Im Austausch mit brasilianischen Kolleg*innen und Studierenden Ein ungewöhnliches Angebot an vier deutschen Hochschulen ermöglicht Studierenden und Lehrenden der Pflege- und Hebammenwissenschaft, brasilianische Kolleg*innen aus Wissenschaft und Praxis und Studierende vor Ort kennen zu lernen. Es gilt ins Gespräch zu kommen und sich über gesundheitliche Versorgungsangebote oder die jeweiligen Perspektiven akademischer Qualifizierungen auszutauschen.

Wie sieht die Gesundheitsversorgung in einem Land wie Brasilien aus? Welche Qualifizierungs- und welche Arbeitsbedingungen gibt es? Darüber können sich Studierende und Lehrende der Pflege- und Hebammenwissenschaft aus vier deutschen Hochschulen auf unterschiedlichste Weise überzeugen - sei es während der Besuche in verschiedenen Handlungsfeldern der Pflege und Geburtshilfe, an den Lehr-/Lern- und Forschungsorten der Universitäten, im Rahmen des deutsch-brasilianischen Pflegesymposiums oder einfach nur bei einem gemeinsamen Becher Mate-Tee.

Im Mai 2023 reisten insgesamt 30 Bachelor- und Masterstudierende und sieben Lehrende der Hochschulen Bremen, Hamburg, Münster und Osnabrück im Rahmen einer Exkursion für eine Woche in den Süden von Brasilien. Es galt, mehr über das brasilianische Gesundheitssystem und gesundheitsbezogene Forschungs- und Praxisprojekte zu erfahren und darüber mit den dortigen Kolleg*innen und Studierenden in den Austausch zu gehen. Der Gegenbesuch findet im Mai diesen Jahres statt. Alle vier Hochschulen verbindet, dass sie dem UAS7-Verbund angehören und Studiengänge im Bereich der Pflege- und Hebammenwissenschaft anbieten. UAS7 ist ein Verbund von sieben deutschen Hochschulen für angewandte Wissenschaften (Universities of Applied Sciences). Sie haben es sich zum Ziel gesetzt, den internationalen Austausch und Kooperationen zu fördern. Kooperationen mit brasilianischen Partnerhochschulen bestehen zum Teil schon seit mehreren Jahren und entwickeln sich stetig weiter. Zunächst bestand der Kontakt nur zwischen einzelnen Wissenschaftler*innen und Lehrenden, in erster Linie der brasilianischen Universidade Franciscana (UFN) in Santa Maria und der Hochschule Osnabrück. Im Laufe der Zeit kamen Lehrende und Wissenschaftler*innen aus weiteren Hochschulen dazu, so auch die der Universidade do Rio dos Sinos (UNISINOS) in São Leopoldo bei Porto Alegre/Brasilien. Kurz vor der COVID-19-Pandemie wurde die Exkursion auch für Studierende der Pflege- und Hebammenwissenschaft geöffnet.

Abb. 1:
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© Katja Daugardt

In Santa Maria fand 2023 das 6. deutsch-brasilianische Pflegesymposium statt

„Herzstück“ Pflegesymposium

Einmal im Jahr finden die gegenseitigen Besuche im jährlichen Wechsel in Brasilien oder in Deutschland statt. Das Exkursionsprogramm wird in enger Absprache zwischen den deutschen und brasilianischen Vertreter*innen der einzelnen Hochschulen geplant und von den jeweiligen Gastgebern organisiert. Auf dem Programm stehen beispielsweise Besuche von Einrichtungen des Gesundheitssystems sowie der Partnerhochschulen selbst mit deren Lehr- und Lernräumen. Um den Gästen zusätzliche kulturelle Einblicke zu ermöglichen, werden gemeinsame Freizeitaktivitäten organisiert, wie Stadtführungen oder Ausflüge zu ausgewählten und besonderen Orten. Gemeinsame Mahlzeiten mit meist landestypischen Speisen dürfen natürlich auch nicht fehlen.

Das„Herzstück“ jeder Exkursion aber ist das deutsch-brasilianische Pflegesymposium. Auf der Grundlage verschiedener Vorträge der Gäste und Gastgeber*innen werden relevante Fragen der pflegerischen und geburtshilflichen Versorgung aus brasilianischer und deutscher Perspektive diskutiert. Auch Studierende haben hier die Möglichkeit, sich mit Vorträgen daran zu beteiligen. Findet das Pflegesymposium in Deutschland statt, wechseln sich die vier deutschen Hochschulen im Veranstaltungsort und ihren Hauptverantwortungen ab. Da auf Grund der COVID-19-Pademie ein Besuch nicht stattfinden konnte, der regelmäßige Kontakt und Austausch jedoch beibehalten werden sollte, richtete die UFN 2021 zumindest ein Online-Symposium aus. Das Thema lautete „Erfahrungen und Konsequenzen von COVID-19 für die Pflege“.

