1 Auseinandersetzungen um Unternehmenstransparenz

„Transparenz ermöglicht demokratische Kontrolle“ argumentiert unter anderem die Nichtregierungsorganisation GermanwatchFootnote 1 und meint damit nicht die Transparenz von staatlichen Institutionen. Vielmehr fordert die Organisation, dass Unternehmen alle Informationen offenlegen müssen, die eine Einschätzung über menschenrechtliche, soziale, politische und ökologische Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit weltweit erlauben.

Dieses Zitat spiegelt die große Bedeutung wider, welcher der Transparenz für Demokratisierungsprozesse von Unternehmen zugeschrieben wird. Transparenz soll für eine Demokratisierung von Unternehmen sorgen und damit das wachsende Demokratiedefizit von Staaten kompensieren. So werden Unternehmen mit Forderungen konfrontiert, die ehemals vornehmlich an Staaten gerichtet wurden. Deswegen sprechen einige Autoren von einer neuen politischen Rolle von Unternehmen, bei der insbesondere multinationale Konzerne mit denselben Ansprüchen nach Transparenz und demokratischer Teilhabe konfrontiert werden wie Staaten und als Reaktion darauf auch zunehmend staatliche Steuerungsfunktionen übernehmen (Zürn 2007; Scherer und Palazzo 2011). Trotz dieser scheinbar zentralen Bedeutung von Transparenz für die Politisierung unternehmerischen Handelns wissen wir wenig über die tatsächlichen Inhalte der Transparenzansprüche verschiedener Akteure. Der Beitrag schlägt vor, eine Konfliktperspektive auf die Deutungen von Unternehmenstransparenz einzunehmen. Denn geht es um die konkreten Transparenzpolitiken und Praktiken von Unternehmen, gibt es keinen klaren gesellschaftlich-rechtlichen Konsens. Vielmehr entstehen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen Konflikte um die Erwartungshaltungen und Ziele, die mit einer stärkeren Transparenzierung von Unternehmen einhergehen. Diese Konflikte werden zunehmend zwischen nichtstaatlichen Akteuren, sozialen Bewegungen, Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften, Unternehmen und Wirtschaftsverbänden direkt ausgetragen, ohne dass dem Staat als Adressat eine zentrale Rolle zukommt und werden deshalb als Ausdruck „privater Politik“ gesehen (Baron 2003; Soule 2012).

Dieser Beitrag diskutiert private Transparenzkonflikte am Beispiel von Auseinandersetzungen um Transparenz multinationaler Unternehmen (MNUs) und setzt dies in Bezug zu aktuellen Debatten um die neue politische Rolle von MNUs. Er sieht Transparenzkonflikte zwischen Unternehmen und Zivilgesellschaft als Ausdruck und zentralen Gradmesser des sich wandelnden Verhältnisses zwischen Staat, Markt und Zivilgesellschaft. Dabei spiegeln die Auseinandersetzungen darüber, wer welche Informationen wie öffentlich zugänglich macht, etablierte Machtverhältnisse wider, die sich jedoch gleichzeitig im Interaktionsverlauf neu justieren können. Auseinandersetzungen über Transparenzerwartungen können also das Verhältnis zwischen zivilgesellschaftlichen (soziale Bewegungen, Bürgerinnen und Bürger, Gewerkschaften) und ökonomischen Akteuren (Unternehmen, Wirtschaftsverbände) sowie gegenüber dem Staat ändern. Zentrales Argument ist, dass die Konfrontation von Unternehmen mit Transparenzansprüchen gleichzeitig Reflexion und treibende Kraft für die zunehmend politisierte Rolle von Unternehmen ist. Politisierung nimmt dabei eine Doppelgestalt an: Informationsgewinnung und -bereitstellung von Unternehmen dient plötzlich nicht mehr (nur) der Optimierung ökonomischer Prozesse, sondern wird zum zentralen Mechanismus, über den Unternehmen Problemlagen identifizieren (z. B. Arbeitsrechtsverletzungen in ihren Lieferbetrieben) und politisch steuernd reagieren. Gleichzeitig sind Transparenzforderungen auch ein Versuch von sozialen Bewegungen, Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften, die wachsende politische Macht von Unternehmen einzuhegen und zu begrenzen, da die Bereitstellung von Unternehmensdaten neue Formen der öffentlichen Kontrolle ermöglichen sollen.

