Merkle & Partner haben in Zusammenarbeit mit mehreren OEMs einen Simulationsbaukasten zur Analyse der Ölverteilung in realen Getrieben entwickelt. Die Simulation ermöglicht, das Getriebe in einer frühen Entwicklungsphase in Bezug auf die Ölverteilung und Planschverluste zu bewerten sowie Optimierungsmaßnahmen zu finden.

Beölungskonzept

Die Entwicklung moderner Getriebe in Kraftfahrzeugen wird immer herausfordernder. Moderne Fahrzeuge müssen viel Leistung erbringen, dabei wenig Kraftstoff verbrauchen und mit weniger CO2 die Umwelt belasten. Dieses Credo wird nicht ausschließlich von der Politik forciert, sondern entspricht auch aktuellen Kundenwünschen. Das Getriebe, und insbesondere dessen Beölungskonzept, spielen dabei eine wichtige Rolle.

Die Beölung innerhalb eines Getriebes gewährleistet die mechanischen Funk-tionalität und Haltbarkeit aller im Kraftfluss stehenden Bauteile. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei den Lagern. Sie sind verantwortlich für eine möglichst reibungsfreie Bewegung der Zahnräder und müssen daher stets ausreichend geschmiert sein, um kapitale Lagerschäden zu vermeiden. Gleiches gilt für die im Eingriff stehenden Zahnräder, bei denen Verschleißmechanismen wie Oberflächenzerrüttung oder Abrasion durch eine gute Beölung minimiert sein müssen. Auch ist das Öl für einen ausgeglichenen Temperaturhaushalt im Getriebe verantwortlich.

Dem gegenüber stehen Wirkungsgrad und Planschverluste, die sich direkt im CO2-Fußabdruck des Fahrzeugs niederschlagen. Je mehr Öl im Getriebe bewegt wird, desto höher sind die Planschverluste und folglich sinkt der Wirkungsgrad. Das Ziel eines modernen Beölungskonzeptes ist es, so wenig Öl wie nötig einzusetzen, dabei jedoch die mechanische Funktionalität stets zu gewährleisten.

Das Experiment ist hierfür eine etablierte Methode in der Getriebeentwicklung, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Das Strömungsfeld innerhalb des Getriebes ist sehr komplex, sodass auch volltransparente Glasgetrie-be nur eine eingeschränkte Analysemöglichkeit bieten. Zudem gibt es physikalische Beschränkungen des Getrie-beprüfstands, sodass Schräglagen, Einfluss von Fliehkräften bei Kurvenfahrten, Beschleunigen oder extreme Temperaturverhältnisse nur sehr aufwändig umgesetzt werden können.

Methode

Merkle & Partner haben mit mehreren OEMs eine Methode entwickelt, um die Ölverteilung in einem komplexen Fahrzeuggetriebe mit der numerischen Strömungssimulation zu berechnen. Ziel der Methode ist es, in einem frühen Stadium in der Entwicklung grobe, aber belastbare, Aussagen über die Funktionalität des Beölungskonzepts zu liefern. Die Simulationsmethode muss daher die gesamte Geometrie inklusive aller Zahnradpaarungen, der Wellen, der Lager sowie der Öl-Leitelemente und Bohrungen berücksichtigen. Der hochdynamische Einfluss der Rotation der Zahnräder, der Wellen und der Lager ist ein wesentlicher Bestandteil der Methode. Das Ergebnis der Simulation ermöglicht eine dreidimensionale Analyse der Ölbewegung zu jedem Zeitpunkt und an jeder Stelle im Getriebe. So können die Zahnradpaarungen und die Lager auf einen ausreichenden Ölzufluss untersucht werden. Ebenso können Öl-Leitelemente und Bohrungen auf ihre Funktionalität analysiert und optimiert werden. Physikalisch anspruchsvolle Randbedingungen wie Beschleunigungsvorgänge, Kurvenfahrten oder sehr niedrige Temperaturen können in der Simulation effektiv umgesetzt werden. Das präsentierte Projekt basiert auf einem Kundenauftrag eines OEM. Es werden die Möglichkeiten und die Grenzen der Simulation der Ölverteilung in einem Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe gezeigt. Die Ergebnisse werden mit den Erfahrungen aus dem Experiment verglichen. Aufgrund der Geheimhaltungsvereinbarung wird nicht die Originalgeometrie gezeigt. Zur Darstellung wird ein gleichwertiges Ersatzmodell verwendet.

Simulationsbaukasten

Als Ergebnis aus der Zusammenarbeit mit dem OEM ist ein Simulationsbaukasten entstanden, in dem leistungsstarke und moderne Simulationsprogramme auf den Anwendungsfall Beölungssimulation in Getrieben effektiv miteinander kombiniert werden. Herausforderungen an die Simulation stellen dabei folgende Punkte dar:

  1. 1.

