Der Ursprung des I Ging oder Yi Jing ist in der grauen Vorzeit der chinesischen Geschichte zu suchen. Das antike Orakel- und Wahrsagebuch, bekannt als „Buch der Wandlungen“, diente nicht nur der Divination, sondern auch der Entscheidungsfindung und der spirituellen Entwicklung.

Das Yi Jing übte einen tiefgreifenden Einfluss auf die chinesische Kultur und die chinesische Geschichte aus, ähnlich wie die Bibel im Abendland, weshalb es auch „Buch der Bücher“ der Chinesen genannt wird. Das Yi Jing ist ein zentraler Bestandteil der chinesischen Philosophie, vor allem des Daoismus und des Konfuzianismus. Das Konzept des steten Wandels, des Gleichgewichtes der Gegensätze und der Dualität von Yin und Yang sind Kerninhalte aller philosophischen Schriften. Hauptanwendungsgebiet des Yi Jing ist die Divination, welche eingesetzt wird, um Entscheidungen zu treffen, Probleme zu lösen und Einsicht in die Zukunft zu erhalten. Diese Praxis spielte über Jahrtausende eine bedeutende Rolle in der chinesischen Gesellschaft und beeinflusst heute noch Entscheidungen in der Politik, in der Wirtschaft und im persönlichen Leben. Sowohl in der traditionellen chinesischen Medizin als auch in der Feng-Shui-Lehre wird die Harmonie und der Ausgleich von Yin und Yang zur Pflege der Gesundheit eingesetzt. Diese symbolischen Darstellungen haben auch in allen künstlerischen Ausdrucksformen wie Literatur, Malerei und Kalligrafie Eingang gefunden.

Der Aufbau des Yi Jing besteht aus 8 Trigrammen (Bagua), das sind die grundlegenden Symbole, welche aus 3 übereinanderliegenden Linien bestehen (Abb. 1).

Abb. 1
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Die 8 Trigramme des Bagua

© BenduKiwi, Gnu Free Documentation License

Diese sind entweder durchgehend für Yang oder unterbrochen für Yin. Die 8 Trigramme symbolisieren die folgenden prinzipiellen Kräfte:

  1. 1.

    Li, die Trennung

  2. 2.

    Kun, das Empfangende, Weibliche

  3. 3.

    Dui, der Wechsel, Anfangsschwierigkeit

  4. 4.

    Qian, die Männlichkeit

  5. 5.

    Kan, die Gefahr

  6. 6.

    Gen, die Aufrichtigkeit

  7. 7.

    Zhen, die Erregung

  8. 8.

    Xun, die Sanftheit

Aus den 8 Trigrammen werden die 64 Hexagramme kombiniert, welche aus jeweils 6 Yin- oder Yang-Linien bestehen. Jedes Hexagramm wird durch einen Text oder durch eine Parabel ergänzt, welche die gegenwärtige Lebenssituation interpretiert und mögliche Entwicklungen aufzeigt. Ein wichtiger Abschnitt befasst sich schließlich mit den „Wandlungen“ (Xiang) oder Veränderungen, wo beschrieben wird, wie sich ein Hexagramm in ein anderes wandeln kann. Dadurch werden der Fluss der Ereignisse und die zyklische Natur von Veränderungen betont.

Sima Qian, der bedeutende Astrologe, Historiker und Schriftsteller, lebte von 145–90 v. Chr. und gilt als der eigentliche Begründer der chinesischen Geschichtsschreibung. Er war Hofastrologe am Kaiserhof in Chang‘an und verfasste das „Shiji“ (Aufzeichnungen des Chronisten), welches die Dynastiegeschichte von den mythologischen Anfängen bis zur Hanzeit (206 v. Chr. bis 220 n. Chr.) beschreibt.

Nach verschiedenen Überlieferungen gelten als Begründer der chinesischen Kultur die 3 Urkaiser Fu Xi, Shen Nong und der gelbe Kaiser Huang Di, welche vor 5000–6000 Jahren gelebt haben sollen.

Fu Xi brachte den Menschen die 8 Trigramme des Bagua und gilt somit als Schöpfer des Yi Jing, des Buches der Wandlungen. Er soll auch die Institution der Ehe, die Entwicklung der Kunst und der Musik gefördert haben.

