Arbeitgeber sind arbeitsschutzgesetzlich verpflichtet, Arbeit so zu gestalten, „dass eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst geringgehalten wird“ (§ 4 ArbSchG).

Eine Gefährdung für die Gesundheit geht erwiesenermaßen auch von Mobbing aus. Mit „Mobbing“ bezeichnet man einer verbreiteten Definition von Heinz Leymann zufolge „negative kommunikative Handlungen, die gegen eine Person gerichtet sind (von einer oder mehreren anderen) und die sehr oft und über einen längeren Zeitraum hinaus vorkommen und damit die Beziehung zwischen Täter und Opfer kennzeichnen“ [30, S. 21]. Studien zeigen, dass solche Mobbingerfahrungen u. a. depressive Symptomatiken, Angststörungen und weitere psychische Beschwerden wie emotionale Erschöpfung begünstigen [7, 12, 29, 34]. In der Konsequenz kann dies bis hin zur Arbeitsunfähigkeit oder Kündigung der Betroffenen führen [9, 13, 33].

Repräsentativen Befragungen zufolge wird geschätzt, dass etwa 5–7 % der abhängig Beschäftigten in Deutschland von Mobbing betroffen sind [28]. Überdurchschnittlich häufig tritt Mobbing bei Beschäftigten mit geringerem sozioökonomischem Status auf, sowie bei jungen Arbeitnehmenden, welche im Vergleich zu Älteren häufiger von Mobbing durch Vorgesetzte berichten [28]. Mit Blick auf die verschiedenen Berufsgruppen zeigt sich das größte Risiko für Mobbing in den sozialen Berufen [32]. Das Auftreten von Mobbing steht in einem starken Zusammenhang mit ungünstigen psychosozialen Arbeitsbedingungen wie einem autoritären oder Laissez-faire-Führungsstil, hohem Zeit- und Leistungsdruck, unklaren Zuständigkeiten und Rollenkonflikten im Betrieb [19]. Analysen einer repräsentativen Befragung von abhängig Beschäftigten in Deutschland zeigten, dass 90 % der hier beobachteten Mobbingfälle in Zusammenhang mit betrieblichen Umstrukturierungen, hoher Arbeitsgeschwindigkeit, hoher Arbeitsmenge, geringen Einflussmöglichkeiten bei der Arbeit sowie Mängeln in der Führungsqualität standen [10].

Um das Auftreten von Mobbing soweit wie möglich zu vermeiden, gälte es dementsprechend zuvorderst, in den Betrieben für eine günstige psychosoziale Arbeitsumgebung Sorge zu tragen, insbesondere im Hinblick auf eine wertschätzende, mitarbeiterorientierte Führung und die Vermeidung von arbeitsbedingtem Stress. Um eine Gefährdung durch Mobbing soweit wie möglich zu reduzieren, gälte es weiterhin Vorkehrungen zu treffen, um mögliche Fälle von Mobbing im Betrieb frühzeitig zu erkennen und zu unterbinden. Empfohlen werden hierzu u. a. entsprechende Schulungen für Führungskräfte und Beschäftigte, betriebliche Angebote zur Konfliktlösung und (vertrauliche) Beratung bzw. die Einrichtung einer betrieblichen Meldestelle, die Betroffenen oder Zeugen einen geschützten Rahmen für die Adressierung und Behandlung möglicher Fälle von Mobbing bieten [8, 14, 20, 22, 26, 27].

Bislang wenig untersucht ist, wie verbreitet Betriebe in Deutschland zielgerichtete Vorkehrungen zum Umgang mit möglichen Fällen von Mobbing treffen und welche Bedingungen die Umsetzung solcher Vorkehrungen voraussetzen oder begünstigen.

