1 Einleitung

Angesichts wachsender Flüchtlingszahlen bestimmen zusehends ordnungspolitische Gesichtspunkte die Flüchtlingspolitik und mehren sich Stimmen, die menschenrechtliche Standards beim Umgang mit Flüchtlingen leichtfertig zu verwässern versuchen oder gar in Frage stellen. Doch auch und gerade unter schwierigen Bedingungen ist es wichtig, die Flüchtlingspolitik Deutschlands und der Europäischen Union (EU) menschenrechtskonform auszugestalten (vgl. Bendel 2015, S. 28). Doch was ist menschenrechtlich geboten, und wo bieten uns die Menschenrechte, so wie sie im Völkerrecht verankert sind, einen verlässlichen Kompass? Aus dem Blickwinkel zweier ausgewählter sozialer Menschenrechte, namentlich der Rechte auf angemessene Unterkunft und auf Gesundheit, benennt der vorliegende Beitrag menschenrechtspolitischen Handlungsbedarf beim Umgang mit Flüchtlingen. Dabei konzentriert er sich auf solche Personen, die in Deutschland Asyl oder internationalen Schutz nachsuchen, sowie auf Personen, die hierzulande nur „geduldet“ werden. Außen vor bleiben anerkannte Asylbewerber/innen und Flüchtlinge, die weit stärker in die bestehenden sozialen Sicherungssysteme integriert sind.

2 Soziale Menschenrechte im Völkerrecht

Soziale Menschenrechte sind fest im Völkerrecht verankert. Zentral ist hier – neben der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte – der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte (kurz: UN-Sozialpakt). Aber auch andere Kernabkommen des UN-Menschenrechtsschutzes beinhalten ausdrücklich soziale Menschenrechte, etwa die Antirassismus-, die Frauenrechts-, die Kinderrechts- und die Behindertenrechtskonvention.

Ungeachtet der Frage, ob und inwieweit aus den international verankerten sozialen Menschenrechten unmittelbar „subjektive“ Rechtsansprüche geltend gemacht werden können, ergeben sich aus dem UN-Sozialpakt „objektive“ völkerrechtliche Pflichten, welche alle Vertragsstaaten, auch Deutschland, verbindlich umzusetzen haben – und übrigens auch zu berücksichtigen haben, wenn sie etwa im Rat der Europäischen Union die europäische Asyl- und Flüchtlingspolitik mitgestalten. Völkerrechtsdogmatisch hat sich hierbei die Trias aus Achtungs-, Schutz- und Gewährleistungspflichten etabliert.

Die Pflichtentrias verdeutlicht, dass soziale Menschenrechte nicht nur ressourcenabhängige Leistungsrechte darstellen, sondern Abwehr-, Schutz- und Leistungsdimensionen aufweisen. Auch soziale Menschenrechte begründen also einen gesellschaftlichen Freiraum für eine selbstbestimmte, eigenverantwortliche Lebensgestaltung der Menschen, den weder die Staaten noch Dritte willkürlich und unverhältnismäßig einschränken dürfen. Zugleich müssen die realen Bedingungen gegeben sein oder geschaffen werden, damit die Menschen tatsächlich ihre sozialen Menschenrechte nutzen und ein selbstbestimmtes Leben in Gemeinschaft mit anderen führen können (vgl. ausführlich Krennerich 2013).

3 Eine menschenrechtsbasierte Asyl- und Flüchtlingspolitik

Entsprechend dem Universalitätsanspruch der Menschenrechte gelten die im UN-Sozialpakt verankerten Rechte grundsätzlich für jeden Menschen, unabhängig seiner Nationalität und seines Aufenthaltsstatus’. Das heißt, nicht nur Staatsangehörige, sondern auch Nicht-Staatsangehörige besitzen die völkerrechtlich verankerten Menschenrechte, welche die Vertragsstaaten umsetzen müssen. Darunter fallen auch Flüchtlinge und Asylsuchende, wie der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte betont.Footnote 1 Die Staaten sind also völkerrechtlich verpflichtet, die sozialen Menschenrechte auch von Asylsuchenden und Flüchtlingen zu achten, zu schützen und zu gewährleisten.