Shen Nong, der göttliche Landmann (divine husbandman), hat den alten Chinesen die landwirtschaftlichen Werkzeuge, die Bewässerung und das Graben von Brunnen beigebracht. Er prüfte zahlreiche Kräuter, ob sie als Heilmittel geeignet seien, sein „Shennong Ben Cao Jing“ (Klassiker der Heilkräuter nach Shennong) gilt als frühestes chinesisches Arzneibuch und listet 365 Medikamente aus Pflanzen, Tieren und Mineralien auf. Der Legende nach soll er dank seines durchsichtigen Körpers die Wirkung der Medikamente an sich beobachtet haben — und ironischerweise soll er sich selbst vergiftet haben.

Huang Di, der Gelbe Kaiser, gilt als Urheber des ältesten Standardwerks der chinesischen Medizin, des Huang Di Nei Jing, des „Inneren Klassikers des Gelben Kaisers“, wo seine Gespräche mit dem Arzt Qi Bo aufgezeichnet sind. Er gilt somit als Erfinder der Akupunktur. Auch die Schriftzeichen, der Wagen, das Boot, der Kompass und eine frühe Form des Fußballs sind auf ihn zurückzuführen.

Sima Qian betrachtete Huang Di als historische Figur und beginnt deshalb seine historischen Aufzeichnungen mit der angeblichen Regierungszeit des Gelben Kaisers um 2698 v. Chr.

Meister Kong, Kong Fu Zi, latinisiert Konfuzius, der bedeutende Philosoph und Lehrer, lebte von 551—479 v. Chr. und verfasste Kommentare zum Yi Jing. Er gilt als Begründer des Konfuzianismus, der bis heute das chinesische Denken beeinflusst.

In der frühen Han-Dynastie gab es unter Kaiser Qin Shi Huangdi, der mit einer Terracotta-Armee um seinen Grabhügel in Xi‘an Bekanntheit erlangte, eine Periode der Bücherverbrennung. Schriften mit konfuzianischem Gedankengut wurden verbrannt und Gelehrte verfolgt, da der Kaiser seine Herrschaft bedroht sah.

Deshalb erwies es sich als Glücksfall, dass in Mawangdui in der Provinz Hunan im Jahr 1971 drei gut erhaltene Gräber aus der westlichen Han-Zeit (206 v. Chr. bis 9 n.Chr.) entdeckt wurden. Bei den Grabbeigaben befanden sich Holzkisten mit einer großen Anzahl Seidenschriftrollen, welche klassische chinesische Literatur, philosophische und medizinische Texte enthielten. An erster Stelle ist das Yi Jing, das Buch der Wandlungen zu erwähnen, es folgt das Dao De Jing (Tao te King), das dem Philosophen Lao Zi zugeschrieben wird und als wichtigster Text der daoistischen Philosophie gilt. Ebenso ist das Standardwerk der chinesischen Medizin, das Huang Di Nei Jing (Der innere Klassiker des Gelben Kaisers) vorhanden. Außerdem fanden sich weitere bedeutende Werke des Daoismus, die dem Philosophen Zhuangzi zugeschrieben werden. Im Grab Nummer 1 lag die Marquise von Dai, Xin Zhui mit Namen, die 168 v. Chr. verstarb. Der Erhaltungszustand ihres Körpers war durch verschiedene Umstände bemerkenswert gut: Xin Zhui war in Seide gewickelt und lag in 4 lackierten Särgen, wodurch sie vor jeglicher Luft- und Sauerstoffzirkulation geschützt war. Die Särge waren von 5 Tonnen Holzkohle und einer meterdicken Schicht Tonerde umgeben. Die Dame war mit einem BMI von 31,6 massiv übergewichtig (75 kg, 154 cm groß), sie war herzkrank (verengte Koronarien), hatte Gallensteine, Bandwürmer und einen Bandscheibenvorfall. Sie verstarb im Alter von ca. 50 Jahren. Bei der Autopsie gab es noch flüssiges Blut in den Adern und alle inneren Organe waren vorhanden, die Gelenke waren alle beweglich. Also muss die damalige Balsamierungstechnik hervorragend gewesen sein.