Als wesentliche Grundlage werden funktionierende Strukturen und Prozesse des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes gesehen [1, 8, 22, 26, 27]. Basal und für jeden Arbeitgeber verpflichtend ist die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung – ein Prozess, in dem die mit der Arbeit verbundenen Gefährdungen systematisch ermittelt und die erforderlichen Maßnahmen zur Gefährdungsvermeidung festgelegt werden [25]. Hierbei ist ausdrücklich auch eine Gefährdung durch psychische Belastung zu berücksichtigen (vgl. § 5 ArbSchG). Dazu zählt den aktuellen Empfehlungen der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) folgend explizit auch die Gefährdung durch destruktives Verhalten (Herabwürdigung, Bloßstellen, Beschimpfen, soziale Ausgrenzung, Diskriminierung, Belästigung) von der Kollegschaft oder Vorgesetzten [3]. Beratung und Sachverstand für eine fachkundige Durchführung der Gefährdungsbeurteilung sollten Arbeitgeber in der Fachkraft für Arbeitssicherheit und der betriebsärztlichen Betreuung finden, zu deren Bestellung Arbeitgeber ebenfalls gesetzlich verpflichtet sind. Eine wichtige förderliche Bedingung sollte zudem auch das Vorhandensein einer wirksamen Interessenvertretung der Beschäftigten durch einen gewählten Betriebs- bzw. Personalrat sein, der in Deutschland weitreichende Mitbestimmungsrechte im betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz hat.

Etablierte Strukturen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes und der betrieblichen Mitbestimmung sollten demnach eine basale Grundlage für einen effektiven Schutz vor Gefährdungen durch Mobbing sein. Andererseits ist auch bekannt, dass sich der betriebliche Arbeitsschutz, dessen Strukturen und Prozesse sich vornehmlich in der Auseinandersetzung mit technisch-stofflichen Gefährdungen entwickelt haben, im Umgang mit psychosozialen Gefährdungen in der Praxis vielfach noch schwertut [2]. So finden Gefährdungen durch psychische Belastung in vielen Betrieben nach wie vor noch keine oder nur unzureichende Berücksichtigung in der Gefährdungsbeurteilung [4]. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Bedeutung Strukturen und Prozesse des betrieblichen Arbeitsschutzes für Vorkehrungen betrieblicher Mobbingprävention in der Praxis gegenwärtig tatsächlich zukommt.

Mit dem Ziel, empirisch fundiertes Wissen über Verbreitung und Bedingungen von betrieblichen Maßnahmen zum Umgang mit Mobbing in Deutschland auszubauen, wird in der vorliegenden Studie folgenden Fragestellungen nachgegangen:

  1. 1.

    Wie hoch ist der Anteil der Betriebe in Deutschland, die Vorkehrungen zum Umgang mit möglichen Fällen von Mobbing getroffen haben?

  2. 2.

    Gibt es einen positiven Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein von Verfahren zum Umgang mit möglichen Fällen von Mobbing und dem Vorhandensein von Strukturen und Prozessen des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes und/oder betrieblicher Mitbestimmung?

Datengrundlage, Variablen und Methoden

Die vorliegende Studie basiert auf Daten der deutschen Stichprobe des dritten European Survey of Enterprises on New and Emerging Risks (ESENER-3), die über das GESIS Datenarchiv zugänglich sind [23]. Diese von der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) im Jahr 2019 zum dritten Mal durchgeführte repräsentative Betriebsbefragung gibt u. a. Auskunft über die Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes, die Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung und den Umgang mit psychosozialen Risiken in den Betrieben der verschiedenen Mitgliedstaaten der EU. Die Stichprobenziehung erfolgte zufällig nach einem disproportionalen Design. Zum Ausgleich der disproportionalen Schichtung der Stichprobe werden länderspezifische Designgewichte bereitgestellt, die die Verteilung über Betriebsgröße, Wirtschaftssektor und Region in der jeweiligen Grundgesamtheit der Betriebe berücksichtigen. Mittels computergestützter Telefoninterviews (CATI) wurde in den Betrieben jeweils diejenige Person befragt, die sich am besten mit Sicherheit und Gesundheitsschutz auskennt. Die Erhebungsmethodik (einschließlich des Fragebogens, der Stichprobenstrategie, der Kooperationsrate und der Gewichtung) ist im technischen Bericht der ESENER‑3 ausführlich dokumentiert [17].

