Typ-1-Diabetes (T1D) ist die häufigste Stoffwechselerkrankung im Kindes- und Jugendalter. Jährlich erkranken 2300 Kinder in Deutschland, und die Inzidenz steigt kontinuierlich an [1]. Betroffene sind zu über 90 % Kinder aus der Allgemeinbevölkerung ohne einen Verwandten mit T1D. Die Erkrankung trifft die Familien daher meist völlig überraschend und unvorbereitet. Früherkennungsprogramme, präventive Studien und Schulungen betroffener Familien bieten daher nicht nur die Möglichkeit, Familien auf diese Erkrankung vorzubereiten, sondern stellen ein wichtiges Mittel dar, im Kampf gegen T1D erfolgreich zu sein.

Die Ursache für Typ-1-Diabetes (T1D) ist eine Autoimmunerkrankung, die sich schleichend entwickelt. Ein frühes Stadium des T1D liegt bei Anwesenheit von mindestens 2 verschiedenen Autoantikörpern vor ([2, 3]; Tab. 1). Da es in diesem Stadium noch nicht zur Ausbildung von Symptomen kommt, bleibt der T1D meist viele Jahre unerkannt, bis er sich schlagartig mit oftmals lebensbedrohlichen Symptomen manifestiert. Die schwerwiegendste Akutkomplikation stellt dabei die diabetischen Ketoazidose (DKA) dar. Aber auch Langzeitschäden wie arterielle und neurologische Erkrankungen können die Folge eines spät diagnostizierten T1D sein, denn der Erfolg der Blutzuckerspiegelkontrolle hängt häufig davon ab, wie gut sich der Diabetes zu Beginn der Erkrankung einstellen lässt. Früherkennungsstudien bieten die Möglichkeit, Kinder mit einem erhöhten Risiko frühzeitig zu identifizieren und zu beobachten. Zudem erlauben sie es, jungen Menschen mit einem erhöhten Risiko oder in einem Frühstadium der Erkrankung die Teilnahme an Präventionsstudien anzubieten, welche das Ziel haben, die Entstehung des T1D zu verhindern oder zu verzögern.

Tab. 1 Typischer Verlauf des Typ-1-Diabetes (T1D). (Mod. nach [2, 3])

Studien zur Früherkennung des Typ-1-Diabetes (T1D)

Freder1k-Studie: Früherkennung durch genetisches Screening

Ein enormes innovatives Potenzial für die Prävention des Typ-1-Diabetes (T1D) liegt in der Früherkennung. Neben demografischen Faktoren sind heute individuelle Risiken wie familiäre Belastung und definierte Risikogene bekannt, die das individuelle Risiko, an einem T1D zu erkranken, beeinflussen. Durch genetische und immunologische Untersuchungen können das Erkrankungsrisiko bestimmt und früh eine Diagnose gestellt werden, noch bevor Krankheitszeichen auftreten.

Mit der Freder1k-Studie der europäischen Initiative GPPAD („global platform for the prevention of autoimmune diabetes“, https://www.gppad.org/index.html) zur Früherkennung von T1D durch genetisches Screening wird seit Oktober 2017 Familien in Deutschland (Bayern, Sachsen [4], Niedersachsen), Schweden, UK (Vereinigtes Königreich), Belgien und Polen erstmals die Möglichkeit angeboten, ihr Kind nach der Geburt auf ein angeborenes T1D-Risiko hin untersuchen zu lassen. Diese Untersuchung wird zudem in ganz Deutschland allen Familien angeboten, deren Kind einen Verwandten 1. Grades (Vater, Mutter, leibliches Geschwisterkind) mit T1D hat. Im Rahmen der Freder1k-Studie (Abb. 1) wird dem Neugeborenen nach Einwilligung durch die Eltern beim gesetzlichen Neugeborenenscreening eine winzige Menge Blut durch einen kleinen Stich in die Ferse, aus der Nabelschnur oder aus der Vene abgenommen und auf eine separate sog. Freder1k-Filterpapierkarte getropft. Aus dieser Blutprobe wird die DNA (Desoxyribonukleinsäure) extrahiert und nachfolgend auf eine Auswahl bekannter genetischer Marker, die im Zusammenhang mit einer genetischen Veranlagung für T1D stehen, untersucht. Dabei wird ein Diabetesrisikoscore errechnet [5], mit dessen Hilfe sich Kinder mit einem Risiko von 1:10 identifizieren lassen, die dann als Hochrisikokohorte angesehen werden können. Etwa 1 % oder 10 von 1000 Kindern tragen Hochrisikogene. Anhand der familiären T1D-Historie (Verwandter 1. Grades mit T1D) werden dabei 2 Risikogruppen ermittelt:

  1. 1.

    Neugeborene mit einem Verwandten 1. Grades mit T1D bei Vorliegen eines HLA-DR4-DQ8-Genotyps (HLA: humanes Leukozytenantigen) und ohne Aufweisen der folgenden protektiven Allele: HLA-DRB1*1501, HLA-DQB1*0503, HLA-DRB1*1303 und

  2. 2.

    Neugeborene mit einem HLA-DR3/DR4-DQ8- oder -DR4-DQ8/DR4-DQ8-Genotyp und einem genetischen Risikofaktor > 14,4 oder einen HLA-DR3/DR4-DQ8-Genotyp mit einem Risikofaktor zwischen 14,0 und 14,4 und einem GG-Genotyp im rs3763305 SNP (SNP: „single nucleotide polymorphism“).

Abb. 1
figure 1

Design der Freder1k-Studie zum bevölkerungsbasierten Screening auf das Risiko für Typ-1-Diabetes (T1D), HLA humanes Leukozytenantigen, SNP „single nucleotide polymorphism“. (Mod. nach [4])

Durch die Risikoanalyse kann bei Betroffenen ein 25-fach erhöhtes Risiko von über 10 % ermittelt werden, innerhalb der ersten 6 Lebensjahre β‑Zell-Autoantikörper und damit später die Erkrankung zu entwickeln [5].

Seit Studienbeginn nahmen 250.539 Kinder am Screening teil (Stand: März 2021), dabei lag die Rate an Kindern mit einem erhöhten genetischen Risiko für T1D bei 1,14 %. Kindern mit einem erhöhten genetischen T1D-Risiko werden eine Nachbeobachtung bzw. die Möglichkeit zur Teilnahme an einer Präventionsstudie angeboten.

Fr1da‑/Fr1dolin-Studien: Früherkennung durch Immundiagnostik

Im Rahmen des Autoimmunprozesses können die diabetesassoziierten Inselautoantikörper gegen Glutamatdekarboxylase (GADA), insulinomassoziiertes Antigen 2 (IA-2A), Insulin (IAA) und Zinktransporter 8 (ZNT8-A) im Blut bestimmt werden. Sie sind schon lange bevor es zu einer klinischen Diagnose und symptomgetriggerten Manifestation der Erkrankung kommt, im Blut nachweisbar [2]. Bis heute wird ein Typ-1-Diabtes (T1D) in vielen Fällen erst festgestellt, wenn es zu einer ernsthaften, lebensbedrohlichen Stoffwechselentgleisung, der Ketoazidose, gekommen ist. Eine späte Diagnosestellung mit DKA ist für Patient und Familie belastend und verlängert die Hospitalisierung. Um das zu verhindern, wurden Früherkennungsprogramme erstmalig in Deutschland ins Leben gerufen: die Fr1da-Studie in Bayern im Januar 2015 und die Fr1dolin-Studie in Niedersachsen im November 2016. Zudem soll die Fr1da-Studie in Sachsen und Fr1da im Norden (Bremen, Niedersachsen, Hamburg) als Fortsetzung der Fr1dolin-Studie ab Mitte 2021 angeboten werden. Junge Menschen (im Alter von 1,75–10,0 Jahren) werden in einem bevölkerungsweiten Screening innerhalb des Fr1da-Studie-Konsortiums auf Inselautoantikörper hin getestet. Insbesondere junge Kinder mit mindestens 2 der genannten Inselautoantikörper entwickeln mit über 98 %iger Wahrscheinlichkeit einen insulinpflichtigen T1D bis zum 18. Geburtstag. In den 3 größten Geburtskohortenstudien BABYDIAB, DAISY („diabetes autoimmunity study in the young“) und DIPP („diabetes prevention and prediction“) wurde ein 10-Jahres-Risiko von 75 % festgestellt, wenn Autoantikörper bereits vor dem 5. Lebensjahr nachweisbar waren [6].

