Um Batterien bestmöglich im Sinne von Nachhaltigkeit, geringen Betriebs- und Garantiekosten für den Antrieb von Fahrzeugen zu nutzen, ist es nicht nur wichtig, den aktuellen Gesundheitszustand zu kennen, sondern daraus auch Rückschlüsse auf die Lebensdauer zu ziehen. Eine umfassende Basis an Batterie- und Flottendaten und deren Analyse mithilfe fortschrittlicher Lernmethoden ermöglichen es, valide Vorhersagen zu treffen und Optimierungsstrategien für die Batterienutzung zu finden. Diese Ansätze verfolgt AVL im Rahmen seines umfassenden Batterielebenszyklusmanagements.

Zur Beurteilung des aktuellen Zustands einer Batterie dienen Informationen über ihre Restkapazität, die Leistung, den Innenwiderstand und den Ladezustand (State of Charge, SoC) benötigt. Es gibt unterschiedliche Methoden, die im fahrzeuginternen Batteriemanagementsystem (BMS) und durch Vernetzung außerhalb des Fahrzeugs eingesetzt werden. In der Cloudumgebung werden datengestützte Modelle verwendet, die auf Algorithmen des maschinellen Lernens (ML) basieren und für die gesamte Fahrzeugflotte genutzt werden können. Durch den Einsatz von Data-Science-Methoden, wie zum Beispiel trainierte neuronale Netze (NN), ist es möglich, die verbleibende Lebensdauer von einzelnen Batterien vorherzusagen. Das Training der Modelle erfordert in der Regel eine große Datenmenge der durch Batterie angetriebenen Fahrzeuge (Battery Electric Vehicles, BEVs). Um die Analysequalität zu verbessern, können Daten aus der Entwicklungsphase, wie aus Zell- und Packtests, ebenfalls für das Training herangezogen rden.

Eine Möglichkeit des Transfer Learning (TL) ist das Vorabtrainieren von ML- Modellen durch Übertragen des Erlernten von einem ähnlichen Datensatz, um komplexe Probleme effizient zu lösen und die benötigte Datenmenge in diesem Anwendungsfall zu verringern. Durch TL können das Verhalten einer einzelnen Batterie und dessen Abweichungen vom typischen und aktuellen Verhalten aller Batteriepacks in der Flotte schnell analysiert und geeignete Gegenmaßnahmen ergriffen werden, wie zum Beispiel die Temperaturregelung während des Ladevorgangs. Durch die cloudbasierte Überwachung kann der aktuelle Gesundheitszustand (State of Health, SoH) jedes Batteriepacks in der Fahrzeugflotte ermittelt werden, was eine Ableitung von Empfehlungen zur effizienten Nutzung und Verlängerung der Batterielebensdauer ermöglicht.

Zur Überwachung des SoH müssen die notwendigen Funktionen zur Datenerhebung in die BEVs integriert werden. Um valide Vorhersagen ableiten zu können, müssen diese Daten entsprechend bereitgestellt und analysiert werden. Mit einer cloudbasierten Plattform, die fortschrittliche Lernmethoden nutzt, können die Lebensdauer vorhergesagt und Erkenntnisse zur Optimierung der Leistung und Sicherheit gewonnen werden.

Fahrzeugintegration

Die Integration von Überwachungsfunktionen im BEV beruht auf den Anforderungen an die Datensammlung und Aggregation von Messergebnissen. Die Messdatenaggregation erfolgt in der Regel durch einfache statistische Berechnungen von Minimal-, Maximal- oder Durchschnittswerten sowie Histogramme und sogenannte Heatmaps. Um eine Datenerhebung auszulösen, können bestimmte Ereignisse wie der Ladevorgang der Batterie herangezogen werden. Die Herausforderung besteht darin, die Balance zwischen der Reduzierung der zu übermittelnden Datenmenge und der Erfassung aller schadensrelevanten Messgrößen zu finden, das heißt, die Datensammlung möglichst effizient zu gestalten [1]. Zur Fahrzeugintegration gehören darüber hinaus Themen wie E/E-Architektur, Konnektivität und Cybersicherheit.

