Einleitend sind die angestellten Überlegungen zur Trainingswissenschaft als Wissenschaftsdisziplin, zum Gegenstand der Trainingswissenschaft sowie zu ökonomischen Überlegungen im Rahmen der trainingswissenschaftlichen Interventionsforschung als Diskussionsbeitrag zu verstehen. Auf dieser Basis sollen ökonomische Überlegungen die trainingswissenschaftliche Fundierung und Modellentwicklung erweitern.

Trainingswissenschaft im Wissenschaftssystem

Im vorliegenden DiskussionsbeitragFootnote 1 wird versucht, die Aspekte des Trainingsprozesses und deren Implikationen, wie sie für das Verständnis dieses Beitrags grundlegend sind, in einem sozialwissenschaftlichen, ökonomischen Kontext zu verorten. Dies erfolgt unter der Prämisse, dass Trainingshandlungen in weiten Teilen im sozialen Raum stattfinden und nicht isoliert betrachtet werden können. Darüber hinaus soll das Verständnis von Trainingsprozessen durch eine ökonomische Perspektive erweitert werden. Partiell wird hierzu das Selbstverständnis der Trainingswissenschaft diskutiert. In diesem Kontext ist zwischen den idealtypischen Kategorien Wissenschaft (Trainingswissenschaft) als Idee und Wissenschaft als Betrieb zu differenzieren, wohl wissend, dass die Wissenschaft als Idee das Fundament für die Wissenschaft als Betrieb darstellt (Emrich & Fröhlich, 2010; Paris, 2001).

Explizit im Gesundheits-, Bildungs- und Wirtschaftsbereich sowie in weiteren wissenschaftlichen Disziplinen und Anwendungsfeldern wurden und werden Entscheidungen und ihre Auswirkungen mittels der Ökonomik analysiert und interpretiert (Becker, 1993; Bernholz & Breyer, 1994; Kirchgässner, 2000). Fakt ist, dass die Ökonomik als Methode Einzug in viele Wissenschaftsdisziplinen gehalten hat, so auch in die Sozialwissenschaften.

Die Sozialwissenschaften sui generis versuchen im Sinne des methodologischen Individualismus menschliches Verhalten und Handeln auf individueller Ebene und dadurch bedingte Effekte auf kollektiver Ebene sowie die möglichen Interdependenzen zu beschreiben und zu erklären. Im Weberschen Sinn ist die Ökonomik eine wertfreie Wissenschaft, in der das Sein vom Sollen getrennt wird (Weber, 2002 [1919]). Das Verhalten des Individuums wird dabei im Sinne des Homo oeconomicus bei gegebener Ressourcenknappheit und unter Beachtung von Opportunitätskosten im Wesentlichen durch Präferenzen (Anreize) und Restriktionen (Einschränkungen) bestimmt (Kirchgässner, 2000).

Die Trainingswissenschaft als Teildisziplin der Sportwissenschaft beschäftigt sich ebenfalls mit spezifisch zielgerichtetem menschlichem Verhalten und Handeln auf individueller und kollektiver Ebene in spezifischen Settings, und dies in großen Teilen unter dem Kalkül von Effektivität, Effizienz sowie Outcome (Büch, 2005; Fröhlich, Emrich, Büch & Gießing, 2008; Fröhlich, Klein, Pieter, Emrich & Gießing, 2008). Auch hier sind Handlungsoptionen weitgehend durch individuelle Präferenzen (Welches Ziel wird mit dem Training verfolgt?) und vorliegende Restriktionen (u. a. die zur Verfügung stehende Zeit) bestimmt.

