Die wachsende Anzahl von Fahrzeugen mit elektrifiziertem Antrieb auf Deutschlands Straßen sorgt für steigende Anforderungen an Stromnetze. Das Reiner Lemoine Institut untersuchte unterschiedliche Ladestrategien, mit denen Netzbetreiber Lastspitzen auffangen und entzerren können und Flottenbetreiber zu günstigen Tarifen laden können.

Der Anteil erneuerbarer Energien (EE) an der Stromerzeugung steigt stetig. Im Jahr 2020 betrug er in Deutschland erstmals über 50 % [1]. Gleichzeitig gibt es auch immer mehr elektrische Fahrzeuge. Im letzten Jahr verdoppelte sich der Anteil elektrischer Fahrzeuge an den Neuzulassungen in Deutschland auf 13,6 % [2], sodass mittlerweile über 1 % der zugelassenen Pkw elektrisch angetrieben werden [3].

Aufgrund der Elektrifizierung verschiedener Sektoren ist die Integration neuer Lasten notwendig. EE sind jedoch immer noch volatil. Daher wird die Nutzung von lastseitigen Flexibilitäten für Netzbetreiber immer wichtiger. Elektrofahrzeuge bieten hierzu aufgrund der eingebauten Speicher und der Möglichkeit, während der gesamten Standzeit flexibel zu laden, ein hohes Potenzial.

Im Bereich der E-Mobilität könnten Verteilnetzbetreiber (VNB) Steuersignale schicken, die Kundenbedürfnisse berücksichtigen, um das temporäre Überangebot von Strom aus EE auszugleichen. Im Rahmen des BMU-geförderten Projekts Netz_eLOG wurden verschiedene netzdienliche Ladestrategien entwickelt und deren Auswirkungen am Beispiel einer betrieblichen elektrischen Logistikflotte untersucht [4].

Unterschiedliche netzdienliche Ladestrategien

Um die Auswirkungen netzdienlicher Ladestrategien zu untersuchen, wurden drei Modelle mit unterschiedlichen Steuermöglichkeiten für den VNB entwickelt:

  • Strategie S1 - Zeitvariable Netzentgelte: Der VNB sendet Preissignale für den Arbeitspreis der Netzentgelte an alle Anschlussnutzenden in einem Gebiet. Diese können daraufhin ihren Strombezug preisoptimiert anpassen. Flottenbetreiber, die ihre Last flexibel an die Signale des Netzbetreibers anpassen, profitieren direkt durch geringere Betriebskosten. Das Tarifmodell basiert auf drei Stufen (Nieder-, Mittel-, Hochtarif) und ist von der Netzsituation abhängig. Dadurch können Einspeisespitzen abgefedert und mögliche Abregelungen verringert werden. Gleichzeitig wird die Erhöhung bestehender Lastspitzen durch höhere Netzentgelte vermieden.

  • Strategie S2 - Flexible Zeitfenster: Diese Ladestrategie ist eine Weiterentwicklung der bereits nutzbaren Hochlastzeitfenster (§19.2 StromNEV). Der VNB sendet basierend auf der prognostizierten Netzsituation Zeitfenster für den (Nicht-)Bezug von Energie. Sollten Abregelungen absehbar sein oder die Einspeisung die Last überwiegen, werden diese Zeiträume zu Bezugsfenstern.

  • Strategie S3 - Laden nach Fahrplan: Anschlussnutzenden wird individuell ein "Ladefahrplan" vom VNB übermittelt, welcher den Zeitpunkt und die Höhe der abzurufenden Energie für alle flexiblen Lasten enthält. Der Fahrplan wird auf Grundlage des Flexibilitätspotenzials der Anschlussnutzenden (Kernstandzeit, Gesamtladebedarf, maximale Gesamtleistung der Flotte) und der zu erwartenden Netzsituation erstellt. Als Kernstandzeit wird ein festgelegter Zeitraum bezeichnet, in dem alle Fahrzeuge gesichert zur Verfügung stehen.

In allen drei Strategien erfolgt das Laden gleichmäßig verteilt innerhalb eines Zeitfensters. Als Referenzmodelle dienen zwei Ladestrategien, die nicht an der Netzsituation ausgerichtet sind und ohne Steuersignale des VNB ablaufen: das unkontrollierte Laden der Flotte mit maximaler Leistung bei Ankunft der Fahrzeuge (Uncontrolled) und das ausgeglichene Laden mit minimal möglicher Ladeleistung über die Standzeit der Fahrzeuge (Balanced).

