Pneumatische Bremssysteme für Nutzfahrzeuge sind weltweit unterschiedlich ausgeprägt. Dies gilt insbesondere für die Anforderungen an den Funktionsumfang: vom grundlegenden Antiblockiersystem bis zum hochentwickelten elektronischen Bremssystem. Die Plattform von ZF deckt diese Varianz ab und bietet eine Basis für Elektrifizierung, Automatisierung sowie Konnektivität.

Bremsen zählen zu den essenziellen Bestandteilen von Fahrzeugen. Das weltweit erste Antiblockiersystem (ABS) für Nutzfahrzeuge wurde bereits 1981 von Wabco, inzwischen Bestandteil von ZF, eingeführt. Bei einem ABS spricht man von einem Add-on-System, da es auf einem konventionellen pneumatischen Bremssystem basiert, das erst bei einem notwendigen Regeleingriff aktiv wird. Im Normalfall tritt die fahrende Person wie bei einer konventionellen Bremsanlage auf das Bremspedal, dessen Druck praktisch 1:1 auch am Bremszylinder anliegt. Ein Regeleingriff durch die ABS-Funktion erfolgt beispielsweise bei blockierenden Rädern.

1996 folgte das erste elektronische Bremssystem (EBS) für Nutzfahrzeuge. Im Gegensatz zu ABS ist EBS jedoch ein Brake-by-Wire-System. Der Verzögerungswunsch wird im Bremspedal erfasst und mit elektrischen Signalen an eine zentrale Steuerelektronik übermittelt, die diese Information in Druckinformationen für die Vorder- und Hinterachse sowie für den eventuell vorhandenen Anhänger umwandelt. Der Bremsdruck an Vorder- und Hinterachse kann bedarfsabhängig unterschiedlich geregelt werden. Ähnliches gilt für EBS-Fahrzeugkombinationen. Wenn Anhänger mit einem Trailer-EBS über CAN-Signale gesteuert werden, ist eine last- und dynamikabhängige Regelung durch unterschiedlich hohe Bremsdrücke an Zugfahrzeug und Anhänger möglich. Ein großer Vorteil gegenüber ABS ist der geschlossene Regelkreis der Elektronik zu den einzelnen Achsen beziehungsweise zu den Rädern. Ein weiterer ist die intelligente Verzögerungsregelung bei unterschiedlichen Beladungszuständen. Ein integrierter Algorithmus schätzt die Gesamtmasse des Fahrzeugs ab und die Elektronik passt den Bremsdruck so an, dass bei gleichem Pedalweg gleiche Verzögerungen eingeregelt werden, unabhängig von der Beladung. Im Vergleich dazu muss in einem konventionellen ABS die fahrende Person die Bremsung gemäß der Masse des Fahrzeugs über den Pedalweg anpassen, um ein Über- oder Unterbremsen zu vermeiden.

Weltweit diversifizierte Anforderungen

Aktuell gibt es keine global einheitlichen Anforderungen, ob ein Bremssystem ein ABS oder EBS sein muss. Die Vorgaben orientieren sich an Regelgrößen, beispielsweise die Dauer blockierender Räder, die Bremskraftverteilung zwischen Zugfahrzeug und Anhänger oder auch an Mindestverzögerungswerten. Lediglich in China ist derzeit ein EBS vorgeschrieben, sofern es sich um Zugmaschinen und Busse mit Geschwindigkeiten über 90 km/h handelt. Bild 1 zeigt die aktuelle Verteilung von ABS und EBS je nach Region sowie die geschätzte für das Jahr 2031.

Bild 1
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Anteile von EBS und ABS an produzierten Nutzfahrzeugen über 6 t Gesamtgewicht: Stand heute und Prognose für 2031 nach eigener Schätzung (© ZF Group)

Parallel zum allgemeinen technischen Fortschritt entwickeln sich die Anforderungen seitens Gesetzgebung und Nutzfahrzeugherstellern je nach Weltregion unterschiedlich. Beispielsweise erfüllen aktuelle Systeme vielfach noch nicht die Anforderungen an die Cybersicherheit nach ECE R 155. Diese schützt die Systeme und das Fahrzeug vor Angriffen von außen beziehungsweise vor dem Menschen. Die funktionale Sicherheit hingegen soll Fehlfunktionen der Systeme erkennen und somit den Menschen vor solchen aus dem Fahrzeug schützen. Standards, die diesen Aspekt betrachten, folgen der ISO 26262.

Weitere Faktoren für die global verschiedenen Systemanforderungen sind die unterschiedlichen Fahrzeugspezifikationen wie zulässige Gewichte, Leistungsdaten und zulässige Geschwindigkeiten. Hinzu kommen steigende Erwartungen an die Regelperformance von Seiten der Fahrzeugnutzenden, beispielsweise bezüglich Stabilitätskontrolle, Anfahr- und Bremsverhalten.