Betrachtet man die Trainingswissenschaft als angewandte empirische Wissenschaft des Trainings und somit als über den Objektgegenstand per se determiniert (Hohmann, 1999, S. 37), so kann die angewandte interdisziplinäreFootnote 2 Trainingswissenschaft methodologisch der Interventions- bzw. Evaluationsforschung (Wottawa & Thierau, 2003) zugerechnet werden (Lames, 1999; Lames, Hohmann & Letzelter, 2003). Die entsprechenden Theorien der Trainingswissenschaft sind hierbei oftmals technologisch orientiert und zielen i. d. R. auf einen quantifizierbaren Output ab (Party & Perrez, 1982). Während nomologischesFootnote 3 Wissen die deterministische bzw. probabilistische Erklärung von Ereignissen anstrebt, untersucht die technologische Forschung – hier die Trainingswissenschaft – im Allgemeinen nomopragmatischesFootnote 4 Wissen über die Herstellbarkeit von Phänomenen und Ereignissen (Perrez, 2005; Perrez & Patry, 1982). Das primäre Erkenntnisinteresse mündet in Trainingshandeln, mit dem Output bzw. Outcome erzielt (Produktcharakter) und verändert (Prozesscharakter) werden kann. Oder allgemein: Technologisches Wissen definiert sich durch seinen Handlungsbezug (Perrez & Patry, 1982, S. 51). Hierbei orientiert sich dieses Wissen weniger am Wahrheitskriterium, sondern eher am Effektivitätskriterium, der praktischen Nutzbarmachung, der Verlässlichkeit und der Routinisierbarkeit. Die entsprechenden Antezedensbedingungen und normativen Prämissen sind dabei jedoch ausdrücklich wertfrei zu berücksichtigen (Albert, 1970, 1972b). Die Frage nach dem Outcome – und somit nach der Effektivität – ist dabei jedoch eng mit den jeweiligen Zielen bzw. den subjektiven Zielvorstellungen (Nutzen bzw. Nutzenerwartungen) verbunden. Bereits an dieser Stelle wird deutlich, dass der Outcome, die Effektivität und schließlich die Effizienz einer trainingspraktischen Intervention im Sinne einer prozesshaften Veränderung nur durch die Angabe der Randbedingungen, unter denen sie erhoben wurde, sowie den jeweils interagierenden Arrangements und Interdependenzen interpretierbar sind (Schlicht & Lames, 1993).

Da die Trainingswissenschaft oftmals auf Veränderungsmessungen beruht und den Praxisbezug zu berücksichtigen hat, tangiert sie an dieser Stelle das Wertfreiheitspostulat der Forschung in einem besonderen Maß. Kirchgässner (2006) folgend kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass der einzelne Wissenschaftler in diesem Kontext der Forderung nach der Wertfreiheit aufgrund von institutionellen Bedingungen nur in Teilen gerecht wird, z. B. Auftragsforschung, Drittmittelprojekte, Praxisdienlichkeit. Dies impliziert jedoch nicht, dass der Wissenschaftsprozess bzw. die Erhebung wissenschaftlicher Daten stets wertfrei und nach wissenschaftlich legitimierten Kriterien zu erfolgen haben (Albert, 1970, 1972a). Die Tatsache, dass der Wissenschaftsprozess auch und gerade in den angewandten Wissenschaften wertfrei und nach den in der Wissenschaftsdomäne gültigen Richtlinien und Kriterien zu leisten ist, macht bestimmte Forschungsstrategien und wissenschaftsethische Einstellungen notwendig (vgl. hierzu Albert, 1970; Merton, 1985; Popper, 2000 sowie für die Sportwissenschaft Emrich, 2006). Weiteres zentrales Merkmal der interdisziplinären, angewandten, empirischen Trainingswissenschaft ist ihr Bezug zur Praxis (Carl, 2003; Schnabel, Harre & Krug, 2011). Dies impliziert, dass praktisches Handeln und Intervenieren wissenschaftlich fundiert sein müssen. Folglich sollte die Trainingswissenschaft Aufgaben und Wesenszüge einerseits der grundlagenorientierten Forschung und andererseits angewandter, technologischer Wissenschaft vereinen (Schnabel, 1998, S. 14). Nach Höner (2008) ist die Sportwissenschaft und somit auch die Trainingswissenschaft in Forschung und Lehre als etablierte Wissenschaftsdisziplin zu verstehen. Daher sind die Entscheidungen von Sportwissenschaftlern im Allgemeinen und von Trainingswissenschaftlern im Speziellen für die Praxis wissenschaftlich fundiert auszusprechen bzw. rational zu begründen. Patry und Perrez (1982, S. 402) sowie Perrez (2005, S. 81) listen zur wissenschaftlichen Fundierung hierzu u. a. folgende Beurteilungs- und Bewertungskriterien auf:

  • Sämtliche Maßnahmen sind ethisch legitimierbar. Es sind keine oder nur unbedeutende negative Nebenwirkungen mit dem Handeln (Treatment) verbunden.

