Ausgangslage

Derzeit werden intensive und medienwirksame Diskussionen zur Notwendigkeit gesetzlich verbindlicher Personalvorgaben für Pflegekräfte in Krankenhäusern geführt. In Übereinstimmung mit einer Reihe jüngerer internationaler Studien kommt man allerdings zu dem Ergebnis, dass wichtige unerwünschte patientenrelevante Ergebnisse der gesundheitlichen Versorgung nicht allein etwa durch die Anzahl von Pflegekräften bestimmt werden. Vielmehr wird das Ergebnis durch ein multikausales und zum Teil krankenhausindividuelles Set von pflege- oder institutionsspezifischen Arbeitsbedingungen bestimmt (Aiken et al. 2012). Einen wichtigen, wenn nicht sogar entscheidenden Stellenwert nimmt dabei die Expertise des Personals selbst ein (Tourangeau et al. 2007).

Aktuell werden erste Insellösungen zu pflegerischen Fachkräftequoten durch den Gemeinsamen Bundesauschuss (G-BA) für den Krankenhausbereich geschaffenFootnote 1. Die Festlegungen folgen jedoch keiner einheitlichen Linie und sind in ihren Konzeptionen kritisch zu hinterfragen. Zum einen, weil sie jeweils auf einzelne Bereiche, z. B. Intensivstationen, und/oder spezielle Prozeduren begrenzt sind und damit kein prozesshaftes und sektorenübergreifendes Leistungsgeschehen im Krankenhaus implizieren. Zum anderen beruhen die Vorgaben des G‑BA auf der Annahme, dass allein die Qualifikation mit der Qualität in einem direkten Wirkungszusammenhang steht, ungeachtet dessen, dass Bildungsforschung seit Jahrzehnten die Vielschichtigkeit der beruflichen Expertise mit dem Kompetenzbegriff umschreibt. Darüber hinaus werden Ausnahmeregelungen bei Nichterfüllung der Qualifikationsquoten vom G‑BA dahingehend gewährt, dass Fachkräfte mit einer bestimmten beruflichen Erfahrung zur Qualifikationsquote angerechnet werden können. Die berufliche Qualifikation wird demnach auch mit Erfahrung gleichgestellt und marginalisiert. Insgesamt betrachtet ergibt sich ein sehr diffuses Bild über die aktuelle Praxis von Leistungsdispositionen im Gesundheitswesen, hier verstanden als das Zusammenspiel von Qualifikation, Erfahrung und Kompetenz.

Zielstellung/Vorgehensweise

Für die Pflegenden soll diese Arbeit ein Anstoß sein, sich mit den eigenen Leistungsdispositionen kritisch auseinanderzusetzen, im Sinne von Orientierungspunkten ihres pflegerischen Handelns. Es soll außerdem eine Diskussion in der Pflege über die Chancen und Gefahren der aktuellen gesundheitspolitischen Entwicklungen angeregt werden. Dazu folgen in einem ersten Schritt literaturgeleitet eine definitorische und konzeptionelle Annährung an die Thematik sowie eine Auseinandersetzung mit den Besonderheiten und Schwierigkeiten einer modellbasierten Umsetzung. Anschließend werden mögliche Messmethoden der pflegerischen Leistungsdisposition Kompetenz diskutiert. Zum empirischen Abgleich der gewonnenen Erkenntnisse, und um die Sicht der Pflegepraxis mitaufzugreifen, wurde im zweiten Schritt eine Fokusgruppendiskussion initiiert. Pflegende der operativen Führungsebene verschiedener Krankenhäuser wurden in das Sample einbezogen.

Theoretischer Hintergrund

Der Begriff Qualifikation bezeichnet die Gesamtheit aller Fertigkeiten, Fähigkeiten und Kenntnisse im beruflichen Kontext, welche zur Bewältigung arbeitsplatzspezifischer Tätigkeiten beitragen. Die Qualifikation stellt somit eine allgemeine sowie berufliche Ressourcengrundlage dar, um potenzielles Handeln zu ermöglichen und Anforderungen oder Leistungen im Arbeitsprozess erfolgreich zu bewältigen (Becker 2009). Es handelt sich dabei um einen zeitlich befristeten Lernprozess. Qualifikationen sind handlungszentriert und eindeutig fassbar, sodass diese überprüft werden können (Teichler 1995). Dabei sind Qualifikationen keine hinreichende Voraussetzung für eine Leistung, sondern das Können muss auf die gegebene Situation übertragen werden. Es ist relevant, dass Pflegende ihr aus einer Qualifikation erlangtes Wissen und die erworbenen Fertigkeiten zur Anwendung bringen können (Brater 2016).

Seit den 1960er-Jahren hat sich in Deutschland, bezogen auf den beruflichen Kontext, sukzessive der Kompetenzbegriff etabliert. Abhängig vom Autor und dessen fachlicher Orientierung wird der Begriff Kompetenz sehr unterschiedlich definiert. Kompetenzen werden als Fähigkeiten zum selbstorganisierten, kreativen Handeln beschrieben, als Selbstorganisationsdisposition. Kompetenzen befähigen eine Person, v. a. bislang unbekannte Handlungsanforderungen und neue bzw. komplexe Situationen erfolgreich zu bewältigen (Erpenbeck und Rosenstiel 2007). Kompetenz lässt sich dabei nicht auf eine einzelne menschliche Fähigkeit oder ein Merkmal reduzieren, sondern ist als ein Sammelbegriff verschiedener Eigenschaften einer Person zu verstehen, die zusammenwirken. Sie umfasst beispielsweise Kommunikationsfertigkeiten, Einfühlungsvermögen, umfangreiches Wissen über Normen und Werte und die grundlegende Motivation zum Handeln. So wird kompetentes Handeln durch Normen, Werte sowie Regeln geleitet. Kompetenzen werden erlernt und lebenslang weiterentwickelt (Krumm et al. 2012). Kompetenz beschreibt also ein subjektives Handlungsvermögen, ein Handlungspotenzial, und verdeutlicht, dass Wissen allein nicht handlungsfähig macht (Brater 2016). Kompetenz ist für Benner (2017) nur die Möglichkeit einer Person, etwas leisten zu können. Kompetenz umfasst für sie das Wissen einer Person, was in einer bestimmten Situation getan werden kann. Sie spricht von der Relevanz, Kompetenz in „performance“ (Leistung) umzusetzen (Benner 2017). Der Kompetenzbegriff richtet sich auf die inneren Voraussetzungen eines Individuums, eine Handlung durchführen zu können. Kompetenzen sind hypothetische Möglichkeiten einer Person. Daher ist es schwer, diese zu messen (Brater 2016). Kompetenzen benötigen eine Theorie und, darauf aufbauend, eine modellhafte Darstellung, um eine empirische Beobachtung zu ermöglichen (Erpenbeck und Rosenstiel 2007).