Das Buch der Wandlungen wurde seit seiner Entstehung während der westlichen Zhou-Dynastie (1046—771 v. Chr.) in allen Dynastien bis zum Ende der Kaiserzeit 1912 geschätzt. Es galt als Richtlinie der gesamten Philosophie und der ethischen Prinzipien, als Grundlage des Konfuzianismus und des Daoismus.

In Europa wurde das Interesse an China im späten Barock und im beginnenden Zeitalter der Aufklärung durch Berichte von Jesuiten-Patres geweckt, welche am chinesischen Kaiserhof tätig waren. Der erste Jesuit war der Italiener Matteo Ricci (1552—1610), er kam 1582 nach China und gewann das Vertrauen von Wan Li, des 13. Kaisers der Ming-Dynastie. Er wurde sogar in den Rang eines Mandarin erhoben. Im Jahr 2010 wurde Ricci von Papst Benedikt XVI. seliggesprochen. Der französische Sonnenkönig Louis XIV. entsandte im Jahr 1685 10 Angehörige des Jesuitenordens nach China, auf eigene Kosten nota bene, welche nicht nur Missionare, sondern auch hervorragende Mathematiker und Astronomen waren. Sie sollten nicht nur westliches Wissen vermitteln, sondern auch kulturelle Beziehungen zwischen China und Europa etablieren. Jesuiten wie der Kölner Adam Schall von Bell machten unter Kaiser Kang Xi (Abb. 2) Karriere als Vorsteher des kaiserlichen Instituts für Astronomie. Ein weiteres Beispiel der wissenschaftlichen Jesuitenmissionare war der Flame Ferdinand Verbiest, Mathematiker, Kartograph und Geschütztechniker. Er modernisierte die chinesische Artillerie und ließ zwischen 1660 und 1670 insgesamt 61 Kanonen giessen. 12 Exemplare wurden 1901 vom deutschen Expeditionskorps zur Niederschlagung des Boxeraufstands von Peking nach Berlin mitgenommen. 1936 kaufte das Berner Historische Museum eine Kanone vom Berliner Zeughaus.

Abb. 2
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Kaiser Kang Xi (1654—1722) in court dress

© Gemeinfrei

Einer der größten Universalgelehrten, der je existiert hat, war Gottfried Wilhelm Leibniz, der von 1646—1716 in Leipzig und Hannover lebte (Abb. 3).

Abb. 3
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Gottfried Wilhelm Leibniz (1646—1716)

© Public Domain,Wiki Commons

Er war als Mathematiker Mitbegründer der Differenzial- und Integralrechnung, unabhängig von Isaac Newton. Als Diplomat diente er verschiedenen europäischen Herrscherhäusern, so verhalf er dem Kurfürsten von Hannover als Georg III. auf den englischen Königsthron. Er war Historiker, Bibliothekar und Archivar am Hofe von Hannover. Die dort vorhandenen Schriften weckten sein Interesse an China. Als Physiker und Ingenieur entwickelte er das Binärsystem, die Grundlage der Computertechnologie und der Informatik. Er erkannte die universelle Anwendbarkeit der Binarität, welche nur die Ziffern 0 und 1 verwendet. Leibniz entwickelte 1694 eine erste mechanische Rechenmaschine, welche mittels schrittweiser Zählung von Zahnrädern die Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division ermöglichte. Sie galt als echter Vorläufer der modernen Computertechnologie. 1687 wurde eine Teilübersetzung des Yi Jing in die lateinische Sprache des Jesuiten Richard Couplet in Europa bekannt. Eine umfangreiche Korrespondenz führte Leibniz von 1697—1701 mit dem Jesuitenpater Joachim Bouvet, um mehr Wissen über chinesische Kultur, Sprache, Astronomie und Philosophie zu erfahren.

Er war überzeugt, dass die vertiefte Kenntnis der chinesischen Zivilisation zur Weiterentwicklung der Menschheit beitragen und den kulturellen Austausch zwischen Ost und West fördern könnte. Im Jahr 1689 hat Leibniz den Jesuitenpater Claudio Filippo Grimaldi in Rom getroffen, der vom Kaiser Kang Xi zu Papst Alexander VIII. geschickt wurde, um im sogenannten Ritenstreit zu vermitteln. Leibniz verfasste eine Liste von 30 Fragen, die er Grimaldi vorlegte. In seiner Publikation „Novissima sinica“ (Letzte Neuigkeiten aus China) fasste Leibniz 1697 alle zu seiner Zeit verfügbaren Informationen über China zusammen, im Bestreben, das Wissen über China in Europa zu verbreiten und den Austausch zwischen den beiden Kulturen zu fördern.

