Anhaltende Rückenschmerzen stellen bekanntermaßen eine Herausforderung in der klinischen Praxis dar. Folgender Fallbericht beschreibt den Verlauf und die Behandlung einer 39-jährigen Patientin mit einem diagnostizierten lumbalen Diskusprolaps und langjährigen Rückenschmerzen. Der Fokus liegt auf der Integration multimodaler Therapieansätze und der Bedeutung einer ganzheitlichen Betrachtung der Patient:innen-spezifischen Bedürfnisse.

Die Darstellung dieses Falls verfolgt das Ziel, die letzten Beiträge der jungen ÖSG in den Schmerz Nachrichten zusammenzuführen und die theoretische Basis praxisnahe umzusetzen [16, 26].

Patientinnencharakteristika und Anamnese

Bei Frau L. handelt es sich um eine 39-jährige Geschäftsführerin eines Restaurants, deren Ehemann als Koch im gleichen Betrieb arbeitet. Sie hat keine Kinder und verbringt ihre Freizeit mit Reisen, Yoga und Spaziergängen. Seit vielen Jahren leidet Frau L. unter wiederkehrenden Rückenschmerzen, die zu zahlreichen Behandlungsversuchen führten, darunter Physiotherapie, Osteopathie, energetische Behandlungen, Yoga und Pilates. Eine anhaltende Schmerzlinderung blieb jedoch bis dato aus.

Klinische Präsentation und diagnostische Befunde

Im Sommer des vorigen Jahres traten die Schmerzen vermehrt auf und zeigten sich zunehmend therapierefraktär. Eine Nervenwurzelblockade führte zwar zu kurzfristiger Linderung, allerdings folgte wenige Tage später eine massive Schmerzverstärkung. Eine stationäre Aufnahme war die Folge, wobei eine MRT einen Prolaps L4/L5 bzw. L5/S1 mit Nervenwurzelbedrängung L5 bestätigte (Abb. 1). Die Patientin erhielt orale und parenterale Schmerztherapien, lehnte jedoch eine operative Intervention ab.

Abb. 1
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Bildgebendes Verfahren (MRT) der Patientin mit den erkennbaren strukturellen Veränderungen bei intaktem posteriorem Längsband. a Sagittalschnitt MRT-Aufnahme lumbale Wirbelsäule, b Sagittalschnitt MRT-Aufnahme lumbale Wirbelsäule mit erkennbarem Diskusprolaps L4/L5 und L5/S1 bei intaktem posteriorem Längsband. (© Taxer)

Die Situation aus Sicht der physikalischen Medizin

Allgemeine Säulen der Therapie sind neben Aufklärung und Bewegungstherapie, physikalische Therapiemaßnahmen, Pharmakotherapie und interventionelle bzw. operative Verfahren. Ziel ist primär nicht die Schmerzbeseitigung, sondern das Erreichen einer verbesserten Schmerzbewältigung und eines höheren Funktionsniveaus. Schlechte Prädiktoren sind lange Krankheitsdauer, Rentenwunsch sowie eine hohe subjektive Beeinträchtigung.

Verhaltenstherapie sowie eine multimodale (interdisziplinäre) Schmerzbehandlung sind vor allem bei der Entwicklung chronischer Schmerzen angezeigt. Aufgrund der Interaktion von somatischen und psychischen Faktoren bei der Schmerzentstehung und -unterhaltung wird versucht, durch die Beeinflussung der kognitiven Prozesse eine Symptombesserung zu erreichen. Das entsprechende Verfahren ist zwischen Patient:in und Therapeut:in abzusprechen.