Die Erfahrung wird als Bindeglied zwischen beruflicher Qualifikation und Kompetenz angesehen. Zunächst müssen geeignete Lernerfahrungen im beruflichen Kontext gegeben sein, um Erfahrungswissen in Handeln umzusetzen (Brater 2016). Damit unbekannte Leistungsanforderungen erfolgreich bewältigt werden können, benötigen Pflegende Erfahrungen in der Praxis. Auf Grundlage dieser praktischen Auseinandersetzung und der theoretischen Reflexion generiert sich Wissen, welches sich dann im selbstorganisierten und kreativen Handeln niederschlägt (Bruggmann 2000). Eine erfahrene Pflegeperson erhält eine verfeinerte Sichtweise, indem sie in den Dialog zwischen Theorie und Klinik tritt. Durch die Begegnung mit realen Praxisfällen entwickeln Pflegende ein tiefergehendes Verständnis für komplexe Situationen (Benner 2017). Dabei umfasst Erfahrung weitaus mehr als die bloße Ansammlung von Erlebnissen. Erlebnisse, als für ein Individuum beeindruckend wahrgenommene Geschehnisse, müssen zunächst in einen geordneten Zusammenhang gebracht werden, um eine Erfahrung zu schaffen. Um Erfahrungen machen zu können, sind ein Vorwissen und ein Erkenntnisvermögen notwendig. Wahrnehmungsinhalte werden transformiert, durch Aufnahme (auch unbewusst), reflexive Verarbeitung, Interpretation sowie Verknüpfung mit bereits bestehenden Konzepten. Daraus ergeben sich Änderungen in Erlebensweisen und Handlungsvoraussetzungen emotionaler, motivationaler und kognitiver Natur. Aus diesen Aspekten gehen das Lernen aus einer gegebenen Situation und damit der Erfahrungsgewinn hervor (Bruggmann 2000; Duden 2020).

Zusammenhang zwischen Qualifikation, Kompetenz und Erfahrung sowie der Pflegequalität

Deutlich wird, dass eine formale Qualifikation nicht allein genügen kann. Es werden individuelle Anpassungsmechanismen benötigt, welche sich am aktuellen Bedarf orientieren. Es ist relevant, dass Pflegende ihr Vermögen, in neuen Situationen kreativ zu handeln, zur Anwendung bringen können und sich dadurch selbstständig weiterentwickeln. Verfügt die Pflegekraft über dieses Können, dann besitzt sie Kompetenz (Brater 2016). Kompetent zu pflegen bedeutet, entsprechend der Situation auf ihr Können und Wissen zurückgreifen zu können. Fähigkeiten werden so individuell miteinander kombiniert, dass diese entsprechend der Situation zur Anwendung kommen.

Die zeitliche Komponente ist dabei eine notwendige, aber sicher keine hinreichende Voraussetzung, um Erfahrungen zu generieren und kompetentes berufliches Handeln zu erklären (Bruggmann 2000; Benner 2017). Demnach spielen auch Aspekte wie die Anzahl an spezifischen Versorgungssituationen die Dichte von Erfahrung sowie qualitative Dimensionen (Komplexität, Schwierigkeit, Verantwortung, Abwechslung der Aufgabe etc.) eine entscheidende Rolle (Bruggmann 2000). Insbesondere für ältere Mitarbeitende bestehen Qualifikations- oder Dequalifikationsrisiken. Diese Risiken können aufgrund des Wandels des Berufsbildes und der damit verbundenen Anforderungsprofile, der Einführung neuer Technologien, der zunehmenden Digitalisierung etc. entstehen (Herfurth et al. 2003).

Alle 3 Leistungsdispositionen stehen miteinander in Verbindung. Die Qualifikation ermöglicht den Zugang zum Berufsfeld und eine Karrierechance. Kompetenzen werden bereits in der Berufsausbildung gefördert und innerhalb der beruflichen Praxis durch praktische Auseinandersetzung in der Patientenversorgung ausgebaut. Das zu Beginn noch sehr regelgeleitete Arbeiten wird zunehmend durch situativ und individuell angepasstes Handeln erweitert. Die Erfahrungen in der Praxis unterstützen das kompetente Handeln Pflegender durch das Erleben subjektiv relevanter Ereignisse und individueller Verarbeitungsprozesse (Benner 2017; Brater 2016).

Organisierte Lernprozesse sind begrenzt und können die Komplexität der beruflichen Praxis nur bedingt abbilden oder vermitteln, daher begründet sich die Relevanz des Erfahrungslernens. Entwicklungs- und Lernprozesse, die das Berufswissen von Fachkräften begründen, werden größtenteils durch das informelle Lernen am Arbeitsplatz bestimmt. Informelles Lernen meint das Lernen über Erfahrungen. Das informelle Lernen wird nicht pädagogisch begleitet, sondern ergibt sich aus Handlungs- und Arbeitserfordernissen der Praxis (Dehnbostel 2001). Kirchhof (2007) schreibt informellen Lernprozessen eine ausgeprägte emotionale Tiefe zu, was einen relevanten Einfluss auf die Nachhaltigkeit dieser Lernform hat. Um einen Kompetenzerwerb nachhaltig zu gestalten, wird hier bereits deutlich, dass es anderer Lernumgebungen bedarf. Charakteristisch hierfür sind auch ein organisatorischer und institutioneller Rahmen, z. B. durch Kompetenzmodelle (Dehnbostel 2001).