  • Die Handlung (Intervention) lässt sich auf technologische Regeln zurückführen, die wiederum wissenschaftlich bewährte Aussagen über die Wirklichkeit unter den jeweiligen Rahmenbedingungen bzw. Settings machen.

  • Die Intervention darf nicht auf Voraussetzungen beruhen, die mit dem vorhandenen Grundlagenwissen inkompatibel sind.

  • Die Kosten-Nutzen-Relation bzw. Aufwand-Nutzen-Relationen sind vertretbar, insbesondere was unerwünschte bzw. nicht intendierte Nebenwirkungen betrifft.

  • Es ist keine Maßnahme bekannt, welche die Bedingungen besser erfüllt.

  • Die Qualität und Wahrscheinlichkeit der zu erwartenden negativen Nebeneffekte stehen in einem positiven Verhältnis zu den erwarteten positiven Haupteffekten.

  • Die Methode selbst ist ethisch vertretbar.

Orientiert man sich an den von Patry und Perrez (1982) sowie von Perrez (2005) vorgeschlagenen Bewertungskriterien und bezieht diese auf die einzelne Intervention (in der Abbildung mit Treatment bezeichnet) im trainingswissenschaftlichen Handeln, so resultiert daraus die in Abb. 1 dargestellte Entscheidungshilfe für die Auswahl einer entsprechenden Intervention im Sinne von „Treatment hat technologische Regel verifiziert bzw. falsifiziert“.

Abb. 1
figure 1

Entscheidungshilfe für die Auswahl einer geeigneten Intervention. (Mod. nach Patry & Perrez, 1982, S. 407)

Berücksichtigt man jedoch den Hinweis, dass wissenschaftlich bewährte Aussagen über die vermutete Wirklichkeit unter jeweils spezifischen Rahmen- bzw. Antezedensbedingungen ausgesprochen werden, so wird deutlich, dass praktisches Handeln niemals vollständig wissenschaftlich begründet werden kann, da eine konkrete Trainings- bzw. Interventionshandlung immer singulär zu verstehen ist. Dies bedeutet, exakt gleiche Rahmenbedingungen und Settings sind – auch unter Laborbedingungen – nicht herzustellen. Nach Hohmann et al. (2002, S. 18) kann aus diesem Grund empirisches, praktisches Handeln höchstens annäherungsweise wissenschaftlich begründet werden. Dies lässt die Autoren in Anlehnung an Popper (2002) zu der Aussage kommen, dass die Aufgabe der Trainingswissenschaft darin besteht, ein möglichst dichtes Netz von technologischen Regeln zu entwickeln und diese in möglichst vielfältigen Anwendungssituationen zu erproben (Fröhlich, Emrich & Büch, 2007).

