Motivationsfaktor und Grundstein zur Existenzsicherung (Teil 2) Personalmangel, hohe Arbeitsbelastung, schlechte Bezahlung und Bürokratie - unter diesen Vorzeichen kämpfen Pflegeeinrichtungen darum, gute Mitarbeitende zu finden und zu binden. Eine motivierende Unternehmenskultur kann hier große Unterstützung bieten. Wird sie inhaltlich konkretisiert, systematisch erfasst und reflektiert, kann sie existenzsichernd wirken.

Mehrebenenmodelle gehen von der Annahme aus, dass Unternehmenskulturen aus wahrnehmbaren und aus nicht direkt wahrnehmbaren bzw. sichtbaren Komponenten bestehen, zwischen denen es Wirkungszusammenhänge gibt, die einen positiven Einfluss auf den Unternehmenserfolg ausüben (Schein 2006, S. 34; Homburg und Krohmer 2003, S. 1082; Kessel 2007, S. 20 ff.). Im Folgenden werden die in Wissenschaft und Praxis als wesentlich herausgefundenen Ebenen zusammenfassend beschrieben. Eine Analyse der Unternehmenskultur sollte möglichst mehrere Ebenen einbeziehen (Bolz 2022, S. 42 ff., 63 ff.).

Ebene: Werte

Werte sind als relativ stabile Vorstellungen und Ziele zu verstehen und befinden sich auf einem recht hohen Abstraktionsniveau (Homburg & Krohmer 2003, S. 1078). Sie geben Menschen einen allgemeingültigen Maßstab für die Beantwortung der Frage, ob bestimmte Sachverhalte oder Verhaltensweisen richtig oder falsch sind (Rohac 2009, S. 41). Gemeinsame Werte können sich in Unternehmen aus in der Vergangenheit gewonnenen Erfahrungen und in Lernprozessen entwickeln (Pflesser 1999, S. 60; Rohac 2009, S. 42). Werte, die für die Unternehmensführung von Bedeutung sind, beziehen sich vielfach auf inhaltliche Leitvorstellungen zur Kundenorientierung und zur Qualität der Leistungen, auf Kompetenz und Wertschätzung von Mitarbeitern, auf Zusammenarbeit und Offenheit bei der internen Kommunikation oder auf Wirtschaftlichkeit als Erfolgsgröße (Pflesser 1999, S. 69 f.).

Häufig werden Werte in Unternehmensleitsätzen explizit formuliert, was jedoch nicht heißt, dass sie das Denken und Handeln auch tatsächlich steuern (Schein 2006, S. 34). Dennoch kann ein Blick in offizielle Leitbilder, Broschüren oder die Webseite Aufschluss darüber geben, welche Werte als Leitlinien des Handelns ausgegeben werden. Tabelle 1 enthält Beispiele für mögliche Konkretisierungen von Werten, die für die Entwicklung einer existenzsichernden Unternehmenskultur förderlich sein können.

Tab. 1 : Konkretisierungen der Wertebene

Ebene: Einstellungen

Im Vergleich zu Werten sind Einstellungen konkreter und haben bestimmte Bezugsobjekte. Einstellungen sind relativ stabile Tendenzen von Personen, auf Ereignisse, andere Menschen oder Situationen wertend zu reagieren. Sie beeinflussen die selektive Wahrnehmung der sozialen Wirklichkeit und können dazu führen, dass sich Personen voreingenommen in bestimmte Situationen hineinbegeben und entsprechend verhalten (Rohac 2009, S. 42 f.). Anstelle des Begriffs der Einstellung werden häufig auch nahe liegende Begriffe wie Denkhaltung, Denkausrichtung oder Grundannahme verwendet (Hillmann 2007, S. 173; Rohac 2009, S. 40 f.).

Einstellungen lassen sich nicht "per Knopfdruck" verändern. Sie können jedoch im Verlaufe von Interaktionsbeziehungen zwischen Personen und in Gruppen erworben oder verändert werden (Stock-Homburg 2009, S. 57 ff.). Zudem können sie sich im Rahmen von Lernprozessen entwickeln, indem Personen eigene Erfahrungen mit dem Bezugsobjekt machen (Homburg und Krohmer 2003, S. 40), beispielsweise mit Situationen im Berufsalltag oder mit anderen Personen. Tabelle 2 enthält Beispiele für Einstellungen, die einer existenzsichernden Unternehmenskultur förderlich sein können. Für ihre Entwicklung kann es hilfreich sein, sie mit Mitarbeitenden und Führungskräften zu diskutieren und ihre möglichen positiven Effekte auf den Arbeitserfolg zu erläutern.