Ein positiver Screeningbefund muss durch eine zweite Untersuchung bestätigt werden

Die Screeninguntersuchungen (Fr1da) können im Rahmen der gesetzlichen Vorsorge (U-Untersuchungen) bzw. anderer Kinderarztbesuche erfolgen. Hierzu wird eine kleine Menge (200 µl) Kapillarblut benötigt. Die Bestimmung der Inselautoantikörper erfolgt im Institut für Diabetesforschung am Helmholtz Zentrum München. Ein positiver Befund muss durch eine 2. Untersuchung bestätigt werden. Kinder mit einem Frühstadium des T1D werden regelmäßig beobachtet, um eine Entgleisung des Glukosestoffwechsels frühzeitig zu erkennen. Zudem besteht die Möglichkeit einer Teilnahme an der Fr1da-Interventionsstudie, in der die Manifestation des T1D herausgezögert oder im besten Fall sogar verhindert werden soll.

In beiden Früherkennungsprogrammen wird die elterliche Belastung durch die Studienteilnahme mit Hilfe eines standardisierten Vorgehens erfasst und in Kooperation mit der Abteilung Medizinische Psychologie, Medizinische Hochschule Hannover, ausgewertet. Bis heute nahmen über 134.000 Kinder an der Fr1da-Studie in Bayern und über 15.000 Kinder an der Fr1dolin-Studie in Niedersachsen teil.

Studien zur Prävention und Behandlung des Frühstadiums des Typ-1-Diabetes (T1D)

POInT/Fr1da-Interventionsstudie – mit oral verabreichtem Insulin

Bisher gibt es keine therapeutische Möglichkeit, eine Entstehung von Typ-1-Diabetes (T1D) zu verhindern. Daher wird Säuglingen mit einem erhöhten genetischen Risiko für T1D seit Februar 2018 die Teilnahme an der internationale Präventionsstudie POInT („primary oral insulin trial“) angeboten (Abb. 2). Dabei handelt es sich um eine randomisierte, plazebokontrollierte, doppelblinde, multizentrische Phase-2b-Studie. Ihr Ziel ist, durch eine täglich mit der Nahrung verabreichte Gabe von Insulin in Pulverform im Säuglings- und Kleinkindalter (bis zum 3. Geburtstag) das Immunsystem so zu modulieren, dass eine fehlerhafte Reaktion gegen die körpereigenen insulinproduzierenden β‑Zellen und folglich eine Entstehung von T1D verhindert werden. Denn das körpereigene Insulin ist oft die erste Struktur, gegen die sich die Immunreaktion bei T1D richtet. Die Proteinstruktur des oral eingenommenen Insulins wird durch die Magensäure zersetzt, eine Wirkung auf den Blutzuckerspiegel ist somit nicht zu befürchten.

Abb. 2
figure 2

Prävention mit oral verabreichtem Insulin zur Behandlung von Kindern mit einem erhöhten genetischen Risiko für Typ-1-Diabetes (T1D) – Studiendesign der POInT-Studie, POInT „primary oral insulin trial“

Der Effekt des Immuntrainings kann mit dem zur Prävention einer Erdnussallergie verglichen werden. So entwickelten Kleinkinder deutlich weniger Allergien, wenn sie bereits beginnend im Säuglingsalter täglich mit Erdnussbestandteilen in der Nahrung in Kontakt kamen, sogar auch, wenn bereits eine Sensibilisierung mit Erdnüssen bestand [7].

