Bildung als Schlüsselfaktor im Krankenhaus Die Anzahl der Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten für beruflich Pflegende ist in den letzten Jahren gestiegen. Was bedeutet dies für die Akteure in der Praxis? Vor welchen Hindernissen stehen sie, welche Freiheiten ergeben sich für sie? Aus den Wünschen der Pflegenden lassen sich Aufgaben für Pädagogen, Leitungen und das Management ablesen.

Die Auffassung der Wissensgesellschaft, dass die "Anforderungen an die Subjektivität der Arbeitskräfte bessere Bildung erfordern" (Poltermann 2013) und sich die Definition von Bildung verschiebt, bedeutet, dass sich mit dem Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft auch Lebensstile und Werte verändern. Wichtige Stichworte sind hier Individualisierung, veränderte Idealbilder des familiären und gesellschaftlichen Zusammenlebens, Pluralisierung der Lebensentwürfe und der Ansprüche an Arbeit sowie neue Konsumhaltungen (BMAS 2016). Daher kann es ein Türöffner sein, in das Erleben der beruflich Pflegenden einzutauchen. Laut Schäfer (2017) macht Erwachsenenbildung gesünder, glücklicher und selbstbewusster. Wie also sieht es im Anschluss an die Bildungsmaßnahme aus? Findet das erworbene Wissen Anwendung, werden Rahmenbedingungen geschaffen, die Motive und Anreize für Wissensaufbau, -teilung und -nutzung bieten? Durch den Wechsel von der Industrie- zur Informations- und Wissensgesellschaft (Nikodemus 2017), hat die Bedeutung von Wissen eine neue Dimension erlangt. Diese birgt Möglichkeiten und Herausforderungen und zeigt neue Ansprüche, Wünsche und Vorstellungen seitens der Mitarbeitenden eines Krankenhauses.

Die Masterarbeit beschäftigt sich mit der Frage, wie der Prozess der Auseinandersetzung mit Wissen erlebt wird. Durch qualitative, leitfadengestützte Experteninterviews wird ein Einblick in deren Erleben und Vorstellungen im Umgang mit Wissen ermöglicht. Der Prozess wird dabei als Zeitraum ab dem Ende der Bildungsmaßnahme und dem Beginn einer besonderen Tätigkeit im Krankenhaus (z. B. Hygienebeauftragte oder Praxisanleitende) bis zum Tag des Interviews verstanden. Betrachtet wird vor allem der Wissenserwerb durch Fort- und Weiterbildungen, aber auch die Aufnahme von Wissen fernab von Bildungsmaßnahmen und die damit verbundenen Einflüsse auf das Unternehmen Krankenhaus.

Experten als konkrete soziale Akteure

Als Experten wurden in diese Studie Menschen mit einer Weiterbildung (z.B. Wundmanagement oder Hygiene) und einer Fachweiterbildung (z.B. Psychiatrie, Onkologie) einbezogen. Der Blick richtete sich dabei jedoch nicht auf die einzelnen Bildungswege, sondern auf das Erleben mit einer Expertise in Bezug auf den Umgang mit Wissen. Die Befragung einer heterogenen Gruppe sollte dabei zu einer Diversität von Informationen führen. Gesprächspartner in Experteninterviews werden als konkrete soziale Akteure, als reale Gesprächspartner wahrgenommen, die Informationen gezielt vermitteln können (Bogner et al. 2002). Die real gebildete Stichprobe lässt erkennen, dass es auf dem Weg der Datenerhebung einige Rückschläge gab, die dazu führten, dass Perspektiven versperrt bzw. nicht erhoben und dem statistischen Sampling nicht Folge geleistet werden konnte (Tab. 1) . Die Tabelle zeigt ein Ungleichgewicht zwischen den Fachbereichen, der Berufserfahrung sowie zwischen den Geschlechtern. Der Pretest wurde in der Darstellung miteinbezogen.

Tab. 1: Real gebildete Stichprobe

Austausch, Zeit und flache Hierarchien fördern Transfer

Die Fragen an die Experten lassen sich den fünf Hauptkategorien Wissensgenerierung, Wissenstransfer, Freiheiten, Hindernisse und Wünsche/Vorstellungen zuordnen, denen jeweils unterschiedliche Subkategorien zu Grunde lagen (Tab. 2). Bei der Interpretation der in den Interviews ermittelten Informationen wurde aufgrund des evaluativen Ansatzes darauf verzichtet, Aussagen in Bezug zum Geschlecht oder Alter der Interviewten zu setzen. Zwar waren Rückschlüsse auf die Expertise der befragten Personen durchaus erwähnenswert, aber aufgrund des geringen Umfangs und der Wahrung der Anonymität nicht wünschenswert, weswegen darauf verzichtet wurde. An dieser Stelle werden die sechs hervorstechendsten Ergebnisse aus den Interviews präsentiert:

Tab. 2: Haupt- und Subkategorien der Untersuchung

Lernzugangswege unterscheiden sich: Dass Menschen unterschiedliche Zugänge zum Lernen haben, ist zwar keine große neue Erkenntnis, verweist jedoch darauf, dass die diversen Möglichkeiten, mit neuem Wissen in Berührung zu kommen, eine große Rolle für die befragten Personen spielen. Klassische Formen der Wissensgenerierung, etwa aus Gesprächen und Büchern, waren dabei genauso vertreten durch die Nutzung von digitalen Angeboten, wie beispielsweise E-Learning Plattformen. Auch gab es Hinweise darauf, dass allein die Bereitstellung von Dokumenten/Informationen durch die Einrichtung noch kein Garant für erfolgreichen Wissenserwerb ist. Vielmehr konkurriert das hauseigene System mit anderen Plattformen, wie Google oder weiteren E-Learning Plattformen, was die Zunahme von informellen Lernmethoden unterstreicht.

Wissenstransfer braucht Zeit und Personal: Fehlende Zeit und Personalnot traten in den Interviews am häufigsten als Hindernis für einen guten Wissenstransfer auf. Folgende Aussage verdeutlicht dies: "Naja aktuell hab ich den Eindruck, dass die meisten Mitarbeiter kaputt sind, überarbeitet sind, nich frei zur Weiterbildung […], wenn die personelle Situation nich mehr so angespannt wäre, hätte man durchaus die Möglichkeit zu sagen oh ja, jetz könnt ich mich intressiern für den und den Bereich, könnte da mitarbeiten [...] mich da weiterentwickeln" (G, Abs. 126). Stets zum Einspringen abrufbar zu sein, wird als hinderlich angesehen. Durch die gefühlte Überforderung sinkt die Motivation und der Wissenstransfer leidet. Zugleich bedeutet dies nicht, dass das alleinige Vorhandensein von Zeit und Personal die Wissensvermittlung vorantreibt.

Aufgabenbeschreibungen an der Expertise orientieren: Die Interviews lassen darauf schließen, dass es kaum Stellen- bzw. Aufgabenbeschreibungen für Pflegende nach einer Fort- und Weiterbildungsmaßnahme gibt. So wurden Wünsche geäußert, mehr mit einbezogen zu werden und Verantwortung zu übernehmen. "[...] Mitarbeit in AGs, an vielleicht Planungsrunden oder in Form von hausinternen Fachweiterbildung könnt ich mir schon vorstellen […], mitwirken oder auch Prozesse hinterfragen […], Dinge entwickeln [...], vielleicht fachlich dann Dinge hinterleuchten oder Arbeitsabläufe hinterfragen" (G, Abs. 137). Wenn Pflegenden im Unternehmen keine Möglichkeit gegeben wird, die in einer Fach- bzw. Weiterbildung gewonnenen Kenntnisse anzuwenden, besteht die Gefahr, dass Potenziale nicht voll ausgeschöpft werden. Deutlich wurde auch, dass es unterschiedliche Wahrnehmungen zwischen Aufgaben- und Stellenbeschreibungen gab. Die Lösung könnte in einer konkreteren Ausgestaltung von Aufgabenbeschreibungen liegen, die sich an der Expertise orientieren.

Wissenstragende Personen brauchen Austausch: Ein weiteres Ergebnis ist der zu geringe Austausch zwischen den wissenstragenden Personen selbst. Die Wünsche nach mehr Mitbestimmung und einer engeren Zusammenarbeit zeigen, dass die befragten Personen eine Alleinstellung ablehnen. Der fehlende fachliche Dialog wird hier zum Merkmal der Wissensorganisation. Demnach sollten Möglichkeiten für den Ausbau interner und externer Netzwerke geschaffen werden. Eine positive Wirkung auf die Wissensgenerierung hätte die Teilnahme an Kongressen, die sektoren- und berufsübergreifende Vernetzung zwischen Menschen mit gleicher Expertise, die ein prozessoptimiertes Handeln möglich macht, und der kommunikative Austausch innerhalb eines Krankenhauses, der den Personen vor Ort als Unterstützung und Wegweiser dienen kann. Dies fördert das kooperative Lernen und initiiert einen gemeinsamen Lernprozess.

Wissen vermitteln, aber wie? Bei der Vermittlung von Wissen können Unsicherheiten auftreten. Pflegende benötigen nach Fort- und Weiterbildungen Training, um das erworbene Wissen optimal weitergegeben zu können. "[...] für uns war's ja halt auch, dass wir [...] mehr das Lernen und Lehren selber auch lernen wollten […] man hat ja nicht dieses Dozentenwissen […] und versucht es ja trotzdem so leicht, so einfach wie möglich auch an andere Mitarbeiter weiterzugeben" (B, Abs. 37). Durch Kommunikationstrainings und die Vermittlung von Präsentationstechniken könnte ein wichtiger Schritt beim Ausbau der didaktischen Fertigkeiten für die wissensvermittelnden Personen erzielt werden. Dass Lernerfahrungen von positiven bzw. negativen Reaktionen gelenkt werden, spielt dabei eine wichtige Rolle. Wenn Lehrende nicht auf ihre Rolle vorbereitet werden, können direkte negative Auswirkungen auf Lernende nicht ausgeschlossen werden.

