Eine möglichst genaue Schätzung des Ladezustands ist für die Platzierung im Rennen mit entscheidend. Das Formula-StudentTeam der OTH Amberg-Weiden hat deshalb ein Batteriemanagementsystem entwickelt. Von der Kombination mit einer automatischen Leistungsregelung konnte das Team bereits 2017 in Hockenheim profitieren und während des Rennens die Leistung der tatsächlichen Batteriekapazität anpassen. Damit wurden Reichweite und verfügbare Energie in Einklang gebracht.

Herausforderung Ladezustandsschätzung

Das 22 km lange Endurance-Rennen zählt zu den wichtigsten Disziplinen bei jedem Formula-Student-Wettbewerb. Um die zur Verfügung stehende Energie optimal ausnutzen zu können, ist die Kenntnis des Ladezustands des Batterie-Packs notwendig. Der Ladezustand bezeichnet das Verhältnis zwischen der Kapazität, die zu einem bestimmten Zeitpunkt dem Batterie-Pack noch entnommen werden kann und der tatsächlichen Gesamtkapazität.

Batterien sind nichtlineare elektrochemische Systeme, bei denen es keine Möglichkeit gibt, die chemischen Parameter während des Betriebs direkt zu messen, um daraus direkt auf den aktuellen Zustand der Batterie schließen zu können. Der Ladezustand kann somit nur über die messbaren Parameter Spannung, Strom und Temperatur abgeschätzt werden. Dies macht die Ladezustandsschätzung zu einer komplexen Herausforderung. Wird der Ladezustand falsch abgeschätzt, besteht die Gefahr, dass das Fahrzeug mit leerem Batterie-Pack kurz vor dem Ziel liegen bleibt oder die zur Verfügung stehende Energie nicht vollständig ausgenutzt wird, was zu langsameren Rundenzeiten und weniger Punkten führt.

Zellverhalten

Um ein Verfahren für die Ladezustandsschätzung entwickeln zu können, ist es notwendig, das Verhalten der Zellen zu kennen. Lithium-Ionen-Batterien haben eine obere Spannungsgrenze von 4,2 V (vollständig geladen) und eine untere Spannungsgrenze zwischen 2,2 V und 3,0 V (vollständig entladen), je nach Zelltyp. Zwischen diesen beiden Spannungsebenen verhält sich die Leerlaufspannung (Open Circuit Voltage, OCV) im Vergleich zum Ladezustand beziehungsweise zur Kapazität nicht linear, wie in Bild 1 zu sehen.

Bild 1
figure 1

Spannungskurve bei Entladung mit konstantem Strom (© Running Snail Racing)

Zudem ist die an den Zellkontakten gemessene Spannung abhängig von der Temperatur der Zelle und der angelegten Last: Wird die Zelle mit einem Strompuls belastet, bricht die Spannung bedingt durch den Elektrolytwiderstand der Zelle unmittelbar ein. Bei fortgesetzter Belastung sinkt die Spannung mit exponentiell abklingendem Verhalten weiter ab. Wird die Belastung weggenommen, steigt die Spannung erst unmittelbar an und nähert sich danach ebenfalls exponentiell der Leerlaufspannung an. Das Verhalten der Zellen wird in Bild 1 und Bild 2 grafisch veranschaulicht. Der Strom wird, wie bei Batterien üblich, in Vielfachen der Zellkapazität angegeben (Einheit „C“). [1]

Bild 2
figure 2

Spannungskurve bei Strompuls (© Running Snail Racing)

Messung der relevanten Parameter

Die Ladezustandsschätzung benötigt als Eingangsparameter die Spannungen und Temperaturen der einzelnen Zellen sowie den Strom. Diese Daten werden von einem selbst entwickelten Batteriemanagementsystem (BMS) aufgezeichnet. Ein BMS dient dazu, den Batteriepack zu überwachen und damit sicherzustellen, dass die Batteriezellen immer in ihrem zulässigen Betriebsbereich betrieben werden. Zusätzlich übernimmt ein BMS weitere Aufgaben, wie die Ladezustandsschätzung und das regelmäßige Angleichen aller Zellspannungen.

Das verwendete BMS ist ein modulares Master-Slave-System mit einer im Programmiercode C geschriebenen Software. Es wird das Echtzeitbetriebssystem FreeRTOS eingesetzt, was die quasi parallele Abarbeitung von verschiedenen Tasks, inklusive der Ladezustandsschätzung ermöglicht. Beim Ausschalten des Fahrzeugs wird der aktuelle Zustand der Ladezustandsschätzung und damit der Batterie persistent auf einem externen Flash-Speicher gespeichert und beim anschließenden Einschalten wieder geladen.