Kompetenzmodelle

Nach Erpenbeck et al. (2013) sichert ein Kompetenzmodell „eine einheitliche Sichtweise auf die strategischen, organisationalen, strukturellen und prozessualen Voraussetzungen, unter denen sich die selbstorganisierte, kreative Handlungsfähigkeit der Mitarbeiter und der Führung des Unternehmens entfalten sollte“ (Erpenbeck et al. 2013, S. 16). Diverse Unternehmen nutzen Kompetenzmodelle, auch im Bereich der Pflege können einzelne Beispiele identifiziert werden. Dabei finden häufig die Ansätze des europäischen bzw. deutschen Qualifikationsrahmens Anwendung (u. a. Erpenbeck et al. 2013; Alpers et al. 2017; Spirig et al. 2010; USZ 2019).

Der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR) besteht aus 8 Qualifikationsstufen, welche jeweils anhand von Fertigkeiten, Kenntnissen und Kompetenzen beschrieben werden (EQR 2008). Die selbstständige Aneignung von Wissen und daraus resultierende Lernergebnisse rücken zunehmend in den Fokus. Daraus resultiert die Notwendigkeit, Qualifikationen in Kompetenzen zu übertragen und Kompetenzen als Lernergebnisse darzustellen. Dies bedeutet, dass nicht allein theoretisch vermitteltes Wissen entscheidend ist. Vielmehr sind Handlungspotenziale, die sich in der individuellen Leistung oder Performance widerspiegeln, ausschlaggebend (Olbrich 2010). Formelle wie informelle Lernkanäle gewinnen somit gleichbedeutend an Relevanz. Lebenslanges Lernen ist das zentrale Element des EQR (EQR 2008; Olbrich 2010). Der Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) unterstützt ebenfalls ein ganzheitliches Kompetenzverständnis und wurde 2013 eingeführt. Der DQR unterscheidet sich in seiner Struktur insofern, dass er beispielsweise Niveauindikatoren charakterisiert. Des Weiteren differenziert er zwischen Fach- und personaler Kompetenz. Um einer angemessenen Abbildung von Handlungskompetenz gerecht zu werden, wurde die Viersäulenstruktur aus Wissen, Fertigkeiten, Sozialkompetenz und Selbstständigkeit gewählt (DQR 2019).

Im Rahmen der strukturierten Literaturrecherche konnten aber auch Modelle identifiziert werden, welche Kompetenzentwicklung und Anforderungen im Kontext pflegerischer Praxis untersucht haben (Kirchhof 2007). Hierzu zählen z. B. konstitutive Kompetenzen des professionellen Pflegehandelns nach Weidner (1995), Stufen zur Pflegekompetenz von Benner (2017), Kompetenzentwicklung in der Pflege nach Rolfe (1996), vier Elemente pflegerischer Handlungskompetenz nach Holoch (2002) oder Dimensionen pflegerischen Handelns nach Olbrich (2010). Alle Modelle zeigen eine idealtypische Kompetenzentwicklung Pflegender auf, von zu Beginn noch regelgeleitet agierenden Anfangenden bis zu professionell und intuitiv handelnden Pflegenden. Der Stellenwert von Erfahrung in der Kompetenzentwicklung wird von allen Autor*innen hervorgehoben, ebenso die Bedeutung des informellen Wissenserwerbs im Rahmen beruflicher Praxis. Im Sinne eines Expert*innenhandelns ist ein langer persönlicher und beruflicher Entwicklungsprozess Voraussetzung. Ebenfalls sind zwischenmenschliche Dimensionen relevant, die eine Pflegebeziehung erst ermöglichen. Ein durch Respekt, Verständnis, Achtung und fürsorglichen Umgang geprägtes Miteinander fördert die therapeutische Interaktion und macht eine professionelle Beziehung aus (Kirchhof 2007). Des Weiteren sind reflexive Prozesse angesprochen. Nach Holoch (2002) umfasst Pflegekompetenz, sich reflexiv und nachdenklich mit der beruflichen Praxis auseinanderzusetzen, sich forschend der Komplexität der pflegerischen Praxis zu stellen und offen für neue Konzepte zu sein.

Unternehmensspezifische Interventionen in Form von Kompetenz- oder Entwicklungsmodellen konnten an den Universitätskliniken Hamburg-Eppendorf, Freiburg sowie den Universitätsspitälern Zürich und Basel identifiziert werden. Diese 4 unternehmensspezifischen Modelle favorisieren ein individuelles Stufensystem. In den einzelnen Stufen wird über die Funktion, die Aufgaben, die wissenschaftlichen Anforderungen sowie die erforderliche Qualifikation Auskunft gegeben. Auch informelle Lernerfahrungen im Zusammenhang mit Erfahrungszuwachs werden in die Qualifikation einbezogen. In den ersten Stufen ist die Gesundheits- und (Kinder‑)Krankenpflege angesiedelt, sowie die im dualen System studierenden Bachelorstudenten. In den weiteren Stufen wird zumeist von Pflegespezialisten*innen gesprochen, welche eine fachspezifische Erfahrung von mehreren Jahren aufweisen und eine Hochschulausbildung z. B. einen Masterabschluss aufweisen. Die Kompetenzmodelle bieten vielfältige Möglichkeiten zur fachlichen Weiterentwicklung und bilden den bestehenden Qualifikationsmix ab. Die Abbildung der Komplexität pflegerischer Versorgung ist Ziel der Modelle (u. a. Alpers et al. 2017). Dabei ist die Einstufung Pflegender innerhalb des Kompetenzmodells argumentativ und objektiv durch geeignete Verfahren und Methoden abzusichern.

