Einleitung

Sowohl in den Medien als auch in Politik und Gesellschaft wird das Thema des Pflegenotstands hinterfragt. In der Fachkräfteengpassanalyse der Bundesagentur für Arbeit wird von einem flächendeckenden Fachkräftemangel in den Gesundheits- und Pflegeberufen in Deutschland gesprochen, welcher sich hauptsächlich auf examinierte Fachkräfte und Spezialisten bezieht. Die Vakanzzeit von Stellenangeboten beträgt im Bundesdurchschnitt 113 Tage auf der Fachkräfte- und Spezialistenebene (Bundesagentur für Arbeit 2018). Im Jahr 2013 waren es 112 Tage (Bundesagentur für Arbeit 2013). Diese längere Vakanzzeit steht mit der immer schwerer werdenden Mitarbeitersuche im Zusammenhang (Bundesagentur für Arbeit 2018).

Theoretischer Hintergrund

Weltweit gibt es 29 Mio. Pflegekräfte und Geburtshelfer. Sie bilden den größten Berufszweig im Gesundheitssystem (Haddad und Toney-Butler 2018). In der Berufsgruppe der Pflegenden herrschen i. Allg. eine hohe Fluktuationsrate, eine steigende Arbeitsunzufriedenheit sowie ein zunehmender Krankenstand durch schwere körperliche sowie psychosoziale Belastungen (Sachverständigenrat 2012). Eine Studie in 12 europäischen Ländern, in denen Pflegende aus 488 Krankenhäusern befragt wurden, zeigte, dass jeder Fünfte unzufrieden im Beruf ist. Die Unzufriedenheit resultiert aus zu niedrigen Löhnen, begrenzten Bildungsmöglichkeiten und Aufstiegschancen. Viele (19–49 %) beabsichtigen, den Arbeitsplatz zu verlassen (Aiken et al. 2013).

Der demografische Wandel und die Personalentwicklung im Gesundheitswesen tragen zu dem in den 1960er-Jahren erstmals beklagten Mangel an Pflegepersonal in der Bundesrepublik Deutschland bei (Alber 1990).

Es wird deutlich, dass der Pflegenotstand ein gegenwärtiges Problem ist, welches schon lange in Deutschland besteht und auch weitreichende Konsequenzen wie den Qualitätsverlust in der Versorgung von Patienten nach sich zieht (Simon 2007).

Die den Autoren bekannten und vorliegenden Studien bedienen sich quantitativer Vorgehensweisen in den Erhebungen. Sie geben keinen Einblick über Erfahrungen, Wünsche und Gefühle, die bei Pflegekräften durch den Pflegenotstand in stationären Krankenpflegeeinrichtungen Deutschlands bestehen. Die hier gewählte qualitative Methode nach Helfferich ist besonders geeignet, um die Empfindungen der Pflegekräfte zu erforschen und zu beschreiben (Helfferich 2011).

Forschungsfragen

Ziel dieser Untersuchung ist es, anhand strukturierter Interviews das berufliche, gesundheitliche und soziale Erleben aus Sicht der Pflegenden in der Institution Krankenhaus zu erforschen. Der Fachkräftemangel soll hier besonders unter dem Aspekt der Auswirkungen auf das bestehende Fachkräftepersonal betrachtet werden.

Aus dem Forschungsstand und der Zielstellung lassen sich folgende Fragestellungen im Kontext des Fachkräftemangels ableiten: Wie empfinden Pflegende ihren Arbeitsalltag? Wie hat sich dieser ihrer Meinung nach verändert? Wie äußern sich der Fachkräftemangel und die daraus resultierende hohe Arbeitsbelastung bei Pflegenden im Krankenhaus? Welche Arbeitsbelastungen resultieren daraus? Wie sehen Pflegende ihr eigenes Berufsbild, und was wünschen sich diese?

Forschungsdesign und Methodik

Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurde ein qualitatives Forschungsdesign gewählt. Nach Flick ist das Hauptziel qualitativer Forschungen, das Erfahren von innen heraus zu beschreiben (Flick 2007). Dieser Hauptintention gilt es, mithilfe von halbstandardisierten Interviews gerecht zu werden und das Erleben der Pflegenden darzustellen.