Genese, aktueller Stand und Überlegungen

Der historische Ursprung der Trainingswissenschaft basiert auf den Bestrebungen, das sportpraktische Trainingshandeln und die daraus abgeleiteten Trainingskonzepte (Meisterlehren) zumeist erfolgreicher Trainer wie u. a. Adam, Gerschler, Nett zu systematisieren und wissenschaftlich zu begründen (Carl, 1983; Harre, 1986). Aufbauend auf diesen Lehren (Trainingskonzepten, Trainingsprinzipien) konstituierte sich 1992 die Trainingswissenschaft in der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (Martin & Weigelt, 1993). Zur historischen Entwicklung und Genese sowie zum Selbstverständnis sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in der DDR wird auf Harre und Schnabel (1993), Schmidtbleicher (1996) sowie Schnabel (1998) verwiesen. In den nachfolgenden Jahren wurde zum weiteren Selbstverständnis ein breites Spektrum an Problemdiskussionen zur Trainingswissenschaft angeregt (Krug, Carl & Starischka, 2002, S. 19), welches u. a. die folgenden Aspekte und Themen betraf: wissenschaftstheoretische Erörterungen (Martin & Weigelt, 1993; Thorhauer, Carl & Türck-Noack, 1996), forschungsmethodologische Fragen und Rahmenbedingungen (Hohmann, Wichmann & Carl, 1999) sowie spezielle Tätigkeitsfelder und Forschungsschwerpunkte (Ferrauti & Remmert, 2006; Thorhauer, Carl & Türck-Noack, 2001; Wohlgefahrt & Michel, 2006). Folgt man diesen einleitenden Hinweisen zur Genese, so wird deutlich, dass sich die institutionalisierte Trainingswissenschaft als angewandte, empirische, ganzheitliche Wissenschaft zur Fundierung von Training, Wettkampf und LeistungFootnote 5 – neben den klassischen Kriterien für die Anerkennung als Wissenschaft wie Systematisierung und Akkumulierung von Erkenntnissen – eines eigenen Methodenspektrums, eines objektspezifischen Forschungsgegenstands (Herrmann, 1976), einer exakten Wissenschaftssprache im Sinne einer Vereinheitlichung der verwendeten Begrifflichkeiten – die explizite Definition von gebrauchten Termini sowie die systematische Dokumentation jeglicher Begriffsänderung – zu bedienen bzw. zu entwickeln hat (vgl. Höner, 2008; Willimczik, 2001). Emrich (2006, S. 154) fordert in diesem Kontext, dass wissenschaftliches Denken neben einer Abstraktion u. a. klare Begrifflichkeiten verwenden soll: „‚Chamäleonbegriffe‘ der verschiedensten Art, die mit wechselnden Bedeutungen aufgeladen werden, erschweren wissenschaftliche Diskussionen ungemein.“ Dies trifft sowohl auf die Sportwissenschaft als interdisziplinäre Wissenschaft per se (Willimczik, 2001) als auch auf die Trainingswissenschaft als Teildisziplin im Besonderen zu.

Während eine historische Aufarbeitung der Gegenstandsbereiche der Sportwissenschaft – beispielsweise Abgrenzung, aber auch Strukturierung und Differenzierung nach innen – in Teilen zu konstatieren ist (Willimczik, 2007), scheint der Gegenstandsbereich der Trainingswissenschaft unterformalisiert, da der Objektbereich – das sportliche Training – vermutlich nicht hinreichend spezifiziert ist (Fröhlich, 2009). Während Lames und Hohmann (2003, S. 59) als Gegenstandsbereich für die Trainingswissenschaft die Komplexe Training, Leistungsfähigkeit und Wettkampf annehmen, sehen Olivier et al. (2008, S. 17) den Objektbereich TrainingFootnote 6 als zentralen Gegenstand der Trainingswissenschaft an. Nach Hohmann (1999, S. 37) versteht sich die Trainingswissenschaft als Wissenschaft des Trainings und ist somit über den Objektgegenstand per se als angewandte Wissenschaft determiniert. Durch die Strukturierung, Analyse und Erklärung des sportlichen Trainings greift die interdisziplinär ausgerichtete Trainingswissenschaft in obigem Verständnis über die jeweiligen Disziplingrenzen hinweg auf die Erkenntnisse all jener sportwissenschaftlichen und/oder mutterwissenschaftlichen Disziplinen zurück, die objektspezifisch Aussagen zum Training bzw. zum Trainingsprozess treffen können. Die jeweilige engere bzw. weitere Betrachtung des Gegenstands Training ist dabei einerseits historischen, gesellschaftspolitischen, weltanschaulichen, ideologischen Gegebenheiten und Rahmenbedingungen sowie andererseits disziplinspezifischen Zugängen und wissenschaftstheoretischen Paradigmen geschuldet (Fröhlich, 2009). Orientiert man sich an aktuellen Publikationen sowie an den Ausführungen der dvs-Sektion Trainingswissenschaft (Hohmann, Lames & Letzelter, 2002; Krug et al., 2002; Lames & Hohmann, 2003), so hat sich die Trainingswissenschaft im Rahmen ihres Selbstverständnisses in Richtung eines offenen Trainingsbegriffs entwickelt, obwohl verschiedene Vertreter noch immer an einer eher engen, auf den Leistungsaspekt orientierten Definition festhalten (De Marées, 1996; Grosser, Starischka & Zimmermann, 2008; Hollmann & Hettinger, 2000).