Sofern die Staaten in die freiheitlichen Schutzbereiche der sozialen Menschenrechte eingreifen, müssen die Eingriffe einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten. Das heißt, sie müssen einem legitimen öffentlichen Ziel dienen und geeignet und notwendig sein, diese Ziele zu erreichen. Vor allem aber darf die Beeinträchtigung nicht übermäßig und unzumutbar sein. Dabei geht es nicht nur um eine einfache Abwägung von Rechtsgütern. Angesichts des Gewichts der Menschenrechte müssen die Beeinträchtigungen und die damit verbundenen Zumutungen in hohem Maße plausibilisiert werden. Nötig ist also eine an der Freiheit ausgerichtete Verhältnismäßigkeitsprüfung. Wichtig ist dabei die Anerkennung des – in der Menschenwürde begründeten – grundsätzlichen Anspruches eines jeden Menschen, sein Leben frei und selbstbestimmt in Eigenverantwortung und Selbstachtung zu führen.

Mit Blick auf die Leistungsdimensionen der sozialen Menschenrechte ist weiterhin zu fragen, ob die Staaten unter Nutzung ihrer verfügbaren Ressourcen genug unternehmen, um die Bedingungen dafür zu schaffen, dass Asylsuchende und Flüchtlinge ihre sozialen Menschenrechte auch umfänglich nutzen können und so imstande sind, auch unter schwierigen Bedingungen ein menschenwürdiges Leben zu führen. Hier setzt in Deutschland die Diskussion um ein garantiertes Existenzminimum an, das aus der Menschenwürdegarantie in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes hergeleitet wird. Allerdings fordert die Umsetzung der sozialen Menschenrechte, wie sie im UN-Sozialpakt garantiert sind, nicht nur die Gewährleistung des Nötigsten. Die Staaten sind vielmehr aufgefordert, die Rechte, entsprechend ihrer Möglichkeiten und Ressourcen, so umfassend wie möglich und progressiv umzusetzen.

Von besonderer Bedeutung für den Menschenrechtsschutz ist schließlich das Diskriminierungsverbot. Hier geht es nicht primär um ein mögliches Übermaß eines Eingriffes oder ein offenkundig unzureichendes Handeln des Staates, sondern um eine etwaige Gleichheitswidrigkeit staatlicher Maßnahmen. Gibt es einen gerechtfertigten und gewichtigen Differenzierungsgrund, der eine etwaige Andersbehandlung von Flüchtlingen, beispielsweise beim Zugang zu Gesundheitsleistungen, rechtfertigt? Oder handelt es sich hierbei um eine Diskriminierung?

Nun beabsichtigt dieser Beitrag nicht, ein juristisches Gutachten erstellen. Vielmehr wird menschenrechtspolitischer Handlungsbedarf benannt und ein Perspektivenwechsel vorgenommen. Während die gegenwärtige politische Diskussion über den Umgang mit Flüchtlingen, angesichts großer praktischer Herausforderungen, verständlicherweise stark von ordnungspolitischen und verwaltungspraktischen Überlegungen geleitet wird, wird hier für eine menschenrechtsbasierte Asyl- und Flüchtlingspolitik plädiert. Eine solche Politik a) richtet sich ausdrücklich und konsequent an Menschenrechtsnormen (wie etwa den Rechten auf angemessene Unterkunft und Gesundheit) aus sowie an menschenrechtlichen Prinzipien (wie etwa Nicht-Diskriminierung); b) anerkennt, schützt und unterstützt die menschenrechtlichen Ansprüche der Betroffenen in ihrer Eigenschaft als Träger der Menschenrechte; c) anerkennt die staatliche Pflicht, die Menschenrechte der Betroffenen zu achten, zu schützen und zu gewährleisten, und setzt diese bestmöglich um.

4 Das Menschenrecht auf angemessene Unterkunft

Auf eine Kurzformel gebracht, fordert das internationale Menschenrecht auf angemessene Unterkunft die hinreichende Verfügbarkeit und den Schutz angemessenen Wohnraums, einen offenen, diskriminierungsfreien und bezahlbaren Zugang zu Wohnraum sowie eine menschenwürdige Wohnqualität (vgl. Krennerich 2013, S. 227–248). Gemessen an diesen Kriterien besteht in Deutschland menschenrechtlicher Handlungsbedarf, nicht nur, aber auch für Flüchtlinge