Für Deutschland liegen Daten für insgesamt n = 2264 Betriebe mit mindestens 5 Beschäftigten vor. Da die Frage nach Verfahren zum Umgang mit möglichen Fällen von Mobbing nur Betrieben mit mindestens 20 Beschäftigten gestellt wurde, wird in der vorliegenden Studie nicht die gesamte deutsche Stichprobe genutzt, sondern nur die Teilstichprobe von Betrieben mit mindestens 20 Beschäftigten (n = 1234). Als abhängige Variable wurden in der vorliegenden Studie Ja/Nein-Antworten auf die folgende Frage betrachtet: „Gibt es ein Verfahren für den Umgang mit möglichen Fällen von Mobbing oder Belästigung am Arbeitsplatz? Mobbing oder Belästigung am Arbeitsplatz bestehen darin, dass Beschäftigte oder leitende Angestellte von Kollegen/Kolleginnen oder Vorgesetzten beleidigt, gedemütigt oder angegriffen werden.“ (Q301) [16]. Bei Bedarf wurde durch die Interviewer weiterhin klargestellt: „Selbst wenn Mobbing oder Belästigung am Arbeitsplatz im Betrieb kein Problem darstellen, möchten wir dennoch wissen, ob für den Fall, dass diese zu einem Problem werden, entsprechende Verfahren vorhanden sind.“ [16].

Als unabhängige Variablen untersucht wurden neben der Betriebsgröße und dem Wirtschaftszweig …

  • die regelmäßige Durchführung von „Gefährdungsbeurteilungen am Arbeitsplatz“ (Q250) [16],

  • die Nutzung von betriebsinternen oder externen „Gesundheitsschutz- und Sicherheitsdienstleistungen“ durch „Betriebsarzt oder -ärztin“ (Q151_1) [16],

  • die Nutzung von betriebsinternen oder externen „Gesundheitsschutz- und Sicherheitsdienstleistungen“ durch „Allgemeine Fachkraft für Sicherheit und Gesundheitsschutz“ (Q151_4) [16],

  • die Nutzung von betriebsinternen oder externen „Gesundheitsschutz- und Sicherheitsdienstleistungen“ durch „Psychologe oder Psychologin“ (Q151_2) [16],

  • Vorhandensein von „Betriebs- bzw. Personalrat“ (Q350_1) [16].

Die Prävalenzen der hier untersuchten abhängigen und unabhängigen Variablen wurden anhand der gewichteten Daten mit der Prozedur CSTABULATE der Statistiksoftware SPSS Version 29 für Windows geschätzt. Zusammenhänge zwischen Strukturen und Prozessen des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes mit dem Vorliegen von betrieblichen Verfahren zum Umgang mit Mobbing wurden mittels multivariabler Regression analysiert. Die Regressionsanalyse wurde schrittweise mit der Prozedur LOGISTIC REGRESSION der Statistiksoftware SPSS Version 29 für MS Windows durchgeführt. In Schritt 1 wurden neben der Betriebsgröße und dem Wirtschaftszweig zunächst nur Merkmale der Arbeitsschutzorganisation (Gefährdungsbeurteilung, Gesundheitsschutz- oder Sicherheitsdienstleistung durch eine Betriebsärztin bzw. einen Betriebsarzt und Fachkraft für Arbeitssicherheit) als unabhängige Variablen berücksichtigt. In Schritt 2 wurde zusätzlich auch das Vorhandensein einer Arbeitnehmervertretung und in Schritt 3 auch die Nutzung von Gesundheitsschutz- oder Sicherheitsdienstleistungen einer Psychologin bzw. eines Psychologen berücksichtigt.