    Die Geometrie eines Siebengang-Doppelkupplungsgetriebes ist sehr komplex. Neben den Bauteilen spielt dabei auch die geometrische Skalierung eine Rolle. Es müssen gleichzeitig kleine Spalte im μm-Bereich, zum Beispiel Toleranzen im Lagerspiel, bis hin zu großen Skalierungen im Bereich des Getriebegehäuses abgebildet werden. Der Simulationsbaukasten muss hier eine zeiteffektive Aufbereitungszeit gewährleisten. Die Geometrieaufbereitung sollte dabei innerhalb von weniger als zehn Mann-Tagen erfolgen.

  2. 2.

    Die Rotationen der Lager, der Wellen und der Zahnräder spielen eine wichtige Rolle bei der Ölverteilung. Die Simulationsmethode muss den Einfluss der Rotation genau berücksichtigen.

  3. 3.

    Es liegt eine Zwei-Phasen-Strömung im Getriebe vor. Zu Beginn sind die Phasen getrennt — der Ölsumpf am Getriebeboden und eine ruhende Luftphase darüber. Durch die Rotation der Bauteile kommt es zum Verwirbeln und Vermischen der Phasen. Insbesondere hohe Drehzahlen verursachen einen Ölnebel. Die Simulation muss beide Phasen gleichermaßen abbilden. Die Vernachlässigung zum Beispiel der Luftphase kann bei hohen Drehzahlen zu einer Verfälschung des Ergebnisses führen.

  4. 4.

    Die Simulation muss trotz aller Anforderungen moderate Berechnungszeiten gewährleisten. Die Anforderung liegt hier im Bereich von 24 bis 48 Stunden pro Simulation.

Um den Herausforderungen gerecht zu werden, sind wie bei jeder Simulation, Annahmen und Vereinfachungen zu treffen. In diesem Beispiel wurde das Innenleben der Doppelkupplung vereinfacht abgebildet, da dies nicht Teil der Untersuchung sein sollte. Ebenso müssen Annahmen und Vereinfachungen beim Zahneingriff der Zahnräder gemacht werden. Dieser wird in der Simulation vereinfacht abgebildet, sodass aber keine relevanten Effekte vernachlässigt werden.

Ergebnisse und Analysen

Bild 1 zeigt die Initialbedingung der Simulation. Die Berechnung startet mit einem stationären Ölsumpf am Boden des Getriebes. Anschließend wird die Drehzahl der Antriebswelle in Abhängigkeit der Zeit gemäß dem zu untersu-chenden Betriebszustand aufgeprägt. Die Drehzahl der Lager, der Triebwellen und der Abtriebswelle ergibt sich aus dem Übersetzungsverhältnis. In diesem Zusammenhang können nun auch die Komponenten des Gravitationsvektors zeitlich abhängig variiert werden, um so beispielsweise einen Beschleunigungsvorgang oder Kurvenfahrten zu simulieren. Ist die Temperatur und damit die Viskositätsänderung des Öls von Bedeutung, kann die Temperatur als Lösung der Energiegleichung berücksichtigt werden. Alternativ kann ein extremer Temperaturzustand konstant gehalten werden, um so einen stationären Fall, zum Beispiel bei −20 °C Öltemperatur zu untersuchen.

BILD 1
figure 1

Initialisierung der Simulation (© Merkle & Partner)

Bild 2 zeigt die Analysemöglichkeit des resultierenden Geschwindigkeitsfelds innerhalb des Getriebes. Unter Verwendung von Stromlinien oder Schnittebenen können die Geschwindigkeiten, aber auch die übrigen physikalischen Größen wie Druck, Temperatur, Viskosität, Turbulenz etc. dreidimensional visualisiert und analysiert werden. Bild 2 zeigt die typische Geschwindigkeitsüberhöhung am Abtriebsrad, die oftmals verwendet wird, um das Öl gezielt vom Ölsumpf in spezielle Leitelemente wie Bohrungen, Ölrinnen oder Ölreservoirs zu leiten, die das Öl dann wiederum zu den Lagern der Triebwelle führt. Mit der Geschwindigkeitsanalyse können so Bereiche im Getriebe identifiziert werden, die zur gezielten Führung von Öl geeignet sind oder eine Behinderung des Ölflusses verursachen.