Im Hinblick auf die Verfügbarkeit von Wohnraum war das Problem im Jahre 2015 offenkundig, deutlich erkennbar in der Überbelegung von Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften sowie der Unterbringung von Flüchtlingen in Notunterkünften. Dies ist zum einem dem raschen und starken Anstieg der Flüchtlingszahlen geschuldet, zum anderen aber auch der unzureichenden Planung in der Vergangenheit angesichts der zu erwartenden (aber in dem Ausmaß doch unerwarteten) Flüchtlingszunahme. Inzwischen kommen Bund, Länder und Kommunen jedoch ihrer menschenrechtlichen Pflicht nach, aktive Maßnahmen zu ergreifen, um die Verfügbarkeit von Wohnraum sicherzustellen. Zu prüfen wäre hier allenfalls, ob sie dies unter Ausnutzung all ihrer verfügbaren Ressourcen tun, wie es der UN-Sozialpakt für die progressive Umsetzung der sozialen Menschenrechte fordert – und ob Maßnahmen ergriffen werden, die kontraproduktiv sind.

Auch wenn eine vorübergehende Sammelunterbringung von Menschen, die Asyl und internationalen Schutz suchen, vielfach notwendig und auch menschenrechtlich zulässig ist, und selbst wenn es weiterhin aufgrund der Zahl der Asylsuchenden große Gemeinschaftsunterkünfte geben wird, ist aus menschenrechtlicher Perspektive doch unmissverständlich festzustellen: Wenn möglich, bringt man Menschen nicht dauerhaft in Lagern unter. Denn diese beschränken die menschenrechtlichen Freiräume in hohem Maße, allen voran das Recht auf Privatsphäre. Auch werden die Erstaufnahme- und Gemeinschaftsunterkünfte nicht immer dem – laut UN-Kinderrechtskonvention stets vorrangig zu berücksichtigenden – Kindeswohl oder dem besonderen Schutzbedarf von Frauen und Familien gerecht. Vor diesem Hintergrund ergeben sich zwei menschenrechtspolitische Forderungen: erstens, Menschen, sofern und sobald möglich, nicht in Sammelunterkünften unterzubringen; zweites, die bestehenden Unterkünfte so menschenrechtskonform wie möglich auszugestalten.

Nach dem Aufenthalt in der Erstaufnahmeeinrichtung soll laut Asylgesetz die Anschlussunterbringung von Asylsuchenden in der Regel in einer Gemeinschaftsunterkunft erfolgen. Die Bundesländer und Kommunen setzen diese Soll-Bestimmung unterschiedlich um, und es gibt große Unterschiede hinsichtlich der Frage, wie viele Asylsuchende in großen oder kleinen Gemeinschaftsunterkünften oder in eigenen Wohnungen untergebracht werden (vgl. Wendel 2014; Aumüller et al. 2015). In Bayern, als Extremfall, müssen alle Flüchtlinge, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) erhalten, in Gemeinschaftsunterkünften verbleiben, und zwar selbst dann, wenn sie eine Wohnung erhalten oder bei Freunden oder Verwandten unterkommen könnten. Ausnahmemöglichkeiten betreffen Familien und Alleinerziehende mit Kindern, Kranke und Menschen mit Behinderung sowie Asylbewerberleistungsbezieher nach Ablauf von vier Jahren nach Abschluss des Erstverfahrens. Dass die bayerische Vorschrift aus menschenrechtlicher Sicht unverhältnismäßig ist, lässt sich bereits daran zeigen, dass in etlichen Bundesländern Asylsuchende früher die Gemeinschaftsunterkünfte verlassen und, sofern verfügbar, in eigenen Wohnungen leben dürfen. Es gibt also praktikable und kreative Möglichkeiten der Flüchtlingsunterbringung, die weniger stark in die Freiheitsräume der Flüchtlinge eingreifen – und damit menschenrechtlich vorzuziehen sind.

Eine besondere Problematik ergibt sich zudem bundesweit für Asylsuchende aus „sicheren Herkunftsstaaten“. Diese müssen seit November 2015 bis zum Abschluss ihres Verfahrens in Erstaufnahmeeinrichtungen oder in eigens errichteten „Aufnahme- und Rückführungszentren“ verbleiben. Begründet wird dies mit der Notwendigkeit einer raschen Verfahrensabwicklung und erleichterten Rückführung bei geringen Bleibeperspektiven. Die pauschal unterschiedliche Behandlung von Flüchtlingen mit und ohne Bleibeperspektive ist aus Sicht des Diskriminierungsverbotes problematisch. Denn hier wird bereits vor Abschluss des individuellen Asylverfahrens, auf Grundlage eines zumindest umstrittenen Ausweises „sicherer Herkunftsstaaten“, eine pauschale, gruppenbezogene Benachteiligung eines Teils der Asylsuchenden vorgenommen.