Fehlende Werte der einzelnen Variablen lagen bei weniger als 3 % und wurden bei den Analysen ausgeschlossen (listenweiser Fallausschluss). Im Ergebnis der Regressionsanalyse werden Odds-Ratios (OR) bestimmt, die hier angeben, in welchem Verhältnis die Chance, dass Verfahren für den Umgang mit möglichen Fällen von Mobbing oder Belästigung am Arbeitsplatz vorliegen, zur entsprechenden Chance in der Referenzgruppe steht.

Ergebnisse

Die ungewichteten absoluten und relativen Häufigkeiten der in der vorliegenden Studie berücksichtigten Betriebe mit mindestens 20 Beschäftigten (n = 1234) zeigt Tab. 1. Demnach besteht die Stichprobe mehrheitlich aus kleinen und mittleren Unternehmen aus dem Bereich sonstiger Dienstleistungen (umfasst den Handel, den Verkehr, die Lagerei, die Informations- und Kommunikationstechnologie, die Erbringung von Finanz- und Versicherungsdienstleistungen sowie das Grundstücks- und Wohnungswesen); 28 % der Betriebe kommen aus dem Bereich öffentliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung, Erziehung und Unterricht, Gesundheits- und Sozialwesen. Knapp 23 % der Betriebe sind dem Wirtschaftszweig Produzierendes Gewerbe (umfasst die Land- und Forstwirtschaft, Fischereibetriebe, Betriebe des verarbeitenden Gewerbes, Betriebe in der Herstellung von Waren, Bergbaubetriebe, Betriebe zur Gewinnung von Steinen oder Erden, Betriebe in der sonstigen Industrie sowie Betriebe im Baugewerbe) zuzuordnen. In der jeweils übergroßen Mehrheit (> 80 %) verfügen die in der Stichprobe eingeschlossenen Betriebe über eine Fachkraft für Arbeitssicherheit, einen Betriebsarzt oder eine Betriebsärztin und über eine Gefährdungsbeurteilung. Rund jeder vierte Betrieb der Stichprobe gibt an, auch Gesundheitsschutz- oder Sicherheitsdienstleistungen durch eine (interne oder externe) Psychologin bzw. einen Psychologen genutzt zu haben. Gut jeder zweite Betrieb in dieser Stichprobe hat einen Betriebs- bzw. Personalrat. Gültige Antworten auf die Frage nach Verfahren im Umgang mit Mobbing liegen von 1205 Betrieben der hier betrachteten Stichprobe vor, wovon knapp die Hälfte (48 %) das Vorliegen solcher Verfahren bejaht.

Tab. 1 Beschreibung der Stichprobe der Betriebe ≥ 20 Beschäftigte (nungew = 1234)

