Theoretischer Hintergrund

Zurzeit leben etwa 4,3 Mio. Muslime in Deutschland (4,89 % der Gesamtbevölkerung, [1]). Dabei bilden Muslime türkischer Herkunft mit etwa 2,5 Mio. die größte Gruppe [1]. Die meisten muslimischen Patienten sind deshalb auch türkischer Herkunft.

Es kann nicht pauschal von „dem muslimischen Patienten“ ausgegangen werden, denn je nach Herkunft und Glaubensgrundlagen existieren Unterschiede in der muslimischen Glaubenspraktik [7]. Dennoch ist es wichtig, dass das Pflegepersonal der Krankenhäuser auf die Behandlung dieser Patienten vorbereitet ist. Um diese Patienten angemessen behandeln zu können und kulturspezifische Probleme frühzeitig zu vermeiden, sollten Kenntnisse über den islamischen Glauben vorhanden sein (Ilkilic 2005/2).

Grundlage des islamischen Glaubensverständnisses bildet die Verantwortung des Gläubigen für seinen Körper und seine Gesundheit als Gottesgabe. Daher ist der Erhalt des Körpers über die einzelnen islamischen Gebote und Regeln gestellt [5].

Im Zusammenhang mit der Anzahl muslimischer Patienten im deutschen Gesundheitssystem wurde 2010 an der Philipps-Universität Marburg eine Studie über das Verständnis der Auszubildenden im Pflegebereich eines deutschen Krankenhauses im Umgang mit muslimischen Patienten durchgeführt.

Bei der im Vorfeld durchgeführten Literaturrecherche durch die Untersuchungsleitung lag der Fokus der Wissensermittlung auf verschiedenen Bereichen der islamischen Wertvorstellungen und den pflegeethischen Begebenheiten. Diese wurden im Vorfeld als konfliktbelastet identifiziert. Hierzu zählt das ausgeprägte Schamgefühl im Islam, das mit der religiösen Bedeutung des Körpers als Geschenk Gottes einhergeht. Die körperliche Verhüllung und Vermeidung von Körperkontakt durch nichtgleichgeschlechtliches Pflegepersonal sind unter anderem Folgen der religiösen Praxis, und deren Missachtung wird von den Patienten oftmals als unangenehm empfunden [2].

Ein weiterer Faktor, der im Besonderen den Krankenhausalltag beeinflusst und zu Konflikten führen kann, besteht in möglichen Sprach- und Verständnisschwierigkeiten. Fehlende Sprachkenntnisse resultieren meist bereits in erste Schwierigkeiten, wenn der Kranke über seinen Gesundheitszustand aufgeklärt werden soll [11].

Angesichts der religiösen Pflicht für Muslime, Kranke zu besuchen, ist es nicht verwunderlich, dass muslimische Patienten häufiger Besuch empfangen als andere Patienten (Ilkilic 2005). Ist sich das Pflegepersonal dessen bewusst, kann dem Verständnis entgegengebracht, aber auch auf Rücksichtnahme gegenüber Mitpatienten, die sich aufgrund des Besuchs gestört fühlen könnten, verwiesen werden (Ilkilic 2005/1).

Betrachtet man die Ergebnisse der Recherche zur Pflege am Ende des Lebens und zum Tod im Bezug auf muslimischen Patienten, ist es ratsam, die Zusammenarbeit mit einem islamischen Seelsorger anzustreben. Dies ist jedoch nicht immer möglich.

Forschungsfrage und Ziel

Zunächst sollten anhand einer Literaturrecherche potenzielle Konfliktfelder in deutschen Krankenhäusern im Zusammenhang mit der stationären Behandlung muslimischer Patienten aufgedeckt werden. Dazu wurde der Kenntnisstand des Pflegepersonals zu muslimischen Glaubensregeln und -riten erhoben. Auf dieser Grundlage war es Ziel der Studie, die Notwendigkeit zu ermitteln, Pflegepersonal durch Schulungen auf potenzielle glaubens- und pflegeethische Konflikte mit muslimischen Patienten vorzubereiten.

