Zu den Teams, die von Anfang an bei der neuen fahrerlosen Wettbewerbsklasse Formula Student Driverless dabei sein wollten, zählt auch Dart Racing, das Formula-Student-Team der TU Darmstadt. In dessen Werkstatt entstanden deshalb in der Saison 2016/2017 zwei Rennwagen für die Formula Student Germany. Fünf Wochen vor dem Finale am Hockenheimring hat ATZextra das Team in der Magdalenenstraße in Darmstadt besucht.

Neues System auf alter Basis

Zum ersten Mal in der Geschichte des internationalen Konstruktionswettbewerbs fand dieses Jahr eine fahrerlose Wettbewerbsklasse statt: die Formula Student Driverless (FSD). In den Augen der Organisatoren ist die Einführung der FSD eine konsequente Weiterentwicklung des Wettbewerbs, um Studierende auf die sich ändernden Anforderungen des Berufslebens vorzubereiten. Fünfzehn Teams stellten sich diesen neuen Herausforderungen im Premierenjahr, darunter auch Dart Racing, das Formula-Student-Team der TU Darmstadt. In dessen Werkstatt entstanden deshalb in der Saison 2016/2017 zwei Rennwagen für den Wettbewerb: ein Elektrorennwagen namens μ-2017 und das autonome Elektrofahrzeug namens μD-2017.

Laut Reglement muss das FSD-Fahrzeug den technischen Anforderungen einer der beiden bereits bestehenden Wettbewerbsklassen Formula Student Combustion oder Formula Student Electric entsprechen. Die Möglichkeit, fertige Fahrzeuge der vorherigen Saison umzurüsten, sollte die Einstiegshürde senken. Die Teams können dann den Fokus auf die Entwicklung des autonomen Systems legen, so die Idee der FS-Organisatoren.

Allerdings brachte die Umrüstung des Vorjahresfahrzeugs auch Nachteile mit sich, wie Philipp Birkholz weiß. Der Maschinenbaustudent war einer der beiden Driverless-Fahrzeugverantwortlichen des Darmstädter Teams in der Saison 2016/2017. Birkholz war für die Brems- und Lenkaktorik zuständig, die nötig sind, damit die Aufgaben des Fahrers — Bremsen und Lenken — durch das autonome System ausgeführt werden können. Als Grundlage diente das Elektroauto der vorherigen Saison, der lambda-2016. Dessen Bauraum war so optimiert worden, dass der Fahrer und ein kleines Lenkgetriebe Platz finden. Das FSD-Reglement schrieb für die Saison 2016/2017 vor, dass der Platz für den Fahrer auch weiter freigehalten werden muss. „Es war deshalb nicht einfach, unseren 450-W-Motor für die Lenkung zu integrieren“, erklärte Birkholz. Dabei musste auch das Getriebe so übersetzt werden, dass die manuelle Lenkung weiterhin funktioniert. Der Motor der Lenkaktorik hat eine Untersetzung, ein Planetengetriebe. „Wir haben zudem ein eigenes Stirnradgetriebe entwickelt und gefertigt, das den mechanischen Strang vom Lenkrad mit der Aktorik und der Zahnstange vereint“, erklärt Birkholz. Neben dem Funknotsystem, das durch den Veranstalter vorgegeben ist, hat das Team einen Hydraulikspeicher umgesetzt, der Energie speichert und im Notfall, wenn das Notbremssystem ausgelöst wird und der Strom abgeschaltet ist, die Energie freisetzt und das Auto durch Blockieren der Räder zum Stehen bringt.

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Als Ausgangsbasis fur das autonome Fahrzeug namens μD-2017 diente dem Team Dart Racing das Elektroauto der vorherigen Saison

© Angelina Hofacker

Für die automatisierte Fahrzeugführung muss das System die Umgebung des Fahrzeugs und die Informationen zur Strecke zuverlässig erfassen. Die drei physikalischen Sensorprinzipien Radar, Laser und Kamera kamen auch im Teilnehmerfeld der FSD zum Einsatz. Das Team der TU Darmstadt nutzte im ersten Jahr zur Erkennung der Fahrbahn zwei Stereokameras. Je nach Setting fährt das Auto mit einer oder zwei Stereokameras.