Bei Patient:innen mit Ischialgie/Beinschmerzen besteht zwar nach einem Cochrane Review (Cochrane Database) kein Unterschied zwischen Bettruhe und Aktivität, jedoch auch kein Hinweis, dass Patient:innen durch Bewegung Schaden nehmen. Bei schmerzbedingter Immobilität ist eine frühzeitige und konsequente, zeitlich befristete Schmerztherapie mit Nichtopioid-Analgetika, Muskelrelaxanzien und gegebenenfalls auch Opioiden bzw. Co-Analgetika unter Kontrolle des Neurostatus notwendig. Sofern ambulante Therapieresistenz besteht oder die neurologischen Defizite zunehmen, bzw. bei Red-flag-Symptomen, kann eine akutstationäre Krankenhauseinweisung notwendig sein. Die medikamentöse Therapie radikulärer Schmerzen ist eine rein symptomatische Behandlung, sie unterstützt im akuten Stadium die nichtmedikamentösen Maßnahmen und orientiert sich an der Mechanismen-orientierten Schmerztherapie.

Unter den physikalischen Maßnahmen konnte ein positiver Effekt von lokalen Wärmeanwendungen in der Anfangsphase gefunden werden. Bei der akuten Radikulopathie mit ausgeprägtem Lokalsyndrom mit paravertebralem Hartspann ist unter empirischen Gesichtspunkten eine Kombination von Elektrotherapie und Bindegewebsmassage zur Normalisierung des Muskeltonus und somit zur Schmerzreduktion sinnvoll. Insbesondere die Elektrotherapie bietet unterschiedliche Ansätze verschiedenster Verfahren. Besonders effektiv sind diese, wenn sie zwei- bis dreimal täglich für 30 min angewandt werden, erst dann kann es ab 8 bis 10 Anwendungen zu einer positiven Wirkung kommen. Diese Information ist besonders wichtig für Patient:innen im Zuge der Heimanwendung. Prinzipiell ist aber aktiven Therapien der Vorzug zu geben, sobald die betroffenen Personen ein ausreichendes Maß an Mobilität erreicht haben.

Spinale Manipulationen beim akuten lumboradikulären Syndrom sind kontraindiziert, der Wert von Traktionsverfahren, wie es unter Umständen auch bei Frau L. zu überlegen gewesen wäre, ist umstritten, in einem systematischen Review bei akuten lumbalen Schmerzen mit Beinschmerzen erwiesen sich diese als nicht wirksam [3].

Die Pharmakotherapie kann als Unterstützung der nichtmedikamentösen Verfahren zum Einsatz kommen. Der akute Schmerz ist die Domäne der Nichtopioid-Analgetika, in erster Linie der Inhibitoren von Cyclooxygenase I (COX I) und Cyclooxygenase II (COX II). Es liegen jedoch nicht selten Begleiterkrankungen (renal, kardiovaskulär, gastrointestinal) der Patient:innen vor, die den Einsatz dieser Medikamentengruppe limitieren oder unmöglich machen.

Alternativen sind die Nichtopioide Metamizol oder Paracetamol. Die meisten Studien und Metaanalysen untersuchen Patient:innen mit akutem oder chronischem Rückenschmerz ohne radikuläre Ausstrahlung bzw. unterscheiden nicht zwischen Lumbalsyndrom mit oder ohne Ausstrahlung, sodass die Bewertung hinsichtlich eines spezifischen Rückenschmerzes mit Beteiligung der Nervenwurzel in Abgrenzung zum unspezifischen Rückenschmerz unsicher ist [5]. Die Wahl des einzelnen Nichtopioid-Analgetikums muss jedenfalls individuell auf die Patient:innen abgestimmt werden.

Bei Therapieresistenz bzw. starken Schmerzen können retardierte Opioide bei akuten Schmerzen kurzfristig eingesetzt werden, bei chronischen Schmerzen unter Kontrolle der Wirksamkeit auch länger. Ein fehlendes Ansprechen innerhalb von 6 Wochen sollte zum Absetzen führen. Eine Gefahr stellt die zu lange Verschreibung von Opioiden beim lumboradikulären Syndrom dar, da sich mit der Dauer der Einnahme auf längere Sicht in Analogie zum chronischen Rückenschmerz das Outcome verschlechtert und die Rückkehr an den Arbeitsplatz gefährdet sein kann [4]. Myotonolytika können kurzfristig unterstützend mit Erfolg eingesetzt werden. Die Überlegenheit einer bestimmten Substanz ist nicht belegt, Nebenwirkungen sind Sedierung mit Beeinträchtigung der Fahrtauglichkeit sowie die Gefahr der Abhängigkeit. Die orale Kortikoidgabe in einer Dosis von 50–100 mg Prednisolon pro Tag in absteigender Dosierung und sukzessivem Ausschleichen kann zu einer Funktionsverbesserung führen, wobei der empirische Eindruck einer zusätzlichen Schmerzreduktion nicht bestätigt werden konnte [6].