Material und Methode

Grundlage für die Studie zum „Verständnis der Auszubildenden im Pflegebereich deutscher Krankenhäuser im Umgang mit muslimischen Patienten“ bildet ein Fragebogen, mit dessen Hilfe der aktuelle Kenntnisstand der Pflegeauszubildenden über muslimische Glaubensvorstellungen ermittelt wurde. Es wurde ein großer privater Anbieter von Ausbildungen im Gesundheitswesen mit einer Ausbildungsstätte in Hessen für die Studie gewählt. Hier wird in einer dualen Vorgehensweise Pflegepersonal für die Arbeit im Krankenhaus ausgebildet. Aufgrund dieser Struktur kommt es schon während der Ausbildung zum Patientenkontakt und mit muslimischen Patienten ggf. zu Konfliktsituationen. Die Gruppe der rekrutierten Studienteilnehmer bestand aus 30 Auszubildenden im Pflegebereich. Bei der Befragung der Auszubildenden gliederte sich die Wissenstandsermittlung in zwei Bereiche: Im ersten Teil sollte der derzeitige Wissensstand über muslimisches Leben offengelegt werden. Dafür wurden Fakten, wie die Zahl der in Deutschland und weltweit lebenden Muslime, abgefragt. Ebenso fiel darunter die Abfrage von grundlegenden Kenntnissen über den islamischen Glauben und seine Regeln. Gebetszeiten, Gebetsrituale und Speisevorschriften wurden mithilfe geschlossener Fragen (jeweils drei Antwortmöglichkeiten) abgefragt. Lediglich die Frage über die Ausnahmeregelung im Fastenmonat Ramadan war offen formuliert.

Im zweiten Teil des Fragebogens wurden nach eigenen Erfahrungen im Umgang mit dieser Patientengruppe gefragt und ermittelt, wie viele Patienten muslimischen Glaubens monatlich auf der Station betreut werden. Zudem wurde die Frage nach persönlich erlebten Situationen mit muslimischen Patienten gestellt, bei denen davon ausgegangen wurde, dass sie mit nichtmuslimischen Patienten anders verlaufen wären. Dies wurde verifiziert. Dabei war auch die Angabe über die persönliche Belastung durch die jeweilig erlebte Situation entscheidend. Ebenso wurde nach Berichten dieser Art durch Dritte gefragt. Die Häufigkeit der Probleme in den Bereichen Gynäkologie, Körperpflege, Medikamentengabe, Mahlzeiten, Besucherzeiten und Routineuntersuchungen wurde ermittelt. Im Fokus der Studie lag die Einschätzung, welche Gründe es für Konflikte zwischen Pflegepersonal und muslimischen Patienten in deutschen Krankenhäusern geben könnte. Die Wahrscheinlichkeit für die genannten Gründe wurde mithilfe einer fünf-stufigen Skala (nie, selten, manchmal, häufig und immer) eingegrenzt.

In Anknüpfung an die erste Befragung wurde Lehrmaterial zur Wissensvermittlung zusammengestellt und eine zwei-stündige Schulung an der Pflegeschule durch einen muslimischen Arzt zu den Themen Medizin und Islamwissenschaften angeboten. Durch diese Lerneinheit sollten die 30 Teilnehmer ihre Kenntnisse im Umgang mit muslimischen Patienten vertiefen. Abschließend wurde eine schriftliche Lernerfolgskontrolle durchgeführt, um zu überprüfen, welche Wirkung mit der Schulung erzielt werden konnte. Zudem wurde die Unterrichtsmaßnahme mit einem Teilnehmerfragebogen nach Interesse und Wirkung evaluiert.

Bei der Auswertung der Lernerfolgskontrolle wurde von einem interferenzstatistischen Vergleich abgesehen, da der Befragung kein empirisch-analytisches Wissenschaftsverständnis zugrunde lag und aufgrund der Eingrenzung der Stichprobenmenge von 30 Befragten nicht beabsichtigt wurde.

Ergebnisse

Die Auswertung der Daten, die zu Beginn der Studie über den Wissensstand der Auszubildenden im Pflegebereich zum Islam eingeholt wurden, zeigt, dass der prozentuale Anteil richtiger Antworten 55 % betrug.

Die Abfrage nach den möglichen Problemsituationen, die diesem Teil der Befragung angegliedert war, ergab, dass nach Einschätzung der Befragten kulturspezifische Unterschiede sowie v. a. Sprach- und Verständnisschwierigkeiten durch einen möglichen Migrationshintergrund Ursache für Probleme sein können. Am seltensten wurde die Religion selbst als Konfliktursache genannt. Eine besonders hohe Bedeutung wurde den gynäkologischen Untersuchungen als Problembereich beigemessen, gefolgt von der Körperpflege. Medikation und Besucherzeiten wurden zwar als Problembereiche genannt, rangieren aber auf den hinteren Plätzen.