Ein Schwerpunkt der Korrespondenz zwischen Gottfried Wilhelm Leibniz und Pater Joachim Bouvet betraf das Yi Jing, das Buch der Wandlungen. Bouvet stellte fest, es bestehe eine Identität zwischen den Hexagrammen und der binären Arithmetik. Am 2. Januar 1697 erklärte Leibniz in einem Brief an den Herzog Rudolf von Braunschweig-Wolfenbüttel das binäre Zahlensystem folgendermaßen „… Denn einer der Hauptpunkte des christlichen Glaubens … ist die Erschaffung aller Dinge aus dem Nichts durch die Allmacht Gottes … Allein mit Eins und Null (oder Nichts) entstehen alle Zahlen … Die leere Tiefe und wüste Finsternis ist Null und Nichts, aber der Geist Gottes mit seinem Lichte gehört zur allmächtigen Eins. Um Alles aus dem Nichts zu entwickeln genügt Eins (Omnibus ex nihilo ducendis sufficit unum)“. Das Dualsystem hat Leibniz 1703 in seinem Artikel „Explication de l‘Arithmétique Binaire“ in der Histoire de l‘Academie Royale des Sciences publiziert. Pater Bouvet schickte 1701 die 64 Hexagramme des Fu Xi aus dem Yi Jing als Beilage zu einem Brief an Leibniz und beschrieb diese als archaisches Binärsystem (Abb. 4). Eine Ansicht, die Leibniz bestätigt und mit analogen Zahlen eigenhändig ergänzt hat, wie auf Abb. 4 sichtbar ist. Effektiv kann das System der Dyadik als Symbol der Schöpfung (simbole universel, Weltformel) interpretiert werden, welches einem immer wieder begegnet. Beispielsweise in der Doppelhelix von Watson-Crick, der molekularen Struktur der DNA, wo sich die 4 essenziellen Aminosäuren paarweise gegenüber liegen. Im DNS-Code ergeben sich genau 64 Möglichkeiten, die sogenannten Tripletten, wie bei den Hexagrammen. Der Arzt Martin Schönberger beschrieb dies 1977 in seinem Buch „Verborgener Schlüssel zum Leben. Weltformel I Ging im genetischen Code“. Effektiv ist das Yi Jing eine fundierte binäre Programmierung des Kosmos und des Lebensprozesses, was das Buch der Wandlungen über das Niveau von Orakel und Wahrsagerei hinaushebt und ihm die Qualität einer Naturphilosophie verleiht.

Abb. 4
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Original-Hexagramm mit Notizen von Leibniz

© gemeinfrei (Urheberrecht abgelaufen)

Dem Jesuitenmissionar J.B. Régis, SJ, verdanken wir die erste vollständige Übersetzung des Yi Jing in die lateinische Sprache, welche 1834 unter dem Titel: „Antiquissimus sinarum liber quem ex latina interpretatione“ erschien. Der britische Missionar und Sinologe James Legge, der von 1815—1897 lebte, davon 30 Jahre in Hongkong, übersetzte 1879 „The sacred books of China“ in die englische Sprache. Den wohl bedeutendsten Beitrag zum Verständnis des Buches der Wandlungen im Abendland leistete der evangelische Pastor Richard Wilhelm (1873—1930), der von 1900—1920 im Dienst der Deutschen Ostasienmission in der deutschen Kolonie Tsingtau (Qingdao) wirkte (Abb. 5).