In Tab. 2 sind – differenziert über die hier als unabhängige Variablen betrachteten betrieblichen Merkmale – die Anteile der Betriebe wiedergegeben, die das Vorhandensein von Maßnahmen zum Umgang mit möglichen Fällen von Mobbing bestätigen oder verneinen. Berücksichtigt sind hier nur Betriebe mit mindestens 20 Beschäftigten, welche gültige Angaben zur Frage nach Verfahren im Umgang mit Mobbing gemacht haben (n = 1205). Um die Disproportionalitäten der Stichprobe gegenüber der Verteilung von Betrieben in der Grundgesamtheit auszugleichen, werden hier entsprechend gewichtete relative Häufigkeiten einschließlich des 95 %-Konfidenzintervalls abgebildet. Demnach liegen in Deutschland schätzungsweise in 38 % der Betriebe Verfahren für den Umgang mit Mobbing oder Belästigung vor. Unter Großbetrieben (> 249 Beschäftigte) ist in gut zwei Dritteln mit dem Vorhandensein solcher Verfahren zu rechnen; unter mittleren Unternehmen (50–249 Beschäftigte) in fast der Hälfte der Betriebe. Überdurchschnittlich häufig vorhanden sind Verfahren zum Umgang mit Mobbing zudem in Einrichtungen im Bereich Gesundheits- und Sozialwesen u. w. (54 %), sowie in Betrieben, die einen Betriebs- bzw. Personalrat haben (55 %). Weiterhin ist die Umsetzungsquote in Betrieben, die über Gefährdungsbeurteilungen verfügen, höher als in Betrieben, die keine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt haben (40 % vs. 26 %). Auch im Falle der Nutzung von Gesundheitsschutz- und Sicherheitsdienstleistungen durch eine Fachkraft für Arbeitssicherheit, eine Betriebsärztin bzw. einen Betriebsarzt oder eine Psychologin bzw. einen Psychologen sind die Anteile der Betriebe, in denen Verfahren zum Umgang mit Mobbing vorhanden sind, signifikant höher als unter den Betrieben, in denen keine entsprechenden Dienstleistungen genutzt wurden. So ist die Umsetzungsquote in Betrieben, die Dienstleistungen von Psychologinnen und Psychologen nutzen, gegenüber Betrieben, die dies nicht tun, mehr als doppelt so hoch (69 % vs. 30 %).

Tab. 2 Häufigkeit von Betrieben mit Verfahren für den Umgang mit Mobbing (nungew = 1205)

Die OR für das Vorhandensein von Verfahren zum Umgang mit möglichen Fällen von Mobbing sind in Tab. 3 angegeben. Berücksichtigt sind hier nur Betriebe, bei denen für alle im Regressionsmodell untersuchten Variablen gültige Angaben vorliegen (n = 1180).

Tab. 3 Odds-Ratios für das Vorhandensein von Verfahren zum Umgang mit Mobbing, basierend auf einer schrittweisen logistischen Regressionsanalyse (nungew = 1180)

Demnach ist die Chance, dass Verfahren zum Umgang mit Mobbing vorhanden sind, in Betrieben mit Gefährdungsbeurteilung in keinem der drei Analysemodelle signifikant verschieden von der entsprechenden Chance in Betrieben ohne Gefährdungsbeurteilung. Die Chancen für das Vorhandensein von Verfahren sind in Betrieben, die Gesundheitsschutzdienstleistungen durch Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Betriebsärztinnen bzw. Betriebsärzte nutzen, nominal zwar leicht erhöht (OR = 1,26 bzw. OR = 1,51 in Modell 3), in fast allen Fällen aber nicht signifikant. Statistisch signifikante OR werden in Abhängigkeit des Vorhandenseins einer Arbeitnehmervertretung und der Nutzung von Beratungsleistungen einer Psychologin bzw. Psychologen ermittelt: Die Chance, dass Verfahren zum Umgang mit möglichen Fällen von Mobbing vorhanden sind, ist in Betrieben mit Arbeitnehmervertretung demnach doppelt so hoch wie in Betrieben ohne Arbeitnehmervertretung (OR = 2,04); und in Betrieben, die Beratungsleistungen einer Psychologin bzw. eines Psychologen nutzen, mehr als dreimal so hoch wie in Betrieben, die dies nicht tun (OR = 3,38).

