelancholie“. Bei zu großer Auswahl aus einer Schatzkiste könnte daraus das Gegenteil von Belohnung entstehen: In der Kinderlogik bedeutet Auswahl immer auch Verzicht. Neben den Münz-Belohnungsautomaten (Abb. 4) hat sich auch das Anbringen eines Kinder-Tattoos (zusätzlicher Körperanker) bewährt. Noch effektiver als die extrinsische Motivation durch materielle Belohnung ist die intrinsische Motivation durch ein Erfolgserlebnis. Jeder noch so kleine Erfolg sollte deshalb vom zahnärztlichen Team anerkennend kommentiert werden.

Abbildung 4 Figure 4
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a, b Belohnung im Anschluss an die Behandlung. (Mit freundl. Genehmigung © N. Meißner, alle Rechte vorbehalten)

a, b Reward following treatment. (With kind permission © N. Meißner, all rights reserved)

Merke: Gute Vorbilder sowie verbale Anerkennung und passende Belohnung durch das zahnärztliche Team sind wichtige Wirkfaktoren zur Motivation. Im Voraus von den Eltern versprochene Belohnungen lösen eher Erfolgsdruck aus und implizieren, dass der Zahnarztbesuch etwas Schlimmes sein muss.

Kinderhypnose

Hypnose bzw. der Zustand der Trance ist gekennzeichnet durch fokussierte Aufmerksamkeit, wobei Nebenreize ausgeblendet werden. Die Hypnotherapie ist mittlerweile wissenschaftlich anerkannt, und der seriöse Einsatz in Psychotherapie und Medizin, besonders der Zahnmedizin, gilt als wertvolle Bereicherung des Repertoires [18]. Kinderhypnose unterscheidet sich methodisch stark von der Erwachsenenhypnose [12]. Während Kinder sehr schnell in Trance gehen, kommen sie ebenso schnell auch wieder heraus. Dabei spielen das Alter des Kindes und die kognitiven Fähigkeiten eine wichtige Rolle. Die Tranceführung gelingt über Distraktion [11], Konfusionstechnik [21], das Erzählen von Geschichten, nonverbale Berührungen und Trancegriffe (Abb. 5) sowie die Kombination mit den genannten Techniken der Verhaltensführung. Rituale geben Kindern Sicherheit durch immer wiederkehrende und damit vorhersagbare Situationen [22]. Der Vorteil für das zahnärztliche Team besteht in gleichlautenden Arbeitsabläufen und Zeitersparnis. Besonders zu beachten ist der sensible Einsatz der - im Unbewussten Bilder erzeugenden - Sprache der Hypnose. So lassen sich für angstbehaftete oder fremdartige Begriffe positive, kindgerechte Umschreibungen finden, die angenehmere Gefühle auslösen. Jede Praxis wird ihr eigenes, individuell-authentisches Vokabular verwenden, beispielsweise „Zahndusche“ (Turbine/rotes Winkelstück), „Schlafkügelchen“ (Lokalanästhesie), „Kitzelkugel“ (Rosenbohrer) u. v. m. Ein empathischer Behandler wendet intuitiv bereits zahlreiche Elemente an, dennoch ist eine postgraduierte Ausbildung für den gezielten Einsatz sehr zu empfehlen.

Abbildung 5 Figure 5
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Grifftechniken in der Kinderhypnose: Kinder sprechen stark auf Körperkontakt und bestimmte Grifftechniken an, beispielsweise den Schläfengriff. Trancezeichen wie Handlevitation (schwebende Hand), Tunnelblick und fokussierte Aufmerksamkeit (TV-Distraktion) sind erkennbar, der Mund bleibt geöffnet. Ein Zauberstab kann zur Blickfixation und als Stopp-Zeichen eingesetzt werden. (Mit freundl. Genehmigung © N. Meißner, alle Rechte vorbehalten)

Gentle physical contact in paediatric hypnosis: Children respond strongly to physical contact and certain techniques, for example, lightly touching the temples. Signs of a trance such as hand elevation (floating hand), tunnel vision and focused attention (TV distraction) are recognisable; the mouth remains open. A magic wand can be used to fix the gaze and as a sign to stop. (With kind permission © N. Meißner, all rights reserved)

Merke: Hypnotische Sprachführung und Methoden der Kinderhypnose bilden in vielen Praxen bereits die Basis des Konzepts und nehmen Einfluss auf die Methoden des Verhaltensmanagements. Sie spiegeln die innere Haltung des Teams wider und tragen wesentlich zu einem entspannteren Berufsalltag bei.