Einschlusskriterien für Interviewpartner

Die Auswahl der Befragten wurde aufgrund der besseren Erreichbarkeit für den Gesprächsführenden als auch für die Befragten auf den deutschsprachigen Raum begrenzt. Zur Erhöhung der Validität der Interviewergebnisse wurden nur Personen, die in Deutschland im Setting der stationären Akutversorgung arbeiten, befragt. Um eine Vergleichbarkeit der Interviews zu gewährleisten, wurden nur Personen befragt, welche laut Benner die Kompetenzstufen „Erfahrener“ und „Experte“ erreicht haben. Die Gruppe der Befragten gilt als nichtvulnerabel.

Erstellung des Interviewleitfadens

Der Interviewleitfaden wurde mithilfe des SPSS-Prinzips nach Helfferich (Helfferich 2011) erstellt. Zunächst wurden alle potenziellen Fragen zum Thema gesammelt und anschließend an einem Pflegenden, aber auch an einer Person, die nicht dieser Berufsgruppe angehört, erprobt und entsprechend der Verständlichkeit und Forschungsintention adaptiert. Die daraus resultierende Sammlung bestand aus insgesamt 40 Fragen. Diese Fragen wurden im Anschluss sortiert und übergeordneten Leitfragen und Schlagwörtern zugeordnet. Der Abschnitt soziodemografische und berufsbezogene Daten wurde in einem Kurzfragebogen, den die Interviewten vorab ausfüllen sollten, zusammengefasst und somit im Interviewleitfaden nicht mehr berücksichtigt.

Datenerhebung

Für die Beantwortung der Forschungsfragen wurden halbstandardisierte Interviews durchgeführt, bis eine theoretische Sättigung der Antwortenvielfalt eintrat. Die Befragungen hatten jeweils einen zeitlichen Umfang von 20 bis 45 min. Anschließend erfolgte die Transkription der Interviews, angelehnt an die Kodierregeln nach Kuckartz (2016). Sie wurden pseudoanonymisiert.

Datenauswertung

Nach der Transkription aller Interviews fand ein Vergleich der Antworten statt. Hierzu wurde die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring hinzugezogen (Mayring 2010). Mithilfe der deduktiven Vorgehensweise konnte das entstandene Textmaterial reduziert werden. Die induktive Kategorienbildung wurde ebenfalls zur Extrahierung des Materials genutzt. Daraus entstanden Kategorien und Subkategorien (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Darstellung der Kategorien und Subkategorien

Kurzbeschreibung der eingeschlossenen Befragten

Insgesamt wurden 10 Pflegende im Alter von 26 bis 52 Jahren aus 5 verschiedenen Krankenhäusern im Raum von Niedersachsen und Thüringen befragt. Zum Zeitpunkt der Befragung befanden sie sich 9 bis 36 Jahre im Berufsleben. Die Interviewten arbeiteten in verschiedenen Fachgebieten, von Neurologie, über Geriatrie, Intensiv- und Anästhesiepflege bis hin zur Notfallversorgung und dem hausinternen Pflegepool.

Ausgewählte Ergebnisse

Nachfolgend werden die Auswirkungen des Fachkräftemangels, bisher ergriffene Bewältigungsmaßnahmen sowie die Wünsche der Pflegenden aus deren Perspektive beschrieben (Kategorien 3–5). Diese ausgewählten Ergebniskategorien stellen die Notlage Pflegender deutlich heraus, die aus dem steigenden Personalmangel in der stationären Akutversorgung resultieren, sowie die Notwendigkeit von Interventionen, um die Attraktivität des Pflegeberufs in Zukunft zu steigern.

Kategorie 3: Auswirkungen des Fachkräftemangels

Die Befragten gaben an, das hygienische Arbeiten sowie das Ausrichten von Tätigkeiten nach Pflegestandards zu vernachlässigen. Der Einsatz von Hilfskräften zur Kompensation von Personalengpässen wird nicht positiv bewertet, da diese viel kontrolliert werden müssten. Auch die Teamdynamik leide. „Jeder nölt, jeder meckert und ist demotiviert und eingetrübt, nicht mehr so fit“ (I: B4, 9, 271–272). Fort- und Weiterbildungen sind, laut den Befragten, nur in der Freizeit möglich.