Diskussion

Die Ergebnisse machen deutlich, dass in vielen Betrieben in Deutschland bislang keine spezifischen Verfahren zum Umgang mit möglichen Fällen von Mobbing existieren. Mobbing ist, wie eingangs bereits dargestellt, kein sehr häufiges Ereignis: Repräsentativen Beschäftigtenbefragungen zufolge sind etwa 5–7 % der abhängig Beschäftigten in Deutschland von Mobbing betroffen [28]. Soweit Verfahren für den Umgang mit Mobbingfällen in den Betrieben vornehmlich als Reaktion auf tatsächliche Fälle begriffen werden, verwundert es daher wenig, dass die Umsetzungsquote insbesondere in kleinen Betrieben mit wenigen Beschäftigten und einer entsprechend geringen Wahrscheinlichkeit, mit tatsächlichen Fällen von Mobbing umgehen zu müssen, eher gering ist. Für eine solche Interpretation spricht auch, dass die Umsetzungsquote im Bereich des Gesundheits- und Sozialwesens, in denen der Anteil von Beschäftigten mit Mobbingerfahrungen überdurchschnittlich hoch ist, höher ist als in anderen Branchen [18]. Wünschenswert wäre es allerdings, dass Überlegungen und Vorkehrungen dazu, wie mit möglichen Fällen von Mobbing umzugehen ist, im Betrieb nicht nur als Reaktion auf ein Mobbingereignis, sondern bestenfalls schon proaktiv getroffen werden. Folgt man diesem Anspruch, können die hier ermittelten Umsetzungsquoten nicht zufriedenstellen.

Die Verteilung der hier für Deutschland ermittelten Umsetzungsquoten entspricht dem Verteilungsmuster, das sich bei EU-weiter Betrachtung ergibt: Die Auswertungen der Europäischen Arbeitsschutzagentur (EU-OSHA), die auf Grundlage der ESENER‑2 und ESENER‑3 unter Einschluss aller europäischen Länder vorgenommen wurden, zeigen übereinstimmend mit den hier für Deutschland berichteten Ergebnissen, dass der Anteil der Betriebe mit Verfahren zum Umgang mit möglichen Fällen von Mobbing mit zunehmender Betriebsgröße steigt sowie in Dienstleistungsunternehmen und insbesondere im Bereich Gesundheits- und Sozialwesen überdurchschnittlich hoch ist [18]. Sie zeigen auch, dass Maßnahmen zum Umgang mit psychosozialen Risiken (einschl. Verfahren zum Umgang mit Mobbing) in Betrieben, in denen eine Arbeitnehmervertretung besteht, häufiger existieren als in Betrieben, in denen dies nicht der Fall ist [15]. Betriebs- und Personalräte haben in Deutschland weitreichende Mitbestimmungsrechte in Fragen der Arbeitsgestaltung und des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, und können bspw. auch über Dienst- oder Betriebsvereinbarungen auf die Festlegung von Verfahrensweisen zum Schutz vor Mobbing, Diskriminierung und Belästigung am Arbeitsplatz hinwirken [31]. Die hier vorgelegten Ergebnisse unterstützen die Annahme, dass Arbeitnehmervertretungen hier einen wirksamen Beitrag leisten.

Plausibel erscheint auch der hier ermittelte Befund, dass Verfahren zum Umgang mit Mobbing deutlich häufiger in Betrieben implementiert sind, die Beratungsleistungen interner oder externer Psychologinnen und Psychologen zu Fragen des Gesundheitsschutzes in Anspruch nehmen. Vorstellbar ist, dass solche Beratungsleistungen vor allem von den Betrieben genutzt werden, in denen es bereits ein Bewusstsein und Engagement für den Schutz vor psychosozialen Risiken bei der Arbeit gibt oder in denen sich ggf. auch schon Fälle von Mobbing oder Belästigung am Arbeitsplatz ereignet haben, die ein Handeln erforderlich machten. Zudem können Psychologinnen und Psychologen sowohl Vorkehrungen zum Umgang mit Mobbing anstoßen als auch selbst Teil entsprechender Maßnahmen sein, indem sie zum Beispiel vertrauliche Beratungsgespräche anbieten.