Methoden zur Ladezustandsschätzung

Zuverlässige Ladezustandsschätzungen sind Gegenstand aktueller Forschung, sodass es zu diesem Thema eine Vielzahl an Arbeiten und Ansätzen gibt [2]. Ein einfaches und häufig implementiertes Verfahren ist das sogenannte Coulomb Counting. Bei diesem Verfahren wird der Strom, der aus der Batterie entladen beziehungsweise in sie hineingeladen wird, kontinuierlich gemessen und über die Zeit integriert. Bei bekanntem Initialzustand kann somit der Ladezustand gemäß Gl. 1 berechnet werden.

$$SOC(t)=SOC(t_0)+\frac{\int_{t_0}^{t}(t)dt}{Q_{nominal}}$$
(Gl. 1)

Das Coulomb Counting ist ein einfach implementierbares, wenig rechenaufwendiges und weit verbreitetes Verfahren. Bei hoher Messgenauigkeit und genau bekannter Kapazität ist diese Methode sehr präzise.

Das entscheidende Kriterium für die obere und untere Grenze des Ladezustands ist jedoch die Zellspannung, da die Minimal- beziehungsweise Maximalspannung jeder einzelnen Zelle nicht unter- beziehungsweise überschritten werden darf. Beim Coulomb Counting handelt es sich somit um ein Open-Loop-Verfahren, da die entscheidende Größe, die Zellspannung, nicht rückgeführt wird. Weil die den Zellen entnehmbare Kapazität abhängig von Strom, Temperatur, Verlusten und dem Alter der Zellen ist, kann dies zu einem erheblichen Fehler in der Schätzung führen. Zudem werden Messfehler, bedingt durch das integrierende Verfahren, aufsummiert, was ebenfalls zu Fehlern in der Schätzung führen kann. [3]

Ein weiterer Ansatz ist das Modellieren eines elektrischen Ersatzschaltbilds. Dieses simuliert eine Batterie und kann auch für die Ladezustandsschätzung verwendet werden. Um das Verhalten der Zelle nachzubilden, existieren verschiedene Modelle mit unterschiedlicher Genauigkeit und Komplexität. Die Modelle enthalten in der Regel eine ideale Spannungsquelle zur Modellierung der Leerlaufspannung, einen Widerstand zur Modellierung des Elektrolytwiderstands und ein oder mehrere RC-Glieder zur Modellierung des dynamischen Verhaltens. [4]

Ein derartiges Ersatzschaltbild, Bild 3, ist dazu geeignet, das bereits beschriebene Zellverhalten nachzubilden. Anhand der Kennlinien von Lithium-Ionen-Batterien, Bild 1, lässt sich jedoch erkennen, dass das Verhalten der Zelle nicht mit einer einzelnen Kenngröße (Spannung, Widerstand, Kapazität) für das jeweilige Bauteil abgebildet werden kann. Stattdessen müssen die Parameter als Tabellenwerke (Lookup Tables) ausgeführt werden. Die jeweiligen Kennwerte sind abhängig vom Ladezustand selbst sowie der Zelltemperatur, was zu zweidimensionalen Tabellenwerken führt.

Bild 3
figure 3

Elektrisches Ersatzschaltbild einer Batteriezelle (© Running Snail Racing)

Um die Bauteilkennwerte des Batteriemodells in Abhängigkeit von Ladezustand und Temperatur zu bestimmen, können beispielsweise Pulsentladungstests in Verbindung mit einer anschließenden Parameter-Abschätzung durchgeführt werden. Jeder Puls entspricht einem vor dem Test festgelegten Kapazitäts-Delta. Daraus ergeben sich die Ladezustandspunkte des Tabellenwerks. Zwischen zwei Pulsen wird gewartet, bis sich die Zelle wieder auf das Leerlaufspannungsniveau entspannt hat. Am Ende jeder Entspannungsphase kann damit die Leerlaufspannung in Abhängigkeit des Ladezustands gemessen werden. Die Tests werden mehrfach bei verschiedenen, konstanten Temperaturen durchgeführt, woraus sich die Temperaturpunkte ergeben und so ein Tabellenwerk entsteht.

Im Gegensatz zur Leerlaufspannung können die Bauteilkennwerte der Widerstände und Kondensatoren des Ersatzschaltbilds nicht direkt ermittelt werden. Um diese an den einzelnen Ladezustands- und Temperaturpunkten zu ermitteln, wird pro Pulsentladung bei konstanter Temperatur ein Optimierungsalgorithmus durchgeführt. Zu Beginn werden die Parameter des Ersatzschaltbilds geschätzt. Anschließend wird das Modell fortwährend simuliert, wobei der Optimierungsalgorithmus versucht, die simulierte Kennlinie der gemessenen Spannungskennlinie anzunähern, indem er die Parameter variiert. Die Optimierung kann beispielsweise nach der Methode der kleinsten Quadrate vorgenommen werden. Zwischen den Punkten des Tabellenwerks wird linear interpoliert.