Tab. 2 : Konkretisierungen der Einstellungsebene

Ebene: Normen bzw. Verhaltenserwartungen

Normen stellen "explizite oder implizite Regeln" (Homburg & Krohmer 2003, S. 1079) bzw. Verhaltenserwartungen dar (Kessel 2007, S. 22). Von Werten unterscheiden sie sich durch ihren höheren Konkretisierungsgrad sowie einen stärkeren Verhaltensbezug. So kann beispielsweise der Wert "Kundenorientierung" als Norm derart konkretisiert werden, dass Kundenanfragen immer schnellstmöglich beantwortet werden sollen (ebd; Homburg et al. 2002, S. 159). Die Formulierung einer Norm allein bedeutet nicht, dass sich alle Mitarbeitenden auch daran halten. Die Leitung kann damit jedoch eine Orientierung geben, auf welche Verhaltensweisen sie besonderen Wert legt (Tab. 3, e-only).

Ebene: Beobachtbares Verhalten

Das Verhalten von Mitarbeitenden ist in vielen Fällen nicht deckungsgleich mit den bestehenden Erwartungen. Organisationskultur kann dazu beitragen, diese Abweichung zu verringern. In Situationen, in denen die formale Struktur an ihre Grenzen stößt, kann die Organisationskultur Handlungsorientierungen liefern und ein "Wir-Gefühl" vermitteln, um die Ziele der Organisation bestmöglich zu erreichen (Kieser & Walgenbach 2003, S. 42; Berger & Bernhard-Mehlich 2001, S. 163). Das sichtbare Verhalten von Mitarbeitenden kann somit erste Hinweise auf bestimmte kulturelle Merkmale einer Pflegeeinrichtung liefern. Verhaltensweisen können der Entwicklung einer Kultur förderlich oder abträglich sein. Allerdings ist es unter methodischen Aspekten nicht ratsam, einzelne Verhaltensweisen isoliert zu betrachten und daraus generalisierende Schlüsse zu ziehen. Um Fehlinterpretationen zu vermeiden, sollte das Verhalten im Kontext mit anderen Hinweisen auf eine bestehende Unternehmenskultur betrachtet werden (Kobi & Wüthrich 1986, S. 68). Die Konkretisierungen der Verhaltensebene zeigt Tabelle 4 (e-only).

Ebene: Artefakte

Unter Artefakten werden leicht wahrnehmbare soziale oder physische Ausdrucksformen einer Unternehmenskultur verstanden. Hierzu gehören die Art und Weise der zwischenmenschlichen Kommunikation, der verwendete Sprachstil, Erzählungen, Handlungsmuster wie Sitten und Gewohnheiten (Rituale), Zeremonien, schriftlich festgelegte Systeme oder Programme, Architektur und Möblierung, der Kleidungsstil oder Statussymbole sowie Tabus (Kobi & Wüthrich 1986, S. 34; v. Rosenstiel 2003, S. 21; Wunderer 2001, S. 155; Bea & Haas 2001, S. 458; Bamberger & Wrona 2004, S. 308; Mühlbauer 2005a, S. 320). So können beispielsweise die Möblierung des Wartebereiches für Patienten oder die Umkleideräume der Mitarbeitenden Aufschluss darüber geben, welche Wertschätzung ihnen entgegengebracht wird. Die systematische Gestaltung von Artefakten wird als "Symbolic Management" bezeichnet. Artefakte können hilfreich sein, um Mitarbeitende zu bewegen, sich entsprechend der proklamierten Werte und Erwartungen (Normen) zu verhalten. (Homburg & Pflesser 1999, S. 11-14).

Ähnlich wie sichtbare Verhaltensweisen, können auch Artefakte nicht isoliert gedeutet werden. Ihre inhaltliche Interpretation in Bezug auf eine vorhandene Unternehmenskultur sollte ebenso im Kontext mit anderen Ausdrucksformen oder in Zusammenarbeit mit den Unternehmensmitgliedern interpretiert und entschlüsselt werden (Unterreitmeier & Schwinghammer 2004, S. 5) (Tab. 5).

Tab. 5 : Konkretisierungen der Ebene der Artefakte

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Eine umfangreiche Literaturliste

Tab. 3 "Mögliche Konkretisierungen der Erwartungsebene"

Tab. 4 "Mögliche Konkretisierungen der Verhaltensebene"