Prioritäten setzen — in der FSD und im Studium

Bei der Bildverarbeitung [1] wurde das Darmstädter Team in dieser ersten Saison auch von Professorenseite unterstützt. So brachte Prof. Dr. Arjan Kuijper, Research Coach am Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD, sein Wissen in das Formula-Student-Projekt mit ein. Besonders beeindruckt zeigte sich Kuijper davon, dass die Teammitglieder dem Projekt ganz bewusst eine hohe Priorität einräumen. „Es gibt bei vielen Studierenden einen hohen Druck, das Studium in möglichst kurzer Zeit zu absolvieren“, weiß Prof. Kuijper. „Die Formula-Student-Teammitglieder nehmen sich aber trotzdem bewusst eine Auszeit, um — teilweise in Vollzeit — an dem Rennwagen zu arbeiten“, erzählte er und fügte an: „Das ist gut so, denn bei der Formula Student lernen die Studierenden vielleicht sogar noch mehr als in den Vorlesungen.“

Die richtigen Mitstreiter finden

Mit der Einführung der FSD wollen die Organisatoren der Formula Student Germany auch Studierende aus bisher FS-fremden Fachrichtungen wie Informatik, Robotik oder Autonome Systeme für den Wettbewerb gewinnen. Dies gestaltete sich für die Teams im ersten Jahr aber noch nicht so einfach. In der ersten Saison war es für Dart Racing relativ schwer, die richtigen Personen für die Entwicklung des fahrerlosen Fahrzeugs zu finden. „Es waren die typischen Maschinenbauer, die sich angesprochen gefühlt haben“, berichtete Teammitglied Annemike Unterschütz. So gab es im Team beispielsweise zwei Maschinenbaustudenten, die kurz vor dem Ende ihres Studiums festgestellt hatten, dass eigentlich das automatisierte Fahren das ist, was sie interessiert. Für diese beiden kam die Einführung der FSD wie gerufen. Informatiker und Mathematiker seien aber nicht von allein gekommen.

Um das Driverless-Projekt auch bei Studierenden anderer Fachbereiche bekannt zu machen, veröffentlichte das Team schließlich Stellenausschreibungen im Internet und nahm Kontakt zu Pressevertretern auf. Das habe geholfen. Nachdem Artikel im VDI-Blog und der FAZ veröffentlicht wurden, sei Bewegung in das Recruiting von Informatikern gekommen — nicht nur kurzfristig. „Wir haben jetzt schon ein paar Studenten, die für die Saison 2017/2018 eingearbeitet werden. Deswegen hoffen wir, dass wir dann mit einer besseren Besetzung starten können“, erklärte Unterschütz. Sie ist selbst Informatikstudentin und erfuhr von dem neuen Driverless-Wettbewerb nur durch einen Zufall. Sie wollte ursprünglich bei Akaflieg mitmachen, einer Hochschulgruppe der TU Darmstadt, die Segelflugzeuge baut. Deshalb kam sie im Frühjahr 2016 in die Magdalenenstraße 6, wo sich Akaflieg die Werkstattfläche mit Dart Racing teilt. Im April 2016 wurde sie dann Teil des Formula-Student-Teams. Überzeugt habe sie damals vor allem die Möglichkeit, auf realen FPGA zu programmieren. „Ein Normalstudent kann es sich nicht leisten, auf solcher Hardware zu programmieren. Bei der Formula Student steht sie über das Sponsoring zur Verfügung“, erzählte Unterschütz. In der Saison 2016/2017 war sie dann verantwortlich für den Bereich Sensorik und Informatik des fahrerlosen Fahrzeugs.

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Philipp Birkholz war in der Saison 2016/2017 fur die Brems- und Lenkaktorik des μD-2017 zustandig, die notig sind, damit die Aufgaben des Fahrers durch das autonome System ausgefuhrt werden konnen

© Angelina Hofacker

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Annemike Unterschütz (Zweite von rechts) war in der Saison 2016/2017 verantwortlich für den Bereich Sensorik und Informatik des fahrerlosen Fahrzeugs

© Angelina Hofacker

Auf zur nächsten Saison

Der Rückblick von Unterschütz auf den bisherigen Verlauf der ersten Saison ist realistisch: „Von der Trajektorenplanung über die Bildverarbeitung — im Grunde hat jede Entwicklung länger gedauert, als zu Beginn geschätzt.“ Bei der Aktorik hat das Team besonders oft die Deadline verschoben. Eigentlich war geplant, die Aktorik im Februar 2017 einzubauen. Allerdings stellten sich die studentischen Arbeiten, die als Basis dafür dienen sollten, als unbrauchbar heraus. Die zeitliche Verzögerung, die durch die Neuentwicklung des Systems entstand, führte dann dazu, dass die Fertigungsphase für die Aktorik mit der Fertigungsphase des FSE-Fahrzeugs zusammenfiel. Der Termin wurde immer weiter verschoben. Im Endeffekt konnten die Aktoren erst Anfang Juni eingebaut werden. Aus diesen Fehlern könne das Team viel für die zweite Saison lernen. Denn um den Lerneffekt geht es, wissen die Mitglieder von Dart Racing und definieren in einer Roadmap deshalb auch die mittelfristigen Ziele für das kommende Jahr. Das Darmstädter Team will beispielsweise die Kommunikation zwischen den Informatikern und den angehenden Maschinenbauingenieuren verbessern. Die Maschinenbauer seien mit den „Zauberzahlen“ der Informatik nicht sehr gut zurechtgekommen. Deshalb sollen in der Saison 2017/2018 alle Maßeinheiten in der Software auf Iso-Normen umgestellt werden.