BILD 2
figure 2

Geschwindigkeitsfeld im Getriebe (© Merkle & Partner)

Bild 3 zeigt über sogenannte Iso-Volumina die dreidimensionale Verteilung des Öls innerhalb des Radsatzraums. Dargestellt ist das Ergebnis nach circa 10 s Geradeausfahrt bei einer Motordrehzahl von 2200 /min. Die Simulation bietet nun die Möglichkeit, die lokalen Ölvorkommen zu analysieren. Insbesondere die zeitliche Ölverteilung innerhalb der Lager ist von Bedeutung. Durch geeignete Transparenzdarstellungen, Schnittansichten oder geschicktes Ausblenden von Bauteilen kann im Simulationsergebnis in jede Position des Modells eingesehen werden. Durch die Zeitabhängigkeit der Simulation kann nicht nur der Endzustand der simulierten Zeit analysiert werden, sondern auch die zeitliche Entwicklung zum Ergebnis. Dadurch lässt sich nachvollziehen, wie sich der Ölfluss im Getriebe verhält. Ölbohrungen, Ölrinnen oder auch Ölspritzdüsen können auf ihre Funktionalität bewertet und gegebenfalls optimiert werden. Neben der grafischen Auswertung bietet die Simulation die Möglichkeit, integrale Werte zu untersuchen. So können zum Bespiel Volumenströme in den einzelnen Ölbohrungen erfasst werden. Durch die Auswertung der kinetischen Energie im System können qualitative Rückschlüsse auf die Planschverluste im Getriebe ausgearbeitet und verschiedene Varianten oder Ölmengen mit einander verglichen werden. Bild 4 zeigt vergleichend die Ölverteilung im Radsatzraum bei Geradeausfahrt und einer Kurvenfahrt. Während bei der Geradeausfahrt das rechte Lager der Abtriebswelle ausreichend mit Öl versorgt ist, führen die Fliehkräfte bei einer konstanten Kurvenfahrt zum Trockenlaufen des Lagers. Das Öl sammelt sich stattdessen auf der linken Seite des Getriebes.

BILD 3
figure 3

Dreidimensionale Ölverteilung im Radsatzraum (© Merkle & Partner)

BILD 4
figure 4

Ölverteilung im Radsatzraum: Geradeausfahrt (links), Kurvenfahrt (rechts) (© Merkle & Partner)

Neben den Planschverlusten liegt das Hauptaugenmerk auf der Beölungssituation der Lager. Bild 5 zeigt den qualitativen Ölanteil in den sechs Hauptwellenlagern bei zwei unterschiedlichen Betriebszuständen. Die ermittelten Zahlenwerte sind ein Vergleichskriterium, um die Lager auf ausreichende Beölung zu beurteilen. Auf die genaue Berechnung des Zahlenwerts soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Das Simulationsergebnis zeigt, dass das Lager BTS1-02 bei allen untersuchten Betriebszuständen signifikant zu wenig Ölanteil besitzt. Das Lager wurde daher als kritisch bewertet. Dies bestätigen auch die Versuchsdaten, da beim Lager BTS1-02 im realen Betrieb vermehrt Lagerschäden auftraten. Aufgrund der Simulationsergebnisse konnte die Ursache für die unzureichende Beölung des Lagers identifiziert werden. Die Isovolumendarstellung in Bild 5 zeigt den geringen Ölanteil im Lager BTS1-02 im Vergleich zu einem gut beölten Lager.

BILD 5
figure 5

Beurteilung der Beölung der Hauptwellenlager (© Merkle & Partner)

Ausblick

Motiviert durch die Zusammenarbeit mit verschiedenen OEMs hat Merkle & Partner einen Simulationsbaukasten zur Analyse der Ölverteilung in realen Getrieben entwickelt. Der Baukasten versteht sich als Werkzeug, das die Getriebe- und Antriebsentwicklung bei der Auslegung des Beölungskonzeptes frühzeitig unterstützen soll. Die Simulation ersetzt dabei nicht das Experiment auf dem Prüfstand. Vielmehr sollen die finalen Prüfstandsmessungen mit einem fortgeschrittenen und optimierten Modell starten, um so die Zahl der Versuchsschleifen und die damit verbundenen hohen Kosten möglichst gering zu halten. Das Projekt hat gezeigt, dass die Simulationsergebnisse realistisch und nachvollziehbar sind. Es ist wichtig, sich im Vorfeld über die Erwartungshaltung der Simulationsergebnisse im Klaren zu sein. Die im Simulationsmodell getroffenen Annahmen und Vereinfachungen müssen berücksichtigt werden. Die Simulation bietet dann die Möglichkeit, das Getriebe in einer frühen Entwicklungsphase hinsichtlich Ölverteilung und Planschverluste zu bewerten und zu optimieren, wenn noch keine Aufwendungen für Prototypen oder Hardware notwendig sind.