Besuch in Brasilien mit vielfältigem Programm

Das Exkursionsprogramm 2023 in Brasilien startete für die deutschen Professor*innen, Dozierenden und Studierenden mit einer Einladung auf dem Campus der UNISINOS in São Leopoldo. Hier fand im Rahmen des „1st UNISINOS International Meeting - Nursing Brazil-Germany: Perspectives in Higher Education“ ein Austausch zu akademischen Ausbildungs- und Qualifizierungsprogrammen in der Pflege und im Hebammenwesen in Brasilien und Deutschland statt. In einem weiteren Programmpunkt hatten deutsche und brasilianische Studierende die Gelegenheit, an verschiedenen Workshops (Abb. 2) teilzunehmen, um Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede der beiden Länder zu den Versorgungsschwerpunkten „Umgang mit chronischen Erkrankungen“, „Notfallmanagement“, „Geburtshilfe“ und „Akutpflege“ zu identifizieren und darüber zu diskutieren.

Abb. 2:
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© Caren Brützel

Lernen im Skills Lab

In Santa Maria fand 2023 das 6. Deutsch-Brasilianische Pflegesymposium „Pflege - Gegenwart und Zukunft-Technologien, Fähigkeiten und Einsatzräume“ an der UFN statt (Abb. 1). Diskutiert wurde über Rollen und Aufgaben in der Pflege, die Rolle der Pflege in der Primärversorgung in Brasilien, die Rolle der Pflege in der Palliativversorgung in Deutschland, neue Wege der Hebammenausbildung, Frühe Hilfen in Deutschland und Interprofessionalität in der Ausbildung und Gesundheitsversorgung in Brasilien und Deutschland.

Aufbauend auf theoretische Inputs zum Aufbau des staatlichen Gesundheitssystems, dem sogenannten Systema Único de Saúde (SUS) und Angeboten der Primärversorgung, besuchten die Brasilienreisenden in den verbleibenden Tagen lokale Gesundheitseinrichtungen wie ein SUS-Hospital (Abb. 3), ein Primärversorgungszentrum, ein privatfinanziertes Geburtshaus und eine Schule in einer Favela. Beeindruckt waren die Teilnehmenden von einem sozialen Projekt in einer manuellen Abfalltrennungsstation in einer Favela der Stadt (Abb. 4). Vor Ort berichteten die dort beschäftigten Frauen von ihrer Arbeit und der Relevanz des Umweltschutzes für die ärmeren Gebiete des Landes. Interessant war hierbei auch, dass dieser Ort ein Arbeitsfeld von professionell Pflegenden ist, gerade, wenn es um Themen, wie die Begleitung, Gesundheitsförderung und Prävention der dort beschäftigten Frauen geht.

Abb. 3:
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© Katja Daugardt

Staatliches Hospital (Casa de Saúde)

Abb. 4:
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Projekt manuelle Mülltrennung in einer Favela

Planung des Gegenbesuchs

Im Mai 2024 kommen nun insgesamt 35 brasilianische Lehrende und Studierende nach Deutschland. Derzeit stellen die deutschen Hochschulen, im engen Austausch untereinander und mit den brasilianischen Kolleg*innen, ein vielfältiges Programm zusammen. Geplant ist, dass die Gäste mindestens drei der vier Hochschulen besuchen. Gastgeberin und Organisatorin des 7. deutsch-brasilianischen Pflegesymposiums ist in diesem Jahr die FH Münster (s. Kasten).

Studierenden-Projekt: Vorbereitung des Besuchs

Alle Studierenden der Bachelorstudiengänge am Fachbereich Gesundheit der FH Münster müssen während ihres Studiums an einem zweisemestrigen Projekt teilnehmen. Je nach Studiengang ist dies im 5. und 6. bzw. 7. und 8. Semester. Die Leistungserbringung in Form eines Projekts ist curricular festgelegt und in den Modulhandbüchern der Bachelorstudiengänge verankert. Die Studierenden können zwischen verschiedenen Projektangeboten wählen, die von Jahr zu Jahr variieren. Start ist immer zum Wintersemester.Erstmalig wurde in diesem Wintersemester die Organisation des Besuchs der brasilianischen Kolleg*innen und Studierenden und des deutsch-brasilianischen Pflegesymposiums als Projekt angeboten. Die Autorin dieses Beitrags begleitet das Projekt, an dem sieben Studierende aus den Bachelorstudiengängen Berufspädagogik im Gesundheitswesen - Fachrichtung Pflege und Fachrichtung Therapie, Pflege dual und Pflege berufsbegleitend teilnehmen.

Schwerpunkte sind die Organisation, Ausgestaltung und auch Durchführung des Gegenbesuchs für die Tage, an denen die brasilianischen Gäste in Münster sind. Aufgaben hierbei sind u.a., das deutsche Gesundheitssystem vorzustellen und Einrichtungen in Münster auszuwählen, die für die brasilianischen Gäste interessant sein können. Dazu müssen sich die Studierenden zuvor mit dem dortigen Gesundheitssystem auseinandersetzen. Auch das kulturelle Angebot will überlegt und organisiert werden. Im Rahmen des deutsch-brasilianischen Pflegesymposiums wirken die Studierenden ebenfalls auf der Organisationsebene mit. Durch die Teilnahme an diesem Projekt können die Studierende unterschiedlichste Kompetenzen (weiter-)entwickeln: von der Planungs- und Organisationskompetenz bis hin zur kulturellen Kompetenz.