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Liebe Kolleginnen und Kollegen,

der öffentliche Diskurs ist aktuell von hitzigen genderpolitischen Debatten geprägt. Über die Verwendung von Gendersternchen und die Einführung von Quoten lässt sich vortrefflich streiten. Inzwischen führt der Begriff „gender“ jedoch bei einem relevanten Teil der Bevölkerung schnell zu einer inneren Reaktanz und Abwehrhaltung. Dabei sollte stets zwischen Geschlechterforschung und Gleichstellungspolitik unterschieden werden.

In der Medizin wird zunehmend anerkannt, dass biologische und soziokulturelle Geschlechtsunterschiede einen erheblichen Einfluss auf die Gesundheit und Behandlung von Patienten haben können [1, 3, 7, 11, 14]. Dies gilt auch für die Orthopädie und die Kniechirurgie, wo geschlechtsspezifische Unterschiede in Anatomie, Physiologie und Krankheitspräsentation eine wichtige Rolle spielen [16, 17]. Die Gendermedizin, die sich mit diesen Unterschieden befasst und nach geschlechtsspezifisch angepassten Ansätzen in der medizinischen Versorgung sucht, gewinnt daher zunehmend an Bedeutung.

Das Kniegelenk war im Bereich der Orthopädie sogar ein Vorreiter auf diesem Gebiet. Bereits in den 1990er-Jahren haben verschiedene Studien bei Sportlerinnen eine höhere Anfälligkeit für Knieverletzungen, insbesondere Verletzungen des vorderen Kreuzbandes, im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen festgestellt [1, 10, 14]. Als Erklärung für die geschlechtsspezifische Verletzungsprävalenz konnten verschiedene Faktoren identifiziert werden: Anatomische Unterschiede [1], hormonelle Faktoren [6], aber auch neuromuskuläre Unterschiede mit unterschiedlichen Bewegungsmustern [9]. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse wurden nachfolgend Übungsprogramme entwickelt, um die neuromuskulären Risikofaktoren zu modifizieren [12, 13]. Eine Weiterentwicklung dieser Ansätze ist das Stop‑X Programm der Deutschen Kniegesellschaft [12, 13].

Trotz des zunehmenden Bewusstseins für geschlechtsspezifische Unterschiede in der Knieanatomie und Pathologie verzichten wir häufig darauf medizinische Erkenntnisse auf ihre geschlechtsspezifische Gültigkeit zu prüfen. Viele medizinische Leitlinien und Behandlungsansätze sind heute immer noch weitgehend geschlechtsneutral und basieren vorrangig auf Daten des männlichen Geschlechts. Dies kann dazu führen, dass einzelne Patientengruppen abhängig von ihrem Geschlecht möglicherweise nicht die optimale medizinische Versorgung für ihre spezifischen Bedürfnisse erhalten. Hiervon sind maßgeblich Frauen betroffen. Das Beispiel der Osteoporose zeigt hingegen, dass auch das männliche Geschlecht durch eine genderneutrale Betrachtungsweise benachteiligt sein kann.

Geschlechtsspezifisch angepasste Ansätze in der medizinischen Versorgung gewinnen zunehmend an Bedeutung

Aus diesem Grund möchten wir uns im aktuellen Themenheft des Knie Journal auf dieses Thema konzentrieren und geschlechtsspezifische Unterschiede verschiedener relevanter Themen beleuchten. Von der Kreuzbandläsion bis zur Endoprothetik wollen wir diskutieren, ob ein geschlechtsspezifischer Ansatz die Behandlungsergebnisse verbessern und die Gesundheit von Patienten optimieren kann.

So erlauben aktuelle Registerdaten spannende Erkenntnisse aus dem Bereich der Knorpeltherapie, die möglicherweise zu geschlechtsspezifischen Behandlungsansätzen führen könnten [6]. Auch die Kreuzbandchirurgie steht weiterhin im Fokus, hier konnten sich trotz der Vorreiterrolle bislang keine geschlechtsspezifischen Behandlungsstrategien etablieren [16]. Ein bekanntes genderrelevantes Thema betrifft auch die Beinachse: Haben Frauen wirklich häufiger ein X‑Bein? Dieser Frage gehen Schubert et al. in ihrem Beitrag nach [17]. Bellemans et al. haben in einer Studie zum konstitutionellen Varus bereits zeigen können, dass die Prävalenz des Genu varum bei Männern signifikant häufiger ist [2]. Unterschiedliche Grenzwerte im Hinblick auf Umstellungsosteotomien oder geschlechtsspezifische „Alignement“-Strategien für die Endoprothetik haben sich in der klinischen Praxis aber noch nicht durchgesetzt. In der Endoprothetik war das Thema „gender knee“ ja vor Jahren schon einmal aktuell und wurde kontrovers diskutiert. Braun und Gwinner stellen in ihrem Beitrag den Stellenwert von „Gender-Implantaten“ in der Knieendoprothetik dar.

