Worauf es bei der Anwerbung aus Drittstaaten ankommt Immer mehr Unternehmen der Gesundheitswirtschaft beschäftigen sich mit der Gewinnung und Qualifizierung von Pflegefachkräften weltweit. Gleichzeitig nehmen Unzufriedenheit und Enttäuschung in diesem Betätigungsfeld zu, denn auch bei realistisch anmutenden Zeitschienen, zeit- unkritisch geplanten Personalzuwächsen und zunehmenden Investitionen der deutschen Arbeitgeber lassen sich oftmals die getroffenen Absprachen mit den Kooperationspartnern nicht einhalten. Ist der Faktor Mensch unkalkulierbar?

Zuwanderung aus Drittstaaten zur Personalgewinnung

Aufgrund fehlender Erfolge ist der Fachkraftengpass zumindest medial allgegenwärtig und - regional differenziert - spürbar. Dem entgegen stehen Maßnahmen, Fachkräfte auf internationaler Ebene für die deutsche Gesundheitswirtschaft zu gewinnen. Laut Bundesregierung wurde im Jahre 2016 rund 4.300 Pflegefachkräften aus so genannten Drittstaaten durch die Bundesagentur für Arbeit eine entsprechende (Vorab)Zustimmung erteilt. So ist zu konstatieren, dass die internationale Anwerbung von Pflegefachkräften (außerhalb der EU) und mittlerweile auch Auszubildenden eine tragende Säule im Bereich Personalgewinnung einnimmt.

Manche Träger haben bereits eigene Projekte gestartet und dabei leidvolle, d.h. kostenintensive Erfahrungen gesammelt. Das wiederum hat zur Folge, dass sich immer mehr Dienstleister und Personalvermittler auf diesem Markt tummeln. Zum derzeitigen Marktführer DEKRA Expert Migration und erfahrenen Anbietern wie der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) gesellen sich immer mehr Start-Ups. Alle zeigen sich unterschiedlich in Größe und Konzeption, manche haben eine kurze Halbwertszeit, manche agieren nur in wenigen Herkunftsländern, manche haben auch Ärzte im Angebot, manche beliefern nur regional begrenzt Einrichtungen. Gemein wiederum ist allen Anbietern die Hürde der beruflichen Anerkennung in Deutschland irgendwie meistern zu müssen, sei es mit oder ohne Unterstützung des späteren Arbeitgebers der Pflegeakteure. Letztlich geht es um die Einhaltung von Zusagen, Verträgen und Absprachen mit entsprechenden Investitionen - und das über Ländergrenzen hinweg. Und um beides irgendwie abbilden oder skalieren zu können, wird mitunter der Faktor Mensch hintenangestellt. Das ist oft fatal, denn die Abbrecherquote bei diesen Programmen ist aus eigener Erfahrung enorm hoch. Das hat zur Folge, dass Vorauszahlungen verloren, perspektivische Stellenpläne nicht zu halten sind und den Personaldienstleistern mit Skepsis oder mit Misskredit begegnet wird.

Der Faktor Mensch bezieht sich nachfolgend auf die migrationswilligen internationalen Pflegekräfte weltweit. Die Ausführungen zu zwei Themenfeldern sollen zum einen ein Schlaglicht darauf werfen, was diese Pflegekräfte auf sich nehmen, um zu guter Letzt in die eingangs genannte Statistik zu gelangen. Zum anderen wird deutlich, dass Personaldienstleister und die Träger selbst all diese "weichen Einflussgrößen" nicht vollends beeinflussen können.

Der schwierige Weg zum Spracherwerb

So geht es los: Irgendwo auf der Welt findet ein Interessent eine Ausschreibung attraktiv, die ihm ein Leben und Arbeiten in Deutschlands Gesundheitswirtschaft ermöglicht. Auf die Bewerbung folgt eine erste Selektion, wesentliches Kriterium ist dabei die Anerkennungsfähigkeit des im Heimatland erworbenen Pflege-Abschlusses. Neben diesem formalen Kriterium beginnt nun die große Herausforderung des Sprachunterrichts oder -erwerbs. Alle internationalen Akteure müssen mindestens mit B1-Sprachzertifikat (nach GER) einreisen, in manchen Fällen wird auch B2-Niveau gefordert (je nach Konzept oder Herkunftsland). In jedem Falle bedeutet dies, nun wieder die Schulbank zu drücken, um eine neue Sprache zu erlernen. Manchmal kommt auch die komplette Alphabetisierung hinzu. Dies vor dem Hintergrund, dass in der Regel eine berufliche Tätigkeit, ein Partner, eine Familie und möglicherweise auch Kinder bereits Zeit und Energie der interessierten Pflegekraft in Anspruch nehmen.