Messmethode

Die Entscheidung darüber, welche Methodik zur Erfassung von Kompetenzen herangezogen wird, ist abhängig von dem Kompetenzverständnis, dem Grund der Erhebung sowie der Erhebungssituation. Zu diesen Forschungsmethoden zählen die Befragung, der Test, die Beobachtung oder die Arbeitsprobe (Kaufhold 2006). Der Vorteil der zuletzt benannten Methoden ist in dem Erleben der zu beurteilenden Person in der konkreten Arbeitssituation zu sehen. Die verwendete Methodik ist hinsichtlich relevanter Gütekriterien zu prüfen und argumentativ abzusichern. Als relevante Fehlerquellen werden Antworttendenzen, Selbstdarstellung und die soziale Erwünschtheit genannt (Döring und Bortz 2016). Die Literatur empfiehlt zur Qualitätssteigerung der Kompetenzbewertung einen multimodalen Methodeneinsatz (Kaufhold 2006).

Die aufgeführten Methoden unterscheiden sich maßgeblich in der Perspektive, von welcher aus die Bewertung vorgenommen wird. Abhängig davon, ob eine Beurteilung durch den Handelnden selbst vorgenommen wird oder ob Fremde diese übernehmen, wird von Selbst- oder Fremdeinschätzung gesprochen (Holoch 2002). Überwiegend bewerten in den gefundenen Praxisbeispielen die Vorgesetzten, auf Grundlage ihrer Personalkenntnisse und ihrer Erfahrung mit der Arbeit, die weiteren Entwicklungsmöglichkeiten. Hierbei wird deutlich, dass die Hierarchieebene bei der Fremdevaluation variieren kann. Größtenteils wird hierbei das Medium „Personalgespräch“ genutzt (USZ 2019; Naegele 2018).

Bei einer Beurteilung handelt es sich um einen interaktional hochkomplexen Prozess, welcher durch den Beurteilenden, das Diagnoseverfahren und die Ziele bzw. Konsequenzen der Erhebung bestimmt ist (Schuler 2014). All diese genannten Einflüsse können zu einer Verfälschung der Ergebnisse führen. Trotzdem werden Daten, welche aus einer Fremdbeurteilung generiert werden, als valider eingestuft als das Ergebnis einer Selbsteinschätzung (Reich 2012).

Im Rahmen der Kompetenzeinstufung gehört die Selbsteinschätzung der zu beurteilenden Person zu einer wichtigen Vorgehensweise. Sie unterstützt die persönliche Entwicklung, ermöglicht eine Sensibilisierung im Hinblick auf berufsbezogene Inhalte und Ziele. Die Fähigkeit, die eigene Leistung realistisch einzuschätzen, ist essenziell, um Kompetenzen auszubauen und weiterzuentwickeln (Reich 2012). Im Rahmen der Literaturrecherche lässt sich eine Vielzahl von Erhebungsinstrumenten identifizieren, die eine Kompetenzerfassung durch Selbsteinschätzung vornehmen (u. a. Kirkpatrick et al. 2019; Reichardt et al. 2016; Zaybak et al. 2017). Allein im Literaturreview von Kellerer et al. (2018) werden 8 Instrumente vorgestellt, u. a. die „nurse professional competence scale“ (NPC), deren Adaptation die Autoren auch für den deutschsprachigen Raum vornehmen. Die Fülle an Selbst- und Fremdeinschätzungsinstrumenten wird auch in der Publikation von Darmann-Finck und Reuschenbach (2013) beschrieben. Kritisch ist anzumerken, dass ein Methodenmix in der Kompetenzbewertung kaum zu finden ist.

Empirische Untersuchung

Das qualitative Erhebungsdesign „Fokusgruppe“ wurde im Rahmen der Forschungsarbeit gewählt, um die Sichtweise und Meinung der Praxis in den theoretischen Diskursprozess miteinzubinden. Mithilfe der Fokusgruppe sollten folgende Fragen beantwortet werden: Was bedeuten die Leistungsdispositionen Kompetenz und Erfahrung im Rahmen pflegerischer Versorgung? Welche Kriterien zeichnen eine kompetente und erfahrene Pflegende aus? Welche Kriterien legen Führungskräfte in der Beurteilung ihrer Mitarbeitenden zugrunde, und nutzen sie dazu ein standardisiertes Erhebungsinstrument? Kann ein standardisiertes Erhebungsinstrument die Beurteilung von Mitarbeitenden unterstützen?

Als Teilnehmende der Fokusgruppe wurden Pflegende mit Leitungsfunktion der operativen Führungsebene geladen. Insbesondere deren direkter Bezug zu ihren Mitarbeitenden und deren Blick auf die Arbeit an Patient*innen waren relevant. Sie sind darin gefordert, ihre Mitarbeitenden zu führen, deren Leistungen zu kontrollieren und zu bewerten. Dieser unmittelbare Kontakt zur Basis macht ihre Erfahrung besonders wertvoll. Außerdem kann erfragt werden, wie diese Personen Beurteilungen vornehmen, ob Kriterien durch die Organisation vorgegeben sind oder diese individuell festgelegt werden. Es handelt sich um Diskursmaterial einer Gruppe von 6 Proband*innen. Das Sampling ist in der Tab. 1 dargestellt.

Tab. 1 Übersicht der Teilnehmenden der Fokusgruppe

Die Teilnahme an der Fokusgruppe war freiwillig; es bestand keine gegenseitige Abhängigkeit aufgrund monetärer Anreize oder anderer Verflechtungen. Vier der Teilnehmenden sind in demselben Klinikum beschäftigt. Daher ist kritisch anzumerken, dass ein Bekanntheitsgrad untereinander die Meinungsäußerung im Rahmen der Fokusgruppe beeinflusst haben kann, insofern, dass Meinungen angepasst und zurückgehalten oder ein kritischer Diskurs durch bestehende Bekanntschaft beschnitten wurde (Lamnek 2010).