Beim Übergang vom akuten in einen chronischen Schmerz können auch bei der lumbalen Radikulopathie schmerzdistanzierende (Antidepressiva) und membranstabilisierende Medikamente (Antikonvulsiva) in Analogie zu anderen Schmerzsyndromen und Neuralgien eingesetzt werden, wie es auch bei Frau L. letztendlich dann der Fall war (siehe unten).

Bei der in diesem Fall angewandten interventionellen Therapie wird durch lokale Injektion schmerzstillender und entzündungshemmender Mittel an den Schmerzausgangspunkt der Nozizeption die Primärstörung direkt beeinflusst, also die durch das Bandscheibengewebe bedingte Entzündungsreaktion gezielt behandelt. Die Idee der interventionellen Schmerztherapie ist es, eine definierte anatomische Struktur zu erreichen, um eine gezielte Therapie durchzuführen oder auch um diagnostische Informationen zu erhalten. Therapeutisch ist so oftmals eine Ursachentherapie (z. B. durch Behandlung einer lokalen schmerzhaften Entzündung) möglich, ohne systemische (Neben‑)Wirkungen.

Laut der aktuellen S2k-Leitlinie zur Versorgung bei Bandscheibenvorfällen mit radikulärer Symptomatik sollten interventionelle Therapien bei Patient:innen mit akuten radikulären Symptomen eingesetzt werden. Eine rezente Metaanalyse zeigte starke Evidenz nach 1 und 3 Monaten und moderate Evidenz nach 6 und 12 Monaten hinsichtlich Schmerz- und Funktionsverbesserung [13].

Je nach Intention (diagnostisch/therapeutisch) verwendet man entweder Lokalanästhetika, Kortikosteroide oder beides zusammen. Bei der Anwendung der (risikoärmeren nichtkristallinen) Kortikosteroide ist zu beachten, dass es sich bei deren lokaler Applikation an Nervenstrukturen (epidural/periradikulär/perineural) um eine zulassungsüberschreitende („off-label“) Therapiemaßnahme handelt und dahingehend vollumfänglich aufzuklären ist.

Ein Review ergab hinsichtlich interlaminärer epiduraler Infiltrationen eine kurzeitige Besserung bei Patient:innen mit einem Bandscheibenvorfall [28]. Eine periradikuläre Therapie (PRT) zeigt bei 70 % der Patient:innen eine mindestens 50 %ige Schmerzreduktion, bei 25–40 % der Patient:innen hält die Wirkung 5 bis 12 Monate an [12]. Dieses Review konnte zeigen, dass eine PRT wirksam und effektiv ist und Operationen vermieden werden können. Bei einem Bandscheibenvorfall sind bessere Ergebnisse zu erwarten als bei einer knöchernen Foramenstenose.

Dringende Operationen sind notwendig bei fortschreitenden motorischen Ausfällen (mit Muskelkraft schlechter als 3/5), beim Cauda-Syndrom sowie bei Blasen- oder Mastdarmstörungen. Eine relative Indikation für eine Operation liegt vor, wenn trotz intensiver konservativer Behandlung über 6 bis 12 Wochen hinweg die Schmerzen nicht ausreichend gelindert werden können und eine bildgebend gesicherte Wurzelkompression vorliegt, die mit den klinischen Symptomen übereinstimmt.

