Die zufällige und ungerichtete Entgasung von Pouchzellen während des thermischen Durchgehens stellt eine besondere Herausforderung in Bezug auf in Zukunft erwartete "No-Propagation"-Anforderungen dar. In diesem Kontext hat FEV ein Konzept für ein Moduldesign mit gerichteter Entgasung entwickelt und patentieren lassen. Mithilfe einer ganzheitlichen Entwicklungsmethodik können Batteriesysteme hinsichtlich aktueller und zukünftiger Anforderungen abgesichert werden.

Infolge von Produktionsfehlern oder thermischem, elektrischem oder mechanischem Fehlgebrauch kann in der Lithium-Ionen-Zelle eine exotherme Kettenreaktion ausgelöst werden, die oft durch einen internen Kurzschluss verursacht oder begleitet wird. Charakteristisch für dieses thermische Durchgehen (Thermal Runaway, TR) sind ein starker Temperaturanstieg und die Emission von brennbaren Gasen und Partikeln. Der TR kann sich auf benachbarte Zellen im Batteriesystem ausbreiten, was als thermische Propagation (TP) bezeichnet wird.

In China wurde die GB 38031-2020 und in der Europäischen Union die ECE R100 Revision 3 eingeführt, um das Sicherheitsrisiko für Fahrzeuginsassen durch TR und TP zu begrenzen. Diese Regulierungen fordern eine Karenzzeit von mindestens 5 min zwischen einer ausgegebenen Warnung an die Fahrzeuginsassen und der Entzündung des Ventilationsgases außerhalb des Batteriepacks beziehungsweise dem Eintreten der Ventilationsgase in den Fahrzeuginnenraum. Die Zielvorgaben werden sich voraussichtlich weiter verschärfen, bis schließlich eine vollständige Verhinderung der TP, das heißt "No Propagation", vorausgesetzt wird. Diese Anforderungen können auf Zellebene durch die Entwicklung eigensicherer Zellen adressiert werden. Solche Zellen sind jedoch noch Gegenstand der Forschung und daher nicht für den Massenmarkt verfügbar.

Um die TP zu verhindern und gleichzeitig immer höhere Energiedichten anbieten zu können, sind wirksame TP-Maßnahmen auf Modul- und Packebene erforderlich. Eine Sonderrolle spielt die TP-Absicherung von Pouchzellenmodulen aufgrund der statistisch unsicheren Entgasungscharakteristik.

Ganzheitliche Entwicklungsmethodik

Die FEV setzt im Kontext der TP-Absicherung auf eine ganzheitliche Entwicklungsmethodik, bei der Design, Simulation und Versuch eng ineinander integriert sind. Durch permanente Feedback-Loops lassen sich potenzielle Schwachstellen im System frühzeitig erkennen, was sich positiv auf Entwicklungszeit und -kosten auswirkt.

TP-Maßnahmen werden bereits in der Konzeptphase vorgesehen. Um TP zu verhindern, müssen die Zellen thermisch bestmöglich voneinander isoliert werden, ohne die Kühlperformanz im Normalbetrieb zu beeinflussen. Das Isolationsmaterial muss eine geringe Wärmeleitfähigkeit, hohe Temperaturbeständigkeit und niedrige Entflammbarkeit aufweisen. Zusätzlich muss es die Funktion des Kompressionspads übernehmen und somit die natürlichen Dickenänderungen der Zellen während des Zyklisierens über die gesamte Lebensdauer aufnehmen und die Verpressung im optimalen Bereich halten. Jedes Batteriesystem benötigt unter Beachtung der Randbedingungen spezielles Isoliermaterial mit entscheidendem Einfluss auf die TP-Performanz: Während Isolationsmaterial nach Stand der Technik die Propagation zwar verzögert, aber nicht aufhalten kann, findet mit dem Material der nächsten Generation keine Propagation mehr statt, Bild 1.

Bild 1
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Simulativer Vergleich zweier Isolationsmaterialien (Stand der Technik und nächste Generation): Randbedingungen (links) und Simulationsergebnisse (rechts) (© FEV)

Zum effizienten Abführen von Gasen, die beim TR entstehen, werden im Batteriepackgehäuse Entgasungsventile installiert. Art und Anzahl der Ventile werden anhand des Gasmassenstroms der Zelle ausgelegt. Zur Unterbindung der Entzündung des Gas/Luft-Gemischs außerhalb des Batteriepacks müssen glimmende Partikel zum Beispiel durch Filter im Innern gehalten werden. Um einen starken Druckanstieg zu verhindern und damit die mechanische Integrität des Gehäuses zu gewährleisten, müssen die Ventilationspfade hinreichend groß dimensioniert werden. Das Hochvoltsystem muss vor der heißen und abrasiven Gasströmung geschützt werden, um das Risiko der Lichtbogenbildung zu minimieren und damit einen weiteren Energieeintrag ins System zu vermeiden.

