Bringen neue Didaktiken die Profession fachlich weiter? Es ist ein Trend in den Gesundheitsberufen, in jeder Fachrichtung eigene didaktische Modelle zu entwickeln. Die Kolleg*innen scheinen sich hier immer wieder neu zu erfinden und oftmals wird dabei vergessen, welches Potential bereits existierende Modelle auch aus der Allgemeinen Didaktik haben, um die berufliche Bildung in den Gesundheitsberufen kompetenzorientiert zu gestalten.

Die Professionalisierungsdebatte in den Gesundheitsberufen mit einer Ausrichtung auf einen kompetenzorientierten Unterricht ist mit der Novellierung des Pflegeberufegesetzes, des Notfallsanitätergesetzes und dem Gesetz über die Ausbildung anästhesie- und operationstechnischer Assistent*innen in vollem Gang. Mit der Formulierung von erwarteten Learning Outcomes in den Lehrplänen sind auch didaktische Erwartungen verknüpft, so Frommberger (2011, S. 179). Fraglich ist bei all den verschiedenen Modellansätzen, ob wirklich didaktische Orientierungen das Bemühen tragen, oder ob nicht vielmehr das Bemühen um professionelle Abgrenzung und Eigenständigkeit innerhalb und zwischen den Gesundheitsberufen die Vorhaben prägen?

Aus diesem, zugegebenermaßen kritischen Blick, ergibt sich ein Reflexionsbedarf der didaktischen Modelle mit einer zu erstrebenden Praxis und der bestehenden Praxis mit ihren real existierenden Ansätzen didaktischen Handelns. Der Reflexionsbedarf ergibt sich daraus, dass der "Modell-Schlüssel" nicht in das "Praxis-Schlüsselloch" zu passen scheint, d.h. dass trotz vernünftiger Einsicht in einer "besseres" didaktisches Handeln im Rahmen des Modells XY die Praxis ihrer bewährten Linie treu zu bleiben scheint. In diesem Beitrag geht es dabei nicht um die Kritik und Kritisierbarkeit der didaktischen Modelle und Konzeptionen, die hier und da entwickelt werden, sondern darum, provokant und gezielt den Blick auf Bewährtes und Traditionelles innerhalb der Didaktik zu lenken und dies als eine zweckmäßige, zielführende und tatsächlich auch kompetenzstiftende Möglichkeit der Gestaltung von Lehr-Lernarrangements herauszuarbeiten. Es wird der Frage nachgegangen, wie die traditionellen Modelle der bildungstheoretischen Didaktik und der lehr-lerntheoretischen Didaktik im System der beruflichen Bildung der Gesundheitsberufe für einen lernfeldorientierten Unterricht adäquat beschrieben werden können.

Didaktik als Katalysator

Didaktik kommt aus dem Altgriechischen und heißt nach Gudjons (1999, S. 235) wörtlich die "Lehrkunst". Heute wird Didaktik als Wissenschaft verstanden, um zu beschreiben, wie Lehren und Lernen möglich und was dazu nötig ist. Didaktik ist aber nicht nur eine Theorie des Lehrens und Lernens und damit die zentrale Disziplin für Lehrende. Didaktik ist auch das, was Lehrende tun, wenn sie unterrichten. Didaktik ist "[…], funktional betrachtet, eine Variation, die eine Selektion wohl intendiert, aber nicht determinieren kann. […] Lehren bedeutet: den Zufall nicht zufällig herbeiführen, absichtsvoll die Umwelt für einen Andern verändern, also dessen Umweltreize variieren - und ihm dadurch eine Selektionsofferte machen, die bestimmte Selektionen wahrscheinlich machen. […] Lehre ist die geplante Organisation von Erfahrung" (Treml 2000, S. 82ff.).