Cloud-datenanalyseplattform

Die von vernetzten Fahrzeugen gesammelten Daten müssen in einer zentralen Datenplattform verarbeitet werden, um ihre volle Aussagekraft zu entfalten. Aus deponierten und zum Großteil unstrukturiert vorliegenden Fahrzeugdaten können nicht ad hoc Informationen extrahiert werden, die konkrete Einblicke liefern sollen. Eine skalierbare Cloudumgebung bietet die erforderliche Infrastruktur, um die Daten in großem Umfang zu erfassen, zu speichern und zu analysieren [2, 3]. Sie ermöglicht die effiziente Vorverarbeitung der Daten, die Ausführung von digitalen Zwillingen, Systemüberwachungsfunktionen sowie Visualisierung und Berichterstellung. Mit der Analysepipeline können die Daten kontinuierlich für jedes einzelne Fahrzeug verarbeitet werden. Basierend auf Batteriemodellen und fortschrittlichen Analysemethoden werden die Daten ausgewertet und relevante Metriken für das Engineering abgeleitet. Diese Ergebnisse werden für die Batterie- und BMS-Entwicklungsteams sowie die Qualitäts- und Service-Teams visualisiert, um zur Optimierung von Maßnahmen zur Verlängerung der Lebensdauer und Verbesserung der Sicherheit der Batteriesysteme beizutragen.

Bild 1
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Konzept der Cloud-Datenanalyseplattform von AVL (© AVL)

TL-Methoden

Einfache Statistiken und Überwachungsfunktionen auf Basis von Grenzwerten reichen nicht aus, um das volle Potenzial gesammelter Daten auszuschöpfen und valide Vorhersagen treffen zu können. Angesichts der großen Datenmenge und der vielfältigen Einflussfaktoren ist es erforderlich, fortschrittliche ML-Methoden anzuwenden, um Ursachen für abnormales Verhalten auf den Grund zu gehen, den SoH genauer zu schätzen und eine prädiktive Analyse der verbleibenden Batterielebensdauer durchzuführen [4, 5].

Zur Überwachung und Vorhersage des SoH während des Betriebs von bereits auf dem Markt eingeführten BEVs gibt es zwei vorrangig verwendete Konzepte: Entweder wird ein hoher Aufwand für Zelltests betrieben, um Alterungsmodelle abzuleiten, die aber kaum auf vernetzte Fahrzeugdaten anwendbar sind, oder das Alterungsmodell wird mithilfe von Feldbeobachtungen erstellt, wobei die Alterungseffekte in realen Umgebungen aufgrund der nötigen langen Beobachtungsdauer kaum erkennbar sind.

AVL setzt TL-Methoden ein, um beides zu kombinieren. Das erlernte Alterungsverhalten aus den Zelltests wird auf die Batteriepacks und die BEVs übertragen, dabei fließen die Feldbeobachtungen als Trainingsmaterial mit ein. So werden lediglich minimale Eingabedaten sowohl aus den Zelltests als auch aus der Fahrzeugflotte benötigt.

Evaluierung der AVL-Ansätze

Zur Bewertung wurden drei ML-Modellarchitekturen untersucht. Für das Training der Modelle wurde ein Fensteransatz für die Regressionsaufgabe mit dem SoH als Prognoseziel verwendet. Dieser Ansatz umfasst ein lang- und ein kurzfristiges Zeitfenster, Bild 2. Die Berechnung der Merkmale basiert auf den Kanälen Spannung, Stromstärke, Temperatur und einem zusätzlichen SoH-Kanal für die Messung der Ruhestandszeit der Batterie innerhalb eines jeden Zeitfensters. Die Merkmale können wie folgt klassifiziert werden:

Bild 2
figure 2

Schematische Darstellung der Fenstermethode zur Berechnung der Messkanäle Spannung U, Stromstärke I, Temperatur T und dem SoH-Ruhezeitkanal: über 120 Betriebsstunden mit den Fenstern 3 bis 1 (oben links); für jeweils eine Betriebsstunde mit dem Zielpunkt bei 1 (rechter Punkt in hellorange) (unten rechts) (© AVL)

  • statistische Metriken

  • SoC

  • Leistung/Energie

  • Änderungen des SoC

  • Heatmap-Merkmale.

