Ältere Migrant*innen sind die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe in Deutschland. Schätzungen zufolge wird der Anteil aller über 65-jährigen Migrant*innen von 9,4 % im Jahr 2011 auf 15,1 % im Jahr 2032 ansteigen (Kohls 2012). In Anbetracht des demografischen Wandels innerhalb der Migrantengruppen lässt sich vorhersagen, dass ältere Migranten*innen verstärkt von Erkrankungen und Pflegebedürftigkeit betroffen sein werden. Dadurch sind einerseits die Einrichtungen des Pflege- und Gesundheitssystems angehalten, sich auf eine wachsende Zahl pflegebedürftiger Menschen mit Migrationshintergrund einzustellen, und andererseits gewinnen die Fragen zur Pflegeversorgung seitens dieser Migrantengruppen aber auch ihrer Angehörigen zunehmend an Bedeutung. Allerdings gibt es viele Hinweise darauf, dass der Zugang der Migrant*innen zu den Angeboten der Einrichtungen der Aufnahmegesellschaft durch eine Vielzahl an diversen Barrieren erschwert ist (Schopf und Naegele 2005; Yilmaz-Aslan et al. 2012; Penka et al. 2015; Tezcan-Güntekin und Breckenkamp 2017; Aşkın 2018). Um die Zugangsbarrieren zu verringern, wird die Strategie der interkulturellen Öffnung angewendet.

Eine interkulturelle Öffnung der Einrichtungen soll demnach zur Verbesserung einer gleichberechtigten Teilhabe der Migrant*innen an für sie eingerichteten Angeboten beitragen (Schirilla 2016). Die interkulturelle Öffnung kann definiert werden als „ein bewusst gestalteter Prozess, der (selbst)reflexive Lern- und Veränderungsprozesse von und zwischen unterschiedlichen Menschen, Lebensweisen und Organisationsformen ermöglicht, wodurch Zugangsbarrieren und Abgrenzungsmechanismen in den zu öffnenden Organisationen abgebaut werden und Anerkennung ermöglicht wird“ (Schröer 2007, S. 83). Zur Erreichung der interkulturellen Öffnung ist eine strategische interkulturelle Orientierung einer Einrichtung erforderlich, die eine konsequente Umsetzung der Maßnahmen zur interkulturellen Öffnung einer Einrichtung ermöglicht (Schröer 2018). Bei der interkulturellen Öffnung einer Organisation handelt es sich um einen Wandel von Organisationsstrukturen. Interkulturelle Öffnung ist somit als ein zielgerichteter Prozess der Organisationsentwicklung zu verstehen, der sich sowohl auf die strukturelle als auch auf die personale Ebene bezieht (Hagemann und Vaudt 2012; Gentner und Kempkes 2014).

Trotz der reichhaltigen politisch-rechtlichen und soziokulturellen Impulse zur interkulturellen Öffnung ist allerdings festzustellen, dass die tatsächliche Umsetzung der interkulturellen Öffnung bei den Einrichtungen der pflegerischen Altenhilfe bisher noch lediglich eine punktuelle Erscheinung aufweist (Zanier 2015; Aşkın 2018). Die vorliegende Arbeit versucht somit, einen Überblick über die aktuelle Lage der interkulturellen Orientierung und interkulturellen Öffnung der Einrichtungen im Bereich der Pflege in Berlin zu schaffen.

Methode

Stichproben und Datengewinnung

Diese Analyse wird mit Daten durchgeführt, die im Rahmen der Studie zur Analyse der Versorgung von Pflegebedürftigen mit Migrationshintergrund im Jahr 2018 erhoben wurden (Kim 2019). Für die Befragung der pflegerischen Einrichtungen in Berlin wurde eine Online-Befragung durchgeführt, die im Zeitraum vom 29.10. bis zum 15.11.2018 stattfand.