Ein Grund für das steigende Interesse an geschlechtsspezifischen Behandlungsstrategien ist auch in der wachsenden Präsenz von Frauen in der Orthopädie zu sehen. War unser Fach früher vor allem eine Männerdomäne, so steigt der Anteil weiblicher ärztlicher Mitarbeiter kontinuierlich. Studien haben sogar zeigen können, dass die Behandlungserfolge weiblicher Patientinnen besser sein können, wenn diese von Chirurginnen operiert wurden [18]. Das Umgekehrte gilt allerdings auch für Männer, die von Chirurgen operiert wurden [18]. Eine schwedische Studie zur Cholezystektomie konnte außerdem zeigen, dass Frauen zwar langsamer operieren, die postoperativen Ergebnisse aber besser waren als bei ihren männlichen Kollegen [4].

Welche weiblichen Einflüsse zu diesen Ergebnissen geführt haben, konnte bis dato nicht geklärt werden. Sicher ist jedoch, dass die steigende weibliche Präsenz in orthopädischen Abteilungen zur Erweiterung von Perspektiven und Innovation beitragen kann. Es konnte z. B. gezeigt werden, dass diverse Teams oft kreativere Lösungen entwickeln und bessere Ergebnisse erzielen [20]. Typisch männliche Attribute (z. B. Risikobereitschaft) und weibliche Eigenschaften (z. B. Risikovermeidung) können sich sinnvoll ergänzen und somit zum Gesamterfolg eines Teams beitragen [19, 20]. Die Einbeziehung von Frauen in die orthopädische Praxis und Forschung eröffnet daher neue Möglichkeiten für Fortschritt und Verbesserung in der Patientenversorgung.

Trotz vieler Fortschritte gibt es immer noch Herausforderungen, denen sich Frauen in der Orthopädie gegenübersehen. Auch wenn in einigen Abteilungen auf Assistenzarzt und Facharztebene schon teilweise eine Geschlechtsparität besteht, sind auf Führungsebene noch erhebliche Ungleichgewichte zu sehen, die unter anderem mit bestimmten gesellschaftlichen Erwartungen zusammenhängen. Auch historische Vorurteile und Stereotypen können dazu führen, dass Frauen auf dieser Ebene noch unterrepräsentiert sind oder mit Vorurteilen konfrontiert werden. Dieser Aspekt wird im letzten Beitrag zu diesem Themenkomplex von Mair et al. [11] beleuchtet. Es erscheint uns wichtig, auf diese Hindernisse hinzuweisen, um eine gerechte und gleichberechtigte Umgebung zu schaffen, in der Frauen ihr volles Potenzial entfalten können. So konnten insbesondere im Hinblick auf das Thema „Operieren in der Schwangerschaft“ in den letzten Jahren Empfehlungen entwickelt werden, die den Umgang mit diesem Thema erleichtern [8]. Dass hier Regelungen sinnvoll sind, zeigen alarmierende Berichte über eine erhöhte Rate an Schwangerschaftskomplikationen bei amerikanischen Chirurginnen [15]. Ähnlich besorgniserregend, aber bisher wenig beachtet sind erhöhte Raten an Brustkrebserkrankungen unter orthopädischen Chirurginnen. Im arbeitsmedizinischen Kontext gilt es hier den Blick für eine personalisierte Schutzausrüstung zu schärfen [5].

Insgesamt bietet unser Themenheft einen umfassenden Überblick über die Rolle der Gendermedizin in der Kniechirurgie und unterstreicht die Bedeutung eines geschlechtsspezifischen Ansatzes für eine personalisierte und wirksame Gesundheitsversorgung. Wir hoffen, dass diese Ausgabe dazu beiträgt, das Bewusstsein für geschlechtsspezifische Gesundheitsunterschiede zu schärfen und einen Dialog darüber anzuregen, wie wir die Gesundheitsversorgung gerechter und effektiver gestalten können.