Im angloamerikanischen Sprachraum wird Training im Bereich der „exercise physiology“ verortet und kann pragmatisch definiert werden als „(…) a systematic process of preparing for a certain physical goal. This goal used to be synonymous with peak physical performance; however, exercise training is also used to achieve targets for health-related fitness“ (Lambert, Viljoen, Bosch, Pearce & Sayers, 2008, S. 1). Meeusen (2008, S. 143) definiert Training wie folgt: „Training can be defined as a process of overload that is used to disturb homeostasis that results in acute fatigue leading to an improvement in performance. When training continues or when athletes deliberately use a short-term period (e. g., training camp) to increase their training load they can experience short-term performance decrement, without severe psychologic or other lasting negative symptoms. This FOR [functional overreaching; Anm. des Autors] will eventually lead to an improvement in performance after recovery.“

Joch und Ückert (1998, S. 11 ff.) differenzieren in diesem Zusammenhang 3 Varianten des Trainingsbegriffs:

  1. 1.

    den monokausalen vs. multiplen Trainingsbegriff,

  2. 2.

    den offenen vs. geschlossenen Trainingsbegriff und

  3. 3.

    den engen vs. weiten Trainingsbegriff.

Hinzu kommt, dass Training im Rahmen trainingswissenschaftlicher Fundierung neben der Begriffsexplikation den Kriterien logisch rationalen Handelns zu folgen hat, was Planung, Festlegung von Erfolgskriterien, planungsgemäße Realisierung und letztlich Erfolgskontrolle betrifft.

Subsumierend kann aufgrund inhaltsanalytischer Überlegungen festgestellt werden, dass die Mehrzahl der einzelnen Trainingsdefinitionen, wie sie beispielsweise bei Fröhlich (2009) publiziert sind, einerseits auf der Ebene der Antezedensbedingungen in den verschiedenen Anwendungsfeldern (z. B. Freizeit- und Breitensport, Sport mit Sondergruppen) und bei unterschiedlichen Zielgruppen wie Schülern, Senioren, Rehabilitanden, Patienten nur in Teilen die Realität widerspiegeln und andererseits eine Entkopplung von Begriff und sportlicher Praxis erfahren hat (Fröhlich, 2009). So darf, beispielsweise die Argumentation von Frey und Hildenbrandt (2002, S. 42) aufgreifend, ein Büroangestellter, der seiner Gesundheit zuliebe abends 20 min im Wald läuft, seine Tätigkeit mit der gleichen Berechtigung Training nennen wie ein Langstreckenläufer, der in der Woche 200 Laufkilometer mit der Zielstellung Marathonbestzeit absolviert. Systematisiert man die verschiedenen Anwendungsfelder, innerhalb derer die einzelnen Trainingsdefinitionen zur Anwendung gelangen sollten, so lässt sich einerseits zeigen, dass in spezifischen Bereichen das Training (betrifft u. a. weite Teile des Freizeit- und Breitensports) als aktiver Handlungsprozess auf individueller Ebene – in Teilen weder zielgerichtet, planmäßig noch systematisch im expliziten Sinne der Steigerung der motorischen Leistung bzw. Leistungsfähigkeit und/oder der Veränderung der morphologischen Struktur – durchgeführt wird. Andererseits entspricht es als Steuerungsprozess in der Interaktion Trainer und Sportler/Athlet obigen Kriterien ebenfalls nur partiell. Vielmehr treten spezifische Motive wie Spaß, Freude, Ablenkung, Stressbewältigung, Austausch, außerhalb des Leistungsmotivs, im Sinne der Steigerung der motorischen Komponenten in unterschiedlichen Kontexten und Settings, in den Vordergrund.

Daher wird ein neues Begriffsverständnis, unter einer ökonomischen Perspektive, des komplexen Handlungsprozesses Training in die begonnene Diskussion eingeführt (Fröhlich, 2009): „Unter motorischem Training – sportlichem Training – versteht man den Ge-(Ver-)brauch von Ressourcen zur Nutzenbefriedigung in Abhängigkeit von individuellen Potentialen.“

Durch die Operationalisierung des ökonomischen Trainingsverständnisses innerhalb der einzelnen Begriffsbestandteile und der Angabe von Effektivitätsmaßen, z. B. von Effektstärken, könnten somit bei der Hypothesenformulierung und der anschließenden Prüfung Trainingseffekte in spezifischen Settings, sowohl auf der Ebene von Gruppenexperimenten als auch bei Einzelfallstudien und im Rahmen von Evaluationsstudien, wichtige Hinweise zur Theorieentwicklung liefern. Darüber hinaus erlaubt eine ökonomisch orientierte Begriffsbetrachtung die Einbettung in ein theoretisches Modell, welches sich in anderen Wissenschaftsdisziplinen als nutzbringend erwiesen hat und im Folgenden erläutert wird (Becker, 1993).