Insgesamt wurden 1122 Einrichtungen in Berlin zur Online-Befragung eingeladen. Nach Kontrolle und Aufbereitung der durch die Erhebung gewonnenen Daten stehen für die Analyse Angaben von 231 Einrichtungen zur Verfügung, was einer Rücklaufquote von 20,6 % entspricht. Bei 41,6 % der befragten Einrichtungen handelt es sich um ambulante Dienste (n = 96) und bei 27,7 % um teil- bzw. stationäre Einrichtungen (n = 64), bei 14,7 % um Einrichtungen mit einem Angebot zur Unterstützung im Alltag (n = 34), bei 10,0 % um Beratungsstellen (n = 23) und bei 4,3 % um ambulant betreute Wohngemeinschaften (n = 10), wobei sich vier Einrichtungen als „Sonstige“ bezeichneten.

Eingesetzte Verfahren

Um die Ausgangsfrage zu beantworten, wurden den befragten Einrichtungen 22 Items mit ratingskalierten Antwortmöglichkeiten gestellt, die die Sensibilität für die interkulturelle Öffnung (3 Items) und den Stand der interkulturellen Öffnung der Einrichtung (19 Items) erfassen soll. Für die vorliegende Studie wurden die Items in Anlehnung an die Studie „Versorgungssituation älterer Menschen mit Migrationshintergrund in der Pflege in Baden-Württemberg“ (Gladis et al. 2014) und an den Fragebogen, der von der Diakonie zur Evaluation des Projekts „Interkulturelle Öffnung – Führungsaufgabe in einer Diakonie der Vielfalt“ entwickelt worden ist (Diakonie-Deutschland evangelischer Bundesverband e. V. 2018), modifiziert und eingesetzt.

Die drei Items zur Erfassung der Sensibilität beziehen sich jeweils auf die Aspekte Handlungsbedarf, Wachstumsprognose und Wirtschaftlichkeit, die mit vierstufigen Rating-Skalen von „Trifft voll zu“ bis „Trifft überhaupt nicht zu“ beantwortet werden konnten.

Die 19 Items zur Erfassung des interkulturellen Standes untergliedern sich in drei Dimensionen: Interkulturelle Öffnung auf Struktur‑, Prozess und Ergebnisebene (jeweils 8, 7 und 4 Items), die mit den folgenden sechs Antwortmöglichkeiten von „Stand nicht bekannt“, „noch nicht diskutiert“, „bereits diskutiert“, „Umsetzung beschlossen“, „teilweise umgesetzt“ und „vollständig umgesetzt“ beantwortet wurden. Bei der Antwortmöglichkeit „noch nicht diskutiert“ handelt es sich um eine Abkürzung für „Stand bekannt, aber noch nicht diskutiert“, worüber die befragten Einrichtungen bei der Befragung ausführlich informiert worden sind.

Statistische Datenanalyse

Zur Auswertung der Daten wurden SPSS 25 (IBM, Amonk, NY, USA) und Excel 2016 (Microsoft, Redmond, WA, USA) eingesetzt. Die Variablen wurden mit Hilfe von diversen (nicht)parametrischen Tests, wie die einfaktorielle Varianzanalyse oder Korrelationsanalyse verglichen, beim Vorliegen einer Verletzung einer Voraussetzung dann mit Hilfe eines nichtparametrischen Tests.

Da es sich beim Fragebogen nicht um psychometrische Tests handelt, wird davon ausgegangen, dass die fehlenden Werte keine erheblichen Probleme bei der statistischen Auswertung und Interpretation der Studie bewirken. Bei der Analyse für diesen Bericht sind die fehlenden Werte paarweise ausgeschlossen, d. h. es werden die Werte einer Person nur bei Berechnung jener Kennwerte ausgeschlossen, bei denen fehlende Werte vorliegen. Das geht z. T. damit einher, dass die Anzahl der Befragten in der deskriptiven Beschreibung demografischer Daten mit der Zahl der befragten Einrichtungen bei einzelnen Fragen nicht identisch sein kann.