In verschiedenen Pilotstudien (Pre-POInT und „Pre-POInT early“) wurden bereits vielversprechende Ergebnisse mit dieser Form der präventiven Behandlung erzielt [8, 9]. So konnte eine insulinspezifische, tolerogene Immunantwort durch die regelmäßige Einnahme von Insulinpulver induziert werden [8]. Sowohl der richtige Zeitpunkt der Insulingabe als auch deren Dosis sind für einen Erfolg entscheidend. So sind Kinder mit einem erhöhten genetischen T1D-Risiko zwischen dem 6. Lebensmonat und dem 3. Lebensjahr für eine fehlerhafte Immunreaktion gegen Insulin besonders empfänglich [10, 11]. Daher scheint ein gezieltes Training des Immunsystems im 1. Lebensjahr besonders sinnvoll zu sein. Um gezielt die Immunabwehr so früh wie möglich zu modulieren, werden Kinder bereits in einem Alter von 4–7 Monaten in die POInT-Studie eingeschlossen.

Das Insulin (oder Plazebo) wird während der Interventionsphase 1‑mal täglich zusammen mit einer Mahlzeit bis zu einem Alter von 3 Jahren eingenommen. Dabei wird die Insulindosis in 2 Schritten von anfänglichen 7,5 mg auf 22,5 mg bis zur Dosis von 67,5 mg (entsprechen ca. 1800 Einheiten Insulin) gesteigert. Diese Dosen erwiesen sich in den Pilotstudien als wirksam und sicher. So traten bei keinem der an Pre-POInT und „Pre-POInT early“ teilnehmenden Kinder nach Einnahme der Studienmedikation unerwünschte Ereignisse auf [8].

Ein gezieltes Training des Immunsystems ist im 1. Lebensjahr besonders sinnvoll

Auf die Interventionsphase folgt eine Nachbeobachtungsphase bis zu einem Alter von maximal 7,5 Jahren. Während der gesamten Studiendauer finden regelmäßige medizinische Untersuchungen statt, um die Bildung von Inselautoantikörpern im Blut zu testen. So können ein beginnender T1D frühzeitig erkannt und eine starke Stoffwechselentgleisung vermieden werden – wovon auch die Kinder profitieren, welche nur Plazebo erhalten.

Von den insgesamt 1040 Plätzen der europaweiten POInT-Studie wurden 1015 bis Mitte März 2021 an Kinder aus Deutschland (Bayern, Sachsen, Niedersachsen), Polen, Belgien, Schweden und England vergeben (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Übersicht der Teilnehmer der POInT-Studie europaweit (Stand Anfang März 2021), UK Vereinigtes Königreich

Einen ähnlichen Ansatz wie die POInT-Studie verfolgt die Fr1da-Interventionsstudie. Bei ihr sollen durch Desensibilisierung mit oral verabreichtem Insulin bei Kindern mit mindestens 2 positiven Inselautoantikörpern (asymptomatisches Frühstadium) ein Fortschreiten zum symptomatischen Diabetes verhindert und die β‑Zell-Funktion erhalten werden. Insgesamt sind hier 209 von 220 Kindern im Alter zwischen 2 und 12 Jahren rekrutiert. Die Behandlung erfolgt mit täglicher oraler Insulingabe (7,5 mg für 3 Monate, gefolgt von 67,5 mg für 9 Monate; n = 110) oder Plazebo (n = 110).