Häufigere Übernahmen von Schichtdiensten und Wochenendarbeit haben einen negativen Einfluss auf ihre sozialen Kontakte genommen. „Man ist natürlich, wenn man dann frei hat, nur damit beschäftigt, sich selbst zu regenerieren, wenn man das schafft, und hat kaum noch Zeit für Freunde und Familie“ (I: B1, 5, 133–135). Gesundheitliche Probleme der Interviewten äußerten sich physisch und psychisch. Alle Befragten gaben an, in einem permanenten Erschöpfungszustand gefangen zu sein. Zwei Pflegende gaben ein Gefühl ständiger Anspannung und Überlastung an: „Angespannt. Kann schlecht abschalten und überlege schon, wie der nächste Tag so wird, und da habe da eigentlich schon keine Lust mehr, dahin zu gehen“ (I: B1, 7, 189–190). Rückenschmerzen, Nackenbeschwerden, Schwindel sowie Kopfschmerzen als Folge vom stressigen Arbeitsalltag durch einen ständigen Personalmangel wurden von 7 Pflegenden angeben: „… ich war ziemlich verspannt und hatte dadurch auch richtig Schwindel und Kopfschmerzen, …“ (I: B8, 7, 212–213). Ein Befragter gab an, Infekte zu verschleppen, sodass andere Kollegen nicht einspringen müssen: „Das habe ich über Monate hingeschliffen, und irgendwann geht es gar nicht mehr“ (I: B3, 7, 213–214). Vier Pflegende berichteten, in der Vergangenheit an psychischen Problemen gelitten zu haben. Sie berichteten von Depressionen, stressbedingtem Ausschlag und einem Hörsturz, aber auch Schlafstörungen. Alle Pflegenden bemängeln die wenige Zeit, um neben den medizinischen Tätigkeiten mit den Patienten ins Gespräch kommen zu können: „Du machst eben deine Arbeit, das Medizinische. Zack, zack, weg biste“ (I: B2, 8, 256–257). Daraus resultiert nach Angaben der Befragten eine Unzufriedenheit seitens der Patienten: „Die meisten Patienten meckern“ (I: B1, 8, 226). Ebenfalls wurde von einem Pflegenden angegeben, dass Kranke eine Angst entwickelt haben, sich bei Problemen zu melden, um nicht zur Last zu fallen: „Die trauen sich meist nicht zu klingeln, weil sie nicht stören wollen“ (I: B9, 8, 248–249). Vier der 10 Befragten sehen das Risiko der Patientengefährdung aufgrund des Zeitmangels für eine professionelle und gewissenhafte Ausführung pflegerischer und medizinischer Tätigkeiten. Ein Interviewter erläutert, dass Wünsche seitens der Patienten nicht eingehalten werden können: „Wir müssen schon oft sagen, dass viele Dinge nicht umsetzbar sind […]“ (I: B10, 5, 143). Dies führt bei den Pflegefachkräften zu Frust, Unzufriedenheit und einem aggressiven Verhalten gegenüber Patienten. Zwei Befragte sagten aus, dass Bettensperrungen trotz mangelnden Pflegepersonals nicht durchgeführt und zusätzlich Zimmer belegt werden.

Alle Interviewten gaben an, dass Überlastungs- und Gefährdungsanzeigen ignoriert, sogar teilweise verboten wurden. „Da wurde wirklich gesagt, dass keine Überlastungsanzeigen geschrieben werden sollen“ (I: B1, 8, 237–238).

Kategorie 4: Bewältigungsmaßnahmen

Im Gespräch mit den Pflegenden fiel auf, dass Arbeitgeber Maßnahmen ergreifen, um diese zu unterstützen. Zum einen werden sportliche Aktivitäten angeboten, wie 3 Befragte von verschiedenen Arbeitgebern berichten. Auch Obstkörbe oder andere Incentives werden angeboten: „Er bietet Sport an, Rückenschule oder Yoga“ (I: B6, 6, 174).

Ein anderer Befragter gab an, dass das Gehalt die aktuellen Arbeitsbedingungen ausgleichen kann: „Ja, jetzt durch unsere Lohnerhöhung wird man über vieles hinweggetröstet“ (I: B2, 7, 208).

Häufig wird nicht gelobt, sondern negative Aspekte werden durch das Management hervorgehoben: „Es kommt zwar schon mal Lob, aber meist werden die negativen Dinge hervorgehoben“ (I: B5, 8, 238–239).

Kategorie 5: Wünsche der Pflegenden

Alle Befragten gaben an, sich eine adäquate Bezahlung und Urlaub zu wünschen: „Mehr Geld. Mehr Urlaub. Weniger Schriftkram. Das ist ganz wichtig für mich, und dass die Ärzte ihre Arbeit machen und die Schwestern ihre Arbeit“ (I: B3, 2, 36–37). Hier werden zusätzlich die Wünsche nach Wertschätzung der Pflege in einem interdisziplinären Team sowie eine Abnahme dokumentarischer Aufgaben deutlich.