Ergebnisse

Sensibilität der befragten Einrichtungen für die interkulturelle Öffnung

Knapp 50 % der befragten Einrichtungen waren der Meinung, dass ein Handlungsbedarf bei der pflegerischen Versorgung von Menschen mit Migrationshintergrund besteht (a). Zu der Vorhersage, dass der Anteil Pflegebedürftiger mit Migrationshintergrund wächst, antworteten allerdings weniger als die Hälfte der befragten Einrichtungen mit „trifft voll zu“ (14,4 %, n = 31) oder „trifft eher zu“ (25,6 %, n = 55; Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Sensibilität für die interkulturelle Öffnung der Einrichtungen

In Bezug auf die wirtschaftliche Bedeutsamkeit der Versorgung Pflegebedürftiger mit Migrationshintergrund war die überwiegende Mehrheit der befragten Einrichtungen der Meinung, dass dies wirtschaftlich „eher nicht“ (33,8 %, n = 63) oder „überhaupt nicht“ (39,4 %, n = 84) bedeutend ist.

Betrachtet man das Ergebnis bezüglich der wirtschaftlichen Bedeutsamkeit (c) nach der Einrichtungsform, ist zu erkennen, dass sich die befragten Einrichtungen diesbezüglich unterscheiden (F[5,203] = 3,57, p = 0,004, \(\eta ^{2}\) = 0,08, n = 209). Daraufhin zeigte eine Post-hoc-Analyse, dass sich insbesondere die Antworten der befragten ambulanten Wohngemeinschaften (M = 1,78, SD = 1,09) signifikant von den Antworten der anderen Einrichtungen unterscheiden (mit stationärer Pflege M = 3,02, SD = 0,88, p = 0,014; teilstationärer Pflege M = 3,29, SD = 1,05, p = 0,005; ambulanter Pflege M = 2,93, SD = 1,01, p = 0,02; Beratungsstellen M = 3,39, SD = 1,15, p = 0,002; Angebot zur Unterstützung im Alltag M = 3,10, SD = 1,09, p = 0,011). Das bedeutet, dass die befragten ambulanten Wohngemeinschaften der Wirtschaftlichkeit bei der Versorgung Pflegebedürftiger mit Migrationshintergrund mehr Bedeutung beimessen als die anderen Einrichtungen.

Interkulturelle Öffnung auf der Strukturebene

Die Items spiegeln den Entwicklungsprozess einer Organisation zur interkulturellen Öffnung auf der Strukturebene wider. Wie der Abb. 2 zu entnehmen ist, unterscheidet sich der Stand der interkulturellen Öffnung der befragten Einrichtungen in vielen Aspekten von der strukturellen interkulturellen Öffnung. Der am weitestgehend umgesetzte Aspekt unter den befragten Einrichtungen ist die Verankerung interkultureller Gesichtspunkte in den Konzepten der Einrichtungen.

Abb. 2
figure 2

Strukturelle interkulturelle Orientierung

So gaben 48,7 % der befragten Einrichtungen (n = 95) an, interkulturelle Aspekte in Konzepten der Organisationen „teilweise“ (23,1 %, n = 45) oder „vollständig“ (25,6 %, n = 50) verankert zu haben. Knapp 20 % haben hierfür die Antwortmöglichkeit „bereits diskutiert“ (16,4 %, n = 32) oder eine „Umsetzung beschlossen“ (21,0 %, n = 9) angekreuzt. Jedoch führten 30,3 % der befragten Einrichtungen an, dass dies „noch nicht diskutiert“ (24,1 %, n = 47) wurde oder „nicht bekannt ist“ (6,2 %, n = 12).

Im Vergleich dazu ist festzustellen, dass eine strukturierte Zusammenarbeit mit Migrantenorganisationen zur interkulturellen Öffnung nur selten stattfindet. Mehr als zwei Drittel der befragten Einrichtungen gaben an (67,7 %, n = 132), dass ein Aufbau eines regelmäßigen Austausches für die interkulturelle Öffnung z. B. mit Migrantenorganisationen, Initiativen bzw. ehrenamtlichen herkunftssprachlichen Besuchsdiensten bei ihren Einrichtungen „noch nicht diskutiert“ (49,2 %, n = 132) wurde oder „nicht geplant“ (18,5 %, n = 36) ist. Der Anteil der Einrichtungen, die dies „teilweise umgesetzt“ oder „vollständig umgesetzt“ haben, lag hingegen bei nur 16,4 % (n = 32).

Interkulturelle Öffnung auf der Prozessebene

Bei der interkulturellen Öffnung auf der Prozessebene handelt es sich um die Frage, inwieweit interkulturelle Aspekte und ihre Maßnahmen im Ablauf der Organisationen berücksichtigt und umgesetzt werden.