Charakteristik der Bremsplattform

Die bei ZF in der Entwicklung befindliche Plattform mBSP (modular Braking System Platform) soll Lkw und Busse mit elektronisch geregelten, pneumatisch betätigten Bremssystemen in allen Fahrzeugkonfigurationen bedienen, inklusive der Lkw-Anhänger-Ansteuerung. Durch eine gesteigerte funktionale Integration kann die Anzahl der Komponenten und der Aufwand für Montage, Verkabelungen und Druckluftleitungen reduziert werden. Vor allem OEMs, die Märkte mit unterschiedlichen Anforderungen bedienen, profitieren von geringeren Applikations- und Freigabeaufwänden. Das System ist in Bezug auf Bremssteuerfunktionalität und -leistung skalierbar. Darüber hinaus kann es mit einer elektro-pneumatischen Feststellbremse interagieren. In ihrer höchsten Ausbaustufe bietet die Plattform eine Architektur für höhere Automatisierungsgrade nach SAE-Level 4 und 5 und ist damit bereit für zukünftige Entwicklungen, die für fahrerlosen Einsatz erforderlich sein werden.

Hauptkomponenten

Um den Plattformansatz bis in die höchste Ausbaustufe zu erreichen, wurden bei der Entwicklung des Systems alle heutigen Komponenten infrage gestellt und überarbeitet. Im Mittelpunkt steht dabei die Konzentration auf eine Kernelektronik und der größtmögliche Verzicht auf intelligente Satellitenkomponenten. So sind folgende fünf Hauptelemente neu entstanden, Bild 2:

Bild 2
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Hauptkomponenten der Bremsplattform (© ZF Group)

  • Zentralelektronik-Achsmodulator (Central Module Axle Modulator, CMAx)

  • Bremswertgeber (Brake Signal Transmitter, BST)

  • Achsdrucksteuerventil (Axle Package Control Valve, APCV)

  • Anhängersteuermodul (Trailer Control Module, TCM)

  • aktiver Raddrehzahlsensor (active Wheel Speed Sensor, aWSS).

Bild 3 zeigt ihre Einbaulage im Fahrzeug am Beispiel eines Sattelzugs. Dabei ist der CMAx das Herzstück der neuen Plattform. Er beinhaltet die einzige und damit die Haupt-ECU mit zentralisierter Intelligenz, in der neben einem ESC-Sensor der Zwei-Kanal-Achsmodulator für die Druckregelung der Hinterachse integriert ist. Der CMAx wird mit aktiven Radgeschwindigkeitssensoren verbunden, die die bisher genutzten passiven Sensoren ersetzen. Durch die Kombination von zuvor drei einzelnen Komponenten verbraucht er weniger Platz im Fahrzeugrahmen.

Bild 3
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Einbaulage der Komponenten am Beispiel eines Sattelzug-Lkws (© ZF Group)

Im neuen Bremswertgeber ist die entscheidende Besonderheit die Reduzierung um einen pneumatischen Kreis und eine verbesserte Nennweite gegenüber einem klassischen konventionellen Fußbremsventil oder einem heutigen BST im EBS. Dies führt neben dem Entfall der lokalen ECU zur Signalverarbeitung zu einer Verkürzung des BST um mehr als 40 mm und sorgt für platzsparenden Einbau. Über ein austauschbares Federpaket können Varianten für unterschiedliche Hub- und Kraftcharakteristiken erstellt werden.

Zur Vereinfachung der heutigen Architektur erlaubt das neue Achsdrucksteuerventil die Druckregelung an der Vorderachse wie in einem heutigen EBS, während die Reduzierung der ECU und damit die Zentralisierung der Intelligenz im CMAx den Aufwand zur Umsetzung der Cybersicherheit erleichtert. Analog zur Vorderachse erfolgt die pneumatische Ansteuerung des Anhängers über das TCM, analog dem heutigen Anhängersteuerventil, jedoch ebenfalls ohne eigene Intelligenz. Auch hier wird die Cybersicherheit, die funktionale Sicherheit sowie die Fehlererkennung zentral im CMAx durchgeführt.