Zur Auswertung des gewonnenen Materials wurde die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) genutzt. Bei dieser Methode können Daten systematisch und regelgeleitet ausgewertet werden. Die Hermeneutik als Theorie des Verstehens und Interpretierens von Texten ist dem empirischen Anteil der Arbeit demnach zugrunde gelegt (Mayring 2015). Die phonetischen Aufzeichnungen der Gruppe erbringen ein umfangreiches Datenmaterial, welches aufgearbeitet und verschriftlicht wurde. Zur Textanalyse werden 3 Protokollteile herangezogen. Diese Untersuchungsteile gliedern sich in die Themenbereiche Kompetenz, Erfahrung und Beurteilung. Durch zunehmende Verdichtung und Paraphrasierung konnte das Material auf die wesentlichen Inhalte reduziert werden, die nun vorgestellt werden sollen.

Ergebnisse

Von den Teilnehmenden wurden viele verschiedene Aspekte benannt, die eine kompetente Pflegende auszeichnen. Ein wichtiger Aspekt ist die Fachkompetenz oder das Fachwissen. Aber auch sozialen Aspekten, wie Empathie, Teamfähigkeit und respektvoller Kommunikation mit allen Berufsgruppen, Angehörigen und den Patient*innen, wird eine hohe Bedeutung beigemessen. Des Weiteren zeigt sich die Kompetenz einer Pflegeperson darin, dass sie strukturiert und ruhig arbeiten kann. Kompetenz spiegelt sich in der Krankenbeobachtung, situativen Beurteilungsgabe und den daraus abgeleiteten Maßnahmen wider. Dabei wird von den Proband*innen als kompetent eingestuft, wer Prioritäten setzen, seine Grenzen erkennen kann und selbstreflexiv ist. Kompetente Pflegende können ihren Hilfebedarf kommunizieren, diesen einfordern und annehmen. In der Praxis bemerken sie jedoch, dass unabhängig von der Altersgruppe, viele Mitarbeitende Aufgaben nicht abgeben können. Diese fehlende Delegations- und Kommunikationsbereitschaft wird als problematisch erkannt und birgt die Gefahr, dass Pflegekräfte an ihre Belastungsgrenzen geraten und aus dem Beruf frühzeitig ausscheiden. Kompetenz zeigt sich weiterhin in der Fähigkeit, eine professionelle Nähe aufbauen zu können, ohne die Distanz zu verlieren (Nähe-Distanz-Verhalten). Die benannten Aspekte pflegerischer Kompetenz vermitteln dem Patienten/der Patientin ein Gefühl von Sicherheit. Dabei wird angeführt, dass insbesondere soziale Kompetenzen wie Empathie und Teamfähigkeit nicht formell erlernbar sind. Die Kompetenz einer Pflegeperson zeigt sich in einem unterstützenden und auf das Wohlbefinden orientierten Umgang mit den Patient*innen sowie einer professionellen Haltung.

Die Teilnehmenden heben weiterhin den Stellenwert von Berufserfahrung hervor. Diese führt v. a. zu Selbstbewusstsein und Sicherheit im Handeln. Diese Sicherheit hat eine positive Wirkung auf das Team, insbesondere auf jüngere Pflegende und die zu versorgende Person. Handlungsweisen verändern sich, und es kommt zu einem situativen Handlungswissen oder zur Intuition. Diese situative Handlungssicherheit fehlt Kolleg*innen, die, erst kürzlich examiniert, in das Berufsleben starten. Informelle Lernprozesse werden als entscheidend benannt, um Fähigkeiten speziell in der Krankenbeobachtung und im situativen Handlungswissen zu erlangen. Insbesondere bei jüngeren, noch unerfahreneren Mitarbeitenden werden Schwierigkeiten in der Krankenbeobachtung bemerkt. Diese Mitarbeitenden agieren noch regelgeleitet, und die Krankenbeobachtung findet auf der Grundlage theoretisch erworbener Erkenntnisse statt. Das Erfahrungswissen entwickelt sich dabei individuell auf Grundlage der persönlichen Einstellung oder des Interesses zum Beruf, der Motivation, Wissen zu generieren, und der Fähigkeit, sich mit Situationen selbstreflexiv auseinandersetzen zu können. Die Teilnehmenden gaben an, dass das Erlangen von Erfahrungen nicht ausschließlich durch die Dauer der Berufszugehörigkeit bedingt ist. Darüber hinaus wird angemerkt, dass älteren oder erfahreneren Pflegenden der wissenschaftliche Begründungszusammenhang fehlt, ihr pflegrisches Handeln zu erklären, was wiederum zu Problemen im Wissenstransfer führt. Dies führt zum Teil zu einer einseitigen und ausschließlich auf Intuition und erfahrungsbasierten Betrachtungsweise beruflicher Situationen. Das Interesse an Fort- und Weiterbildung nimmt ab. Wobei das Interesse an fort- und weiterbildenden Maßnahmen individuell verschieden und abhängig vom direkten Bezug zur Arbeitswelt ist. Bevorzugt werden hier Angebote wahrgenommen, die einen unmittelbaren Bezug zur Patientenversorgung aufweisen.