Fünfzig Prozent der Befragten schlugen Bettensperrungen bei akuten Personalengpässen vor: „Für mich wäre eine direkte Entlastung, wenn der Chefarzt sofort weiß, dass 3 bis 4 Leute krank sind und 5 Betten gesperrt werden“ (I: B4, 8, 254–256).

Alle äußerten den Wunsch nach mehr Personal und somit auch mehr Zeit, um sich um die Patienten kümmern zu können.

Ein weiterer Wunsch eines Pflegenden war die Schaffung eines positiven Arbeitsklimas.

Ein Interviewter wünschte sich flexiblere Arbeitszeiten: „Also, schöner wäre es, wenn man auch die Möglichkeiten hat, die Arbeitszeiten flexibler zu gestalten. … Es muss die Möglichkeit geben, auch nur in einer Schicht zu arbeiten“ (I: B10, 2, 48–49).

Fünf Pflegende würden sich von der Politik eine bessere Aufklärung über den Beruf und damit ein positiveres Image der Pflege wünschen, um wieder mehr Menschen in diesen Arbeitsbereich zu locken.

Ebenso sagten 3 Pflegende aus, eine Umstrukturierung des Gesundheitswesens für sinnvoll zu halten und die Einführung eines festen Personalschlüssels, angepasst an die Patientenzahl, zu befürworten.

Diskussion

Sichtweise Pflegender

Die Gründe für die Wahl des Pflegeberufs sind vielfältig. In den Interviews gaben 6 der 10 Befragten an, den Beruf heute nicht noch einmal zu wählen und über einen Branchenwechsel nachzudenken. Der Wunsch nach einem Berufsausstieg wird durch den Konflikt von Arbeit und Familie verstärkt (Büscher et al. 2005). Jeder vierte Pflegende im Krankenhaus denkt laut der NEXT-Studie an einen Berufsausstieg. Es besteht dort ein Aussteigerpotenzial von 29 % (Büscher et al. 2005). Dies ist auf die drastische Entwicklung, welche der Pflegeberuf genommen hat, zurückzuführen und begründet ebenfalls die Aussage der Befragten, nicht bis zur Rente in der Pflege bleiben zu wollen.

Entwicklung der Pflege

61 % der Pflegenden in Deutschland berichten über eine Stresszunahme in den letzten 2 Jahren (BIBB/BAuA 2012). Dies wurde auch durch die Aussagen der Interviewten belegt. Die Zunahme pflegebedürftiger Patienten durch den demografischen Wandel ist spürbar (Pfaff 2011). Dies führt zu einem zusätzlichen Anstieg der Berufsanforderungen.

Die NEXT-Studie ergab, dass in keinem anderen beteiligten Land die Arbeitsanforderungen so hoch sind wie in Deutschland. Das bedeutet, dass den Pflegenden die Zeit fehlt, ihre Arbeiten professionell auszuführen oder zu beenden. Zudem können sie ihre Pausenzeiten nicht einhalten und haben nicht genügend Zeit sich mit den Patienten zu unterhalten (Büscher et al. 2005).

In den Befragungen gaben die Pflegenden an, dass eine erhöhte Arbeitsbelastung auch auf die Übernahme ärztlicher Tätigkeiten zurückzuführen ist. „Ein Fünftel der Pflegenden im Krankenhaus verwenden mehr als 20 % der Arbeitszeit für ‚pflegefremde Tätigkeiten‘“ (Büscher et al. 2005).

Nicht nur examiniertes Personal, sondern auch die Auszubildenden leiden unter den hohen Arbeitsanforderungen. Im Ausbildungsreport für Pflegeberufe 2015 wurde deutlich, dass Auszubildende zusätzlich zu den Anforderungen der Pflegeausbildung unter dem Druck und der damit verbundenen Überlastung und Überforderung durch die derzeitigen Arbeitsbedingungen leiden (Bühler 2015). Diese Tatsache bestätigt die Aussagen der Befragten, dass die Pflege mittlerweile unattraktiv geworden ist und ein Teil der Auszubildenden, welche jetzt den Beruf erlernen, nicht lange im Beruf bleiben werden.