Da das Team in dieser Saison wenige Testdaten vom fahrenden Fahrzeug sammeln konnte, sei das Testen und die Datengenerierung ebenfalls ein wichtiges Ziel für die nächste Saison. „Wir wollen die Filter in der Bildverarbeitung besser einstellen. Und wir haben einen Kalman-Filter zur Geschwindigkeitsschätzung und zur Schätzung der Positionierung entwickelt. Hier fehlen uns noch die Stellparameter“, erklärte Unterschütz. Auch mit der Sensorfusion will sich das Team in der kommenden Saison beschäftigen. „Dieses Jahr fahren wir ja nur optisch — mit Kameras und DGPS. Nächstes Jahr würden wir auch gern Lidarsensoren verbauen.“ Und von den Sponsoren werde zudem noch der Wunsch geäußert, dass das Team vielleicht auch Radar einsetzen könnte. Welches dieser Ziele in der Kürze eines Jahres umgesetzt werden kann, wird sich im Sommer 2018 zeigen, wenn die Formula Student Driverless in die zweite Runde geht.

FsD-Reglement: Fokus auf Sicherheit

Im Reglement der FSD wird ein Basissicherheitskonzept für die fahrerlosen Fahrzeuge vorgeschrieben. Zwei der Reglement-Verfasser, Steffen Hemer und Sebastian Seewaldt, haben die wichtigsten Punkte detailliert im vergangenen ATZextra zur Formula Student Germany erläutert [2]. Eine kurze Zusammenfassung: Wenn etwas schiefgeht, muss das Fahrzeug von außen angehalten werden können. Dafür ist ein kommerziell erhältliches, SIL-zertifiziertes Funknotaussystem vorgeschrieben, das die Teams kaufen und verpflichtend installieren müssen. Dieses wird als weiterer Öffner dem sogenannten Sicherheitskreis hinzugefügt. Bei Elektrofahrzeugen wird durch diese Schaltung die Energiezufuhr aus dem Akku unterbrochen, bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor die Zündung und die Einspritzung. Damit ist der Antrieb ausgeschaltet. Damit das Fahrzeug vollends gestoppt wird, müssen die Teams zudem ein Notbremssystem verbauen, das ebenfalls durch das Öffnen des Abschaltkreises ausgelöst wird. Das Reglement schreibt hierbei nicht vor, wie dies im Detail funktionieren soll, also ob zum Beispiel eine Vollbremsung mit festgestellter Lenkung oder ob eine kontrollierte Bremsung mit Ausweichen durchgeführt wird. Allerdings muss ein Sicherheitsnachweis per Fehlermöglichkeits- und -einflussanalyse eingereicht werden, der auf Plausibilität überprüft wird. Zusätzlich muss das Bremssystem weitere Vorausetzungen wie Reaktionszeit, Stabilität und Verzögerung erfüllen, die in der technischen Überprüfung abgenommen werden. Das Fahrzeug soll weiterhin auch manuell gefahren werden können. Der Fahrer muss dabei sicher im Fahrzeug untergebracht werden. Alle automatisierten Aktoren, die vom autonomen System kontrolliert werden können, wie beispielsweise Brems- und Lenkaktor, müssen sicher trennbar sein. Um auf kritische interne Zustände hinzuweisen, ist ein optisches Signal an dem Überrollbügel des Fahrzeugs vorgeschrieben. Größtmögliche Freiheit haben die Teams bei der Entwicklung des autonomen Systems, das Umwelterkennung und Sensortechnik, Rechenhardware, Architekturen und Algorithmen etc. beinhaltet. Alle eingesetzten Sensoren und Systeme müssen jedoch die gesetzlichen Zulassungsbestimmungen, wie Laserschutzklassen bei Laserscannern oder Leistungsbeschränkungen bei Radarsensoren, einhalten.