Entgegen der Erwartung wurde die zentrale hier untersuchte Annahme, dass Verfahren zum Umgang mit Mobbing wahrscheinlicher in den Betrieben vorzufinden sind, die Gefährdungsbeurteilungen umsetzen und präventionsfachliche Beratung von Fachkräften für Arbeitssicherheit und Betriebsärztinnen und Betriebsärzte in Anspruch nehmen, durch die Ergebnisse der Regressionsanalysen nicht unterstützt. Vielmehr veranlassen die Ergebnisse zu der Vermutung, dass der Umgang mit möglichen Fällen von Mobbing bislang eher keine systematische Berücksichtigung in der präventionsfachlichen Beratung und Gefährdungsbeurteilung findet. Dies steht im Einklang mit vorliegenden Studien, denen zufolge sich der betriebliche Arbeitsschutz im Umgang mit psychosozialen Risiken der Arbeit vielerorts nach wie vor noch schwertut [2]. So zeigten auch Auswertungen der Betriebsbefragung, die im Jahr 2015 für die Zwecke der Evaluation der GDA durchgeführt wurde, dass psychosoziale Risiken bei der Gefährdungsbeurteilung mehrheitlich noch unberücksichtigt bleiben [4]. Als Grund wird zum einen diskutiert, dass dem traditionell in der Auseinandersetzung mit Fragen der Arbeitssicherheit und dem Umgang mit technisch-stofflichen Gefahren bewährten betrieblichen Arbeitsschutz vielerorts noch Fachwissen, Erfahrung und Handwerkszeug im Umgang mit psychosozialen Risiken fehlt [2]. Erschwerend kommt zum anderen hinzu, dass psychosoziale Risiken häufig sog. „wicked problems“ darstellen, die durch unklare Ursache-Wirkungs-Beziehungen, unterschiedliche subjektive Problemwahrnehmungen und -bewertungen sowie eher unsichere Lösungen charakterisiert sind [24]. Es ist anzunehmen, dass gerade auch der Umgang mit möglichen Fällen von Mobbing oder Belästigung am Arbeitsplatz ein solches „wicked problem“ darstellt, welches den Arbeitsschutz vor die besondere Herausforderung stellt, wirksame Lösungsansätze für die verschiedensten Arbeitskontexte zu gestalten. Unsere Befunde unterstreichen die Bedeutung der Anstrengungen, die in den letzten Jahren unter anderem auch im Kontext der GDA unternommen wurden, um auf eine verbesserte Berücksichtigung psychosozialer Risiken im betrieblichen Arbeitsschutz hinzuwirken [21]. So wird u. a. in den aktuellen GDA-Empfehlungen zur Berücksichtigung psychischer Belastung in der Gefährdungsbeurteilung explizit auch die Berücksichtigung von Gefährdungen durch „destruktives Verhalten (Herabwürdigung, Bloßstellen, Beschimpfen, soziale Ausgrenzung, Diskriminierung, Belästigung)“ eingefordert [3, 5].

Limitationen

Diese Studie basiert auf Querschnittsdaten, die die Feststellung von Kovariationen, aber keine Rückschlüsse zu Ursache-Wirkungs-Beziehungen zwischen den hier untersuchten Variablen erlauben.

Die Verallgemeinerbarkeit der hier vorgelegten Analyseergebnisse auf die Grundgesamtheit der Betriebe in Deutschland ist in zweifacher Hinsicht eingeschränkt: Da die hier im Mittelpunkt stehende Frage nach Verfahren zum Umgang mit Mobbing in der ESENER nur Betrieben mit mindestens 20 Beschäftigten gestellt wurde, können Aussagen zur Praxis kleiner Betriebe, die die übergroße Mehrheit der Betriebe in Deutschland stellen, nicht getroffen werden. Da die Wahrscheinlichkeit für Verfahrensweisen zum Umgang mit möglichen Fällen von Mobbing mit abnehmender Betriebsgröße sinkt, ist zu vermuten, dass der Anteil der Betriebe mit solchen Verfahren in der Grundgesamtheit der Betriebe in Deutschland faktisch deutlich geringer ist als 38 %. Zu berücksichtigen ist auch die bei ESENER vergleichsweise niedrige Kooperationsquote deutscher Betriebe in Höhe von 21 % [17], was zu einer Verzerrung der Auswahl geführt haben könnte. Es muss davon ausgegangen werden, dass sich Unternehmen, die wenig in Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit investieren, seltener an der Befragung beteiligt haben. Insoweit dürften die hier berichteten Ergebnisse die Umsetzung von Gefährdungsbeurteilungen und ggf. auch von Verfahren zum Umgang mit Mobbing überschätzen.