Didaktische Praxis, so kann in Anlehnung an Kamper & Wulf (1987, S. 103) festgehalten werden, "denkt" transitiv: Was an Interventionen und Vermittlungen stattfinden soll, wird durch die pädagogischen Akteure zum Objekt der Gestaltung. Die Akteure sollten dabei nicht reinen Machbarkeitsillussionen verfallen, sondern ein transitiv-kritisches Bewusstsein entwickeln. Laut Siebert (1996, S. 2) fungiert die Didaktik als Medium und Katalysator, die zwischen der sachlogischen Struktur eines Inhaltes, der handlungslogischen Struktur des Berufsfeldes mit berufstypischen Aufgaben und der psychologischen Struktur des Lernenden vermitteln soll. Auf diese Weise soll das Unwahrscheinliche wahrscheinlich werden: Die Lernenden übernehmen die gemachten Selektionsofferten für sich, d.h. sie selektieren positiv. Das geht aber nur, wenn die Lehrenden auch tun, was sie tun sollen: Unterricht planen, vorbereiten, durchführen und nachbereiten.

Bewährte Basis didaktischen Handelns im Alltag

Es gibt zeitlose Theorien, die über Jahrzehnte immer wieder rezipiert werden und in allen didaktischen Lehrbüchern und landesweit Gegenstand in den Didaktikseminaren sind: die Bildungstheoretische Didaktik nach Klafki (1962) und die Lehr-Lerntheoretische Didaktik nach Heimann, Schulz und Otto (1979). Diese Modelle begründen einerseits eine lange Tradition innerhalb der Lehramtsausbildung und der didaktischen Schulung, andererseits sind sie zeitlos und zeitgemäß. Daher stellt sich die Frage, warum für die Gesundheitsberufe ein so großes Ringen um eigene Didaktiken zu beobachten ist, wie die Pflegedidaktiken, die Therapiedidaktiken und die jüngsten Rettungsdienstdidaktiken zeigen. Es gibt bewährte Zugänge, die unabhängig vom Berufsfeld tragfähig sind. Viele persönliche Beobachtungen und Gespräche an Schulen der Gesundsheitsberufe unterstützen diese Einschätzung, denn in den Modellen wird explizit, was Lehrer*innen tagtäglich bewusst oder unbewusst - weil lebenspraktisch und vernünftig - tun: Sie schauen im Sinne der bildungstheoretischen Didaktik in ihr Berufsfeld und prüfen einen Lerngegenstand darauf, welche Sachstruktur er hat, wie er situativ mit entsprechenden berufstypischen Arbeitsaufgaben eingebettet ist, welche Bedeutung der Gegenstand heute und in Zukunft hat, welche Ziele und Probleme sich daraus für eine Unterrichtsgestaltung als Lernsituation ergeben und wie im Rahmen des Unterrichts ein Sachverhalt zugänglich und wirksam aufbereitet werden kann. Sie fragen danach, wie kann das, was ich unterrichte, für meine Schüler*innen sinnstiftend und wirkungsvoll für eine spätere Bewährung in der Praxis dargeboten und erschlossen werden. Im Sinne des Perspektivschemas zu den Grundfragen der didaktischen Analyse (Klafki 1962, S. 5 ff.) fragen sie nach der Lernpotenzialentfaltung eines Lerngegenstandes, die grundlegende Prinzipien der beruflichen Bildung repräsentiert (Abb. 1).

Abb. 1:
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Didaktische Analyse zur Lernpotenzialentfaltung eines Lerngegenstandes (Prescher 2021, S. 106)

Im Sinne der lehr-lerntheoretischen Didaktik gehen sie nach der didaktischen Analyse weiter in ihrer Unterrichtsplanung und fragen neben dem "was" und "warum" explizit nach dem "wie" als methodischem Gang und dem "womit" als dem Einsatz von Medien und Lernmaterialien. Sie verbinden damit das Bedingungs- mit dem Entscheidungsfeld. Das didaktische Handeln lässt sich an dieser Stelle mit dem Leitsatz zusammenfassen: Ziele bestimmen Inhalte und Inhalte bestimmen Methoden und Medien. Alle vier Aspekte sind dabei aufeinander bezogen und verbunden. Keine Entscheidung kann ohne den Bezug zu einem der Aspekte getroffen werden. Sie bedingen einander und bilden die Basis für eine Unterrichtsgestaltung entlang eines Verständnisses des programmierten Unterrichts und der Leittextmethode, die einen frontal geführten Unterricht durchaus ein-, Selbstlernarrangements entlang beruflicher Arbeitsaufgaben aber keines Falls ausschließen.

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