Wie in Abb. 3 zu sehen ist, führten 73,8 % der befragten Einrichtungen an (n = 135), dass das Bereitstellen von Haushaltsmitteln zur Umsetzung interkultureller Maßnahmen „noch nicht diskutiert“ wurde (50,3 %, n = 92) oder „nicht bekannt“ war (23,5 %, n = 43). Dagegen haben lediglich 24 Einrichtungen (13,1 %) dies „teilweise“ (9,3 %, n = 17) oder „vollständig“ (3,8 %, n = 7) umgesetzt. Außerdem war bei knapp 70,0 % der befragten Einrichtungen die Zuständigkeit für die Zusammenarbeit mit Migrantenorganisationen bzw. Initiativen nicht festgelegt (nicht bekannt, 22,0 %, n = 41) oder noch „nicht diskutiert“ (47,3 %, n = 129).

Abb. 3
figure 3

Interkulturelle Öffnung auf Prozessebene

Der am meisten, dennoch wenig umgesetzte Aspekt diesbezüglich ist das Angebot von Fortbildungen zur Stärkung der interkulturellen Kompetenz der Mitarbeiter*innen, wobei 54 Einrichtungen (28,9 %) auf die Frage nach der Implementierung mit „teilweise umgesetzt“ (17,1 %, n = 32) oder „vollständig umgesetzt“ (11,8 %, n = 22) antworteten.

Interkulturelle Öffnung auf Ergebnisebene

In Bezug auf die interkulturelle Öffnung auf der Ergebnisebene scheinen viele Einrichtungen noch nicht den Schritt erreicht zu haben, ihren Stand zur interkulturellen Öffnung zu evaluieren. Wie Abb. 4 zu entnehmen ist, gaben bei allen Aspekten mehr als die Hälfte der befragten Einrichtungen an (von 61,6 % bis zu 74,9 %), dass eine Entwicklung passender Instrumente zur Erhebung der interkulturellen Öffnung in ihrer Organisation noch nicht diskutiert wurde oder ihnen nicht bekannt ist.

Abb. 4
figure 4

Interkulturelle Öffnung auf der Ergebnisebene

Am meisten umgesetzt ist der Aspekt bezüglich der Klient*innen mit Migrationshintergrund: 24,3 % der befragten Einrichtungen (n = 45) haben die Maßnahmen zur Erhebung der Zufriedenheit der Klient*innen mit Migrationshintergrund „teilweise“ (12,4 %, n = 23) oder „vollständig“ (11,9 %, n = 22) umgesetzt.

Zur Überprüfung der Frage, ob sich der Umsetzungsstand auf den drei Ebenen der interkulturellen Öffnung unterscheidet, wurden aus der jeweiligen Ebene die Maße der zentralen Tendenz von den Antwortkategorien ermittelt, wobei auf eine empirische Überprüfung der Skalenaxiomatik verzichtet wurde (Bortz und Schuster 2010). Für die Berechnung wurde allerdings die erste Antwortkategorie „Stand nicht bekannt“ ausgeschlossen, damit die Antwortkategorien eine noch deutlichere Ranginformation aufweisen können, d. h. für den Vergleich wurden ausschließlich die Einrichtungen verglichen, bei denen der Stand der Umsetzung bekannt ist – von „2 noch nicht diskutiert“ bis „6 Vollständig umgesetzt“. Die Nummerierung 1 bis 5 im Diagramm entspricht somit den Antwortmöglichkeiten von „2 noch nicht diskutiert“ bis „6 vollständig umgesetzt“ (Abb. 5), wobei von einer Äquidistanz zwischen den Antwortmöglichkeiten ausgegangen wurde. Der Anteil der Einrichtungen, bei denen der Stand der Umsetzung bekannt ist, liegt auf der Strukturebene bei 85,2 %, auf der Prozessebene bei 80,8 % und auf der Ergebnisebene bei 75,3 %.

