Suizidgedanken und Lebenswillen richtig einschätzen Ältere Patient*innen äußern häufig und doch ganz unterschiedlich, dass ein Weiterleben für sie nicht mehr wichtig sei. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Doch meistens verbirgt sich dahinter der Wunsch nach einem offenen Gespräch über die gesundheitliche Situation und die damit verbundenen Sorgen und Ängste.

Neuen Schub erhielt die Debatte um Todeswünsche und assistierten Suizid, als im Februar 2020 das Bundesverfassungsgericht den §217 Strafgesetzbuch (StGB) (Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung) für verfassungswidrig erklärte. Das Gericht führte in der Urteilsverkündung aus, dass das Recht, seinem Leben frei verantwortlich ein Ende zu setzen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen, unabdingbarer Teil der Menschenwürde und des Rechts auf Selbstbestimmung ist, welches nicht zur Disposition des Gesetzgebers steht. Die Zulässigkeit der Hilfe zur Selbsttötung dürfe, so das Gericht, dabei nicht von Kriterien wie etwa einer unheilbaren Krankheit abhängig gemacht werden.

Das Bundesverfassungsgericht stärkt und betont damit die Autonomie des Individuums: "Die in Wahrnehmung dieses Rechts getroffene Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren." In der Folge hat der 124. Deutsche Ärztetag 2021 mit breiter Mehrheit das in der Musterberufsordnung (MBO) für Ärzte enthaltene Verbot der Suizidhilfe aufgehoben, indem er den Satz: "Sie (die Ärztinnen und Ärzte, Anm. des Autors) dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten" aus §16 der MBO gestrichen hat.

Urteil schuf zunächst Rechtssicherheit

Vorbehaltlich der Umsetzung der MBO in Berufsrecht durch die 17 Landesärztekammern können Ärzt*innen, die einem Suizidwilligen Hilfe beim assistierten Suizid leisten, dafür künftig weder straf- noch berufsrechtlich belangt werden. Somit hat das Urteil zunächst einmal Rechtssicherheit geschaffen. Allerdings sieht der Deutsche Ärztetag auch nach diesem Richterspruch die Hilfe zur Selbsttötung nicht als ärztliche Aufgabe an; kein Arzt und keine Ärztin kann dazu verpflichtet werden. "Aufgabe der Ärztinnen und Ärzte ist es, das Leben zu erhalten, [...], Leiden zu lindern, Sterbenden Beistand zu leisten, [...]" (§1 MBO). Es wurde aber auch darauf hingewiesen, dass in gleichem Maße wie der Zugang zum assistierten Suizid erleichtert werde, auch die Suizidprävention zu stärken sei.

Suizide in Deutschland

Im Jahr 2019 starben in Deutschland 9.041 Menschen durch Suizid, das entsprach 0,96% aller Sterbefälle. 2020 lag die Zahl bei 9.206 Personen, während 1980 noch 18.451 Menschen in Deutschland (BRD und DDR) durch eigene Hand starben. Die häufigste Suizidmethode ist Erhängen, der häufigste Sterbeort zu Hause. Die Suizidrate nimmt ab dem 70. Lebensjahr stark zu, etwa drei Viertel der Suizide betreffen Männer (Hardinghaus 2020).

Assistierter Suizid in Deutschland

Der Verein "Sterbehilfe Deutschland" meldet für das Jahr 2021 129 Fälle sogenannter Suizidbegleitungen, d. h. vom Verein organisierte assistierte Selbsttötungen in Deutschland. Mit weiteren Anbietern wie "Dignitas" (97 Fälle) und "Deutsche Gesellschaft für humanes Sterben" (120 Fälle) erreichte die Zahl assistierter Suizide im Jahr 2021 346 Fälle, d. h. ca. 3-4% aller Suizide sind assistierte Suizide. Zu ärztlich assistierten Suiziden in Deutschland ließen sich keine Zahlen finden.

figure 1

© fizkes / Getty Images / iStock

Gesprächsbedarf: "Bitte helfen Sie mir, Sie dürfen das doch jetzt ..."