In der NEXT-Studie wurde zudem erkannt, dass der Einfluss auf die Gestaltung von Arbeitsabläufen einen positiven Effekt auf die Zufriedenheit und auf die Vermeidung psychischer und körperlicher Erkrankungen bei Pflegenden hervorruft (Büscher et al. 2005). Auch die Befragten gaben an, ihre Arbeit nicht nach dem von ihnen gewünschten Ablauf durchführen zu können und ärztliche Tätigkeiten zu übernehmen, was deren Unzufriedenheit nachvollziehbar macht. „So arbeiten von ihnen ca. 66 % sowohl häufig unter ‚starkem Termin- und Leistungsdruck‘ als auch häufig unter Störungen und Unterbrechungen“ (BIBB/BAuA 2012).

Folgen des Fachkräftemangels

In deutschen Krankenhäusern sind Spannungen und Feindseligkeiten gegenüber allen Personengruppen wie Pflegedienstleitung, Teamleitungen, Kollegen etc. am stärksten ausgeprägt (Büscher et al. 2005). Für 80 % sind Gemeinschaftsgefühl, gute Zusammenarbeit und Unterstützung am Arbeitsplatz jedoch sehr wichtig (BIBB/BAuA 2012). 54 % der Krankenpfleger gaben häufige Pausenausfälle an, welche mit zu viel Arbeit begründet werden (BIBB/BAuA 2012). 34 % fühlen sich überfordert. Das sind doppelt so viele wie in anderen Branchen (Büscher et al. 2015). Ein Überschreiten von 40 Arbeitsstunden in der Woche kann die Patientensicherheit zusätzlich gefährden (Aiken et al. 2004). Die Auswertung von 66.000 Fragebogen von Patienten der englischen Gesundheitsbehörde ergab einen Zusammenhang zwischen pflegepersonellen Ressourcen und Vertrauen gegenüber dem Pflegepersonal. So bewerteten 57,3 % der Patienten ihren Krankenhausaufenthalt als ausgezeichnet, wenn sie sich durch ausreichend Personal versorgt fühlten (TU Berlin 2018). Laut der RN4CAST-Studie ist Deutschland mit durchschnittlich 10 Patienten/Pflegekraft in einer Schicht Spitzenreiter gegenüber anderen europäischen Ländern, was wiederum bedeutet, dass bestimmte Pflegemaßnahmen nicht durchgeführt werden können. Das bestätigen 84 % der Befragten. So wurden die Patientenbeobachtung, Gespräche und Beratung von Patienten und Angehörigen vernachlässigt.

Muskuloskeletale und psychovegetative Beschwerden liegen in den Pflegeberufen mit jeweils 82 und 73 % über dem Durchschnitt (BIBB/BAuA 2012). In der NEXT-Studie stuften 8 % der Gesundheits- und Krankenpfleger ihren Gesundheitszustand als schlecht ein. Auch die Befragten dieser Forschungsarbeit äußerten ein ständiges Gefühl der Erschöpfung durch die Arbeit in der Pflege. Durchschnittlich gehen Pflegende 4,7 Tage/Jahr zur Arbeit, obwohl sie krank sind (Büscher et al. 2005). Gründe hierfür wurden nicht angegeben. Allerdings gab ein Befragter im Interview an, den Kollegen nicht zur Last fallen zu wollen und deshalb Krankheiten zu verschleppen.

In Bezug auf soziale Kontakte wurde in der Studie ein Zusammenhang zwischen hohen Arbeitsanforderungen und einem ausgeprägten Konflikt zwischen Arbeit und Familie herausgearbeitet, was die Aussagen der Befragten verifiziert (Büscher et al. 2005). So ist es nicht verwunderlich, dass die Interviewten aussagten, in ihrer Freizeit keine Fort- und Weiterbildungsangebote zu besuchen. Die Pflegestudie der Universität Niederrhein fand in diesem Zusammenhang heraus, dass ein Großteil der Pflegenden (55 %) in deutschen Krankenhäusern ausschließlich während der Arbeitszeit an Fort- und Weiterbildungen teilnimmt (Gerngras et al. 2017).

Entlastende Maßnahmen sind dringend notwendig

Die Befragungen der Pflegenden verdeutlichen, dass Lob, Wertschätzung und Anerkennung durch den Arbeitgeber die Arbeitsmotivation steigern würden. Ein Anreiz wie Lob kann aktivierend wirken und für einen bestimmten Zeitraum das menschliche Verhalten und dessen Zielsetzung beeinflussen, beispielsweise die Mitarbeit zum Erreichen des Unternehmensziels eines Krankenhauses sowie die Bewältigung hoher Arbeitsanforderungen (Müller 2004).