Bei den Heatmap-Merkmalen wurde die Summe der Betriebsstunden in bestimmten Temperatur-, SoC- und Strombereichen bestimmt. Um die Komplexität zu verringern, wurde eine Merkmalauswahl mit der sogenannten Backward Lasso Feature Selection durchgeführt. Bei der Analyse dieser Merkmale wurde deutlich, dass insbesondere sehr hohe/niedrige Temperaturen und extrem veränderliche SoC-Werte nachteilig für den SoH der Batterie sind, was mit Erkenntnissen von Fachleuten korreliert.

Die Wirksamkeit der TL-Methoden wurde anhand von zwei Datensätzen bewertet: auf Zellenebene, Bild 3, und auf Ebene einer Fahrzeugflotte. Für die Modellarchitekturen wurden zunächst die neuronalen Netze Multilayer-Perceptron (MLP) und Convolutional Neural Network (CNN) verwendet. Mit diesen wurde auf den Zellendaten trainiert. Anschließend erfolgte eine Übertragung der Modellgewichte auf das Felddatenmodell und das Training mit dem Flottendatensatz.

Bild 3
figure 3

Über die Betriebszeit gemessene Kapazität von acht verschiedenen Zellen, wobei die Zellen 1 bis 4 an einem Prüfstand und die Zellen 5 bis 8 an einem anderen gemessen wurden (© AVL)

Die Experimente zeigten, dass das Prognosefehlermaß, das aus der Wurzel des quadratischen Mittelwertfehlers (Root Mean Square Error, RMSE) zwischen der SoH-Prognose und dem Zielwert der Modelle ermittelt wird, um 35 % reduziert wurde (bei SoHt). Dabei kennen die Modelle jedoch nur den ersten korrekten SoH-Wert und müssen sich dann auf ihre vorherige Vorhersage des SoH-Werts verlassen, Bild 4. Die Effektivität und Genauigkeit der SoH-Prognose des MLP-Modells mit TL wird in Bild 5 (rechts) gezeigt, dazu der Vergleich ohne TL in Bild 5 (links). Hier tritt der Prognosefehler deutlich stärker hervor.

Bild 4
figure 4

Evaluierungsmethode für das Maß "RMSE-Verlust seit Beginn" mit jeder weiteren Prädiktion auf Basis der Merkmale sowie der vorherigen Prädiktion des SoH-Werts bis zum aktuellen Zeitpunkt (© AVL)

Bild 5
figure 5

Ergebnisse für "Mean-Square-Error(MSE)-Verlust seit Beginn" pro BEV: MLP-Modell ohne TL (links) und mit TL (rechts) (© AVL)

Weitere TL-Ansätze wurden mit der XGBoost-basierten Modellarchitektur evaluiert, was in mehreren unterschiedlichen Schritten erfolgte. Für einen dieser Ansätze wurden zunächst Hyperparameter gesucht. Durch Kerndichteschätzung und dadurch Eingrenzung auf Bereiche nach Güte der Hyperparameter konnte dieser TL-Ansatz bessere Parameterkombinationen ausfindig machen. Die Übertragung von den Hyperparametersätzen wurde dann als eine TL-Methode durchgeführt. Des Weiteren wurden zwei TL-Methoden mit bereits vortrainierten Modellen betrachtet, von denen eine es dem XGBoost-Algorithmus ermöglicht, neue Entscheidungsbäume zu erstellen, während die andere nur die bestehenden Bäume anpasst.