Mit der Möglichkeit, den heutigen passiven Drehzahlsensor an seiner Einbauposition 1:1 gegen einen aktiven Drehzahlsensor zu tauschen, bietet das neue System Vorteile bei der Geschwindigkeitsermittlung. Wo ein heutiger passiver Sensor bei unter 2 km/h kein Signal senden kann, sendet ein aktiver Sensor Geschwindigkeitssignale bis in den Stillstand. Gleiches gilt beim Anfahren, bei dem mit der ersten Bewegung eines Polradsignals an den Rädern eine Bewegung des Fahrzeugs erkannt wird. Dabei wird nach Erreichen des Stillstands beim Wiederanrollen sogar die Fahrtrichtung erkannt. Auf diese Weise kann zum Beispiel ein ungewolltes Rückrollen des Fahrzeugs frühzeitig unterbunden werden. Durch seine Bauweise muss der Sensor, wie zuvor auch schon der passive Sensor, nicht befestigt oder in seiner Lage kalibriert werden, was beim Einbau am Bandende einen großen Vorteil bietet.

Systemausprägungen

Um den unterschiedlichen Anforderungen der OEMs gerecht zu werden, sind aktuell zwei skalierbare Varianten der Bremsplattform geplant: mBSP XBS Advanced und mBSP XBS Autonomous, wobei das „X“ in der Bezeichnung für die Modularität von ABS bis hin zu EBS steht. Daneben wird es für weltweit alle Kunden, die auf der bisherigen ABS-Architektur verbleiben wollen, in Zukunft auch eine entsprechende Form von mBSP geben.

Durch den höheren Integrationsgrad wird die Anzahl der im Fahrzeug verbauten Komponenten gegenüber einem heutigen System in jedem Fall reduziert. Auch wird die elektronische Steuerung durch eine modulare Hardwarefamilie zusammengefasst - ebenso wie die Softwarearchitektur, die aufbauend auf Autosar sowohl XBS als auch zukünftige Ausprägungen abdeckt. mBSP XBS verfügt über eine Schnittstelle zum herkömmlichen Fahrzeug-CAN-Bus und kann optional auch auf einem ISO-CAN-FD-Bus in höherer Geschwindigkeit auf höherem Sicherheitsniveau kommunizieren. Das ganzheitliche Cybersicherheitskonzept erfüllt regulatorische Anforderungen auf Systemebene (UN ECE 155). Zudem wurde das System für höchste funktionale Sicherheit gemäß ASIL D der ISO 26262 entwickelt.

Neben der Überwachung von Fahrzeuggeschwindigkeit und -richtung ist für höhere Automatisierunggrade bis SAE-Level 5 auch eine automatische Steuerung der Feststellbremse notwendig. Dazu arbeitet die Plattform mit der hauseigenen elektro-pneumatischen Handbremse OnHand EPH zusammen. Bei dieser kann im Vergleich zu herkömmlichen Systemen der Federspeicher gepulst werden. So ist eine Radschlupfregelung möglich, woraus sich eine zusätzliche Rückfallebene für das sichere Anhalten ergibt. Mit Blick auf die Elektrifizierung der Antriebsstränge kann durch die Plattform die Rekuperation bei Hybrid- und vollelektrischen Fahrzeugen durch engere Abstimmung von Brems- und Antriebssystem verbessern werden.

Die Variante Advanced stellt das Nachfolgesystem der heute verwendeten EBS dar. Sie bietet neben der vollen Brake-by-Wire-Funktion die Bremsleistung und den Komfort an allen geregelten Achsen und möglichen Anhängern, wie sie von EBS bereits bekannt sind. Zusätzlich ermöglicht sie Funktionen wie Soft-Start-Control und Soft-Stopp, eine Antriebsschlupfregelung, die den Verlauf der gefahrenen Kurve berücksichtigt, eine separate aktive Ansteuerung der Anhängerbremsen zum Stabilisieren während des Retarder-Betriebs oder bei Kurvenfahrt, sowie die optimierte Unterstützung der Rekuperation bei Fahrzeugen mit Elektroantrieb.

Die Variante Autonomous erlaubt, dass autonom gesteuerte Fahrzeuge im Fall eines Totalausfalls der primären Bremsanlage kontrollierbar bleiben. Solange eine fahrende Person vorhanden ist, kann diese durch Betätigen des Bremspedals über die direkte Drucksteuerung das Fahrzeug einbremsen. Ein Fahrzeug im autonomen Modus muss jedoch weiterhin elektronisch gesteuert werden können (fail-operational). Hier kommt die Skalierbarkeit der Plattform zum Tragen. Wird die primäre Bremsanlage durch einen redundanten CMAx ähnlicher Bauart ergänzt, kann dieser in einem zweiten Versorgungssystem eine Drucksteuerung auf die Vorder- und Hinterachse durchführen. Dabei kann sogar eine ABS-Regelung auf der jeweiligen Achse erfolgen. Sollte es im schlimmsten Fall sogar zum Ausfall des sekundären Bremssystems kommen, kann das Fahrzeug durch eine automatische Aktivierung der elektrischen Parkbremse in einen Haltezustand gebracht werden. Bild 4 zeigt schematisch in Kombination die bekannte Bremsung durch die fahrende Person, bei der über elektrische Signale die Komponenten einen Druck aussteuern. Fällt dieses System in einem autonomen Fahrzeug aus, übernimmt automatisch der redundante CMAx über die rot dargestellten Signale den Part der Druckregelung. Die blau gekennzeichneten Linien stellen die pneumatischen Bremskreise 1 und 2 dar, die grünen Linien die elektrische Signalübertragung.