Abb. 5
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Richard Wilhelm (1873—1930), deutscher evangelischer Missionar in Qing Dao

© Creative Commons, Deutsches Bundesarchiv

Unter Mitarbeit chinesischer Gelehrter, vor allem von Lai Nai Xuan, übersetzte er die wichtigsten philosophischen Schriften Chinas in die deutsche Sprache. Wilhelm lehnte die eurozentristische Betrachtungsweise Chinas ab und zog als Fazit aus seiner 20-jährigen Missionstätigkeit die Quintessenz: „Es ist mir ein Trost, dass ich als Missionar keinen Chinesen bekehrt habe.“ Nach seiner Rückkehr nach Europa gründete er das China-Institut der Universität Frankfurt und bekleidete erst eine Honorar-, dann eine ordentliche Professur für Sinologie. Mit zahlreichen großen Gelehrten und Philosophen der Welt stand er in freundschaftlichem Kontakt: unter anderen mit Albert Schweitzer, Hermann Hesse, Martin Buber, Rabinadranath Tagore und dem Tiefenpsychologen Carl Gustav Jung. Insbesondere C.G. Jung war von Wilhelms Übersetzung des Yi Jing sehr beeindruckt. Er schrieb in seinem berühmten Vorwort zur englischen Übersetzung: “I am greatly indebted to Wilhelm for the light he has thrown upon the complicated problem of the I Ching… More than 30 years I have interested myself in… this method of exploring the unconscious…and he taught me many more things.” Jung war Begründer der Analytischen Psychologie, er interessierte sich vor allem für die Archetypen, für Symbole und das Kollektive Unbewusste. Auch das Yi Jing verwendet Symbole und Archetypen und betont die Bedeutung von Wandlung und steter Veränderung, welche die Grundlagen der individuellen Entwicklung darstellen. Die Symbole des Yi Jing sind Archetypen, die als universelle Muster im kollektiven Unterbewussten verankert sind. C.G. Jung hat sich intensiv mit dem Buch der Wandlungen auseinandergesetzt, er spricht von einer „Wissenschaft des I Ging“, die sich rational nicht erklären lässt. 1930 erwähnt er in seiner Gedächtnisrede für Wilhelm, dass diese Wissenschaft „nicht auf dem Kausalitätsprinzip beruhe, sondern auf einem bei uns nicht vorkommenden Synchronistischen Prinzip“. Unter dem Begriff der Synchronizität verstand er das Zusammentreffen von zwei kausal von einander unabhängigen Ereignissen, die trotzdem einen sinnvollen Zusammenhang aufweisen. Ein einfaches Beispiel von Synchronizität wäre, dass jemand an eine Person denkt und diese ruft in diesem Moment an.

Wilhelms Übersetzung, Erklärungen und Interpretationen des Buches der Wandlung erschien 1923 und hat insbesondere auch den Deutsch/Schweizerischen Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Hermann Hesse beeinflusst. In der Tat waren Hesse und Wilhelm auch freundschaftlich verbunden, das Yi Jing wurde zu einer Quelle der Inspiration, die auch im Roman „Das Glasperlenspiel“ Eingang gefunden hat. Hermann Hesse sagte über das Buch der Wandlungen: „Dort steht alles geschrieben, was gedacht und was gelebt werden kann.“

Eine zeitgenössische englische Übersetzung des Yi Jing wurde 1950 von Cary F. Baynes, einer Schülerin von C.G. Jung, in Zusammenarbeit mit Richard Wilhelm angefertigt. Diese Übersetzung, verbunden mit der Literatur von Hermann Hesse, sorgte für eine enorme Verbreitung des Yi Jing im englischsprachigen Raum, vor allem in den USA, wo die Hippiebewegung in den 1960er-Jahren aufkam. Typisch für die Hippie-Kultur war die Suche nach Spiritualität und Mystik jenseits der traditionellen westlichen Religionen. Im Daoismus, eine der Grundlagen des Yi Jing, wird eine enge Verbindung zur Natur und ein holistischer Lebensansatz betont. Die Philosophie der Hippies stand für Frieden, Liebe und Toleranz, welche auch im Konzept der steten Veränderungen und der Vielfalt im Yi Jing zu finden ist. Die kreative Inspiration, welche in der Hippiekultur mit ihren östlichen Philosophien, den psychedelischen Erfahrungen mit indigenen Substanzen und dem politischen Aktivismus bestand, kann ohne Weiteres auf das Buch der Wandlungen zurückgeführt werden. Exponenten waren Autoren wie Alan Watts, der auch den Daoismus studiert hat, Timothy Leary, der den Einsatz von bewusstseinserweiternden Substanzen wie LSD oder Psilocybin zur Therapie von psychisch Kranken befürwortet hat oder Gary Snyder, der Dichter und Umweltschützer der Beatgeneration, der Zen-Buddhismus studiert hat. Die britische Rockgruppe Pink Floyd veröffentlichte 1967 einen Song, der Textbausteine der englischen Yi Jing-Übersetzung enthielt, ebenso der Beatles-Song „When my guitar gently weeps“. Ein großer Bewunderer des Yi Jing war Bob Dylan, der das Orakel in einigen Texten bekanntmachte. Er sagte: “… it is the only thing, that is amazingly true … besides being a great book to believe in, it is also fantastic poetry.” Auch der Quantenphysiker Niels Bohr ließ sich von der Yin-Yang-Komplementarität inspirieren. Dies sind nur einige Beispiele, wie das Yi Jing das Lebensgefühl einer ganzen Generation beeinflusst hat.