Die Kombination aus Vortraining und Hyperparametertransfer bewies ihre Stärke darin, dass durch Vortraining auf Zelldaten auch mit geringen Datenmengen von Fahrzeugflotten eine valide Vorhersage des SoH-Verlaufs erstellt werden kann. Insgesamt wurde eine Verbesserung von etwa 36 % des Maßes "RMSE-Verlust seit Beginn" festgestellt.

Die Evaluierung umfasste auch die Reduzierung der Datensätze, um die Leistungsfähigkeit der Modelle weiter zu bestätigen: zum einen durch einen kalendarischen Ansatz mit Trainingsdaten über Eingangslängen von 183 und 365 Tagen, zum anderen durch drastische Verringerung der Fahrzeugflottengröße. Für reduzierte Datenmengen konnten signifikante Verbesserungen bei den Modellen festgestellt werden, die eine der TL-Methoden verwenden. Auch bei der Reduzierung der Flottengröße von 208 auf zehn BEVs erwies sich der TL-Ansatz als effektiv.

In Bild 6 ist eine Übersicht über die Ergebnisse mit und ohne TL für die verschiedenen Modelle dargestellt. Sie zeigen, dass aussagekräftige Vorhersagen zum Batteriezustand möglich sind, selbst wenn nur wenige Daten zur Verfügung stehen. Gerade bei jungen Fahrzeugflotten mit wenigen bisher erhobenen Daten können somit frühzeitige Anpassung der Regelungsstrategie vorgenommen werden.

Bild 6
figure 6

Vergleiche der Ergebnisse zwischen Modellen mit und ohne TL (links) und den Experimenten mit reduzierten Daten (rechts) (© AVL)

Zusammenfassung

Die eigene cloudbasierte Data Analytics Platform ergänzt die BMS-Lösungen und Fahrzeugintegrationskonzepte von AVL zur Überwachung von Batterien für den Antrieb von Fahrzeugen. Mit den hier vorgestellten TL-Ansätzen können anhand weniger Daten valide Vorhersagen zu Batterielebenszyklen jedes individuellen Batteriepacks im Feld getroffen werden. Dadurch lassen sich nicht nur Regelungsstrategien für eine längere Lebensdauer im Sinne von mehr Nachhaltigkeit sowie geringeren Betriebs- und Garantiekosten ableiten, sondern auch Erkenntnisse zusammentragen, die Anforderungen an Zelltests in der Batterieentwicklungsphase minimieren. Mit den fortschrittlichen Data-Science-Methoden können auch Anomalien erkannt und thermisches Durchgehen verhindert werden, was zur Gewährleistung der Sicherheit von BEVs beiträgt.

Literaturhinweise

  1. [1]

    Schagerl, G. et al.: 21SIAT-0638 - Fleet Analytics - A Data-Driven and Synergetic Fleet Validation Approach. SAE Technical Paper 2021-26-0499. 2021

  2. [2]

    Simon, C.; Hammer, M.; Schagerl., G.: Onlinedatenexploration für eine optimierte Flottenerprobung. In: MTZ 82 (2021), Nr. 9, S. 40-45

  3. [3]

    Ramschak, E. et al.: Smart Fleet Analysis with Focus on Target Fulfillment and Test Coverage. Vortrag, ATZ-Fachtagung Automatisiertes Fahren, Wiesbaden, 2021

  4. [4]

    Santhira Sekeran, M.; Živadinović, M.; Spiliopoulou, M.: Transferability of a Battery Cell End-of-Life Prediction Model Using Survival Analysis. In: Energies 15 (2022), Nr. 8, Artikel-Nr. 2930

  5. [5]

    Tuschkan, A. et al.: Batterieanalyse in der Elektromobilität - Ein Einblick in Methoden zur Batterieanalyse und Alterungsprädiktion bei elektrischen Fahrzeugflotten durch Kombination von konventionellen Ansätzen und maschinellem Lernen. In: VDI Fahrzeug- und Verkehrstechnik, VDI-Berichte 2407, S. 103-118