Zur frühzeitigen Evaluierung von Designmaßnahmen hat die FEV in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Thermodynamik Mobiler Energiewandlungssysteme (TME) der RWTH Aachen University eine multiphysikalische TR/TP-Simulationsmethodik entwickelt. Mit dieser können sowohl Wärmeentwicklungen während des TR im Inneren der Zelle lokal und zeitabhängig aufgelöst als auch verschiedene Zelltriggermethoden berücksichtigt werden. Die Reaktionskinetik lässt sich durch Arrhenius-Korrelationen modellieren. Des Weiteren können bei der Simulation der TP die Wärmeleitung, die Konvektion und die Wärmestrahlung in und zwischen Festkörpern mit detaillierten Materialeigenschaften einbezogen werden. So können die Temperaturverteilung und die Propagationszeit von Zelle zu Zelle und Modul zu Modul ausgewertet werden. Bild 2 zeigt beispielhaft einen erfolgreichen TP-Stopp durch den Einsatz von thermischen Barrieren zwischen den Modulen.

Bild 2
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Simulative Absicherung eines TP-Stopps mithilfe von thermischen Barrieren zwischen den Modulen (© FEV)

Mittels Gasströmungssimulation wird der zeitabhängige Überdruck im Inneren des Packs bewertet; er kann in Struktursimulationen des Batteriegehäuses genutzt werden. Der konvektive Wärmeübergang zu benachbarten Zellen, Modulen und anderen temperaturkritischen Bauteilen kann ebenfalls evaluiert werden. Aschepartikel und andere unverbrannte Zellbestandteile, die aus der durchgehenden Zelle austreten, werden über ein Lagrange'sches Partikelmodell erfasst. So können Partikelanhäufung in bestimmten Bereichen des Packs und die Wahrscheinlichkeit, dass Partikel mit hoher Energie durch die Entgasungsventile entweichen, untersucht werden. Darüber hinaus kann eine qualitative Aussage über das abrasive Verhalten in kritischen Bereichen getroffen werden. Mit vereinfachten Verbrennungsansätzen ist es möglich, qualitative Aussagen über die Entflammbarkeit des Ventilationsgases außerhalb des Batteriepacks zu treffen, was über das Bestehen der Homologationstests entscheidet.

Zur Parametrisierung und Validierung der Simulationsmodelle sowie der abschließenden Homologation des Batteriesystems werden Versuche durchgeführt. FEV verfolgt dabei einen kaskadierten Ansatz, um Versuchszeit und -kosten zu reduzieren. Zellspezifische TR-Eigenschaften werden in Einzelzelltests ermittelt. Diese Tests werden üblicherweise in einem (adiabaten) Autoklaven durchgeführt. Der Prüfaufbau bietet eine kontrollierte Umgebung für die zu prüfende Zelle und ermöglicht die Messung relevanter Daten wie Menge und Zusammensetzung des Abgases oder die Starttemperatur des TR. Zellverbundtests bieten die Möglichkeit, Zwischenmaterialien bezüglich ihres Propagationsverhalten zu untersuchen. Auf Modulebene lassen sich verschiedene Kühlstrategien oder aktive Löschkonzepte zur Vermeidung von TP analysieren. Für die Homologation notwendige Versuche können auf Batteriesystemebene mit anschließender Demontage und detaillierter Post-Mortem-Analyse durchgeführt werden.

TP-optimiertes Pouchzellenmodul

Das Design von propagationssicheren Modulen stellt bei Verwendung von Pouchzellen eine besondere Herausforderung dar. Im Gegensatz zu prismatischen und zylindrischen Zellen haben Pouchzellen in der Regel keine definierte Öffnung zur Entgasung während des TR. Vielmehr reißt die äußere Folie an ihrer schwächsten Stelle auf. Dies ist meist an einem oder beiden Zellkontakten der Fall, es kann jedoch auch an der restlichen Siegelung auftreten. Das undefinierte Entgasen der einzelnen Zelle ist in Bezug auf die TP-sichere Auslegung des Moduls als kritisch zu betrachten. Zum einen wird die Wahrscheinlichkeit eines konvektiven Ansteckens der Nachbarzellen erhöht, zum anderen kann das TP-Verhalten in Modultests nicht reproduzierbar nachgebildet und so das System nur bedingt validiert werden.

Daher hat FEV ein Konzept für die gerichtete Entgasung von Pouchzellen entwickelt und patentieren lassen. Das Konzept sieht vor, die Hohlräume im Modul zu versiegeln. Dabei wird eine Zellkontaktseite freigelassen, die dann als definierte Entgasungsseite dient. Des Weiteren werden in den End- beziehungsweise Seitenplatten des Moduls definierte Ventilationsöffnungen vorgesehen, was einen schnellen Abtransport der Gase ohne signifikanten Überdruck sicherstellt. Alle übrigen Spalte, wie elektrische Durchführungen oder Signaldurchführungen, werden abgedichtet, sodass eine gezielte Entgasung möglich ist. Zum Schutz der Zellen vor äußeren Einflüssen während des Normalbetriebs werden die Ventilationsöffnungen mit einer speziellen Folie verklebt. Diese ist so ausgelegt, dass sie im Falle eines TR definiert reißt und die Ventilationsöffnung der entsprechenden Zelle freigibt. Unter Einsatz von additiven Fertigungsverfahren für die End- beziehungsweise Seitenplatten kann die Strömungsführung des Ventilationsgases durch fortschrittliche Geometrien weiter optimiert werden. Das gerichtete Entgasen ermöglicht eine strategische Positionierung der Module im Batteriepack, sodass ein direktes Bestrahlen kritischer Komponenten wie zum Beispiel von Nachbarmodulen oder Hochvolt-Busbars ausgeschlossen werden kann.