Die Teilnehmenden konnten konkrete Angaben zu den Kriterien machen, welche in ihre Beurteilung einfließen. Die Fachkompetenz, ein Interesse am Beruf und die damit verbundene Eigeninitiative an Fort- und Weiterbildung werden hervorgehoben. Weiterhin werden Soft Skills wie Teamfähigkeit, -orientierung, die Fähigkeit zur Selbstreflexion, Einsatzbereitschaft, Zuverlässigkeit und Aufrichtigkeit als relevante Beurteilungskriterien benannt. Ihrer Beurteilung legen sie dabei Beobachtungen, Selbst- und Fremdeinschätzungen zugrunde. Bei 4 der Teilnehmenden wird beispielsweise die Zimmereinteilung so vorgenommen, dass eine direkte Beobachtung in der Versorgung möglich ist, oder eine Pflegevisite angesetzt, um die Sichtweise von Patient*innen oder Angehörigen aufzugreifen. Durch die Routine in der Durchführung von Personalgesprächen erübrigt sich die Verwendung eines Beurteilungsinstrumentes oder Assessments. Eine standardisierte Leistungserfassung wird abgelehnt, da sie ihrer Meinung nach die Individualität nicht widerspiegelt. Dennoch gaben 4 Teilnehmende an, dass sie entweder eine eigene Struktur erarbeitet haben oder einen Leitfaden nutzen, um ihre Personalgespräche zu strukturieren. Ein Leitfaden oder eine Gliederung wird in der Führung von Personalgesprächen als hilfreich beschrieben, um eine Orientierung und Professionalität zu gewährleisten.

Diskussion und Interpretation

Durch die zunehmende Komplexität, Vernetzung und Dynamik der Arbeitswelt, ergibt sich die Notwendigkeit eines Individuums, selbstorganisiert handeln zu können. Die Zuwendung hin zur Kompetenz ist somit eine logische Schlussfolgerung und wird in allen Modellen zur Leistungsdispositionen aufgegriffen (Hehn 2016). Die drei Leistungsdispositionen „Qualifikation, Kompetenz und Erfahrung“ bedingen sich nicht nur wechselseitig, sondern nehmen deutlich Einfluss auf die Qualität pflegerischer Versorgung. In der Generierung domänenspezifischen Wissens sind sie jeweils notwendige Komponenten, um Zugang zum Berufsfeld zu erhalten und in spezifischen beruflichen Anfordernissen agieren zu können. Das Erleben individueller Ereignisse und die daraus entstehenden Verarbeitungsprozesse unterstützen die Generierung von Erfahrungen und somit den Anstoß von Wissensprozessen, um kreativ und selbstorganisiert dieses Wissen zur Anwendung bringen zu können. Dieses Ineinandergreifen von formalem Wissenserwerb, dem Erleben und Verarbeiten domänenspezifischer Ereignisse sowie die kompetente Handlung nehmen somit einen entscheidenden Einfluss auf die Qualität des Wissens sowie der pflegerischen Versorgung.

Aus den Ergebnissen der Fokusgruppe wird deutlich, dass Kriterien die kompetenten Pflegenden zugeschrieben werden, Fachwissen, die Fähigkeit, Prioritäten setzen zu können, und soziale Komponenten wie Empathie oder Teamfähigkeit sowie eine ruhige und strukturierte Arbeitsweise sind. Aus den Aussagen geht ebenfalls hervor, dass sie abhängig sind, von der Motivation und Einstellung zum Beruf sowie der Fähigkeit zur Selbstreflexion. Demnach bestätigen die Proband*innen, dass nicht allein die zeitliche Dauer im Beruf ausreicht, um als erfahren und kompetent zu gelten. Es werden von den Teilnehmenden Generationskonflikte angesprochen, die sich beispielsweise in einem fehlenden Wissenstransfer und Erfahrungsaustausch widerspiegeln. Den erfahreneren Kolleg*innen fehlt dabei der wissenschaftliche Begründungszusammenhang, ihr Handeln näher zu beschreiben. Es trifft in diesen Fällen der noch theoriegeleitete unerfahrene Mitarbeitende mit intuitiv handelnden Praktiker*innen zusammen. Die Herausforderung besteht in der Übersetzung dieses intuitiven Erfahrungswissens. Deutlich wird hier, dass sich mit der Dauer der beruflichen Tätigkeit durchaus auch Probleme entwickeln können. Werden diese nicht aufgegriffen, können sie zu Problemen in den Teams führen. Die fehlenden Kompetenzen in der Selbstreflexion von Arbeitsweisen langjähriger Mitarbeitender können dazu führen, dass Handlungen unreflektiert ausgeführt werden und eine Wissensvermittlung an neue Kollegen*innen erschwert ist. Vielleicht ist es aber auch die Angst, Wissen zu teilen und den eigenen Stand im Team zu verlieren. Daher gelingt eine Integration neuer Teammitglieder nicht immer. Die Betrachtungsweisen langjähriger Mitarbeitender werden teils als einseitig beschrieben und eine spürbare Gleichgültigkeit gegenüber der Arbeit kommuniziert. Darunter leidet nicht zuletzt die Qualität der pflegerischen Versorgung.

Aus den Ausführungen wird deutlich, dass berufsspezifisches Erfahrungswissen in eine ständige Reflexion mit pflegewissenschaftlichen Erkenntnissen gebracht werden muss, insbesondere um Plateaueffekte zu vermeiden, die einen Erfahrungszuwachs vermindern (Mc Daniel et al. 1988). Das verweist darauf, dass ein Zusammenhang zwischen Qualifikation, der Reflexionsbereitschaft und der Qualität der ausgeführten Arbeit zu vermuten ist.