Letztendlich wird der Forderung von Frey und Hildenbrandt (2002, S. 36) nachgekommen: „Wir brauchen eine Definition des Trainings, die niveauoffen und disziplinübergreifend integrativ ist. Die Trainingsforschung hat diesem Begriff von Training zu entsprechen.“

Trainingswissenschaft ökonomisch betrachtet

Theoretische Verortung und Modellentwicklung

Modelltheoretische Erklärungen von Trainingsadaptationen wurden über Jahrzehnte mit dem Rahmenkonzept bzw. mit dem Prinzip der optimalen Relation von Belastung und Erholung – Superkompensation – erläutert (Tschiene, 2006; Weineck, 2010). Subsumierend betrachtet, verkürzt die verallgemeinerte Modellannahme der Superkompensation jedoch die Komplexität von Trainingsbelastung und -beanspruchung, äußerem Reiz und subjektiver Reaktion sowie prozesshafter Regeneration, langfristiger Trainingsanpassung, aktuellem Ausgangsniveau und zukünftig zu erwartenden Anpassungen und interagierenden Effekte verschiedener Funktionssysteme (Fröhlich, 2009).

Nachdem das SuperkompensationsmodellFootnote 7 zunehmend kritisch betrachtet wurde (Olivier, 2001), erfuhren verstärkt einerseits das Belastungs-Beanspruchungs-Konzept aus der Ergonomie sowie andererseits das Modell der Anpassungskapazität als Rahmenkonzepte für Trainingsinterventionen Beachtung. Nachfolgend wird aufbauend auf dem Modell der Anpassungskapazität von Martin, Carl und Lehnertz (1993) ein Rahmenmodell für Trainingsadaptationen zur Diskussion gestellt, das einerseits in der Ökonomik hohe Erklärungskraft besitzt und andererseits eine Integration eines ökonomischen Trainingsbegriffs zulässt und durch explizite Operationalisierung weite Teile von Trainingsanpassungen abzudecken versucht. Wie bereits bei der Kritik zum Superkompensationsmodell angedeutet, sind Ausprägungen von Trainingsanpassungen weder kurz- noch langfristig unendlich fortsetzbar bzw. steigerbar (Linearitätsproblematik). Des Weiteren sind die Trainingsanpassungen, wie im Quantitätsgesetz des Trainings formuliert, zu Beginn eines Trainingsprozesses relativ groß ausgeprägt. Im weiteren Trainingsverlauf, das bedeutet bei fortgeschrittenem Leistungsniveau, führen auch progressiv gesteigerte Trainingsbelastungen (z. B. Trainingsintensivierung und Zeitextensivierung) nur noch zu relativ kleinen Veränderungen im Leistungszustand (asymptotischer Zusammenhang von Ressourceneinsatz und Ertrag). Martin et al. (1993, S. 95 f.) schließen aus diesen Prämissen, dass die gesamte Anpassungskapazität des Organismus eine jeweils individuelle Grenze hat, die genetisch bestimmt ist (Eleftheriou & Montgomery, 2008).

Nach Mader (1990, S. 55) kann diese individuelle Grenze der ausschöpfbaren Kapazität als Anpassungsreserve bezeichnet werden. Unabhängig hierzu gibt es zu jedem Zeitpunkt im Trainingsprozess eine aktuelle individuelle Funktionskapazität. Diese aktuelle Funktionskapazität bestimmt das derzeitige verfügbare Leistungsniveau bzw. den derzeitigen Leistungszustand und spiegelt somit den bisherigen Adaptationsprozess auf Trainings- und/oder Alltagsbelastungen wider. Die aktuelle Funktionskapazität einerseits sowie die individuelle Anpassungsreserve andererseits bilden zusammen die maximale Funktionskapazität bzw. die individuell, genetisch determinierte maximale Leistungsfähigkeit bzw. Funktionsfähigkeit. In Abb. 2 werden diese Ausführungen und Überlegungen in Anlehnung an Martin et al. (1993) exemplarisch verdeutlicht, wohl wissend, dass der empirische Beleg dieser Modellbetrachtung fehlt (vgl. hierzu auch Fröhlich et al., 2007).