Kritisch zu bewertende Methoden

Die Wandlung des Erziehungsstils der Eltern [7] - von autoritär zu permissiv - sowie Erkenntnisse aus der Gehirn- und Verhaltensforschung lassen bestimmte Methoden des Verhaltensmanagements fragwürdig in ihrer Umsetzung und Ethik erscheinen, finden sich jedoch in den Richtlinien vorwiegend US-amerikanischer Fachgesellschaften und werden aus Gründen der Vollständigkeit beschrieben [1].

Darunter zählen Methoden wie „voice control“, bei der durch Verändern von Stimme und Tonfall des Behandlers - bis hin zum Anschreien der Kinder - die Aufmerksamkeit unkooperativer Kinder erzeugt werden soll. In Europa wird sie überwiegend abgelehnt und trifft seitens der Eltern auf wenig Akzeptanz. In einem moderaten Sinn, d. h. flüstern oder Anheben der Stimme als Warnsignal bzw. zur Musterunterbrechung („Schreispiegeln“), gibt es mögliche Ausnahmeindikationen.

Bei der Methode der „parental presence/absence technique“ (PPA) werden die Eltern des Zimmers verwiesen, sobald sich die Kinder nicht adäquat verhalten, und - im Sinne eines negativen Verstärkers - erst wieder eingelassen, wenn sich das kindliche Verhalten bessert [23]. Besonders junge Kinder können durch diesen Verlust der Bezugsperson regelrecht traumatisiert werden. Bei älteren (Schul-)Kindern mag es Indikationen geben, beispielsweise wenn sie das zahnärztliche Team ignorieren oder ihre Eltern als „Publikum für eine Trotzshow“ benutzen oder Eltern störend in die Behandlung eingreifen. Das „Eltern raus“ darf dabei nicht als Liebesentzug oder Ausgrenzung der Eltern bewertet werden, sondern als Möglichkeit einer altersgerechten Auge-in-Auge-Interaktion. Selbst für den erfahrenen Zahnarzt bedeutet es eine Gratwanderung mit dem Ziel, dass sich das Kind am Ende der Sitzung als selbstwirksam („ich brauche meine Eltern nicht“) erlebt und stolz den Behandlungsraum verlässt. Häufig kommt beim nächsten Termin sogar seitens des Kindes der Wunsch, ohne die Eltern ins Behandlungszimmer zu gehen.

„Protective stabilization“ bedeutet das Festhalten eines Kindes bei der Zahnbehandlung. Während der Gabe von Lokalanästhesie ist das Sichern des Kindes zum Eigenschutz als kurze Intervention sinnvoll, keinesfalls sollte jedoch eine längere, traumatisierende Behandlung gegen den Willen des Kindes durch Fixieren vorgenommen werden [24].

Das Zuhalten des Mundes („hand over mouth“ [HOM]) bei inadäquatem Verhalten - und Entfernen der abdeckenden Hand zur Belohnung - kann Erstickungsgefühle auslösen, als sehr traumatisierend erlebt werden und ist ethisch abzulehnen.

Merke: Das Recht der Kinder auf eine zeitgemäße, nicht traumatisierende Behandlung hat Vorrang. Die zuletzt genannten Techniken sind folglich nur bei großer Erfahrung und nach ausdrücklicher Zustimmung seitens der Eltern anzuwenden oder aus ethischen Gründen abzulehnen.

Fazit für die Praxis

  • In der Kinderzahnmedizin spielt das Verhalten des Kindes eine entscheidende Rolle für den Erfolg der Behandlung.

  • Voraussetzung für eine gelingende Behandlung sind günstige Rahmenbedingungen und effektive Elternkommunikation.

  • Standardmethoden im Bereich des Verhaltensmanagements sind Tell-Show-Do, das Stufenkonzept, kognitives Modellieren, operantes Konditionieren sowie aktuelle Bottom-up-Techniken.

  • Hypnokommunikative Methoden und Elemente der Kinderhypnose können bzw. sollten eingesetzt werden.

  • Das Recht der Kinder auf eine zeitgemäße, nicht traumatisierende Behandlung hat Vorrang.