Dabei sehen einige Beobachter transparente Unternehmenspolitik als Allheilmittel für viele drängende Probleme (Crane et al. 2004). Im Gegensatz dazu möchte der Beitrag auch auf die inhärenten Grenzen und Limitierungen solcher Versuche hinweisen, da Unternehmen in der Regel hohe Fähigkeiten im „impression management“ (McDonnell und King 2013) und der Datenpräsentation haben, was eine objektive Verifikation der Informationen fast unmöglich macht. Deshalb scheint es kaum verwunderlich, dass private Transparenzkonflikte immer auch Auseinandersetzungen um die Glaubwürdigkeit der Inhalte umfassen, wie Beispiele zu Konflikten um Arbeitsbedingungen in Lieferbetrieben der Textil- und Computerindustrie zeigen.

2 Unternehmenstransparenz und die politische Rolle von multinationalen Konzernen

Bisher sind die Debatten um Unternehmenstransparenz kaum mit der Analyse der sich wandelnden politischen Rolle von Unternehmen verknüpft. Dies ist zunächst wenig erstaunlich, da ursprünglich Transparenzvorstellungen mit Demokratiekonzepten des politischen Systems verknüpft wurden (Steffani 1971). Dabei wird Transparenz unter anderem als notweniges Element zur Lösung gesellschaftlicher Probleme, der Einhegung von Macht oder der Bekämpfung von Korruption gesehen. Gleichzeitig wird Transparenz kritisch diskutiert, insbesondere wenn sie sich auf Bürgerinnen und Bürgern bezieht. Dabei galt es auch für Unternehmen sich vor dem Zugriff auf Informationen durch den Staat zu schützen.

Unternehmen wurden in der Nachkriegszeit kaum direkt mit gesellschaftlichen Transparenzerwartungen konfrontiert. Wenn überhaupt wurde Unternehmenstransparenz aus betriebswirtschaftlicher Perspektive mit Bezug auf interne Zugänglichkeit von Daten und Informationsasymmetrien diskutiert, um bestimmte Prozesse zu optimieren oder im Hinblick auf Kundenbindung (Holtgrewe 1968). Demokratie im Unternehmen bezog sich bis in die 1990er-Jahre hinaus fast ausschließlich auf betriebliche Mitbestimmung durch Arbeitnehmer und Gewerkschaften. Der Staat, und nicht etwa Unternehmen, hatte sich um die Belange der Gesellschaft zu kümmern und gesellschaftliche Probleme über Regulierung, Verwaltung und die Durchsetzung von Gesetzen zu lösen. Diese Trennung der gesellschaftlichen Teilbereiche Staat-Markt-Zivilgesellschaft begann sich im Zuge der globalen ökonomischen Integration aufzulösen (Offe 2000). Dieser Prozess wurde zum einen proaktiv von großen multinationalen Konzernen getrieben, die im Zuge von Restrukturierung und Produktionsverlagerung ihre Machtposition gegenüber Staat und Gewerkschaften erweitern konnten. Gleichzeitig sind Staaten unter anderem aufgrund von Wettbewerbsdruck, Privatisierung und Individualisierung, aber auch wiederkehrenden Krisendynamiken (Wirtschafts-, Finanz- und Flüchtlingskrisen) zunehmend weniger willig oder in der Lage, die vielfältigen gesellschaftlichen Problemlagen aufzugreifen und darauf zu reagieren (Scherer und Palazzo 2011).

In diesem Kontext werden Unternehmen verstärkt für bestimmte soziale und ökologische Probleme verantwortlich gemacht und dabei gleichzeitig auch als Problemlöser adressiert (Soule 2012; Zajak 2015). Soziale Bewegungen, häufig in Kooperation mit Gewerkschaften, mobilisieren zunehmend „im Markt“, das heißt in Form unternehmenskritischer Kampagnen- oder Shareholder- oder Konsumentenmobilisierung (Baringhorst et al. 2007; Zajak und Kryst 2017).

Einige Autoren haben eine spezifische Politisierungsdynamik von Unternehmen prognostiziert: Je mehr Unternehmen an Macht gewinnen und das Ausmaß der gesellschaftlichen Folgen unternehmerischen Handelns immer sichtbarer wird – oder mit Karl Polanyi (1957) gesprochen, Unternehmer immer erfolgreicher in ihrem Dekommodifizierungsstrategien sind, ohne dass sie von Staaten regulativ begrenzt und eingehegt werden -, desto mehr werden sie mit Forderungen nach Selbstregulierung und gesellschaftlicher Teilhabe konfrontiert (Zürn 2007). Gleichzeitig ist solch eine Politisierungsdynamik kein automatischer Prozess, vielmehr müssen Probleme als solche identifiziert, dem Verantwortungsbereich von Unternehmen zugeschrieben und mobilisiert werden (Zajak 2016 i. E.). Unternehmen sind dabei keine passiven Akteure, sondern greifen aktiv in die Deutungskämpfe um Verantwortungsbereiche und notwenige Steuerungsmaßnahmen ein. Häufig findet dies im Kontext von Debatten um Corporate Social Responsibility Initativen (CSR) statt. Es ist dieses Themenfeld, welches die Debatte um eine Neukonzeptionalisierung der politischen Rolle von Unternehmen entfachte. So definieren Scherer und Palazzo die neue politische Rolle von MNUs folgendermaßen: „Political CSR suggests an extended model of governance with business firms contributing to global regulation and providing public goods. It goes beyond the instrumental view on politics in order to develop a new understanding of global politics where private actors such as corporations and civil society organizations play an active role in the democratic regulation and control of market transactions“ (2011: 901).