In Bezug auf eine möglichst menschenrechtskonforme Ausgestaltung der Flüchtlingsunterkünfte besteht nicht erst seit dem rasanten Flüchtlingsanstieg im Jahre 2015 Handlungsbedarf. Der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte zeigte sich bereits im Jahre 2011 besorgt über die Art der Unterbringung von Asylsuchenden in Deutschland.Footnote 2 Aus Sicht des Ausschusses meint das Menschenrecht auf angemessene Unterkunft eben nicht nur, ein „Dach über dem Kopf“ zu haben. Vielmehr muss der Wohnraum auch Mindestbedingungen an Bewohnbarkeit, Gesundheit und Sicherheit erfüllen. Auch soll die Wohnanlage den Zugang zu Beschäftigungsmöglichen sowie zu Gesundheits-, Bildungs- und anderen sozialen Einrichtungen gestatten.Footnote 3

Bundesweit verbindliche Mindeststandards für die Aufnahme- und Gemeinschaftsunterkünfte gibt es indes nicht, und auch zwischen den Bundesländern unterscheiden sich die Regelungen, soweit sie bestehen, erheblich. Hier wäre es also wichtig, flächendeckend Standards zu definieren (vgl. Cremer 2014, S. 6) und die vielfältigen „good practices“ in deutschen Kommunen menschenrechtspolitisch auszuwerten und zu verbreiten (vgl. Bendel 2016). Verbindliche Vorgaben müssen übrigens auch für private Anbieter gelten. Überträgt die öffentliche Hand diesen nämlich das Betreiben von Flüchtlingsunterkünften, werden aus staatlichen Achtungspflichten staatliche Schutzpflichten. Das heißt, der Staat muss dann entsprechende Mindeststandards auch für private Betreiber verbindlich festlegen, kontrollieren und ein wirksames Beschwerdemanagement betreiben. Dies gilt auch für angemietete Privatwohnungen und Zimmer in Hotels und Pensionen, die sich zum Teil in schlechtem Zustand befinden.

Schließlich umfasst das Recht auf Wohnen auch den Schutz des Wohnraums, einschließlich von Not- und Flüchtlingsunterkünften. Dringender menschenrechtlicher Handlungsbedarf besteht dabei nicht nur im Falle etwaiger Belästigungen und Übergriffe durch Mitbewohner oder Personal in den Unterkünften, sondern auch im Falle der Bedrohungen und Angriffe von „außen“. Die zahlreichen Brandanschläge müssen hier alarmieren.Footnote 4 Bezeichnenderweise zeigte sich schon im Mai 2015 der UN-Antirassismus-Ausschuss in Bezug auf Deutschland „besorgt über die Zunahme an gewalttätigen Übergriffen gegenüber Asylsuchenden und sogenannten ‚Geduldeten‘, die gesetzlich in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt und sehr oft gezwungen sind, in Gemeinschaftsunterkünften zu wohnen, wodurch sie vermehrt anfällig für Menschenrechtsverletzungen sind.“Footnote 5 Der UN-Antirassismus-Ausschuss forderte die Aufhebung von Rechtsvorschriften, die Asylsuchende zwingen in Gemeinschaftsunterkünften zu leben, sowie besondere Maßnahmen zur Gewährleistung des Schutzes von Asylsuchenden vor rassistischer Gewalt, einschließlich von Ermittlungen solcher rassistisch motivierter Taten.

5 Das Menschenrecht auf Gesundheit

Die Grundidee des völkerrechtlich verankerten Menschenrechts auf Gesundheit besteht darin, dass der Staat die Gesundheit der Menschen nicht beeinträchtigt, diese vor Eingriffen schützt und Maßnahmen ergreift, damit die Menschen gesunde Lebens- und Arbeitsbedingungen vorfinden und sie vor allem Zugang zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung haben (vgl. Krennerich 2015).