Studien zur Sekundär‑/Tertiärprävention durch Immunmodulation

Ergänzend zu den oben genannten Studien bestehen aktuell diverse Ansätze für eine Sekundär- bzw. Tertiärprävention. Die Immunpathogenese des Type-1-Diabetes (T1D) führt zu einer T‑Zell-vermittelten Zerstörung von β‑Zellen in genetisch prädisponierten Personen. Nach Aktivierung der Autoimmunität kommt es durch Vermittlung von CD4+- (CD: „cluster of differentiation“) und CD8+-T-Zellen zu einer direkten β‑Zell-Destruktion. Die Herausforderung für neue medikamentöse Ansätze liegt in der polygenen Natur des T1D und dem komplexen Zusammenspiel aus Genetik und Umweltfaktoren, die das Gesamtrisiko eines Menschen definieren. Immunsuppressive Ansätze zur Prävention des T1D zeigten keinen nachhaltigen Erfolg. So wurde in einer Studie mit Ciclosporin A [12] bei neu aufgetretenem T1D zwar ein Rückgang des Bedarfs an exogenem Insulin nachgewiesen, allerdings machte die Nierentoxizität eine Beendigung der Therapie erforderlich. In einer Studie mit Rituximab, einem monoklonalen Anti-CD20-Antikörper, zeigte sich nach 6 Monaten kein Effekt auf die endogene Insulinproduktion, allerdings waren die Gesamt-IgM- (Ig: Immunglobulin) und CD19+-Parameter nachhaltig erniedrigt, weswegen aktuell die Gefahr einer chronischen Immunsuppression durch Rituximab als zu hoch eingeschätzt wird und dieser Ansatz verlassen wurde [13].

In aktuellen Ansätzen zur Tertiärprävention des T1D (Abb. 4) wird versucht, durch Immunmodulation die Reaktion auf ein spezifisches Alloantigen so zu beeinflussen, das es als nichtfremd eingestuft wird. Eine wiederholte Gabe des Wirkstoffs führt dann zu einer anhaltenden Tolerierung dieses Alloantigens. Klinisch zielen diese Versuche auf die Aufrechterhaltung der zum Manifestationszeitpunkt noch vorhandenen β‑Zell-Funktion und somit der endogenen Insulinproduktion bei T1D ab, was zu einer Verlängerung der Remissionsphase („honeymoon“) nach T1D-Manifestation führt. Die Messung des stimulierten C‑Peptids nach standardisiertem MMT („mixed meal test“) stellt einen guten Parameter für die Beurteilung der körpereigenen Insulinproduktion dar. Derzeit existieren diesbezüglich verschiedene wissenschaftlich-pharmakologische Ansätze, die im Folgenden besprochen werden.

Abb. 4
figure 4

Darstellung der bisherigen klinischen Studien zum Einsatz von Teplizumab bei Typ-1-Diabetes (T1D). Die aktuelle PROTECT-Studie setzt innerhalb von 6 Wochen nach erster Insulingabe ein und versucht so, die Restfunktion der β‑Zellen aufrechtzuerhalten, AAK Autoantikörper, Innerh. v. innerhalb von

Teplizumab zur Aufrechterhaltung der β-Zellen: PROTECT-Studie

In einer präklinischen Studie an der NOD-Maus (NOD: „non obese diabetic“) konnte durch die kurzzeitige Gabe eines Anti-CD3-mAb (mAb: „monoclonal antibody“) eine langfristige Remission des Diabetes induziert werden [14]. Durch die gezielte CD3-Blockade mit Teplizumab, einem humanisierten monoklonalen Antikörper (mAb), im Rahmen einer 2‑wöchigen Therapie kam es bei Patienten mit neu aufgetretenem Type-1-Diabetes (T1D) (≤ 12 Wochen) zu einer signifikanten Verbesserung des C‑Peptid-Spiegels über 2 Jahre (bei einigen Probanden über einen Zeitraum von bis zu 5 Jahren, [15, 16]). Obwohl kein deutlich reduzierter Insulinverbrauch von < 0,5 IE/kg/Tag in einem Großteil der Probanden beobachtet wurde, stärkte der anhaltende Effekt auf das C‑Peptid nach nur einem Therapieverlauf das Vertrauen in Teplizumab, einen Zustand der langfristigen Immuntoleranz zu induzieren. Die Resultate mechanistischer Studien unterstützen die Vorstellung, dass die Langzeiteffekte auf eine Kombination der Depletion von Effektor-T-Zellen und der Erhaltung einer erhöhten Aktivität regulatorischer T‑Zellen zurückzuführen sind [16, 17].