Die Modellierung erfolgt über einen sechsmonatigen Zeitraum mit dem vom Reiner Lemoine Institut entwickelten Open-Source-Simulationsmodell SpiceEV [5]. Alle Strategien werden in drei verschiedenen Netzgebieten untersucht, welche sich hinsichtlich Einspeisung, Last und Abregelung unterscheiden.

Sensitivität und Fahrzeugverfügbarkeit entscheidend

Netzgebiet N1 hat einen hohen Lastüberschuss bei gleichzeitig geringer EE-Erzeugung. Bild 1 zeigt einen beispielhaften Ausschnitt über zwei Tage aus dem Simulationszeitraum. Darin sind die Lastprofile aller Ladestrategien (linke Achse) und die Netzsituation (rechte Achse) dargestellt.

Bild 1
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Lastprofile der Ladestrategien in Netzgebiet N1 bei hohem Lastüberschuss am Beispiel von zwei Tagen (© Reiner Lemoine Institut)

Während die beiden Referenzstrategien Uncontrolled und Balanced unabhängig von der Netzsituation agieren, erhöhen die netzdienlichen Ladestrategien S1, S2 und S3 vor allem in Niederlastzeiten den Strombezug. Dabei reagieren die Strategien unterschiedlich sensitiv. S1 lädt vorrangig während des Niedertariffensters zwischen 21:30 und 6 Uhr, ebenso wie S3. Ein Unterschied ist die vorgegebene Kernstandzeit beim Laden nach Fahrplan (S3). S2 reagiert kaum auf die Netzsituation, da nicht zwischen Einspeise- und Last-Zeitfenstern gewechselt wird. Dadurch kommt es zu einer Gleichverteilung über die gesamte Standzeit der Fahrzeuge, wie bei der Strategie Balanced.

Netzgebiet N2, Bild 2, hat einen besonders hohen Erzeugungsüberschuss und eine hohe Abregelung. Wie dargestellt, treten die Abregelungen am ersten Tag nachts, tagsüber sowie am Abend auf. Auf die Abregelung am Tag können die netzdienlichen Ladestrategien kaum reagieren, da die Fahrzeuge unterwegs sind. Innerhalb der Standzeit der Fahrzeuge spricht vor allem Strategie S1 auf die Abregelung und hohen Erzeugungsüberschüsse an.

Bild 2
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Lastprofile der Ladestrategien in Netzgebiet N2 mit hohem Erzeugungsüberschuss und Abregelung (linke Achse); Darstellung des Erzeugungsüberschusses negativ und des Lastüberschusses positiv (rechte Achse) (© Reiner Lemoine Institut)

Wie in Netzgebiet N1 gibt es auch hier kaum Wechsel zwischen Einspeise- und Last-Zeitfenstern (hier mit Fokus auf der Einspeisung). Dies führt wieder dazu, dass S2 kaum auf die Netzsituation reagiert und die Ladung gleichverteilt erfolgt. S3 lädt nicht gleichverteilt über die Kernstandzeit, sondern mit erhöhter Leistung bei besonders hohem Erzeugungsüberschuss.

In Netzgebiet N3, Bild 3, sind Lasten und Erzeugung recht ausgeglichen und es wird selten abgeregelt. Alle drei netzdienlichen Ladestrategien reagieren auf den Erzeugungsüberschuss in der Nacht. Während der Ladevorgang mit S2 gleichverteilt über das Einspeisezeitfenster erfolgt, reagieren die beiden anderen netzdienlichen Strategien etwas sensitiver und laden mit höherer Leistung in einem kürzeren Zeitraum.

Bild 3
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Lastprofile der Ladestrategien in Netzgebiet N3 mit ausgeglichener Netzsituation (linke Achse); Darstellung des Erzeugungsüberschusses negativ und des Lastüberschusses positiv (rechte Achse) (© Reiner Lemoine Institut)

Im Vergleich zu den vorherigen Netzgebieten zeigt vor allem S2 eine Änderung im Ladeverhalten. Durch die regelmäßigen Wechsel von Last- und Einspeise-Zeitfenstern reagiert auch diese zweistufige Ladestrategie mit Anpassungen auf die Netzsituation.

Lastverschiebung in Einspeise-zeitfenster

Die wichtigsten netzseitigen Kriterien in den untersuchten Netzgebieten sind die Vermeidung von Abregelung und hohen Erzeugungsüberschüssen. Aus diesem Grund sind die netzdienlichen Ladestrategien darauf ausgelegt, den Strombezug möglichst in diese Zeiten zu verschieben. Tabelle 1 zeigt die netzgebietspezifische Auswertung für den Strombezug in Abregelungszeiten und während Erzeugungsüberschüssen.

