Zusammenfassung
Diese Studie zeigt, wie sich der Handel illegaler Drogen aus egozentrierter Netzwerksicht von Handelnden gestaltet. Anhand von 22 Interviews mit Handelserfahrenen erstellt der Beitrag eine Typologie von Handelsnetzwerken. Diese unterscheiden sich einerseits nach den Maßnahmen, die Akteur/innen zum Schutz vor Strafverfolgung oder Gewalt und Betrug durch Beteiligte anwenden, nämlich Vertrauen und wechselseitiges Kennen im Gegensatz zu Anonymität. Sie differenzieren sich weiterhin nach der Motivation, aus der heraus Handelnde Drogen verkaufen, nämlich ob sie Gewinn erzielen oder den Eigenkonsum finanzieren wollen. Die sich ergebenden vier Netzwerktypen Drogenclub, Geschäftsmodell, Selbstversorgungshandel im sozialen Umfeld und Anonymer Selbstversorgungshandel werden detailliert erläutert. Ein Vergleich zwischen dem Handel in Gefängnissen und in Freiheit rundet den Beitrag ab.
Abstract
The study at hand illustrates illicit drug trade from an egocentric network perspective of those dealing the drugs. Drawing on 22 interviews with experienced sellers, a typology is developed along two categories: One category is the actor’s measures against police and competitors—either trust or anonymity. The other is the seller’s motivation to engage in this business: profit-seeking vs. providing for his/her own consumption. The resulting four types of networks—drug club, business model, consumption dealers in personal social context and consumption dealers in anonymity—are explained in detail. Finally, the text gives a comparison between selling inside and outside prisons.
Notes
Die Studie folgte einem induktiven Forschungsdesign, die Relevanz der genannten Kategorien und folgenden theoretischen Einordnungen wurde aus dem Material, Interviews mit 22 Drogenhandelnden, rekonstruiert.
Im Unterschied zu einem Gesamtnetzwerk, das alle beteiligten Akteure und Beziehungen untereinander darstellt und in Bezug auf den Drogenhandel beispielsweise dazu geeignet ist, organisierte Kriminalität als Ganzes darzustellen, indem es den Markt lediglich in Zentrum und Peripherie unterteilt (vgl. Williams 1998).
Wir beschränken uns auf persönliche Treffen. Zweifelsohne findet ein Teil des Drogenhandels im Internet (Darknet) statt, es gibt zu den Unterschieden und Gemeinsamkeiten dieser Märkte bisher aber erst wenige Studien, siehe exemplarisch Tzanetakis et al. (2016).
Damit haben wir vermischt, was ebendort als Namens- und Relationsgenerator bezeichnet wird: Strukturelle Formen der Kohäsion des Netzwerkes wurden vernachlässigt (keine Beziehungen zwischen Alteri abgefragt), ebenso entfielen Auswertungen über die Äquivalenz von Netzwerkpositionen.
Im Gegensatz zu sogenannten „first order zones“, wobei Personen auch Auskunft über die Beziehungen der Netzwerkmitglieder untereinander geben.
Das Projekt ist Teil des von 2014–2016 geförderten Verbundprojekts „Organisierte Kriminalität zwischen virtuellem und realem Drogenhandel (DROK)“. Wir bedanken uns für die Förderung.
Nur ein/e Interviewte/r hatte keine Erfahrungen mit Drogenhandel oder -konsum und wurde deswegen nicht in die Analysen einbezogen; dieses Interview ist in der Zählung N = 22 nicht enthalten.
Einerseits wurde das Vorgehen in Bezug auf die Gewinnung von Interviewpartner/innen mit dem Datenschutzbeauftragen der Universität zu Köln abgesprochen und ein ausführliches Datenschutzkonzept erstellt. Andererseits erhielten die Befragten vor dem Interview Informationsschreiben mit detaillierten Hinweisen zum Vorgehen und füllten direkt vor dem Gespräche eine Einverständniserklärung aus. In der Literatur vermutet man einen positiven Effekt dieser Vorgehensweise (Jaques und Wright 2011, S. 741).
Die Frage im Wortlaut: „Nennen Sie bitte alle Personen, die wichtig für Sie und Ihren Drogenhandel (Verkauf oder Einkauf) waren. Ordnen Sie diese entsprechend der Wichtigkeit in die Kreise ein, wobei die wichtigsten im innersten Kreis sind.“.
Bei 7 Interviews zeichneten die Befragten kein Netzwerk, wir haben diese im Nachhinein aus den Interviews rekonstruiert.
Wir danken Caren Schulte im Walde und Prof. Dr. Frank Neubacher für die Diskussion in der Auswertung.
Wie eingangs beschrieben, ist unser Sample insofern selektiv, als alle Befragten im Hellfeld der Kriminalität auffällig geworden sind. Der nicht gewinnorientierte social supply spielt daher weniger eine Rolle, als unter Drogenkonsumierenden gemeinhin üblich.
Eine totale Institution lässt sich nach Goffman (1973, S. 11) „als Wohn- und Arbeitsstätte einer Vielzahl ähnlich gestellter Individuen definieren, die für längere Zeit von der übrigen Gesellschaft abgeschnitten sind und miteinander ein abgeschlossenen, formal reglementiertes Leben führen. Ein anschauliches Beispiel dafür sind Gefängnisse, vorausgesetzt, daß wir zugeben, daß das, was an Gefängnissen gefängnisartig ist, sich auch in anderen Institutionen findet, deren Mitglieder keine Gesetze übertreten haben.“.
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Bögelein, N., Meier, J. Drogenhandel – Typologie einer illegalen Ökonomie. SozProb 29, 15–43 (2018). https://doi.org/10.1007/s41059-018-0043-1
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