Abb. 5
figure 5

Vergleich zwischen den Ebenen der interkulturellen Öffnung

Laut der vorliegenden Analyse unterscheiden sich die drei Ebenen voneinander (χ2[2] = 35,34; p < 0,001, n = 139; post-hoc: a/b z = 4,08; p < 0,001; a/c z = 5,10; p < 0,001; b/c z = 1,02, n. s.). Das bedeutet, dass die Maßnahmen zur interkulturellen Öffnung auf der Strukturebene unter den befragten Einrichtungen am weitesten umgesetzt wurden (M = 2,36, SD = 1,08), gefolgt auf der Prozessebene (M = 2,17, SD = 1,16). Die interkulturelle Öffnung auf der Ergebnisebene kam unter den befragten Einrichtungen am wenigsten zustande (M = 1,99, SD = 1,35). Insgesamt weist das Ergebnis darauf hin, dass der interkulturelle Öffnungsstand der pflegerischen Einrichtungen in Berlin hinsichtlich der erhobenen interkulturellen Aspekte nicht zufriedenstellend ist.

Zum Schluss wurde überprüft, ob es einen Zusammenhang der Sensibilität für die interkulturelle Öffnung mit den Ebenen der interkulturellen Öffnung gibt (Tab. 1).

Tab. 1 Nichtparametrische Korrelation zwischen Aspekten der Sensibilität für die interkulturelle Öffnung und Ebenen der interkulturellen Öffnung

Die Ergebnisse zeigen, dass das Ausmaß der wirtschaftlichen Bedeutung mit allen drei Ebenen signifikant korreliert. Das deutet darauf hin, dass die Maßnahmen zur interkulturellen Öffnung bei den befragten Einrichtungen umso häufiger umgesetzt werden, je mehr sie der Versorgung der Migrant*innen eine wirtschaftliche Bedeutung beimessen. Weiter zeigte die Spearman-Korrelation, dass die Aussage „Es wächst der Anteil Pflegebedürftiger mit Migrationshintergrund“ mit den Struktur- und Prozessebenen signifikant korreliert. Das verweist darauf, dass die Einrichtungen, die der Aussage eher zustimmen, die Maßnahmen zur interkulturellen Öffnung auf der Struktur- und Prozessebene in größerem Maß umgesetzt haben als diejenigen, die sich der Aussage eher nicht anschließen. Des Weiteren wurde gezeigt, dass die letzte Aussage über die Sensibilität „Es besteht Handlungsbedarf […]“ ebenfalls mit den drei Ebenen signifikant korreliert, was bedeutet, dass die Maßnahmen auf den drei Ebenen bei den Einrichtungen mehr umgesetzt wurden, die der Aussage eher zustimmen, als bei denen, die ihr eher nicht zustimmen.

Diskussion

Die interkulturelle Öffnung hat klare und leicht nachvollziehbare Zielsetzungen: Institutionen und Einrichtungen sollten sich für jede Person, unabhängig von ihrem kulturellen Hintergrund, zugänglich stellen, um eine gleichberechtigte Teilhabe zu gewährleisten. Das Ziel scheint in seinem Selbstverständnis leicht erreichbar zu sein (Busch 2014; Schröer 2018). Allerdings ist davon auszugehen, dass die interkulturelle Öffnung trotz der gesetzlichen und ethischen Verankerung in der praktischen Umsetzung einen Aufholbedarf aufweist (Aşkın 2018, S. 686), worauf die vorliegende Studie bei den befragten Einrichtungen im Pflegebereich in Berlin auch hinweisen konnte: Die befragten Einrichtungen haben im Durchschnitt zwar über die Maßnahmenumsetzung auf der Strukturebene zur interkulturellen Öffnung zum Zeitpunkt der Befragung bereits diskutiert, darüber allerdings noch keine Entscheidungen über die Umsetzung getroffen. Außerdem ist über die Umsetzung unterschiedlicher Maßnahmen auf der Prozess- und Ergebnisebene bei der Mehrheit der befragten pflegerischen Einrichtungen in Berlin noch nicht einmal diskutiert worden.