Transparenz wird dabei zu einem bisher wenig beachteten Schlüsselkonzept, da die Bereitstellung von Informationen durch Unternehmen über die Umsetzung von sozialen oder ökologischen Standards als grundlegende Voraussetzung und Kontrollmechanismus für deren Einhaltung betrachtet wird (Gilbert et al. 2010). So gehen Sabel et al. (2000) beispielsweise davon aus, dass Informationsbereitstellung der zentrale Faktor ist, über den Sanktionsmacht entfaltet und eine Verbesserung der Standards bewirkt werden kann. Gupta (2010) bezeichnet dies auch als „governance by disclosure“.

Dabei scheint sich eine interessante Wechselwirkung herauszukristalisieren: als Reaktion auf gesellschaftliche Kritik greifen Unternehmen immer weitreichender steuernd in gesellschaftliche Kontexte ein. Doch die Übernahme regulativer Kompetenzen führt nicht zwingend zur Rückgewinnung von Vertrauen und Legitimität unternehmerischen Handelns, sondern kreiert Misstrauensspiralen, die mit immer weitreichenderen Transparenzforderungen und dem Anzweifeln des Wahrheitsgehalts der Informationen einhergehen können. Dies ist insofern ein inhärent politischer Prozess, da Transparenzdeutungen und deren öffentliche Artikulation wichtige Legitimationsstrategien der beteiligten Akteure sind. Für soziale Bewegungen ist die mediale Aufdeckung intransparenter gesellschaftspolitischer Prozesse schon lange eine wichtige politische Strategie. Unternehmen hingegen versuchen, sich durch die Darstellung bestimmter Informationen zu legitimieren, wobei sie gleichzeitig die Offenlegung anderer Informationen zurückweisen, von denen sie meinen, die Preisgabe gefährde ihren Wettbewerbsvorteil. Der Staat selbst stellt zunehmend eigene Transparenzierungstechniken bereit, die die Glaubwürdigkeit der Daten erhöhen sollen. Als Beispiel kann das Onlineportal „Siegelklarheit“ des Entwicklungsministeriums gelten, auf dem ein Überblick über verschiedenste Textilsiegel gegeben wird.Footnote 2

Dies ist in kaum einem Themenfeld so sichtbar geworden wie in der Debatte um Arbeitsbedingungen in Lieferbetrieben globaler Konsumgüterproduzenten. Im Folgenden soll Nike, Apple und Co. zur Veranschaulichung der Dynamik von privaten Transparenzkonflikten und der Neudefinition der politischen Rolle von MNCs dienen.

3 Transparenzspiralen und globale Produktionsnetzwerke

Zunächst ist es nicht selbsterklärend, dass multinationale Konzerne, die ihre Produkte vor allem in Asien und Lateinamerika produzieren lassen und in Europa und den USA verkaufen, die Einhaltung von Gesetzen durch ihre Lieferbetriebe regulieren sollten. Schließlich sollten diese ja durch nationales Recht gebunden sein. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht sind Unternehmen rationale Akteure, die Entscheidungen über Lieferanten und Einkaufspraktiken aufgrund ökonomischer Kosten-Nutzen-Kalküle stellen (bspw. Barney 1991). Der Preis eines T‑Shirts oder Schuhs ist somit ausschlaggebend, und nicht normative, soziale oder ökologische Qualität des Lieferanten. Diese Vorstellungen haben sich jedoch zumindest für einige Industrien grundlegend gewandelt.