Die formell erworbenen Fähigkeiten ergänzen sich in der beruflichen Praxis durch informell erworbenes Wissen. Das organisierte Lernen in einer Aus- oder Weiterbildung kann die Komplexität der pflegerischen Praxis nicht hinreichend abbilden, wodurch sich eine hohe Relevanz informellen Lernens ergibt (Kirchhof 2007). Das bekräftigt, dass die Fähigkeit eines Menschen, sich stetig reflexiv mit seinem Berufsleben auseinanderzusetzen, ein wichtiger Aspekt ist, um lernen zu können und eine Weiterentwicklung des eigenen beruflichen Könnens zu ermöglichen. Diese Reflexivität muss also bestehen, erhalten und gefördert werden, um eine Weiterentwicklung der Pflegekraft überhaupt zu ermöglichen. Im Rahmen der Ausbildung wird diese Reflexivität durch Beurteilung des eigenen Handelns der Schüler*innen erworben. Es fließen die Fremdbeurteilung durch den Ausbildenden ebenso ein, wie die Selbstbeurteilung des Auszubildenden. Jedoch sollte dieser Aspekt auch im weiteren beruflichen Werdegang geschult und Raum zur Bildung informeller Lernprozesse sollte ermöglicht werden, um eine stetige Reflexion des eigenen Handelns zu unterstützen. Möglichkeiten dazu bieten Ansätze wie die kollegiale Beratung, bei denen Mitarbeitende Fallbesprechungen vornehmen können und Erlebnisse reflektieren, oder beobachtende Lernformen wie beispielsweise das SkillsLab oder die Pflegevisite. In beiden Varianten kann ein Austausch durch erlebte Praxis entstehen und reflexive Prozesse ermöglicht werden.

Formell erlerntes Wissen, welches in einer abschließenden Prüfung qualifizierend bescheinigt wird, kann träge sein und eine fehlende praktische Umsetzung bedingen. Damit ist der Vergleich zwischen Erfahrung und Qualifikation, wie dies in den Richtlinien des G‑BA zur Umsetzung kommt, kritisch zu hinterfragen. Es wird hier eine Gleichstellung von formellem und informellem Wissen vorgenommen. Die Auseinandersetzung mit dem Begriff und der Entstehung von Erfahrung bedingt hier jedoch, eine andere Sichtweise einzubeziehen. Erfahrung oder das Erfahrungswissen kann nur dann entstehen, wenn die Motivation und Reflexion von erlebten Situationen einen Lernprozess auslöst (Bruggmann 2000). Somit kommt formellen und informellen Lernprozessen eine unterschiedliche Wertung zu. Wenn eine Pflegeperson eine kritische Patientensituation unreflektiert und uninteressiert verstreichen lässt, schließt sich kein Lernprozess an, aus welchem ein tiefergehender Erkenntnisgewinn resultieren kann. Somit bleibt eine berufliche Weiterentwicklung des Handelnden aus. Nur wenn Pflegende Patientensituationen kritisch bewerten und ihr eigenes Handeln evaluieren, ergibt sich eine neue Perspektive. Des Weiteren ist der Aspekt aufzugreifen, dass laut Benner (2017) eine Pflegekraft, die bereits in einem spezifischen Fachgebiet Wissen wie auch Erfahrung generieren konnte, sich nun aber entschließt, die Fachrichtung zu wechseln, in ihrer Kompetenzstufe abfällt, da es zunächst einer neuen Auseinandersetzung und neuer Lernprozesse bedarf, um sich in den veränderten Arbeitsanforderungen zurechtfinden zu können. Der Unterschied zwischen Erfahrungswissen und formell erlerntem Wissen macht eine differenziertere Abbildung wünschenswert.

Damit Unternehmen auch in Zukunft erfolgreich agieren können, werden als modernes Instrument der Personalentwicklung Kompetenzmodelle genutzt. In der Recherche konnten lediglich 4 Krankenhäuser identifiziert werden, welche ein Kompetenzmodell aufweisen, 2 davon in Deutschland. Obwohl in der Literatur darauf verwiesen wird, dass Entwicklungsmöglichkeiten und die Karriere Pflegender zu wenig Berücksichtigung finden und dies zu einer Unzufriedenheit der Mitarbeitenden beiträgt, ist die Abbildung von Leistungsdispositionen in der Praxis nur Bestandteil vereinzelter, weniger Unternehmen (Gardulf et al. 2008; Matzke in Simon 2018; Mächler in Tewes & Stockinger 2014). Kompetenzmodelle bieten eine formale Abbildung von Qualifikation, Aufgaben und Anforderungen an die Mitarbeitenden und zeigen mögliche Entwicklungen auf. Sie unterstützen die Vergleichbarkeit von Leistungsdispositionen, insbesondere von Qualifikationen. Dabei sind Kompetenzmodelle keinesfalls als linear zu betrachten; wie im oberen Abschnitt angesprochen, ist auch ein Abfall der Kompetenzstufen möglich.

Die Beurteilung darüber, wer in einer Kompetenzstufe aufsteigen kann, trifft in den eruierten Kliniken die operative Führungsebene (Alpers et al. 2017; Spirig et al. 2010; USZ 2019). Die Erfassung der Kompetenz erfolgt hier über die Fremdbeurteilung. Letztendlich ist die Methode immer kritisch hinsichtlich der Qualitätskriterien Validität, Fairness oder Reliabilität zu prüfen (Bortz und Döring 2016; Kaufhold 2006). Kaufhold (2006) verweist daher darauf, dass ein multimodaler Methodeneinsatz die Qualität der Beurteilung unterstützen kann. Die Ergebnisse der Fokusgruppe bestätigen die Aussagen aus der Recherche. Die teilnehmenden Stationsleitungen geben an, die Beurteilung ihrer Mitarbeitenden selbst vorzunehmen. Ein standardisierter Leitfaden oder eine Vorgabe wird nicht angewendet. Des Weiteren wird angegeben, dass eine Routine in der Durchführung von Personalgesprächen die Verwendung eines Assessments oder Leidfadens überflüssig macht. Deutlich wird hier, dass die Einschätzungen der Mitarbeitenden eher intuitiv und auf den persönlichen Erfahrungen mit den Kolleg*innen beruhend vorgenommen werden. Das birgt die Gefahr, subjektiver Beurteilungen und nichterkennbarer Potenziale, was wiederum Auswirkungen auf den Mitarbeitenden, deren Motivation und Einsatzbereitschaft haben kann. Zwei Proband*innen benannten die direkte Beobachtung des Mitarbeitenden am Arbeitsplatz als Variante, um die Fähigkeiten zu überprüfen. Die gemeinsame Einteilung in einem Zimmer wird angewendet. Die Beobachtung ist eine mögliche Variante, eine objektivere Einschätzung vornehmen zu können, jedoch nur, wenn sie anhand standardisierter Kriterien abläuft und die beobachtende Person geschult ist (Kaufhold 2006). Die Beobachtung durch eine gemeinsame Arbeitseinteilung bietet nicht nur die Chance der besseren Beurteilung der Mitarbeitenden, sondern auch einen Qualitätsgewinn. Dieser entsteht dann, wenn pflegerisches Handeln und Arbeitsabläufe gemeinsam reflektiert werden. Auf dieser Grundlage kann ein fachlicher Austausch entstehen und die Selbst- bzw. Fremdeinschätzung fördern. Des Weiteren bietet sich hier der Blickwinkel auch anderer am Behandlungsprozess Beteiligter an, wie beispielsweise des Teams, der zu pflegenden Person oder der Angehörigen. Als ein anderes mögliches Medium werden die Pflegevisite und auch die kollegiale Beratung genannt. Es wird jedoch deutlich, dass der zeitliche Rahmen nicht vorhanden ist, die Methoden standardisiert und kontinuierlich einzubinden.