Ein Grund für den niedrigen interkulturellen Stand steht aufgrund der vorliegenden Studie im Zusammenhang mit der niedrigen Sensibilität der pflegerischen Einrichtungen für die interkulturelle Orientierung. Der aufgezeigte signifikante Zusammenhang zwischen den jeweiligen Aspekten der Sensibilität und dem Umsetzungsgrad der interkulturellen Maßnahmen auf den jeweiligen Qualitätsebenen deutet darauf hin, dass das Ausmaß der interkulturellen Sensibilität auf die interkulturelle Orientierung Einfluss nimmt: Die Einrichtungen, die die wirtschaftliche Bedeutsamkeit für die Versorgung der Menschen mit Migrationshintergrund in ihren Einrichtungen mehr schätzten, zeigten einen höheren Umsetzungsgrad der Maßnahmen auf allen drei Ebenen als diejenigen, die dies eher als nicht bedeutend betrachteten. Bei den Einrichtungen, die der Einschätzung nach einer Zunahme der Klient*innen mit Migrationshintergrund im Einzugsgebiet mehr zustimmten, wurden mehr Maßnahmen auf der Struktur- und Prozessebene umgesetzt als bei denjenigen, die sich dem eher nicht anschließen. Außerdem zeigt sich, dass die interkulturellen Maßnahmen auf allen drei Ebenen bei den Einrichtungen häufiger umgesetzt wurden, die davon ausgingen, dass ein Handlungsbedarf für Menschen mit Migrationshintergrund besteht, als bei denjenigen, die nicht davon ausgingen. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass eine hohe Sensibilität einer Einrichtung für interkulturelle Orientierung eine der wesentlichsten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung der Maßnahmen zur interkulturellen Öffnung darstellt.

Diesbezüglich ist vor allem bedenklich, dass 73,2 % der befragten Einrichtungen keine wirtschaftliche Bedeutung in der Versorgung der Menschen mit Migrationshintergrund sahen. Das stimmt mit dem Ergebnis der oben genannten baden-württembergischen Studie in einem nahezu gleichen Verhältnis überein, wobei 79,1 % der befragten Einrichtungen dieselbe Frage mit „Nein“ beantwortet haben (Gladis et al. 2014). In Deutschland sind pflegerische Einrichtungen durch die marktgesteuerte Pflegestruktur immer mehr einem Konkurrenzdruck ausgesetzt (Heberger 2014). In Anbetracht dessen und des demografischen Verhältnisses der Migrantengruppen zu den einheimischen Gruppen erweist es sich dann als selbstverständlich, dass die Bereitschaft der Einrichtungen zur interkulturellen Öffnung einem ökonomischen Kalkül unterliegt (Thum et al. 2017, S. 39), es sein denn, dass die Umsetzung der interkulturellen Maßnahmen für die pflegerischen Einrichtungen kein Mittel zum Zweck, sondern schon selbst einen Zweck darstellt (Schröer 2018). Dazu kommt noch ein weiteres Problem auf die pflegerischen Einrichtungen zu, das sie von der intensiven Auseinandersetzung mit der interkulturellen Öffnung ablenkt: Personalmangel im Pflegebereich, von dem in Medien regelmäßig berichtet wird. Vor diesem Hintergrund ist es angeraten, Strategien unter Berücksichtigung der gegebenen strukturellen, politischen und sozialen Rahmenbedingungen zu entwickeln, an denen sich die Einrichtungen bei der Umsetzung der interkulturellen Maßnahmen so orientieren können, dass sie eine Ausgewogenheit zwischen dem Zweck der Gewinnerzielung der marktgesteuerten Pflegeeinrichtungen und dem der interkulturellen Öffnung, die einen Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit leisten soll, finden können.

Darüber hinaus wurde gezeigt, dass sich die befragten Einrichtungen je nach der Einrichtungsform in der wirtschaftlichen Sensibilität unterscheiden, wobei die befragten Wohngemeinschaften der Wirtschaftlichkeit in der Versorgung der Migrant*innen mehr Bedeutung beimessen. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass in den letzten Jahren eine Spezialisierung der Wohngemeinschaften für Migrantengruppen stattgefunden hat, weil Wohngemeinschaften nicht selten von vielen Expert*innen und Betroffenen als geeignete Wohnform für pflegebedürftige ältere Migrant*innen betrachtet werden (Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen 2014; Tezcan-Güntekin et al. 2015). Allerdings ist zu beachten, dass die Ergebnisse der Analyse nach der Einrichtungsform in dieser Studie aufgrund des teilweise großen Unterschieds der Anzahl der jeweiligen befragten Einrichtungsformen sowie der geringen Anzahl der teilgenommenen Wohngemeinschaften nur begrenzt interpretiert werden können.