Ein eingeschränkter Blick auf den betrieblichen Umgang mit Mobbing resultiert in dieser Studie auch aus dem Umstand, dass hier einzig das Vorhandensein von „Verfahren zum Umgang mit möglichen Fällen von Mobbing“ als Indikator herangezogen wird. Hierbei ist eine Unschärfe zu konzedieren, was die Befragten konkret unter „Mobbing“ und unter „Verfahren“ zum Umgang mit möglichen Fällen von Mobbing verstehen. Über die Art und Qualität der mit diesen „Verfahren“ konkret in den Betrieben umgesetzten Maßnahmen können keine Aussagen getroffen werden. Zudem ist denkbar, dass Betriebe Maßnahmen umsetzen, die für den Schutz vor Gefährdungen durch Mobbing effektiv sind (z. B. Führungskräfteschulungen und Regeln für einen wertschätzenden und respektvollen Umgang miteinander), nicht aber als „Verfahren zum Umgang mit Mobbing“ implementiert oder bezeichnet werden.

Eine weitere Einschränkung ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass das Vorhandensein von Maßnahmen zum Umgang mit möglichen Fällen von Mobbing nicht in Abhängigkeit des Vorkommens tatsächlicher Mobbingfälle untersucht werden konnte, weil Letzteres in der ESENER nicht erfragt wurde. Wie oben bereits diskutiert, ist es denkbar, dass Maßnahmen in den Betrieben häufig erst als Reaktion auf reelle Mobbingfälle ergriffen wurden. Wie hoch der Anteil reaktiv vs. proaktiv getroffener Maßnahmen zum Umgang mi Mobbing in den Betrieben tatsächlich ist, lässt sich in der hier vorgelegten Studie nicht ermitteln.

Offen bleibt in der vorliegenden Studie ferner, welche Faktoren und Prozesse sich jenseits des betrieblichen Arbeitsschutzes und betrieblicher Mitbestimmung förderlich bzw. hinderlich bei der Implementation konkreter Mobbingpräventionsmaßnahmen in Betrieben auswirken. So wird bspw. auch die Rolle des Personalmanagements als entscheidender Faktor bei der erfolgreichen Einführung betrieblicher Mobbingprävention diskutiert [11]. Blando und Kollegen [6] finden zudem hinderliche Faktoren für die betriebliche Mobbingprävention auf Managementebene, darunter z. B. eine starke Profitorientierung oder fehlende Rechenschaftspflicht. Derart hinderlichen oder förderlichen Bedingungen sollte in weiterer Forschung nachgegangen werden, um Möglichkeiten und Voraussetzungen effektiver Mobbingprävention besser zu verstehen und die Beratung und Unterstützung der Betriebe in diesem Themenfeld entsprechend zielgerichtet weiterzuentwickeln.

Fazit für die Praxis

  • Betriebliche Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit Beschäftigter sind auch im Hinblick auf psychosoziale Risiken erforderlich.

  • Darunter sind auch Maßnahmen zum Schutz vor Gefährdungen durch Mobbing, Diskriminierung und Belästigung von hoher Bedeutung.

  • Betriebliche Verfahren zum Umgang mit möglichen Fällen von Mobbing fehlen noch in vielen Betrieben und scheinen bislang noch keine systematische Berücksichtigung in Gefährdungsbeurteilungen zu finden.

  • Es gilt, durch eine Weiterentwicklung von Strukturen des Arbeitsschutzes sowie von Fähigkeiten und Fachwissen der für den Gesundheitsschutz im Betrieb verantwortlichen Akteure auf eine systematischere Berücksichtigung psychosozialer Risiken hinzuwirken.