In der Regel ist das Einkommen für Pflegekräfte in ihrem Heimatland kaum mit dem deutschen Gehaltsrahmen vergleichbar, was dazu führt, dass meist eine berufliche Tätigkeit parallel zum Unterricht ausgeübt werden muss - sei es im Bereich Pflege (z.B. mit Schichtdienst) oder berufsfern. Häufig wird der Spracherwerb gegenüber dem aktuellen Arbeitgeber auch verheimlicht, zeigt er doch auf, dass sich die Pflegekraft bald verabschieden will. Der Sprachunterricht mündet final in einer Prüfung eines anerkannten Sprachzertifizierers (z.B. telc, Goethe-Institut, ÖSD), der das Sprachniveau seriös bestätigt. Von daher ist es nachvollziehbar, dass vorab kalkulierte Zeitpläne sich mitunter endlos verlängern, dass Teilnehmer an den Sprachkursen irgendwann aufgeben, dass an Sprachprüfungen mehrmals gescheitert wird oder dass es zu Finanzierungsengpässen kommen kann. Bereits an dieser Stelle kommen weitere Einflussgrößen wie Erwachsenenpädagogik, kulturelle Unterschiede im Lernen, Lernmethoden (frontal, digital, Lern-Mix) oder zeitliche Engpässe durch die eigene Kernfamilie hinzu.

Für eine lebenserfahrene Pflegekraft kann dies bedeuten, sich erst wieder mit dem Lernen an sich auseinanderzusetzen, das Lernen wieder zu lernen und dies möglicherweise in Einklang mit der geschilderten Doppel- oder Dreifachbelastung zu bringen. Es geht daher auch um das "Wie" des Spracherwerbs: sei es mit Frontalunterricht, Whiteboards, eigenen oder geliehenen Sprachlernbüchern oder billigen Blattkopien, Tablets oder Smartphones, stundenweise berufsbegleitend oder in Vollzeit, in Gruppen oder nach rollierenden Stundenplänen, mit oder ohne Fachsprache. All das sind Hürden in einem Qualifizierungsprogramm. Beispielsweise können junge ungebundene Menschen in Vietnam mit finanzieller Unterstützung der Eltern oder des späteren Arbeitgebers leichter sechs bis acht Stunden am Tag in einem geschlossenen Setting (sprich internatähnlich) Sprachunterricht besuchen, als eine zweifache Mutter in der Ukraine, die ebenso viele Stunden in einer Klinik arbeitet. Auch besitzt nicht jede kosovarische Pflegekraft ein Tablet und die Internetverbindung auf den Philippinen deckt auch nicht jeden Landstrich für das Üben zuhause ab.

Familie und Co. im Kontext der Pflegemigration

Mit dem Angebot, zukünftig in Deutschlands Kranken- und Altenpflege zu arbeiten, wird elementar in die Biografie einer Pflegekraft eingegriffen. Will eine Fachkraft außerhalb der EU diesen Weg beschreiten, muss sie nicht nur die sprachbezogenen Hürden nehmen, die Entscheidung hat auch Auswirkungen auf ihr persönliches Umfeld. Und nicht immer ist das Umfeld einverstanden. So gibt es Fälle, in denen die Eltern einer jungen Pflegekraft interveniert und sie vom Vorhaben der Emigration wieder abgebracht haben. Es gibt Konstellationen, in denen während der Sprachausbildung enge Familienangehörige erkranken, Partner in nichtehelichen Beziehungen aller Voraussicht nach keinen Aufenthaltsstatus in Deutschland erhalten oder in denen Ehemänner es mit zunehmender Dauer nicht gut finden, dass die Ehefrau fernab das Familieneinkommen sichern wird und sie vorerst zurückbleiben.