Der Patient will sterben - Herangehensweise an ein häufiges Problem

Aus der Perspektive der alters- und palliativmedizinischen Versorgung sollte das Thema Todeswunsch nicht auf den assistierten Suizid fokussiert, sondern in all seinen möglichen Ausprägungen und Facetten betrachtet werden. Grundlegend dafür ist eine offene, interessierte und respektvolle Haltung gegenüber den Sichtweisen der Patient*innen (Kremeike et al. 2022). Voraussetzung dafür ist eine vorurteilsfreie Einstellung seitens der Ärztin oder des Arztes, vor deren Hintergrund auch das scheinbar Unansprechbare angesprochen werden kann. Solche offenen Gespräche sollen Druck aus der Situation nehmen und dem Patienten/der Patientin mit Todeswunsch signalisieren, dass sein/ihr Wunsch Gehör gefunden hat. Oft führt bereits die Würdigung eines Todeswunsches zur Entlastung beim Patienten. So lässt es sich häufig erreichen, dass der Fokus zunächst einmal weg vom Endpunkt einer unmittelbaren Wunscherfüllung (Hilfe beim Suizid) geleitet, die Sichtweise geweitet und ein emotionaler Raum eröffnet wird, in dem die Ursachen, die zum Todeswunsch geführt haben, genau besprochen werden können (Kremeike et al. 2022). Dazu braucht es:

  • eine respektvolle Kommunikation, die den Patienten/die Patientin in seiner Not annimmt und ihm/ihr Raum gibt; bewährt hat sich zum Einstieg die Frage "Was müsste sich denn ändern, damit Sie Ihre Existenz als erträglicher empfinden würden?" (Richter-Kuhlmann 2021; Wedding 2021 S. 18-20)

  • ein angemessenes Zeitfenster, über dessen Länge man den/die Patient*innen zu Beginn des Gesprächs informieren sollte ("Wir haben jetzt eine halbe Stunde Zeit, um über Ihre Wünsche und Probleme zu sprechen, und was wir in der Zeit nicht schaffen, besprechen wir übermorgen, da komme ich nochmals zu Ihnen.")

  • die Fähigkeit, Stille und Schweigen aushalten zu können

  • die Fähigkeit, auf Beschwichtigung, Bagatellisierung oder Erteilung von Patentrezepten zu verzichten

  • die Vereinbarung eines Anschluss-Gesprächstermins

Die Bandbreite von Todeswünschen im Alter reicht von einer Lebenssattheit ("Ich bin zufrieden und ohne Groll bereit, zu sterben") über eine Lebensmüdigkeit ("Könnte ich nur abends einschlafen und nicht wieder aufwachen") und eine distanzierte Suizidalität ("Wie schön wäre jetzt die Spritze aus Holland") bis hin zu konkreten Suizidgedanken ("Bitte helfen Sie mir, Sie dürfen das doch jetzt ...") und akutem Handlungsdruck ("... sonst springe ich aus dem Fenster").

Ursachen von Todeswünschen im Alter

Todeswünsche haben mannigfaltige Ursachen (Tab. 1) und Patient*innen meinen damit viel häufiger "Ich will so nicht mehr leben" als das Weiterleben kategorisch abzulehnen (Dürst 2020). Patient*innen mit Todeswunsch können gleichzeitig den Wunsch nach Leben in sich tragen (Maier 2021). Marjory Warren (1897-1960), die Begründerin der modernen Geriatrie, sagte in diesem Kontext einmal sinngemäß: "Dank guter Pflege halten wir die alten Patienten am Leben, aber sie bleiben behindert, da kein Arzt und keine Therapeuten sich um sie kümmern" (Warren 1943).

Tab. 1 : Ursachen von Todeswünschen im Alter

Eine unzureichende Symptomkontrolle als Ursache von Todeswünschen ist häufig und oft gut durch eine adäquate Therapie von Schmerz, Atemnot, Angst und anderen belastenden Symptomen zu behandeln. Die Einbeziehung eines Teams der Spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) hilft weiter (Lindner 2019). Verlust von Mobilität, Alltagsselbstständigkeit und Autonomie sind häufige Probleme alter Menschen nach einer akuten Erkrankung oder einer Operation. Eine stationäre geriatrische Behandlung mit klaren Rehabilitationszielen lässt sehr viele Todeswünsche in den Hintergrund treten.

Die Angst vor der Zukunft lässt sich verringern durch eine frühzeitige Entlassungsplanung, die am ersten Tag der geriatrischen Behandlung beginnt und im Verlauf durch Einbeziehung von Familie, ambulanten Pflegediensten, Essen auf Rädern oder auch einer Pflegeheimanmeldung feinjustiert und konkretisiert wird. Angst vor einem qualvollen Tod kann in den allermeisten Fällen zerstreut werden durch das Angebot stationärer oder ambulanter palliativmedizinischer Betreuung (Palliativstation oder SAPV) (Sitte 2016).