Die ersten öffentlichen Proteste gegen menschenunwürdige Arbeitsbedingungen fanden in Europa und den USA Ende der 1980er und Anfang der 1990er unter anderem gegen Nike und C&A statt. Danach folgte eine lange Reihe von Auseinandersetzungen um die Arbeitsbedingungen in globalen Produktionsnetzwerken, die bis heute andauern (Zajak und Kryst 2017). Kern dieser Auseinandersetzungen zwischen Unternehmen und der sogenannten Anti-Sweatshop-Bewegung bilden nicht nur Forderungen nach der Einhaltung nationalen und internationalen Rechts und gewerkschaftlicher Mitbestimmung; Unternehmen sollen auch Informationen offenlegen über ihre Lieferketten und ihre Einhaltung von Standards belegen. Dies führte zunächst zur Etablierung einer Vielzahl von Siegeln, Zertifizierungsverfahren und neuer Formen privater Regulierung (Multistakeholder-Initiativen), die die Einhaltung von Kernarbeitsnormen nach außen signalisieren und in Berichten darlegen sollen (Soule 2012; Zajak 2016). Solch eine Bereitstellung von Informationen hätte damit den Konflikt befrieden und gleichzeitig die Bindewirkung der Regulierung erhöhen sollen.

Tatsächlich war das Gegenteil der Fall. Diese ersten Transparenzierungsschritte führen zu immer weiteren Forderungen nach mehr Offenheit, besseren Datenerhebungsverfahren und zivilgesellschaftlicher Partizipation. Unternehmen reagieren häufig proaktiv auf diese Forderungen, ohne jedoch de facto Macht dabei abzugeben. Sie sind es, die Transparenzierungsverfahren und -akteure (z. B. Audit Firmen und Consultants) festlegen sowie den Inhalt und die Darstellungsweise der Informationen bestimmen. Aus Bewegungssicht deutet dies auf ein „Transparenzparadox“ hin, welches die Dynamik der Transparenzspirale befeuert: Auf der einen Seite wird Transparenz gefordert, um mehr Partizipation und Demokratie in Unternehmen zu ermöglichen; auf der anderen Seite werden Transparenzierungstechniken als Machttechniken gesehen, durch die Unternehmen ihr öffentliches Ansehen managen, Risiken der Kritik minimieren und ihre Macht gegenüber dem Staat, aber auch der Zivilgesellschaft ausbauen. Vieles deutet dabei auf einen spiralförmigen Eskalationsprozess hin, bei dem die Einführung neuer Transparenzpraktiken (z. B. die Einführung von Interviews mit Arbeitern zur Datengewinnung und Bereitstellung von Datenbanken über Beschwerdeverfahren online) nicht etwa zu einer Befriedung des Konflikts führt, sondern weitere Eskalationsstufen nach sich zieht. Denn statt Vertrauen und Legitimität zu generieren, schafft die vermeintliche Vergrößerung des Transparenzgrades neue Erwartungshaltungen und kann dann delegitimierend wirken, wenn die Qualität der Verfahren oder der Wahrheitsgehalt der Informationen als nicht glaubwürdig erscheint.

So stehen in der Textilindustrie häufig Beteuerungen der Unternehmen zu tatsächlichen Verbesserungen in ihren Lieferketten immer wieder Belegen von Aktivisten und Gewerkschaften gegenüber, die diese Fortschritte bezweifeln, indem sie beispielsweise Fabrikarbeiter öffentlich zu Wort kommen lassen, die Diskriminierung und Menschenrechtsverletzungen erleiden. Dabei bleiben die Positionen oftmals unversöhnlich gegenüber stehen, ohne dass es zu einer Einigung kommt. Ein besonders eklatantes Beispiel ist der Einsturz des Rana Plaza Gebäudes in Bangladesch, bei dem mehr als 1000 Textilarbeiter ums Leben kamen, obwohl sich die Käufer zur Einhaltung von Sicherheitsstandards in ihren Codes of Conducts bereits verpflichtet hatten. Bis heute und trotz verschärfter Inspektionen und einer wahren BerichtsflutFootnote 3 streiten sich nationale und internationale Gewerkschafter und weitere Arbeitsrechtsorganisationen mit multinationalen Unternehmen und Lieferanten darüber, welche Fabriken als sicher gelten und welche nicht.

Ein weiteres prominentes Beispiel ist der Fall der chinesischen Großfabrik von Foxconn, in der mit über 300.000 Mitarbeitern unter anderem iPhones für Apple produziert werden. Obwohl Foxconn nicht zur Textilindustrie gehört, teilt diese Branche die Charakteristika der arbeitsintensiven Niedriglohnproduktionsweise, wie sie auch für den Textilbereich typisch ist. Trotz vielfältiger Vorwürfe von Arbeitsrechtsverletzungen wurde die Fabrik durch eine Multistakeholder-Initiative als regelkonform begutachtet. Erst als der Anstieg von Selbstmorden für öffentliche Aufmerksamkeit sorgte, wurde die Fabrikanlage umfangreichen Prüfungen unterzogen und verschiedenste Verbesserungsvorschläge, die unter anderem die Einführung einer Betriebsgewerkschaft vorsahen, unterbreitet. Inwiefern dies jedoch zu einer tatsächlichen Verbesserung der Arbeitsnehmersituation geführt hat, bleibt bis heute umstritten. Internationale Gewerkschaften, NGOs und soziale Bewegungen werfen Apple und Foxconn vor, die Fakten falsch und selektiv darzustellen und in ihrem Sinne zu interpretieren, um die Arbeiterschaft weiterhin ausbeuten zu können.