Die Erhebungsergebnisse über mögliche kritische Ereignisse zwischen muslimischen Patienten und dem Pflegepersonal machen deutlich, dass elf der Befragten (N = 30) nach eigenen Angaben regelmäßig mit muslimischen Patienten in Kontakt kommen. Auf die Frage nach Situationen im Umgang mit muslimischen Patienten, bei denen davon ausgegangen wurde, dass sie mit Nichtmuslimen anders verlaufen wären, gaben drei Personen an, bereits bis zu drei dieser Situationen persönlich erlebt zu haben. Zudem gab eine Person an, diese als belastend empfunden zu haben. 14 Teilnehmer waren durch Dritte über derartige Situationen informiert worden.

Die Auswertung der direkten Lernkontrolle im Anschluss an die zwei-stündige Schulung in der Pflegeschule mit den Teilnehmern der Studie belegt den Wissensgewinn der Maßnahme. Die Fragebogenergebnisse über den Wissensstand der Auszubildenden lassen eine Zunahme des Wissens um etwa 30 % erkennen.

Diskussion

Die großen Wissensdefizite, die durch die Wissensstandermittlung der Auszubildenden zu Beginn der Studie deutlich wurden, belegen die Annahme, dass Schulungsbedarf über den islamischen Glauben und den daraus resultierenden patientenspezifischen Behandlungsbedarf besteht. Der Erfolg einer Lernmaßnahme zeigt sich am Ergebnis der Lernerfolgskontrolle am Ende der Lerneinheit durch eine Zunahme des Wissens.

Im Hinblick auf die Erhebungsergebnisse über den regelmäßigen Kontakt der Auszubildenden im Krankenhauskontext mit muslimischen Patienten wird die Notwendigkeit solcher Maßnahmen deutlich. Erfahrungen und Berichte über mögliche kritische Ereignisse zwischen muslimischen Patienten und dem Pflegepersonal unterstreichen dies zudem.

Schlussfolgerung und Implikationen für die Praxis

Die Teilnehmer äußerten sich positiv über die vielen Vorschläge und Anregungen, um zukünftig Konflikte durch kulturspezifische Unterschiede zu vermeiden und zu beheben. Kritik bestand dahingehend, dass diese jedoch meist durch begrenzte Raum-, Zeit- und Personalressourcen in einem nur begrenzten Umfang umzusetzen sind. Durch Selbstreflexion in entsprechenden Situationen kann das erlernte Wissen jedoch trotz Raum-, Zeit- und Personalknappheit zum Tragen kommen.

Abschließend ist festzuhalten, dass Personen, die in der Pflege in deutschen Krankenhäusern tätig sind, nur vereinzelt über Kenntnisse islamischer Glaubensgrundsätze und -gebote verfügen. Dies kann u.a. die Ursache für Konfliktsituationen im Krankenhausalltag sein [6]. Daher sind Schulungen der oben beschriebenen Art sowohl für den Werdegang des Pflegepersonals und der Studierenden im medizinischen Bereich als auch für die Patienten wichtig.

Das langfristige Ziel ist die fest verankerte Eingliederung von Lehreinheiten zu diesem Themengebiet für alle Pflegedienstausbildungsbranchen. Im Ausbildungszyklus von Pflegeberufen wie dem der Krankenschwester oder des Krankenpflegers wurde dies an manchen Schulen bereits etabliert. In den Studiengängen der Medizin werden mittlerweile v.a. in den Wahlpflichtmodulen Vorlesungen zu den Themen „Migrationsmedizin“ oder „interkulturelle Kompetenz“ angeboten [8]. Diese Veranstaltungen haben das Ziel, die interkulturelle Kompetenz von Studierenden der Medizin zu fördern, um eine kulturübergreifende Kommunikation zwischen Arzt und Patient sowie den Angehörigen auszubauen [9]. Diese Angebote finden großen Anklang bei den Studierenden und angehenden Ärzten.

Daneben ist es auch hilfreich, das Gespräch mit den Patienten und den Angehörigen zu suchen und gemeinsam kulturell bedingte Missverständnisse zu klären. Auf diese Weise wird Vertrauen aufgebaut und gleichzeitig das interkulturelle Wissen erweitert [10].