In den Interviews wurde die unzureichende Vergütung der Arbeitsleistung von den Pflegenden benannt. Es zeigte sich, dass die Zufriedenheit mit der Bezahlung mit zunehmender Qualifikation abnimmt (Büscher et al. 2005). Diese Ergebnisse decken sich ebenfalls mit den Antworten der Befragten, sodass eine Lohnerhöhung zu einer Steigerung der Zufriedenheit führt.

Die Pflegestudie 2017 hebt ebenfalls einen wachsenden Bedarf an Weiterbildungen zum Thema „Selbstpflege“ im Hinblick auf demografische Entwicklungen und den bestehenden Fachkräftemangel hervor, um diesen Auswirkungen entgegenwirken zu können (Walter 2015).

Zukünftig ist es wichtig die Motivation von Pflegenden im Krankenhaus durch eine entsprechende Vergütung und Zeichen von Wertschätzung seitens des Arbeitsgebers zu steigern und Bewältigungsmaßnahmen anzubieten, um Fachkräfte in der Pflege vor den Folgen des Fachkräftemangels zu schützen und Anreize zu schaffen, im Beruf bleiben zu wollen (Dawson et al. 2014).

Pflegende haben klare Wünsche für ihre berufliche Zukunft

Die Befragten gaben in den Interviews an, sich verschiedene Veränderungen zu wünschen, die den Arbeitgeber und die Politik betreffen. Vor allem die Einführung eines Personalschlüssels, abgestimmt auf die Anzahl der Patienten, wurde geäußert. Dieser kann das Risiko an Folgen, wie Burn-out und Depressionen, zu erkranken, senken (Aiken et al. 2013).

Darüber hinaus fordern Pflegekräfte, dass der Beruf attraktiver gestaltet wird. In Maryland wurde beispielsweise ein „Nurse-support“-Programm eingeführt. Von 2006 bis 2015 wurden ca. 100 Mio. $ in die Ausbildung neuer Pflegekräfte investiert und so die Zahl der Absolventen um 27 % gesteigert (Kim et al. 2017).

Die Zahl der Pflegekräfte kann ebenfalls durch Migranten als potenzielle Arbeitskräfte gesteigert werden. Sie stellen zukünftig eine bedeutende Ressource zur Bewältigung des Fachkräftemangels dar (Allutis et al. 2014).

Limitation

Die Auswahl eines qualitativen Studiendesigns führt zu einer Beschreibung subjektiver Meinungen und Einstellungen. Eine weitergehende Fokussierung unter dem Aspekt der Gesundheitsförderung wäre notwendig gewesen und wurde aus forschungspragmatischen Gründen nicht durchgeführt.

Grundsätzlich ist zu sagen, dass die Gesamtheit der Befragten eine kleine Stichprobe darstellt und die Ergebnisse nicht ohne vergleichbare Forschungen verallgemeinert werden können.

Schlussfolgerung

Es stellten sich gravierende Veränderungen im Erleben Pflegender durch den Personalengpass heraus, welche mit dem aktuellen Forschungsstand korrelieren. Dies hat Einfluss auf verschiedene Bereiche, wie das Krankenhausmanagement sowie die Medizin- oder Pflegepädagogik. Aus pädagogischer Sicht müssen Schüler schon während der Ausbildung durch Unterrichtsinhalte wie Gesundheitsförderung und Prävention verstärkt auf die Situation in Krankenhäusern vorbereitet werden. Auch examinierte Pflegefachkräfte sollten regelmäßig Techniken zur Gesundheitsförderung in Fort- und Weiterbildungsprogrammen erlernen, um sich vor psychischen, aber auch physischen Erkrankungen schützen zu können. Auf Managementebene müssen Maßnahmen eingeleitet werden, die die Mitarbeiter der Pflege entlasten, beispielsweise attraktive Arbeitsbedingungen, ein dem Patientenumfang angemessener Personalschlüssel und finanzielle Anreize. Die Auswahl und Durchführung entsprechender Maßnahmen als Interventionen müssen wissenschaftlich fundiert, begleitet und implementiert werden.

Die Auswirkungen des Fachkräftemangels in der Pflege lassen sich quantitativ darstellen, zeigen aber nicht die emotionalen Auswirkungen und Bedürfnisse, die von den Pflegenden hier in dieser Studie benannt werden. Diese gilt es, ernst zu nehmen, und sollten einen enormen Handlungsanreiz für Politik und Gesundheitsunternehmen darstellen.