1996 präsentierte der deutsche Sinologe Frank Fiedeler (1939—2004) sein Opus magnum, eine kommentierte Neuübersetzung des Yi Jing. Darin deutet er die 64 Hexagramme als systematische Darstellung der Mondphasen und erfasst damit uralte astronomische Schichten des chinesischen Denkens.

Vorläufiger Höhepunkt in der Geschichte des I Ging (Yi Jing) ist dem 1946 geborenen Basler Privatgelehrten Georg Zimmermann zu verdanken. Zimmermann hat Sinologie, Japanologie und Philosophie studiert und sich sein Leben lang mit dem meditativen Daoismus beschäftigt. Seine Version des Buches der Wandlungen erschien erstmals 2007 und 2012 und benötigte bereits 2022 eine 3. Auflage (Abb. 6).

Abb. 6
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Wandlungen des I Ging

© Georg Zimmermann/Allinti CH

Laut Internet gilt seine Übersetzung in die deutsche Sprache als eine der bedeutendsten und präzisesten, basiert sie doch direkt auf dem chinesischen Urtext und den chinesischen Kommentaren. Richard Wilhelms Übersetzung vor 100 Jahren war ohne Zweifel eine Pioniertat, doch sind in seinem Textverständnis gewisse Lücken oder Fehlinterpretationen vorhanden, die von Zimmermann zeitgemäß erklärt und ergänzt werden konnten.

Die historische Entwicklung des Computers beginnt eigentlich schon in der Antike mit dem Abakus, bei welchem in einem Zählrahmen Kugeln verschoben werden. Dadurch werden nicht nur die Grundrechenarten Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division ermöglicht, sondern auch das Ziehen von Quadrat- und Kubikwurzeln. Der erste Abakus tauchte schon bei den Sumerern (2700—2300 v. Chr.) auf und wurde über den Handel nach Babylonien, Persien und Indien in den Mittelmeerraum verbreitet. In China wird im 6. Jahrhundert erstmals die Perlenrechnung (Zhusuan) erwähnt. Im Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert war der Abakus auch in Europa weit verbreitet und wurde erst später von mechanischen Rechenmaschinen verdrängt. Im asiatischen Raum ist der Abakus auch heute noch vielerorts gebräuchlich. Das deutsche Universalgenie Gottfried Wilhelm Leibniz sagte: „Es ist unwürdig, die Zeit von hervorragenden Leuten mit knechtischen Rechenarbeiten zu verschwenden, weil bei Einsatz einer Maschine auch der Einfältigste die Ergebnisse sicher hinschreiben kann.“ Deshalb entwickelte er 1673 die Staffelwalzen-Maschine (englisch: stepped reckoner, Stufentrommel), welche alle 4 Grundrechenarten ausführen konnte. Sie gilt zu Recht als Urahn des Computers (Abb. 7).