Der Angst, "zur Last zu werden", kann durch eine ärztlich moderierte Angehörigenkonferenz entgegengewirkt werden, in der jeder offen sagt, was er künftig zur Pflege des Betroffenen beitragen kann und was nicht. Für offene Posten werden Lösungsoptionen besprochen von der Einschaltung eines ambulanten Pflegedienstes über eine Kurzzeitpflege als Auszeit für die pflegenden Angehörigen zur Urlaubszeit bis hin zu einer vorsorglichen Pflegeheimanmeldung.

Für den Fall, dass eine depressive Erkrankung zum Todeswunsch beträgt, hilft zur Erkennung das 2-Fragen-Sreening:

  1. 1.

    Fühlten Sie sich im letzten Monat häufig niedergeschlagen, traurig, bedrückt oder hoffnungslos?

  2. 2.

    Hatten Sie im letzten Monat deutlich weniger Lust und Freude an Dingen, die Sie sonst gerne tun?

Zur Überbrückung einer als unerträglich empfundenen und anderweitig nicht zu lindernden Situation gibt es darüber hinaus die Möglichkeit einer palliativen Sedierung.

Der Anteil der Patient*innen mit persistierendem, frei verantwortlichem Todeswunsch trotz all dieser beschriebenen Maßnahmen liegt - nach eigenen Erfahrungen und publizierten Daten - im kleinen einstelligen Prozentbereich. Für solche Patient*innen bleibt derzeit nur der (ggf. palliativmedizinisch flankierte) Verzicht auf Essen und Trinken (DGP 2021; Kertz 2021; Klein 2018). Der assistierte Suizid durch Beiziehung einer Sterbehilfevereinigung ist seit Februar 2020 nicht mehr illegal. Auch der (Haus-)Arzt / die (Haus-)Ärztin als Sterbehelfer*in macht sich weder straf- noch standesrechtlich strafbar. Limitierend sind hier vor allem das Unbehagen und die Ablehnung vieler Ärztinnen und Ärzte, den assistierten Suizid zu einem regulären therapeutischen Instrument zu machen sowie die derzeit politisch gewollte Nicht-Verfügbarkeit von z. B. Na-Pentobarbital in deutschen Apotheken.

Literatur

  • Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (2021) Empfehlungen zum Umgang mit dem Wunsch nach Suizidassistenz in der Hospizarbeit und Palliativversorgung. Living document, Stand 16.9.2021. www.dgpalliativmedizin.de

  • Dürst AV, Spencer B, Büla, C et al. (2020) Wish to die in older patients: development and validation of two assessment instruments. J Am Geriat Soc (68) S. 1202-1209

  • Hardinghaus W (2020) Am Ende: Suizidbeihilfe in der Klinik? Klinikarzt (49) S. 435

  • Kertz B (2021) Ethische Beratung bei einem Patienten mit ausgeprägtem Todeswunsch: Ein Fallbeispiel. Rhein Ärztebl (1) S. 25-26

  • Klein F (2018) Fasten bis zum Tod: soll und darf der Arzt dabei helfen? Geriatrie-Report (13) S. 6-9

  • Kremeike K, Dojan T, Boström K, Voltz R (2022) Umgang mit Todeswünschen in der Palliativversorgung. TU (79) 1 S. 1-2

  • Lindner R (2019) Wenn alte Menschen sterben wollen. Geriatrie-Report (14) S. 6-9

  • Maier BO (2021) Vom richtigen Umgang mit Todeswünschen. Der Hausarzt (06) S. 50-51

  • Richter-Kuhlmann E (2021) Ärztlich assistierter Suizid: Offene Gespräche als Schlüssel. Dtsch Ärztebl (118) A-94/B-80

  • Sitte T, Gronwald B, Gottschling S (2016) Palliative Versorgung statt Beihilfe zum Suizid und Tötung auf Verlangen? Schmerzmedizin (32) S. 25-33

  • Warren MW (1943) Care of the chronic sick. Brit Med J (2) S. 822-823. Doi: 10.1136/bmj.2.4329.822

  • Wedding U (2021) Todeswünsche und mögliche ärztliche Antworten. Thüringer Ärzteblatt (4) S. 18-20