Limitation

Bei der Befragung sind die unterschiedlichen Rücklaufquoten nach den Einrichtungsformen als kritischer Punkt der vorliegenden Arbeit zu betrachten, was in erster Linie auf den zu kurzen Erhebungszeitraum zurückzuführen ist. Dadurch wurde insbesondere erschwert, die Ergebnisse nach der Einrichtungsform noch detaillierter zu interpretieren. Ein weiterer Schwachpunkt zeichnet sich in der Methode für die Erfassung des Standes der interkulturellen Öffnung bei den Einrichtungen ab: Einerseits war die Erfassung des interkulturellen Standes ausschließlich auf die Selbstauskunft der Einrichtungen angewiesen und andererseits ist die Validität des eingesetzten Messinstruments zur Erfassung des interkulturellen Standes noch nicht überprüft worden, wofür die mangelhafte Entwicklung des Konzeptes der interkulturellen Öffnung verantwortlich ist. Ebenso ist die Mittelwertebildung der Antwortmöglichkeiten der Items zum Stand der interkulturellen Öffnung in der vorliegenden Studie als kritisch anzusehen, weil nicht sichergestellt werden kann, ob eine Äquidistanz der Antwortmöglichkeiten vorliegt, zumal die eingesetzten Skalen in bisherigen Studien kaum verwendet wurden. Außerdem ist es fraglich, ob der eingesetzte Fragebogen bei jeder Einrichtungsform Gültigkeit besitzt.

Implikation für Forschung und Praxis

Es bleibt beim Konzept der interkulturellen Öffnung die Frage nach konkreten Strategien für den Umgang mit der Vielfalt weitgehend offen, denn es gibt keine ausreichend universell anwendbaren Strategien für die Umsetzung, sondern das Konzept muss immer situativ und je nach Kontext unterschiedlich umgesetzt werden (Busch 2014). Dadurch wird wiederum erschwert, den Stand der interkulturellen Öffnung einer Einrichtung zuverlässig zu überprüfen. Vor diesem Hintergrund ist in weiteren Studien anzustreben, das Konzept noch konkreter weiterzuentwickeln, an dem sich die Einrichtungen in der Praxis bei der Umsetzung von interkulturellen Maßnahmen orientieren können. Daraufhin ist es auch notwendig, passende Instrumente zur Erfassung des Stands der interkulturellen Öffnung zu entwickeln und zu erproben, die nicht nur auf der subjektiven Auskunft der zu überprüfenden Einrichtungen beruhen, sondern auch auf den objektiven Sichtweisen, wie zum Beispiel von Bewohner*innen eines Pflegeheims bzw. Klient*innen bei einer Beratungsstelle etc. In Zukunft ist überdies von großer Bedeutung, die noch relevantere Frage bezüglich der interkulturellen Öffnung zu beantworten, ob eine erfolgreiche Umsetzung der interkulturellen Öffnung zur tatsachlichen Verbesserung der berechtigten Teilhabe der Migrant*innen beiträgt.

Ethische Aspekte

Im Rahmen der vorliegenden Studie wurde die Einhaltung des Datenschutzes durch die Anonymisierung der Daten gewährleistet. Dabei wurde klar festgelegt, dass sich die Anforderungen des Datenschutzes nicht nur auf die Datenerhebung, sondern auch auf den gesamten Prozess der weiteren Datenverwendung erstrecken (Kielmansegg 2014; Schaar 2014). Diesbezüglich wurde allen Institutionen in dieser Studie zugesichert, dass die Forschungsdaten anonymisiert und ausschließlich für Forschungszwecke genutzt werden. Des Weiteren wurden die Einrichtungen, die die Einladung zur Online-Befragung erhalten haben, schriftlich über den Inhalt der Studie und Befragung informiert, um eine freiwillige Studienteilnahme zu gewährleisten.