Entscheidend ist, ob sich eine migrationswillige Pflegekraft als zeitlich befristete, söldnerähnliche Haupternährerin betrachtet, die nun in den USA, im arabischen Raum oder in Deutschland über einige Jahre allein vor Ort ihren Dienst ableistet und in dieser Zeit möglichst viel ihres Einkommens in ihr Herkunftsland transferiert, um die Kernfamilie und Angehörige bis zu ihrer Rückkehr zu versorgen. Eine Haltung, die oftmals philippinischen Akteuren nachgesagt wird. Der andere Weg ist von vornherein auf Familiennachzug ausgelegt und daher für die deutschen Arbeitgeber zukunftsträchtiger, aber auch komplizierter. Unter idealen Voraussetzungen wird zwar ein Mitarbeiter langfristig gewonnen, allerdings ist der Nachzug der Kernfamilie auch ein limitierender Faktor. Denn der Arbeitsplatzwechsel betrifft letztendlich die ganze Familie.

In jedem Falle reist die Pflegekraft zuerst ganz allein ein, sei es um die berufliche Anerkennung zu schaffen und damit den Aufenthaltstitel zu sichern, sei es, um anzukommen oder sich sprachlich, örtlich, professionsbezogen zu akklimatisieren. Weiter ist es essentiell, um für die später nachziehenden Familienmitglieder die Lebensunterhaltssicherung und ausreichend Wohnraum gewährleisten zu können. Diverse behördliche Prozesse können bis zu 18 Monaten dauern, bis Kinder oder der Ehemann legal nach Deutschland nachkommen dürfen. Weiter ist es hilfreich, wenn die Kernfamilie auch vorab Deutsch lernt - in Deutschland herrscht Schulpflicht, d.h. das Kind einer zugewanderten Pflegefachkraft hat unmittelbar nach Einreise die örtliche Schule zu besuchen. Und auch der Ehepartner wird erstens leichter einen Job nach der Einreise finden, ansonsten muss er zweitens sein Sprachdefizit im Integrationskurs beheben. Bei Kindern kommt erschwerend hinzu, dass vom 16. bis 18. Lebensjahr das Sprachniveau C1 (nach GER) gefordert wird - eine enorm hohe Hürde. All diese Herausforderungen können das ursprünglich geplante Vorhaben einer Pflegekraft signifikant erschüttern und zum Widerruf von getroffenen Entscheidungen führen. Dazu mag auch beitragen, dass nicht jeder Dienstleister oder späterer Arbeitgeber diese möglichen schwierigen Szenarien auch von vornherein bei der Anwerbung so offen darlegt.

Ein Filtermodell für den Rekrutierungsprozess

Eigene Erfahrungen zeigen, dass bei diesem Prozess von Anwerbung bis finaler Familienzusammenführung eine Vielzahl unkalkulierbarer, da menschlicher Faktoren eintreten kann, sodass es empfehlenswert scheint, immer in einem Filtermodell zu denken: es wird zu Beginn eine Vielzahl an potentiellen internationalen Pflegepersonen benötigt, um letztendlich ein für alle Seiten gelungenes Dasein einer irgendwann immigrierten Pflegefachkraft in Deutschland zu erreichen. Abbildung 1 zeigt, wie im Laufe des Prozesses diverse formale Hürden zu nehmen sind. Scheitert ein Akteur, wird er herausgefiltert, sein Weg in Deutschland ist zu Ende. Diesen Herausforderungen kann nur mit Unterricht, Vorbereitung, Praxistraining und ähnlichen Maßnahmen begegnet werden.

figure 1

Abb. 1: Filtermodell der Qualifizierung von Pflegefachkräften aus Drittstaaten (eigene Darstellung)

Hinzu addieren sich die dargelegten menschlichen Faktoren wie das Zurücklassen hilfebedürftiger Eltern, mangelndes Sprachtalent, eine Schwangerschaft, Prüfungsängste oder Druck im Kontext von Kenntnisprüfungen. Alles Variablen, die nur sehr eingeschränkt von Qualitätsmanagement, Transparenz, Kennzahlen oder Verträgen zu gestalten sind. Auch hier resultiert im Einzelfall, dass ein angeworbener Teilnehmer aus dem Prozess von sich aus ausscheidet, indem er in dem "emotional-menschlichen" Filter hängen bleibt.

Literatur

  • Pflegekammer Niedersachsen (2018) (Hrsg.) Bericht zur Lage der Pflegefachberufe in Niedersachsen. https://www.pflegekammer-nds.de/files/downloads/online-Bericht.zur.Lage.der.Pflegefachpersonen.in.Nds.2018.pdf (letzter Zugriff am 21.04.2019)

  • Deutscher Bundestag (2018) Ausländische Pflegekräfte in Deutschland. Drucksache 19/2455, 04.06.2018