Bild 3 (a und b) stellt den Aufbau eines generischen Pouchzellenmoduls im Basisdesign dar; das Design mit optimiertem Entgasungspfad zeigt Bild 3 (c und d). Das Modul besteht aus zwölf Zellen 70 Ah Gen3 mit einer spezifischen Energie von 350 Wh/kg. Der TR wird in einer Randzelle initiiert. Dabei erreicht die Zelle eine Maximaltemperatur von circa 1000 °C und stößt insgesamt 50 % der Masse als Partikel und Gase aus. Die Entgasung findet über einen Zeitraum von 8 s statt, wobei der gasförmige Anteil 2,5 Nl pro Ah entspricht. Um TP über Wärmeleitung zu verhindern und die Temperaturen der Nachbarzellen unterhalb der TR-Triggertemperatur von 160 °C zu halten, sind sowohl die Basis- als auch die optimierte Variante mit 3 mm dickem Isolationsmaterial der nächsten Generation zwischen den Zellen ausgestattet. Zusammen mit den Busbarhaltern wird der direkte Gaspfad zwischen den Zellen in beiden Fällen minimiert. Die Basisvariante hat keine definierten Entgasungsöffnungen. Das Ventilationsgas entweicht über die Spalte bei den Modulterminals und dem Stecker für das Batteriemanagementsystem (BMS). Die optimierte Variante beinhaltet die Versiegelung, das für eine definierte Gasabfuhr angepasste Endplattendesign und den abgedichteten BMS-Stecker. In beiden Fällen wird das Modul in einer Box mit seitlichem Auslass positioniert.

Bild 3
figure 3

Generisches Pouchzellenmoduldesign in der Außen- (links) und Innenansicht (rechts): Basisvariante (a, b) und optimiertes Design (c, d) (© FEV)

Zum Vergleich der beiden Varianten wird das Volumen mit einem Ventilationsgasanteil von über 10 % kurz nach Initiierung des TR betrachtet, ebenso die Zelltemperaturen am Ende der Ventilationsphase. Während das heiße Abgas in der Basisvariante über die Nachbarzellen strömt, Bild 4 (a), und diese konvektiv erwärmt, Bild 4 (b), wird das Gas mithilfe des optimierten Designs unverzüglich aus dem Modul geführt, Bild 4 (d). Dementsprechend liegt die Maximaltemperatur des Aktivmaterials der Nachbarzellen beim optimierten Design mit 79 °C, Bild 4 (f), deutlich unterhalb der Maximaltemperatur der Basisvariante mit 176 °C, Bild 4 (c). Letztere liegt über der TR-Triggertemperatur von 160 °C, sodass ein Anstecken der Nachbarzelle nicht ausgeschlossen werden kann. Bei der Basisvariante ist außerdem zu erkennen, dass auch Zellen, die weiter von der Eventzelle entfernt sind, lokal relativ hohen Temperaturen ausgesetzt sind, Bild 4 (b). Dies kann zu einer mehrdirektionalen Propagation führen und wurde bereits im Projektumfeld beobachtet. Das optimierte Design verhindert ein thermisches Anstecken der Nachbarzellen während der Ventilationsphase, Bild 4 (e).

Bild 4
figure 4

Basisvariante (oben) und optimiertes Design (unten): Abgasführung (a, d), Zelltemperaturen (b, e) und deren Zelltemperaturverläufe (c, f) (© FEV)

In Bild 5 ist zu sehen, dass die Zelltemperaturen auch während des Wärmeausgleichs von der Eventzelle zum Rest des Moduls dank des fortschrittlichen Isolationsmaterials stets unterhalb des kritischen Wertes bleiben. TP kann somit erfolgreich verhindert werden.

Bild 5
figure 5

Zelltemperaturprofil (a) und -verläufe (b) während des Wärmeausgleichs im optimierten Design (© FEV)

Fazit

Um den erwarteten Regularien hinsichtlich "No Propagation" begegnen zu können, setzt FEV auf eine ganzheitliche Entwicklungsmethodik, bei der Design, Simulation und Versuch eng integriert sind. Kontinuierliche Feedback-Loops erlauben eine zeit- und kosteneffiziente TP-Absicherung. Die zufällige und ungerichtete Entgasung von Pouchzellen stellt eine besondere Herausforderung dar. Hierzu hat FEV ein Konzept für ein Moduldesign mit gerichteter Entgasung patentieren lassen. Das Konzept wurde in ähnlicher Art im Rahmen eines Kundenprojekts umgesetzt und die Effektivität über die Simulation hinaus im Versuch bestätigt. Existierende Module und Batteriesysteme können mit der beschriebenen Methodik optimiert und Neuentwicklungen effizient vorangetrieben werden.