Des Weiteren scheint es in Anbetracht der Verantwortung sinnvoll, dieser Hierarchieebene geeignete Reflexionsmöglichkeiten zu bieten. Standardisierte Einschätzungen könnten die Objektivität der Bewertung unterstützen. Insbesondere das Qualitätskriterium der Fairness ist hier in den Fokus zu stellen. In der Beurteilung ist zu prüfen, ob eine Chancengleichheit gegeben ist, die Beurteilungskriterien transparent und die Ergebnisse einsehbar sind (Schuler 2014). Die Proband*innen können klare Kriterien benennen, welche sie im Rahmen einer Beurteilung ansetzen. Auch geben sie an, sich eine eigene Struktur in der Vorgehensweise eines Personalgespräches aufgebaut zu haben. Ebenfalls ist ihnen eine Protokollierung zum Festhalten wesentlicher Inhalte wichtig. Deutlich wird, dass die Leitungen durchaus eine gewisse Struktur benötigen und diese sich auch selbst erarbeiten, jedoch eine gewisse Skepsis gegenüber von außen auferlegten Vorgaben besteht, beispielsweise in Form eines Erhebungsinstrumentes. Eine differenziertere Diskussion zu dieser Thematik wäre sicher lohnenswert.

Limitation

Es soll darauf verwiesen werden, dass durch die gesetzten Limitationen nicht alle Literatur in die Erarbeitung eingeschlossen werden konnte. Daher erhebt die vorliegende Forschungsarbeit keinen Anspruch auf Ganzheitlichkeit. Die gewonnenen Informationen aus der Fokusgruppe können keine allgemeingültigen Aussagen erzeugen. Die Ergebnisse sind nicht repräsentativ, konnten jedoch zur Untermauerung der theoretischen Ausarbeitungen dienen. Die Aussagen der Teilnehmenden können einen Einblick in existierende Meinungen geben.

Schlussfolgerungen

In anderen Wirtschaftszweigen stellt Kompetenzorientierung die Regel und nicht die Ausnahme dar. Eine Arbeitswelt im Wandel bedingt zunehmend auch im Gesundheitswesen neue Sichtweisen in der Bewertung von Leistungsdispositionen der Mitarbeitenden. Auf der politischen und unternehmensspezifischen Ebene ist die bisher vorherrschende Fokussierung von Qualifikationen aufzugeben und eine Hinwendung zur Kompetenzorientierung anzustreben. Ein Unternehmen, welches die Entwicklung seiner Angestellten nachhaltig fördert, trägt zu deren Wertschätzung bei und befähigt sie, Veränderungen besser bewältigen zu können.

Dazu benötigt es eine zielgerichtete Wissensgenerierung als Unternehmensressource. Wissensgenerierung verläuft auf Basis formeller und informeller Prozesse, wobei in der pflegerischen Praxis insbesondere die informellen Kanäle in Bildungsmaßnahmen einbezogen werden sollten. Mitarbeitende als relevante Ressource bedürfen einer Führung, die Entwicklung unterstützt, fordert und in aller ersten Linie ermöglicht. Hier ist das Management gefragt, Strukturen zu schaffen, die ein Monitoring der Kompetenzentwicklung des Personals möglich machen, sodass eine gezielte Förderung erfolgen kann.

Solch eine Transparenz kann durch die Abbildung von Leistungsdispositionen im Modell hergestellt werden. Eine transparente Abbildung von Entwicklungsmöglichkeiten und Vorgaben, an denen eine Orientierung möglich ist, unterstützt die Mitarbeitermotivation und objektiviert das Vorgehen in der Potenzialförderung. Eine Abbildung von Leistungsdispositionen unterstützt einen gezielteren Einsatz von Bildungsmaßnahmen sowie eine auf die Unternehmensstrategie ausgerichtete Förderung des Personals und ist entscheidend, eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung zu unterstützen.

Dabei ist auch die Bewertung der Mitarbeitenden vorzunehmen, um eine effektive Einordnung dieser innerhalb eines Kompetenzmodelles zu gewähren. Eine Bewertung von Leistungsdispositionen sollte im Rahmen von Entwicklungs- und Potenzialanalysen durchgeführt sowie regelgeleitet erfasst werden. Dabei sollte nicht ausschließlich auf Fremdeinschätzungen vertraut, sondern es sollten verschiedene methodische Vorgehensweisen kombiniert werden. Die operative Ebene sollte zur Unterstützung der Potenzialanalyse gezielt geschult und u. U. in ihrer Objektivität gefördert werden. Die Einschätzungen sind in einem adäquaten Rahmen, mit der nötigen Vorbereitung und unter Berücksichtigung qualitativer Aspekte vorzunehmen.