Prinzipielles Ziel der Dekompressionsoperation ist neben der Besserung des sensomotorischen Defizits die Besserung der Schmerzsymptomatik. Die Beinschmerzen sind hierbei deutlich besser zu beeinflussen als die Rückenschmerzen [9]. Dennoch sollte der spontanen Besserungstendenz der Symptomatik, die in etwa 80–90 % zu erwarten ist, Rechnung getragen werden und bei Fehlen funktionell bedeutsamer motorischer Defizite zunächst eine konservative Behandlung eingeleitet werden – unter engmaschiger Kontrolle der klinischen Symptomatik. Bei unzureichender Besserung der Radikulopathie sollte jedoch der konservative Behandlungsversuch nicht unkritisch fortgesetzt werden.

Da bei Frau L. sehr wohl motorische und sensorische Ausfälle zu verzeichnen waren, wurde die Überlegung zur Operation gestellt, diese aber, wie bereits dargestellt, seitens der Patientin abgelehnt.

Initiale Therapie und Verlauf

Nach 2 Wochen Krankenhausaufenthalt wurde Frau L. mit Krücken und ausreichender Schmerzmedikation nach genanntem Vorgehen entlassen. Circa 3 Monate nach Beginn der ursprünglichen Symptomatik, begann sie mit einer ambulanten Physiotherapie. Während des 3 Monate anhaltenden Krankenstandes wurde eine multimodale Therapie initiiert, die manuelle Therapie, Edukation, und schrittweises Training umfasste. Zum Zeitpunkt des Beginns der Physiotherapie war die Medikation wie folgt: Pregabalin 75 mg, Metamizol, Dronabinol und Hydromorphon bei Bedarf.

Symptomatik und psychosoziale Faktoren

Frau L. berichtete von dominanten Schmerzen im Bein, die brennend, elektrisierend und blitzartig einschießend auftraten, begleitet von Taubheit im vorderen Fußballen und bandförmigen Schmerzen. Die Schmerzen waren rund um die Uhr präsent, nachts besonders stark und führten zu erheblichen Schlafstörungen. Tagsüber traten minimale Verbesserungen erst ab Mittag auf. Zusätzlich hatte die Patientin eine ausgeprägte Angst vor Bewegungen, war ständig erschöpft, zeigte Anzeichen von beruflichem Stress und berichtete auch von einem früheren Burnout.

Physiotherapeutisch erfolgte in der ersten Einheit neben der dargestellten subjektiven Untersuchung eine neurologische Basisuntersuchung mit Überprüfung der Muskelkraft und Sensorik der unteren Extremität und Testung der Patellar- und Achillessehnenreflexe. Es zeigten sich dabei eine Abschwächung der Muskelkraft des Großzehenhebers (Kraftgrad 3/5) links und eine Dysästhesie der Fußsohle, jedoch keine Taubheit. Auch der Achillessehnenreflex zeigte sich abgeschwächt. Dieser Reflex wird über den Nervus tibialis vermittelt und eigentlich in Motoneuronen des Segments S1, allerdings auch der Nachbarsegmente L5 und S2, verschaltet.

Funktionell wies die Patientin einen Shift nach rechts auf und war in alle Bewegungsrichtungen massiv eingeschränkt. Diese Einschränkung war einerseits schmerzbedingt, andererseits aber auch durch die Angst vor möglichen Schmerzen und einer Wiederverletzung. Auch der neurodynamische Test „Straight Leg Raise“ (SLR, oder auch Lasegue-Lazarevic) erwies sich als positiv im Sinne einer Schmerzprovokation im Bein und im Rücken bzw. durch die entsprechenden differenzierenden Bewegungsmanöver über den Vorfuß. Ein SLUMP-Test war zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich.

Eine für die Patientin positive Symptommodulation konnte durch die Lagerung in Seitenlage rechts mit eingestellter Flexion und Lateralflexion nach rechts erreicht werden, dabei war die manuell durchgeführte Traktion longitudinal zusätzlich hilfreich (siehe Abb. 2).