Insgesamt wurden bisher 7 Studien zu Teplizumab und T1D, in welche über 1000 Personen – auch im Kindes- und Jugendalter – eingeschlossen und von denen 829 mit Teplizumab behandelt worden waren (Abb. 4; Tab. 2), publiziert. In diesen Arbeiten wurden eine hohe Sicherheit und gute Verträglichkeit bei Patienten – auch Kindern und Jugendlichen – mit frisch diagnostiziertem T1D beschrieben [18]. Die häufigsten mit Teplizumab assoziierten Ereignisse waren eine milde Leukopenie (v. a. Lymphopenie), eine Anämie oder Transaminasenerhöhung, Übelkeit, ein milder Hautausschlag sowie gelegentliche Infektionen der oberen Atemwege [16]. Diese Ereignisse dauerten selten länger als 14 Tage. Das gefürchtete Zytokinfreisetzungssyndrom trat bei < 8 % der mit Teplizumab behandelten Personen auf (z. B. ~ 6 % in der Protégé-Studie) und verlief zumeist milde oder moderat. Die prophylaktische Gabe von nichtsteroidalen Antiphlogistika und Antihistaminika scheint das Auftreten und den Schweregrad der Nebenwirkungen deutlich zu reduzieren. Trotz der Leukopenie wurde keine erhöhte Infektionsrate nach Teplizumabbehandlung nachgewiesen [16, 19].

Tab. 2 Übersicht über die bisherigen klinischen Studien mit Teplizumab und deren Ergebnisse

In einer kürzlich erschienenen Studie wurde für Teplizumab erstmalig eine Verzögerung des Ausbruchs eines T1D bei Patienten im Krankheitsstadium 2 nachgewiesen. Dabei wurden 76 jugendliche Verwandte von Patienten mit T1D, bei denen ≥ 2 Autoantikörper und eine Dysglykämie nachgewiesen worden waren, über 14 Tage i.v. mit Teplizumab oder Plazebo behandelt und anschließend alle 6 Monate auf die Entwicklung eines T1D hin überprüft. Für die mit Teplizumab behandelten Probanden zeigte sich eine signifikante Verzögerung des Erkrankungsbeginns (definiert durch die erste Insulingabe) mit einer Manifestation nach median 48,4 Monaten gegenüber einem Insulintherapiebeginn nach median 24,4 Monaten in der Kontrollgruppe [20].

Bei geeigneten Personen kann Teplizumab zur Aufrechterhaltung der β‑Zell-Funktion beitragen

Zusammenfassend gibt es deutliche Hinweise, dass Teplizumab bei geeigneten Personen einen signifikanten positiven Effekt auf die Aufrechterhaltung der β‑Zell-Funktion haben kann. Die Verträglichkeit kann als gut eingestuft werden. Derzeit wird in der PROTECT-Studie (Phase 3) untersucht, ob der Wirkstoff das Fortschreiten einer neu aufgetretenen Erkrankung signifikant verändern kann. Dafür werden Patienten im Alter von 8–17 Jahren innerhalb von 6 Wochen nach erster Insulingabe eingeschlossen und erhalten in 2 jeweils 12-tägigen Kursen täglich Teplizumab oder Plazebo (Distribution 2:1). Die beiden Interventionen liegen 6 Monate auseinander. Neben der Universitätsklinik Dresden und dem Kinderkrankenhaus AUF DER BULT, Hannover, bestehen weitere Studienzentren in Augsburg, Bielefeld, Freiburg, Heidelberg und München.