TABELLE 1 Strombezug in MWh über einen sechsmonatigen Simulationszeitraum in Zeiten von Abregelung und Erzeugungsüberschuss im jeweiligen Netzgebiet (© Reiner Lemoine Institut)

Bezüglich der Abregelung hat vor allem die Strategie Zeitvariable Netzentgelte (S1) einen großen Einfluss. Durch die verschiedenen Preisstufen ist es möglich, Ladevorgänge in Zeiten von Abregelung zu verschieben und so diese sonst ungenutzte Energie zu verwenden. Der Effekt ist besonders groß in Netzgebieten mit hohen Abregelungsquoten wie N2. Aufgrund der geringeren Sensitivität der Strategie Flexibles Zeitfenster (S2) sind hier die Effekte weniger ausgeprägt. Beim Laden nach Fahrplan (S3) spielt neben der Preisgestaltung und Netzsituation auch die Kernstandzeit eine Rolle. Nur wenn die Abregelung zu dieser Zeit stattfindet, kann die Energie genutzt werden.

Bezüglich des Erzeugungsüberschusses schneiden alle netzdienlichen Ladestrategien besser ab als die Referenzstrategien Uncontrolled und Balanced. Besonders in ausgeglichenen Netzgebieten wie N3 mit vielen Lastwechseln können Ladevorgänge in Zeiten von Erzeugungsüberschuss verschoben werden. Die Strategie Laden nach Fahrplan (S3) ist auch hier wieder durch die Kernstandzeit der Fahrzeuge eingeschränkt, während die beiden anderen netzdienlichen Ladestrategien die Überschusszeiten gut nutzen können.

Insgesamt werden von der Flotte über die sechs Monate Simulationszeitraum circa 380 MWh Energie bezogen. Die Betrachtung von Netzgebiet N2 zeigt, dass selbst bei den beiden Referenzstrategien fast die gesamte Energie zu Zeiten von Erzeugungsüberschuss bezogen wird. Deutlicher ist der Einfluss bei Betrachtung der ausgeglichenen (N3) beziehungsweise lastdominierten Gebiete (N1) zu sehen.

Zusammenfassung

Es wurden drei Ladestrategien entwickelt, um flexible Lasten netzdienlich nutzen zu können. Alle funktionieren über verschiedene Steuersignale und ermöglichen damit dem VNB Mittel, die flexiblen Lasten der prognostizierten Netzsituation anzupassen. Die drei vorgestellten Strategien Zeitvariable Netzentgelte, Flexibles Zeitfenster und Laden nach Fahrplan zeigen besonders beim Strombezug während Zeiten mit Erzeugungsüberschuss ihre Wirkung gegenüber Strategien, die nicht an der Netzsituation ausgerichtet sind. Damit kann der VNB die Ladung der Fahrzeuge in Zeiten eines hohen Erzeugungsüberschusses verschieben und während bestehender Lastspitzen im Netz reduzieren.

Literaturhinweise

  1. [1]

    Strom-Report (Hrsg.): Strommix 2020: Stromerzeugung in Deutschland [Netto]. Online: https://strom-report.de/strom/ #strommix-2020-deutschland, aufgerufen: 24. Mai 2022

  2. [2]

    Kraftfahrt-Bundesamt (Hrsg.): Neuzulassungen von Personenkraftwagen (Pkw) im Jahresverlauf 2021 nach Marken und alternativen Antrieben, Pressemitteilung Nr. 03/2022, Flensburg, 2022-01-17. Online: https://www.kba.de/DE/Presse/ Pressemitteilungen/AlternativeAntriebe/2022/pm03_2022_Antriebe_12_21_komplett.html?snn=3662144, aufgerufen: 24. Mai 2022

  3. [3]

    Kraftfahrt-Bundesamt (Hrsg.): Der Fahrzeugbestand am 1. Januar 2022. Pressemitteilung Nr. 10/2022, Flensburg, 2022-03-04. Online: https://www.kba.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/Fahrzeugbestand/2022/pm10_fz_bestand_pm_komplett.html?snn=3662144, aufgerufen: 24. Mai 2022

  4. [4]

    Reiner Lemoine Institut (Hrsg.): Netz_eLOG: Intelligente Netzintegration der Elektromobilität. Online: https://reiner-lemoine-institut.de/intelligente-netzintegration-e-mobilitaet/, aufgerufen: 24. Mai 2022

  5. [5]

    Reiner Lemoine Institut (Hrsg.): Spice_EV Github. Online: https://github.com/ rl-institut/spice_ev , aufgerufen: 06. Februar 2022