Dass es Möglichkeiten gibt, die Symptomatik mechanisch zu modulieren, ist für viele Patient:innen eine Maßnahme, welche vor allem in der akuten Phase beruhigend und stressreduzierend wirken kann.

Background-Info zu ersten edukativen Schritten

Für Frau L. ist in der Behandlung die Patient:innenedukation von zentraler Bedeutung. Diese zielt in erster Linie darauf ab, Fragen zu beantworten und mögliche Bedenken auszuräumen. Im Fokus sind dabei drei zentrale Fragen:

  • Was habe ich?

  • Ist es gefährlich?

  • Wie lange wird es dauern? [1]

Schmid et al. (2021) betonen die Wichtigkeit der psychosozialen Risikofaktoren für die Entwicklung und Aufrechterhaltung von Schmerz. Nervenkompressionssyndrome können schwere psychosoziale Folgen nach sich ziehen, da viele verschiedene Lebensbereiche beeinträchtigt sein können [24]. Es ist daher von immenser Wichtigkeit, Patient:innen über leitlinienkonforme Therapieoptionen zu informieren.

Die Empfehlung geht klar zur konservativen Behandlung, bevor invasivere Optionen erwogen werden. Ein für alle Patient:innen gleicher Therapieansatz scheint aufgrund unterschiedlicher Pathomechanismen und verschiedenen beitragenden Faktoren keine Erfolge zu bringen. Zur personalisierten Therapie bedarf es eines multidimensionalen Profils der Patient:innen im Sinne des biopsychosozialen Modells. Hier soll bei den dominierenden Faktoren angesetzt werden. Mit der Absicht, das Selbstmanagement von Patient:innen zu fazilitieren, orientiert sich die individualisierte Therapie an den Treibern der Patient:innen. Der Behandlungsplan benötigt ein klares Patient:innen-orientiertes Ziel. Idealerweise ist im multimodalen Setting eine Person für den gesamten klinischen Prozess verantwortlich [8].

Im Fall von Frau L. geht es zuerst um eine verbesserte Schlafhygiene zur Verbesserung ihrer Schlafqualität. Auch dies gehört zum multimodalen Management des Rückenschmerzes [14, 21, 22].

Es ist die Aufgabe der Angehörigen der Gesundheitsberufe, Patient:innen über alle Zusammenhänge aufzuklären. Zentral dabei ist wohl das Verständnis, dass Schmerzen nicht zwangsläufig bedeuten, dass der Rücken zerstört ist. In erster Linie geht es um eine Sensibilisierung von Strukturen. Damit Patient:innen ihrem Rücken in Zukunft auch wieder vertrauen können, ist es unabdingbar, sie hier – orientiert an den Leitlinien – adäquat aufzuklären.

Es mag sein, dass es pathoanatomische oder biomechanische Erklärungsmodelle gibt, die für manche Patient:innen absolut geeignet sind. Wesentlich häufiger ist allerdings eine Kombination von genetischen, pathoanatomischen, physischen und neurophysiologischen Faktoren wie auch Lifestyle, kognitive und psychosoziale Umstände, welche für die Problematik beitragend sein können. Effektives Management bei anhaltenden Schmerzen benötigt ein klares Verständnis aller Faktoren, die den Schmerz aufrechterhalten und triggern können und graduierte Strategien, um Bewegungsmuster zu normalisieren und zu optimieren [19, 27]. Psychosoziale Faktoren und Stressoren müssen dabei ebenso adressiert und gegebenenfalls behandelt werden [15]. Auch Lemmers et al. (2024) halten fest, dass das zunehmende Wissen um physische Aktivität wichtig ist, um den Heilungsprozess zu beschleunigen [11]. Dabei kommt es allerdings auf die richtige Balance an, wobei Therepeut:innen eine wertvolle Ressource darstellen.

Therapieansätze und Management

Die physiotherapeutische Behandlung konzentrierte sich auf folgende Schwerpunkte:

  1. 1.