Verapamil zur Intervention bei Typ-1-Diabetes (T1D): Ver-A-T1D-Studie

Über das globale europaweite INNODIA-Netzwerk (www.innodia.eu) wird aktuell die Gabe des Kalziumkanalblockers Verapamil zur Tertiärprävention bei Patienten im Stadium 3 des Type-1-Diabetes (T1D) geprüft. Bei T1D besteht eine erhöhte β‑Zell-Expression von „thioredoxin-interacting protein“ (TXNIP), was für die Induktion des β‑Zell-Untergangs verantwortlich ist [21]. Das Absinken des intrazellulären freien Kalziumspiegels infolge der Blockierung von Kalziumkanälen führt zu einer TXNIP-Inhibition [22]. In Tierstudien wurden bereits ein Herunterregulieren („down regulation“) von TXNIP in pankreatischen Inselzellen und eine Verbesserung der β‑Zell-Funktion nach oraler Gabe von Verapamil festgestellt. Ergänzend scheint dieser Wirkstoff einen antiinflammatorischen Einfluss auf die β‑Zelle zu haben. In einer Vorstudie, die an 24 Erwachsenen kurz nach Manifestation eines T1D durchgeführt worden war, wurde durch Gabe von 360 mg Verapamil zusätzlich zur bestehenden Insulintherapie eine Verbesserung des stimulierten C‑Peptid-Werts 1 Jahr nach der Intervention im Vergleich zur Plazebogruppe festgestellt [23]. Arterielle Hypotonien traten dabei nicht gehäuft auf.

Bei Ver-A-T1D handelt es sich um eine multizentrische, randomisierte plazebokontrollierte Phase-2-Studie, in der der Einfluss von Verapamil (360 mg täglich) auf das stimulierte C‑Peptid zur Baseline und 12 Monate nach Intervention untersucht wird. In der aktuellen Studienphase können zunächst nur Erwachsene eingeschlossen werden. Die Studie wird von der Universität in Graz, Österreich, geleitet, das Studienzentrum in Deutschland befindet sich am Kinderkrankenhaus AUF DER BULT in Hannover.

Antithymozytenglobulin zur Erhaltung der β-Zell-Funktion: MELD-ATG-Studie

Mit MELD-ATG (ATG: Antithymozytenglobulin bzw. Thymoglobulin) existiert eine weitere vielversprechende Phase-2-Studie, die ebenfalls auf die β‑Zell-Protektion abzielt. Bisher ist ATG eher aus der Behandlung aplastischer Anämien, einer akuten Abstoßungsreaktion oder einer GvHD („graft versus host disease“) nach Organtransplantation oder hämatopoetischer Stammzelltransplantation bekannt. Hierfür werden Dosen von 6,5 mg bis etwa 20 mg/kg Körpergewicht verwendet.

Antithymozytenglobulin ist ein Immunglobulin mit direkter Wirkung auf humane T‑Lymphozyten. Neben einer dosisabhängigen T‑Zell-Destruktion wirkt es insbesondere als Modulator der T‑Zell-Aktivierung. In Vorstudien wurde gezeigt, dass es durch diese Immunmodulation bei niedrigdosierter ATG-Gabe nach neu aufgetretenem Type-1-Diabetes (T1D) zu einer längerfristigen Aufrechterhaltung der β‑Zell-Funktion kommt, die sich in einer Verbesserung des HbA1c-Wertes (HbA1c: Glykohämoglobin Typ A1c) und des stimulierten C‑Peptid-Spiegels im MMT äußert. Als Ursache hierfür wurde ein Abfall des CD4+-CD8+-Verhältnisses bei gleichzeitiger relativer Aufrechterhaltung regulatorischer T‑Zellen festgestellt [24, 25]. In der START-Studie mit hochdosiertem ATG (6,5 mg/kg) konnten diese Effekte (C-Peptid-Erhalt, CD4-CD8-Verhältnis) allerdings nicht nachgewiesen werden [26, 27].

In der MELD-ATG-Studie wird in einem multizentrischen, plazebokontrollierten Ansatz die Reproduzierbarkeit des Effekts der Arbeiten von Haller et al. [24, 25] mit 2,5 mg/kg ATG auch in einer Gruppe von pädiatrischen Patienten (≥ 7 Jahre) untersucht. Ergänzend wird geprüft, ob diese Wirkung auch mit einer geringeren Dosis von ATG (1,5 mg/kg; 0,5 mg/kg; 0,1 mg/kg) zu erreichen ist. Die Studie wird von der Universität in Leuven, Belgien, aus gesteuert. Das deutsche Studienzentrum befindet sich am Kinderkrankenhaus AUF DER BULT in Hannover.