Im Mittelpunkt der Kritik an der Gesundheitsversorgung von Asylsuchenden in Deutschland steht deren eingeschränkter Zugang zur Gesundheitsversorgung. So haben laut Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) unter anderem Asylsuchende und geduldete Personen in den ersten 15 Monaten lediglich Rechtsanspruch auf die Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände, auf Schutzimpfungen sowie auf ärztliche und pflegerische Leistungen für werdende Mütter und Wöchnerinnen. Die Behandlung chronischer Erkrankungen ist grundsätzlich ausgeschlossen, es sei denn, sie ist mit Schmerzen verbunden oder geht mit einer akuten Erkrankung einher. Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt laut Gesetz nur, soweit dies aus medizinischen Gründen und im Einzelfall unausweichlich ist. Darüber hinausgehende Leistungen, die für die Gesundheit unerlässlich sind, können im Einzelfall gewährt werden.

Die Entscheidungen darüber, welche medizinischen Leistungen unter das AsylbLG fallen, bedürfen regelmäßig einer Ermessensausübung der Behörden, die inzwischen auch die Gerichte beschäftigt. In der Praxis wird die ärztliche Versorgung vielfach nur restriktiv und zurückhaltend gewährt. Aber selbst bei großzügiger Auslegung, die mitunter Behörden und Gerichte vornehmen, bleibt der Versorgungsstand deutlich hinter jenem anderer Sozialleistungsberechtigter zurück.Footnote 6 Erst nach Ablauf der 15 Monate besteht Anspruch auf eine Gesundheitsversorgung auf dem Niveau der gesetzlichen Krankenkassen. Erschwerend kommt die mangelnde Begleitung der Kranken durch qualifizierte Dolmetscher/innen hinzu.

So ergeben sich menschenrechtlich zwei Probleme: Zum einen beschränkt sich das Menschenrecht auf Gesundheit, so wie es im UN-Sozialpakt verankert ist, nicht auf eine Akut- und Schmerzbehandlung. Vielmehr stellt es ein Recht eines jeden Menschen auf ein für ihn erreichbares Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit dar. Demgemäß kritisiert der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Deutschland wie auch andere europäische Staaten, da Flüchtlingen nur eine medizinische Notversorgung gewährt werde.Footnote 7 Dieser Kritik schließen sich auch der UN-Kinderrechtsausschuss und der UN-Behindertenrechtsausschuss an.Footnote 8 Bedauerlicherweise verpflichtet auch die EU-Aufnahmerichtlinie die EU-Mitgliedstaaten nur auf eine „Notversorgung und eine unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten“ der Asylsuchenden.

Zum anderen stellt sich die Frage, wie diese Ungleichbehandlung von Asylsuchen zu anderen Sozialleistungsempfängern mit Blick auf das Gleichheitsgebot bzw. Diskriminierungsverbot zu bewerten ist. Gerichte begründen die Ungleichbehandlung regelmäßig mit dem vorübergehenden, kurzzeitigen Aufenthalt von asylsuchenden und geduldeten Personen, der nur eine Akut- und Schmerz-Behandlung notwendig mache (vgl. Eichenhofer 2013, S. 170 f.). Hier ist jedoch einzuwenden, dass die Aufenthaltsdauer von Personen, die unter das AsylbLG fallen, recht lang sein kann und ein beachtlicher Teil von ihnen später als anerkannte Asylberechtigte und Flüchtlinge eine Aufenthaltserlaubnis erhält. Auch lässt sich argumentieren, dass eine Ungleichbehandlung nur dann statthaft wäre, wenn nachgewiesen würde, dass selbst bei geringen Bleibeperspektiven der Gesundheitszustand eines Asylsuchenden oder Geduldeten in geringerem Maße der Unterstützung bedürfe als bei Menschen, die dauerhaft in Deutschland leben. Ein solcher gruppenbezogener Minderbedarf an gesundheitlicher Versorgung lässt sich jedoch schwerlich belegen, schon gar, weil Asylsuchende durch Fluchterfahrungen und eine ungewisse Lebenslage oft besonderen gesundheitlichen Belastungen ausgesetzt sind. Über etwaige verfassungsrechtliche Bedenken hinaus kollidiert die Ungleichbehandlung daher mit dem Diskriminierungsverbot des UN-Sozialpaktes (vgl. Eichenhofer 2013; Kaltenborn 2015). Dies gilt umso mehr, als der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte den diskriminierungsfreien Zugang zur Gesundheitsversorgung, schon gar für besonders schutzbedürftige und ausgegrenzte Personengruppen, als eine unmittelbar umzusetzende Kernverpflichtung aus dem UN-Sozialpakt erachtet.Footnote 9