    Lagerung und Schlafmanagement: Optimierung der Schlafpositionen zur Reduktion der Nachtschmerzen

  2. 2.

    Manuelle Therapie: Behandlung zur Verbesserung der Mobilität und Schmerzlinderung. In diesem Fall zur Schmerzmodulation in Seitenlage inklusive Traktion (Abb. 2)

  3. 3.

    Edukation: umfassende Aufklärung über die Pathophysiologie von Schmerzen, Schmerzmechanismen und neuroimmunologische Prozesse

  4. 4.

    Graded Activity: langsame Steigerung der Aktivitäten, beginnend mit leichten Beinbelastungen und Gehtraining, um die Bewegungsfähigkeit zu verbessern. Zusätzliche, aber auch funktionelle Expositionstherapie mit dem Ziel, auch angstbesetzte Bewegungen zu trainieren (zum Beispiel Bücken, Belastung des Beins)

  5. 5.

    Medikamentenmanagement: Unterstützung bei der richtigen Anwendung und Dosierung von Schmerzmedikamenten durch den behandelnden Arzt

Abb. 2
figure 2

Schmerzmodulation in der Akutphase. (© Taxer)

Vier Monate nach Beginn der Physiotherapie konnte Frau L. täglich zweimal 30 min Radfahren und maximal 90 min spazieren gehen. Die Flexionseinschränkung im Stand blieb bestehen, jedoch verschwanden die Rückenschmerzen und die neuralen Symptome im Bein dominierten. Schmerzfreie Phasen traten teilweise auf, und Frau L. konnte gut mit „Flare-ups“ umgehen, die durch mechanische oder psychische Stresssituationen ausgelöst wurden. Die Medikation mit Pregabalin wurde gut vertragen, ein individuelles Ansprechen zeigte sich interessanterweise bereits bei einer Tagesdosis von 75 mg.

Zusammenhang Edukation und Kinesiophobie

Angst vor Bewegung bzw. Neu- oder Wiederverletzung stehen in engem Zusammenhang mit Depression, Katastrophisieren, Angst vor Schmerzen, Vermeidungsverhalten und funktionellen Beeinträchtigungen [23]. Ein hoher Score auf der Tampa Scale of Kinesiophobia (TSK) korreliert demnach signifikant mit einem hohen Level an generalisierter Angst vor Schmerz, angstvermeidenden Glaubenssätzen, emotionalen, kognitiven und weiteren Verhaltensaspekten, die von Vermeidung gekennzeichnet sind, wie auch Hilf- und Hoffnungslosigkeit sowie Katastrophisieren und Vermeidung von sozialen und physischen Aktivitäten. Die TSK ist eine 11 Items (auch mit 4, 14 und 17 Items erhältlich) umfassende Skala zur Bewertung der Angst vor Bewegung oder (erneuter) Verletzung. Arnold et al. (2014) betonen den Rückzug von körperlichen und sozialen Aktivitäten und sehen in der multimodalen Schmerztherapie einen geeigneten Lösungsansatz [2]. Die TSK ist allerdings kein geeignetes Screening-Tool, um zukünftigen Rückenschmerz vorauszusagen oder den Behandlungserfolg bei Patient:innen abschätzen zu können und eine Prognose zu treffen [7]. Bewegungsangst entwickelt sich wahrscheinlich unabhängig von der Intensität der Symptome, Beeinträchtigungen und Arbeitsstatus.

Negative Glaubenssätze über Schmerz und falsche Informationen können zu Katastrophisieren und zu Vermeidung von Bewegung führen [17]. Je besser Patient:innen allerdings über die (Schmerz‑)Physiologie aufgeklärt werden, desto geringer wird die aktivitätsbezogene Angst. Das bedeutet, dass sich Behandler:innen bewusst sein müssen, dass eigene kinesiophobische Ansätze Patient:innen beeinflussen. Es lohnt sich daher, achtsam gegenüber eigener Überzeugungen zu sein und das eigene Verhalten gut zu reflektieren [10].