Expertise vs. Hierarchie: Allgemein entstand der Eindruck, dass der Expertise der Pflegenden zu wenig Beachtung geschenkt wird. Dieser Eindruck aus dem Erleben der befragten Personen konnte auch an Barrieren festgemacht werden, die mit der hierarchischen Struktur verknüpft sind. Auf Grund einiger Äußerungen, in denen die Grenzen sehr klar beschrieben wurden, muss angenommen werden, dass die Hierarchie einen negativen Einfluss auf die Entwicklung der Expertise beruflich Pflegender hat. "[…] gibt ja bestimmte Bereiche, da wird der [Experte] nich so gern gesehen, weil wenn jemand nen [Krankheitsbild] bearbeiten kann, dann ist es halt der [Arzt], äh und die sind da auch etwas empfindlicher, was die Einmischung in diesen heiligen Bereich angeht" (E, Abs. 67). Hierarchien abzubauen bedeutet im Umkehrschluss eine Verbesserung für angewandtes Wissensmanagement. Die Expertise als wichtige Komponente berufsgruppenunabhängig in hierarchische Strukturen zu implementieren, erscheint möglicherweise gewagt, jedoch nicht abwegig.

Wie wird Wissen künftig vermittelt?

Der demografische Wandel, die derzeitige Personalnot und die damit verbundene permanente Überlastung des Personals erschreckt und offenbart eine eher schlechte Prognose zum Umgang mit Wissen. Für die Berufsgruppe scheint es noch ein langer Weg zu sein, bis durch Fort- und Weiterbildung gewonnene Kompetenzen als Besonderheit der Berufsgruppe gesehen und ihre Expertise entsprechend genutzt wird. Wenn für beruflich Pflegende keine speziell auf die Bildungsmaßnahme zugeschnittenen Aufgabenbeschreibungen im Tätigkeitsfeld vorliegen, besteht die Gefahr, dass ihre Leistungsfähigkeit, Motivation und die Identifikation mit dem Unternehmen sinken und mit dem Ausscheiden aus dem Unternehmen enden. Fehlendes Know-how hat beim Lehren negative Auswirkungen auf Lernende. Fehlendes Know-how in Führungs- und Leitungspositionen hat ähnliche Effekte bei Wissenstragenden.

Wissenstragende werden in der Zukunft neue didaktische Fähigkeiten und Strategien brauchen, um Wissen zu vermitteln. Dabei sind traditionelle Austauschforen genauso sinnvoll wie E-Learning Plattformen oder andere digitale Netzwerke. Mit all diesen Maßnahmen gehen höhere Kosten, Strukturveränderungen, Strategien und ein allgemein höherer Aufwand einher. Die Legislative legt dabei zwar einen wichtigen Grundstein, kann aber nicht allein dafür verantwortlich gemacht werden, Prozesse anzutreiben. Grundlage allen Handelns, muss die systematische und strukturierte Analyse und Auswertung des Ist- Zustandes sein. Nur so lassen sich sinnvolle und zukunftsweisende Lösungsansätze und Strategien entwickeln. Auch die Pflegewissenschaft kann dazu einen wertvollen Beitrag leisten. Eine Betrachtung der intrinsischen und extrinsischen Motivation beruflich Pflegender sowie die Perspektiven der Menschen einzufangen, die von einer Wissensvermittlung profitieren, ist vorstellbar.

Literatur

  • Bogner, A, Littig B, Menz W (2002) Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung. Springer, Wiesbaden

  • Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2016) Weiss Buch, Arbeiten 4.0. BMAS, Berlin

  • Nikodemus P (2017) Lernprozessorientiertes Wissensmanagement - Konfiguration und Koordination der Prozesse. Springer, Wiesbaden

  • Poltermann A (2013) Wissensgesellschaft - eine Idee im Realitätscheck. Bundeszentrale für politische Bildung. http://www.bpb.de/gesellschaft/bildung/zukunft-bildung/146199/wissensgesellschaft (Zugriff am 14.01.2020)

  • Schäfer E (2017) Lebenslanges Lernen - Erkenntnisse und Mythen über das Lernen im Erwachsenenalter. Springer, Berlin

  • Stemmer R, Bartholomeyczik S (2016) Ethikkodex Pflegeforschung. DGP. https://dg-pflegewissenschaft.de/ethikkommission/ethikkodex/ (Zugriff am 14.01.2020)