Bild 4
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Schema der Bremssteuerung bei der Systemvariante Autonomous am Beispiel virtuelle Bremsung oder durch den die fahrende Person; blau: pneumatische Ansteuerung; grün: elektrische Signalübertragung; rot: redundantes System (© ZF Group)

Anwendungsmöglichkeiten

Ein essenzieller Bestandteil der neuen Bremssystemgeneration wird die Integration in elektrifizierten Fahrzeugen sein. Dort wo verzögert werden muss, kommen heute die pneumatische Bremse oder bei längeren Bergabfahrten Retarder und Motorbremsen zum Einsatz. Die Dauerbremsintegration in elektrisch betriebenen Fahrzeugen sollte vorzugsweise über die elektrische Bremse erfolgen. Fahrzeuge, die das Rückspeisen der elektrischen Energie in den Batteriespeicher erlauben, bringen als Zusatznutzen einen verringerten Luftverbrauch mit sich, da Druckluft nicht durch Motor- und Kompressorkraft produziert werden muss. Die Rekuperation erlaubt es, den elektrischen Antrieb in umgekehrter Weise für die Erzeugung von Bremskraft und damit auch zur Gewinnung elektrischer Energie zu nutzen. Diese wird in die Batteriespeicher zurückgeführt und kann so in der nächsten Antriebsphase wieder verwendet werden. In Systemen wie dem heutigen EBS wird die Verzögerung bereits durch Regelung von ein oder sogar zwei Elektromotoren umgesetzt. Um ein Optimum zu erreichen, wird der pneumatische Bremsanteil durch das sogenannte Brake-Blending auf ein Minimum zurückgehalten und die Integration der Rekuperation optimiert. Im Rahmen normaler Anpassungsbremsungen ist dies sehr gut möglich. Zu Beginn der Bremsung oder mit Erreichen des Stillstands sind jedoch besondere Anpassungen nötig.

Bei einer Fahrerbremsung, die sehr plötzlich ausgeführt wird, kann es sich um eine normale oder auch um eine Notbremsung handeln. Der Fokus liegt folglich auf Sicherheit. Zum Ende einer Verzögerung bei Geschwindigkeiten unter etwa 5 km/h kann es erforderlich sein, elektrische Energie zum Bremsen aufzuwenden, statt weiterhin Energie zu gewinnen. Bild 5 zeigt den Übergang einer anfänglichen pneumatischen Bremsung zu einer elektrischen Bremsung. Kurz bevor der Stillstand erreicht wird, muss die pneumatische Bremse wieder aktiv werden. Der hier eingesteuerte Bremsdruck kann in Folge auch zum Halten des Fahrzeugs im Stillstand genutzt werden. Mit mBSP und der Interaktion mit Elektroantrieben, beispielsweise AxTrax 2 und CeTrax 2 von ZF, wird es möglich sein, die Rekuperationsleistung zu erhöhen und den Umfang der Steuerbarkeit von ein oder zwei Achsmotoren auf weitere Achsen oder auch Einzelradmotoren zu erweitern.

Bild 5
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Prinzipielle Darstellung des Brake Blendings unter Berücksichtigung von elektrischen Traktionsantrieben (© ZF Group)

Zusammenfassung

Neue Bremssysteme werden oftmals aus der Notwendigkeit oder dem Wunsch nach neuen Funktionen entwickelt. Auslöser zur Konzeption der modularen Bremssystemplattform mBSP bei ZF war vielmehr der Umstieg auf neue Verfahren in der Softwareentwicklung, die Umsetzung der neuen Cybersicherheitsanforderungen sowie eine vereinfachte Gerätearchitektur. mBSP stellt die nächste Generation von Bremssystemen inklusive ihrer neuen Komponenten dar. Als globaler Plattformansatz ausgelegt können passende Bremssysteme für die jeweiligen Regionen und OEM- Anforderungen in den nächsten Jahren verfügbar gemacht werden- vom einfachen ABS-Regelsystem bis hin zur elektronisch gesteuerten Bremsenarchitektur für autonome Fahrzeuge.