In der Kommunikation mit Frau L. ist zu beachten, dass schmerzbezogene Äußerungen und negatives Wording die Schmerzintensität der Patient:innen signifikant steigern könnten [20]. Information gegenüber Patient:innen – wie „Passen Sie auf Ihren Rücken auf“ – sollten kritisch betrachtet werden, da dieses rein negative Wording im Sinne eines „over-protective behavior“ anhaltende Schmerzen sogar fördern kann [25].

Sprache stellt einen iatrogenen Faktor dar, um „low back pain“ zu fazilitieren. Daher ist es von immenser Wichtigkeit, achtsam mit verbalen Tools umzugehen. Es gibt keine Evidenz, korrekte Haltungen zu empfehlen, um Rückenschmerz präventiv zu begegnen oder Schmerz bzw. Beeinträchtigung zu reduzieren. Es kann sogar symptomlindernd sein, Patient:innen beizubringen, entspanntere Haltungen einzunehmen mit der Zusicherung, dass diese Positionen sicher sind. Komfortable Positionen variieren von Individuum zu Individuum, daher macht es Sinn, sich in der bereits erwähnten graduierten Bewegungssteigerung in einem ersten Schritt mit Patient:innen gemeinsam anzusehen, welche Positionen sie als entlastend empfinden. Wichtig ist allerdings auch, dass eine Steigerung folgt. Haltungen, die in einem akuten Setting entlastend sind, sind im weiteren Verlauf häufig nicht mehr nötig, und es liegt in unserer Verpflichtung, Patient:innen wieder zu Bewegungen zu motivieren, die sie vielleicht schon seit geraumer Zeit vermieden haben.

Aus einer aktuellen randomisierten, kontrollierten Studie geht hervor, dass ein simples Geh-Programm (WalkBack) ein sehr (kosten)effektives Programm sein könnte, sofern es mit einer guten Erklärung und individualisierter, progressiver Steigerung verbunden ist [18]. Es kam in diesem Programm zu einer signifikanten Verbesserung hinsichtlich wiederkehrender Rückenschmerzen. Neben edukativen Elementen wie dem Basisverständnis der Schmerzwissenschaften und dem Zusammenhang zwischen Angst, die mit Rückenschmerz verbunden ist, und die Wichtigkeit der Reduktion dieser, inkludierte das Programm fünfmal pro Woche Gehen im Ausmaß von zumindest 30 min. Dieses Guideline-konforme Vorgehen steigerte das Selbstmanagement der Patient:innen.

Auch im Fall von Frau L. ist zu erkennen, dass sich ihre Symptomatik durch selbstwirksame Maßnahmen, wie anfänglich Spazierengehen und in weiterer Folge Nordic Walking, deutlich reduzierte und stabilisierte.

Langfristige Ergebnisse nach einem Jahr

Ein Jahr nach Beginn der multimodalen Therapie betrieb Frau L. vier- bis fünfmal pro Woche moderates Ausdauertraining wie Radfahren oder Nordic Walking. Sie absolvierte ein umfassendes Trainingsprogramm, das muskuläres Krafttraining, Entspannungstraining und Ausdauer umfasste. Frau L. war schmerzfrei, zeigte keine Symptome im Bein und konnte wieder ihrer Arbeit im Gastgewerbe nachgehen. Sie benötigte keine Schmerzmedikationen mehr. Tatsächlich profitieren konnte sie von einem regelmäßigen Follow-up im Rahmen eines telemedizinischen Vorgehens, wo es um die Reflexion subjektiver und objektiver Parameter ging.

Schlussfolgerung

Der Verlauf von Frau L. zeigt, dass eine Patient:innen-zentrierte, multimodale Therapie auch bei langjähriger Schmerzhistorie und komplexer Symptomatik zu einer deutlichen Verbesserung und sogar zur vollständigen Schmerzfreiheit führen kann. Dies betont die Notwendigkeit, individuelle Therapiepläne zu entwickeln, die sowohl körperliche als auch psychosoziale Aspekte berücksichtigen.