Ausblick – weitere neue Wirkansätze

Über das INNODIA-Netzwerk besteht Hoffnung auf 2 weitere Wirkansätze, für die sich aktuell Phase-2- bzw. -3-Studien in Vorbereitung befinden:

CFZ533 (Iscalimab).

Ein potenzieller Signalweg im Pathogenesemodell des Type-1-Diabetes (T1D) besteht im CD40-CD40-Ligand-Signalweg [28]. In dieser Studie soll der Einfluss des Anti-CD40-Antikörpers Iscalimab (CFZ533) bei Menschen mit neu diagnostiziertem T1D im Alter zwischen 15 und 25 Jahren untersucht werden. Wenn dieser sich als sicher erweist, sollen in einer 2. Phase auch jüngere Menschen einbezogen werden.

IMPACT.

In dieser plazebokontrollierten 1b-/2a-Studie wird eine sehr spezifische und neuartige Immuntherapie namens Imotopes™ untersucht werden, die das Potenzial hat, das Fortschreiten von T1D zu stoppen (clinicaltrials.gov: NCT04524949). Diese Behandlung befindet sich noch in der frühen Phase der Entwicklung, hat sich aber im Mausmodell als vielversprechend für die β‑Zell-Protektion erwiesen [29]. In dieser Studie werden zunächst 2 Dosierungen untersucht. Sobald die richtige Dosierung gefunden ist, werden Jugendliche im Alter von 12–17 Jahren eingeschlossen, um die Wirksamkeit von Imotopes™ bezüglich der Verhinderung der Zerstörung der β‑Zellen zu untersuchen.

Golimumab – T1GER-Studie:

In einer kürzlich veröffentlichten Arbeit wurde die Wirkung des humanen monoklonalen Antikörpers Golimumab bei Kindern und jungen Erwachsenen mit T1D untersucht [30]. Dieser gegen TNFα (Tumor-Nekrose-Faktor α) gerichtete mAb wird bereits erfolgreich bei anderen Autoimmunerkrankungen eingesetzt, weswegen ein hohes Erfahrungspotenzial für Golimumab besteht. Die Phase-2-Studie umfasste Teilnehmer im Alter von 6–21 Jahren mit neu diagnostiziertem T1D. Von den 84 Probanden wurden 56 nach dem Zufallsprinzip der subkutanen Behandlung mit Golimumab und 28 einem Plazebo zugeteilt. Das Hauptergebnis, das nach 1 Jahr Behandlung bewertet wurde, war eine verbesserte endogene Insulinproduktion, gemessen anhand der im MMT stimulierten C‑Peptid-Spiegel.

Infobox 1 Aktuelle Studien zum Screening und zur Prävention des Type-1-Diabetes (T1D)

Screening:

Primärprävention:

Sekundärprävention:

Tertiärprävention:

Fazit für die Praxis

  • Mit Freder1k besteht die Möglichkeit zur Teilnahme an einem deutschlandweiten Screening zur Analyse des genetischen Risikos für Typ-1-Diabetes bei Neugeborenen.

  • Weitere Screeningansätze zur Früherkennung von Typ-1-Diabetes in vorklinischen Stadien sind Fr1da in Bayern, Fr1da in Sachsen und Fr1da im Norden.

  • Bei primärpräventiven Ansätzen wird versucht, durch die Gabe von oral zu verabreichendem Insulin oder Probiotika Einfluss auf den Manifestationszeitpunkt von Typ-1-Diabetes zu nehmen.

  • Mit der Fr1da-Interventionsstudie liegt ein sekundärpräventiver Ansatz zur Aufrechterhaltung des Stadiums 1 der Diabeteserkrankung vor.

  • Neue immunmodulatorische Wirkansätze werden in Studien mit der Gabe von Teplizumab (PROTECT), Antithymozytenglobulin (MELD-ATG), Verapamil (Ver-A-T1D), Iscalimab, Golimumab getestet.