Die Beispiele zeigen eine Reihe von Elementen privater Transparenzkonflikte auf, die es zukünftig näher zu erforschen gilt. Dazu zählt erstens die Relativität und Relationalität von Transparenzvorstellungen, da nicht nur unterschiedliche Kriterien von verschiedenen Akteuren angelegt werden, sondern der Grad an Transparenz auch unterschiedlich wahrgenommen wird und umstritten bleibt. Dies ist zweitens direkt verbunden mit Deutungskämpfen um die Interpretation der Informationen, die bereitgestellt werden. Dabei geht es um weitaus mehr als um öffentliche Kontrolle von Unternehmen. Denn die Aussage, dass MNUs überhaupt oder sogar besser als Staaten in der Lage sind, effektiv zu regulieren und gesellschaftliche Probleme zu lösen, beruht auf der Annahme, dass den bereitgestellten Informationen ein Kern von Wahrhaftigkeit innewohnt. Die Beispiele zeigen jedoch, dass Informationsdeutungen zum zentralen politischen Konflikt werden, der zwar Transparenzierungsspiralen befeuern kann, ohne jedoch letztendlich Fragen nach Möglichkeiten und Grenzen der politischen Gestaltungsrolle von Unternehmen beantworten oder lösen zu können. Damit rücken Fragen nach Deutungsmacht und deren Übersetzung in Handlungspraktiken in den Fokus nicht nur von Transparenzforschung, sondern auch zur Forschung der politischen Rolle von Unternehmen als solche.

4 Offene Fragen und Forschungsbedarf zu Transparenzkoalitionen

Trotz dieser scheinbar zentralen Bedeutung von Transparenz für Unternehmen, wissen wir empirisch kaum etwas über die öffentlichen Auseinandersetzungen nichtstaatlicher Akteure darüber. Es erscheint erstaunlich, dass in der Literatur zu multinationalen Unternehmen und privater Regulierung zwar die Governancestrukturen und Wirkmechanismen von MNUs und Regulierungsinitiativen ausführlich erforscht sind; zugrunde liegende Vorstellungen und widersprüchliche Deutungen von Transparenz jedoch kaum explizit berücksichtigt werden. Es gibt keine systematischen Untersuchungen über die Struktur und Inhalte der Transparenzansprüche von Bürger(inne)n, deren Mobilisierung durch soziale Bewegungen und die öffentlichen Reaktionen von Unternehmen darauf. So wissen wir bisher nicht, welche Transparenzdeutungen und -diskurse von welchen Akteurskoalitionen gegenüber wem wie durchgesetzt werden: Welche Koalitionen mit welchen Deutungsinhalten lassen sich zwischen bestimmten Akteuren identifizieren? Welche Vorstellungen von Transparenz setzen sich schließlich als unternehmerische Praxis durch? Warum sorgen manche unternehmerische Transparenzpraktiken für neue Konfliktzyklen und andere nicht?

Eine Möglichkeit, diese Lücke zu schließen, ist die vergleichende Untersuchung von Transparenzkoalitionen, die bestimmte Transparenzerwartungen gegenüber Unternehmen teilen und dementsprechende Strategien verfolgen. Einen methodischen Anknüpfungspunkt dafür bietet die Diskursnetzwerkanalyse (Leifeld und Haunss 2012). Sie ermöglicht es, sowohl den öffentlichen Diskurs also auch zugrunde liegende Akteursstrukturen und deren Machtverhältnisse, die sich in der Dominanz und Durchsetzung bestimmter Diskurse widerspiegeln, zu erfassen. Erste Erkenntnisse aus einem laufenden ProjektFootnote 4 deuten darauf hin, dass Allianzstrukturen facettenreich sind und Grenzziehungen zwischen transparenzgenerierenden und transparenzeinfordernden Akteuren nicht entlang gesellschaftlicher Teilbereiche von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft erfolgen, sondern staatliche Akteure selbst Unternehmen mit Transparenzansprüchen konfrontieren.