Weitere gängige Verfahren sind die Ladezustandsschätzung über neuronale Netze sowie die Schätzung über einem erweiterten Kalman-Filter (EKF), mit dem in der Regel die Daten mehrerer Verfahren fusioniert werden, beispielsweise des Coulomb Countings und eines Batteriemodells.

Implementierung

Nach einer Analyse der Verfahren und einer Aufwandsschätzung wird die Entscheidung getroffen, die Ladezustandsschätzung mittels Coulomb-Counting-Verfahren mit einer Schätzung über ein Batteriemodell durch einen Filter zu kombinieren. Um die Kapazität, die Leerlaufspannungs-Ladezustands(OCV-SOC-) Kennlinie sowie das dynamische Verhalten der verwendeten Zellen zu bestimmen, werden Zelltests mit konstanten Entladeströmen sowie Pulsentladungen durchgeführt. Beide Verfahren werden über einen einfachen Komplementär-Filter kombiniert. Für die Rekalibrierung des Coulomb Countings wird die OCV-SOC-Kennlinie verwendet. Die Rekalibrierung erfolgt immer, wenn der Batterie-Pack für eine gewisse Zeit nicht belastet wurde und sich die Zellen dementsprechend auf Leerlaufspannungsniveau befinden.

Das Batteriemodell wird in Matlab Simulink aufgebaut, abgeleitet von den Differenzialgleichungen des elektrischen Ersatzschaltbilds. Statt das vollständige Modell zu verwenden, wird jedoch lediglich auf den Teil zurückgegriffen, der das dynamische Verhalten modelliert (ohne die Spannungsquelle). Dieser Teil wird mit den gemessenen Zellspannungen verrechnet, um auf die Leerlaufspannung schließen zu können. Anhand der Leerlaufspannung kann dann der Ladezustand über die OCV-SOC-Kennlinie bestimmt werden.

Die Parameterschätzung wird mit dem Tool Simulink Parameter Estimation durchgeführt. Als Optimierungsalgorithmus wird die Methode der kleinsten Quadrate gewählt. Die Bauteilewerte werden optimiert, indem der Optimierungsalgorithmus die Spanungskurve des Modells der gemessenen Spannungskurve annähert. Das fertige Modell wird schließlich in C-Code konvertiert, der auf dem BMS-Master zyklisch in einem Task des Echtzeitbetriebssystems ausgeführt wird.

Test

Um die Ladezustandsschätzung und die Software des Batteriemanagementsystems bereits vor dem Einsatz im Fahrzeug in einem Hardware-in-the-Loop(HiL-)-Prüfstand testen zu können, wird eine Platine, auf der ein Batteriemodell simuliert wird, entwickelt: Ein Mikrocontroller generiert Spannungen, die dem simulierten Eingangsstrom und der Dynamik des Batteriemodells entsprechen. Diese werden über Operationsverstärker aufsummiert und simulieren somit physikalisch einen Stack aus in Serie geschalteten Batteriezellen. Daran werden die Slave-Module des BMS angeschlossen, sodass das System vollständig getestet werden kann. Als Eingangsdaten dienen im Fahrbetrieb aufgezeichnete Datensätze. Eine Prüfstandssteuerung übernimmt die Steuerung der einzelnen Lade- und Entladezyklen. Das System ist in Bild 4 dargestellt.

Bild 4
figure 4

Aufbau des HiL-Prüfstands (© Running Snail Racing)

Fazit

Durch das neue Verfahren konnte die Genauigkeit der bisherigen Ladezustandsschätzung verbessert werden. Der Ladezustand während eines Endurance-Rennens ist in Bild 5 dargestellt. Von der Kombination mit einer automatischen, auf die 22 km des Endurance-Rennens angepassten Leistungsregelung konnte das Team bereits in Hockenheim profitieren: Die Leistung wurde während des Rennens automatisch reduziert, da die Gesamtkapazität aufgrund einer schwächeren Zelle niedriger als erwartet war. Dadurch wurde verhindert, dass das Fahrzeug mit leerem Akku liegen blieb und trotzdem wurde die verfügbare Energie nahezu vollständig ausgenutzt, sodass trotz der Probleme die viertschnellste Zeit und der zweite Platz in dieser Disziplin erreicht werden konnten.

Bild 5
figure 5

Spannung, Leerlaufspannung und Ladezustand während des Endurance-Rennens (© Running Snail Racing)