Abb. 7
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Staffelwalzen-Rechenmaschine

© GNU Free Documentation License

Der englische Mathematiker und Philosoph Charles Babbage (1791—1871) erfand die Rechenmaschine Analytical Engine, welche er 1846 auf eigene Kosten fertigstellte. Diese bahnbrechende Konzeption war programmierbar und basierte auf Lochkarten. Babbage kann deshalb als Vater des modernen Computers bezeichnet werden. Der 1860 als Sohn deutscher Einwanderer in Buffalo geborene Hermann Hollerith entwickelte im Jahr 1887 die Tabelliermaschine (tabulating machine), welche mit Lochkarten funktionierte und zuerst für Volkszählungen verwendet wurde. Die Auswertung erfolgte anfänglich noch von Hand, die Ausführenden hießen nach ihrer Tätigkeit „Computer“ (Rechner). Im Jahr 1941 baute Konrad Zuse in Deutschland den weltweit ersten frei programmierbaren elektromechanischen Computer, den Z 3. Das Echo hielt sich in Grenzen, es war schließlich Krieg. In den USA erschien 1946 der Electronic Numerical Integrator and Computer, kurz ENIAC (Abb. 8), der erste vollständig elektronische Universalrechner. Er diente der US-Armee zur Berechnung ballistischer Tabellen.

Abb. 8
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ENIAC 1945

© US Army Foto

Der UNIVAC I (Abb. 9) war der erste kommerzielle Computer und wurde 1951 von Eckert und Mauchly entwickelt, hergestellt wurde er von der Computerfirma Remington Rand. Das Gerät wog 13 Tonnen und bestand aus 5.200 Röhren und 18.000 Kristall-Dioden. Ein heutiger Laptop wiegt durchschnittlich 1,5—2,5 Kilogramm.

Abb. 9
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UNIVAC I 1951

© United States Census Bureau/Public Domain

Der UNIVAC I konnte 1905 Rechenoperationen pro Sekunde durchführen, ein aktueller Standard-Laptop mit einem Intel Core i5 Prozessor bewältigt mehrere Milliarden Rechenoperationen pro Sekunde. Nach 1964 folgte die Ära der Mikrocomputer mit dem IBM-System 360 und dem Altair 8800 (Abb. 10), der von Ed Roberts im Jahr 1975 entwickelt wurde. Er war als Do-it-yourself-Bausatz für 397 $ erhältlich.

Abb. 10
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Altair 8800

© Wikimedia Commons

In den 1980er-Jahren begann das Zeitalter der Personal Computer (PC) 1981 mit dem IBM PC 1 und 1984 dem Apple Macintosh, der die grafische Benutzeroberfläche eingeführt hat. Das Internet-Zeitalter revolutioniert die Kommunikation und macht Informationen allgemein zugänglich. Dank Smartphones und Tablets, erweitert durch I-Clouds, wird ab 2000 die Datenverarbeitung und -speicherung mobil und ortsunabhängig.

Spannend sind die neueren Entwicklungen des Computerwesens, wo die Künstliche Intelligenz (KI, englisch AI: Artificial Intelligence) völlig neue Dimensionen annimmt. Täglich erscheinen Zeitungsartikel über die Konsequenzen der KI, man liest sogar die Frage: Ist der Computer bald intelligenter als der Mensch? Hier stellt sich die Frage nach der Definition von Intelligenz. Laut Internet bezeichnet Intelligenz die kognitive Leistungsfähigkeit, Probleme zu lösen. Ein biologisch-kognitives System kann aufgrund von genetisch bestimmten und sozial erworbenen Informationen eigenständig komplexe Handlungen entwickeln. Falls man einen KI-Computer in eine ihm unbekannte Küche stellt mit dem Befehl: „Mach mir einen Kaffee“!, wird er versagen, denn er hat keinen Körper und folglich auch keine praktische Intelligenz. Computer sind zwar durch die Anwendung von Algorithmen und den Zugang zu unendlichen Datenmengen superintelligent, aber es muss unterschieden werden zwischen Wissen und Bewusstsein oder Verständnis — oder wie kürzlich in einem Zeitungskommentar stand: „Alles wissen und nichts verstehen?“. In praktisch allen Branchen werden KI-Technologien eingesetzt, sei es zu Diagnosezwecken in der Medizin, als Suchmaschine mit Algorithmen, zur Datenanalyse im Finanzwesen, zur automatischen Beantwortung von Anfragen und so weiter. Ein weiterer Fortschritt in der KI war die Einführung von Deep Learning und neuronalen Netzwerken, welche durch maschinelles Lernen komplexe Muster in großen Datenmengen erkennen und auswerten können. Damit kann KI auf abstrakter Ebene lernen und für Bild- und Spracherkennung, für autonomes Autofahren, für personalisierte Werbung und für medizinische Diagnosen eingesetzt werden. Über ChatBot, ein häufig verwendetes textbasiertes Dialogsystem, kann man auf Wissensdatenbanken zugreifen oder rund um die Uhr mit Firmen schriftlich kommunizieren. Etymologisch bedeutet Chat-Bot ein Roboter, mit dem man chatten, also schwatzen kann.