Die vieldiskutierte Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte für Asylsuchende löst nicht das grundlegende Problem, dass die Leistungsbeschränkungen des AsylbLG keine hinreichende und diskriminierungsfreie Gesundheitsversorgung garantieren. Gleichwohl werden durch eine elektronische Gesundheitskarte zumindest einige – auch menschenrechtsrelevante – Missstände angegangen, die bei der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen nach dem AsylbLG in den vergangenen Jahren auftraten. Bevor nämlich Asylsuchende einen Arzt aufsuchen dürfen, mussten sie in den meisten Bundesländern bislang beim Sozialamt einen Krankenbehandlungsschein beantragen. Der Gang zur Behörde als Voraussetzung eines Arztbesuchs birgt zwei schwerwiegende Probleme: Zum einen entscheiden grundsätzlich Verwaltungsmitarbeiter/innen ohne medizinisches Fachwissen über die medizinische Behandlung von Asylsuchenden (auch wenn diese amtsärztliche Gutachten anfordern können). Zum anderen kann der bürokratische Aufwand zu einer verzögerten Behandlung selbst schwerer, akuter Erkrankungen führen. Gut dokumentiert ist eine Reihe von Fällen, in der die Verweigerung oder Verzögerung der Behandlung zu schwerwiegenden gesundheitlichen Schäden und sogar zu Todesfällen führte (vgl. Classen 2014; Misbach 2015). Mit einer Gesundheitskarte können die Erkrankten hingegen ohne bürokratischen Aufwand direkt einen Arzt konsultieren. So forderte auch der Deutsche Ärztetag im Mai 2015 die Länder und den Bund auf, die Einführung einer Versichertenkartenkarte für Flüchtlinge zu veranlassen (Bundesärztekammer 2015, S. 273).

An einer bundeseinheitlichen Regelung fehlt es bislang. Die Einführung einer Gesundheitskarte bleibt den Ländern überlassen. Der Bund schaffte – auf Grundlage des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom September 2015 – immerhin insofern erleichternde gesetzliche Voraussetzungen, als die gesetzlichen Krankenkassen nun von den Ländern verpflichtet werden können, gegen Kostenerstattung die Krankenbehandlungen von Asylsuchenden zu übernehmen. Nachdem Bremen bereits 2005 und Hamburg im Jahre 2012 eine elektronische Gesundheitskarte für Asylsuchende eingeführt hatten, sind inzwischen auch andere Landesregierungen aktiv geworden. In Nordrhein-Westfalen etwa ist – wenngleich schleppend – die Vergabe von Gesundheitskarten inzwischen für Flüchtlinge angelaufen. Auch in Berlin sollen Flüchtlinge 2016 sukzessive eine Gesundheitskarte erhalten. Im Unterschied zu vielen anderen Bundesländern wird Bayern hingegen in absehbarer Zeit von dieser Option wohl keinen Gebrauch machen.

6 Ausblick

In Bezug auf die Gesundheitsversorgung ließe sich noch eine Reihe weitere Probleme benennen, die menschenrechtlichen Handlungsbedarf begründen – etwa die Notwendigkeit, die Kapazitäten der Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen weiter auszubauen, die bislang stark vom privatem Engagement von Ärzten und anderem medizinischen Personal abhängt, oder die Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen ohne regulären Aufenthaltsstatus sicherzustellen, die vielfach auf nicht-staatliche Unterstützung (Medizinische Flüchtlingshilfe, Maltester Migranten Medizin etc.) angewiesen sind. Auch die Frage, inwieweit sich aus gesundheitlichen Gründen menschenrechtliche Abschiebehindernisse ergeben können, ist – zumal angesichts des Asylpakets II – von großer Brisanz. Darüber hinaus wäre es wichtig, auch andere internationale wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte zu berücksichtigen – etwa das Recht auf Bildung, das nicht nur die weithin umgesetzte Beschulung von Flüchtlingskindern umfasst, sondern etwa auch Bildungsangebote für nicht mehr schulpflichtige Asylsuchende. Oder auch das Recht auf Arbeit, dass unter anderem den Zugang zum Arbeitsmarkt und zur Arbeitsvermittlung betrifft sowie die Anerkennung von Bildungs- und Berufsabschlüssen von Flüchtlingen (vgl. von Harbour 2015).