An dieser Stelle der Diskussion zur Künstlichen Intelligenz muss auch Alan Turing erwähnt werden, der britische Mathematiker und Informatiker, der von 1912—1954 lebte. Er arbeitete im Zweiten Weltkrieg als Kryptoanalytiker im Zentrum der britischen Codebreakers in Bletchley Park und half durch die Entschlüsselung der Enigma-Chiffriermaschine, den geheimen Nachrichtenverkehr der Deutschen Wehrmacht zu entziffern. Durch seine Arbeit hat er den Zweiten Weltkrieg verkürzt und schätzungsweise 14 Millionen Menschen das Leben gerettet. Heute noch berühmt ist er durch seinen Turing-Test, mit dem festgestellt werden kann, ob Maschinen eine Intelligenz und ein dem Menschen gleichwertiges Denkvermögen besitzen.

Einen Schritt weiter geht 2020 das ChatGPT-System von Open AI, (GPT bedeutet Generative Pretrained Transformer), welches dank massiver Datenmengen und eines tiefen neuronalen Netzwerks auch komplexe Aufgaben erfüllen kann. Dazu gehören das Recherchieren und Beantworten von Fragen — wobei die Antworten nicht immer korrekt sind und auf jeden Fall überprüft werden müssen. Oder auch das Erstellen und Bearbeiten (oder Kürzen) von x-beliebigen Texten kann die KI in einem unglaublichen Tempo erledigen, aber die Textformulierung ist häufig etwas banal und oberflächlich. Mithilfe der Bilderkennung und dem Spracherkennungsmodul kann ein sogenannter Avatar erstellt werden, eine täuschend ähnliche künstliche Darstellung einer realen Person, welche zu betrügerischen Zwecken verwendet werden kann. Der Begriff Avatar stammt aus dem Hinduismus und bezeichnet eine menschenähnliche Inkarnation des Gottes Vishnu auf Erden (Abb. 11 u. 12).

Abb. 11
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Avatar Neytiri

© James Cameron, 20th Century Fox

Abb. 12
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Avatar Bahr

© Frank Bahr, München

Beispielsweise ermöglicht der Avatar eine neue Dimension für Enkeltrickbetrüger: Der Enkel schickt der Großmutter ein künstliches WhatsApp, er sei gekidnapped worden und benötige dringend 100.000 € (dabei ist er völlig wohlauf). Oder man erstellt ein Fake-Video mit falschen Aussagen, um einer Politikerin zu schaden. Auch aus der Filmindustrie ist KI nicht mehr wegzudenken: Schauspieler können nach Belieben älter oder jünger gemacht werde (sogenanntes De-Aging). Eine besondere Herausforderung stellen die Hilfsmittel der Künstlichen Intelligenz für Schulen und Universitäten dar, wo sichergestellt werden muss, dass der vorgelegte Text vom Prüfling und nicht von der KI verfasst wurde. In der Schweiz wurde deshalb die Benotung der Maturaarbeit geändert, es wird mehr Gewicht auf die mündliche Prüfung gelegt. Täglich werden neue Formen der Künstlichen Intelligenz publiziert: Mit dem neuen Programm Suno kann der KIMusikgenerator auch anspruchsvolle Musik auftrags-komponieren. So hat der Musikredaktor einer Zeitung in einem Tag ein ganzes Album produziert. Fazit: Musikschaffende sollten sich ernsthaft Sorgen machen!

Die Künstliche Intelligenz kann einerseits eine enorme Arbeitserleichterung, Personal-, Geld- und Zeitersparnis darstellen, andererseits birgt sie ungeahnte Risiken für Vergehen gegen die Privatsphäre und für kriminelle Handlungen. Tatsache ist, dass sich — je nach Anwendungsbereich und Absicht — die KI zu einem Segen oder einem Fluch für die Menschheit entwickeln kann.

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Dr. med. Andreas Wirz-Ridolfi