Abb. 2
figure 2

Schematische Darstellung des Zusammenhangs von aktueller Funktionskapazität A, B und C der Funktionsreserve als Differenz von Funktionskapazität und aktueller Beanspruchung und der maximalen Funktionskapazität mit der Anpassungsreserve. (Mod. nach Martin et al., 1993, S. 96)

Die Belastungsanforderungen (operationalisiert über die Trainingsbelastungen) sind in dem Modell nach Martin et al. (1993) dann optimal umgesetzt, wenn die aktuelle Funktionsreserve bis in die Nähe der aktuellen Funktionskapazität beansprucht wurde. Resultiert aus den einzelnen Belastungsanforderungen und aus der aktuellen Funktionskapazität ein negativer Ertrag (−Δ) oder wird die aktuelle Funktionskapazität überschritten, so wird im Allgemeinen der Trainings- bzw. Anpassungseffekt kleiner ausfallen bzw. sogar Schädigung oder Verletzung eintreten. Dies kann relativ zeitnah oder aber auch zeitlich versetzt durch kumulierte Effekte eintreten und sich in „overreaching“ und/oder „overtraining“ manifestieren (Meeusen, 2008). Diese Perspektive wurde bei dem Modellvorschlag von Martin et al. (1993) noch nicht hinreichend berücksichtigt und stellt somit eine deutliche Erweiterung der bisherigen Betrachtungen dar. Verbindet man die in der Trainingswissenschaft formulierten Überlegungen zu Anpassungsprozessen, wie sie im Funktionsmodell skizziert sind, mit den allgemeinen Grenznutzenvorstellungen bzw. -funktionen der Ökonomie (asymptotischer Kurvenverlauf), wie sie bereits von Turgot (1990 [1769/70]) und von Thünen (1966 [1875]) erarbeitet wurden und in Abb. 3 exemplarisch verdeutlicht sind, so resultiert das in Abb. 4 in der additiven Betrachtung dargestellte theoretische Modell für Trainingsanpassungsprozesse.

Abb. 3
figure 3

Modell der Entwicklung eines Potenzials über die Zeit unter Einsatz zunehmender Ressourcen zur Steigerung des Potenzials (e = Ertrag, r t = Ressource zum Zeitpunkt t, K = Kulminationspunkt)

Abb. 4
figure 4

Funktionsmodell von Anpassungskapazität und Grenzertrag als Rahmenmodell für Trainingsanpassungen

Wie aus Abb. 4 ersichtlich, ist zu Beginn eines sportlichen Trainings – nach einer Lern- und Gewöhnungsphase – zum Zeitpunkt t1 (Intervall von t1.1 zu t1.2) der Betrag der Funktionsreserve Δ t1 in Abhängigkeit vom individuellen PotenzialFootnote 8 relativ hoch (große individuelle Anpassungsreserve zu t1; somit besteht noch ein großes Veränderungspotenzial durch geeignete Trainingsinterventionen). Im weiteren Trainingsprozess nimmt dieser Ertrag (Δ) über die Zeit t2 (im Modell) ab (individuelle Anpassungsreserve zu t2 wird geringer; Prinzip des abnehmenden Grenzertrags). Zum Zeitpunkt t3 und t4 ist im Modell ein negativer Ertrag ausgewiesen. Dies bedeutet, die maximale individuelle Anpassungsreserve wurde überschritten und das System reagiert mit Abnahme der Leistung bzw. der Leistungsfähigkeit, beispielsweise im Rahmen von Detraining, von Überbelastungszuständen („overreaching“) oder von Übertraining („overtraining). Im Kontext der „overreaching“- und „overtraining“-Betrachtung weist das Modell am Ende der Phase t3 und t4 einen kumulativen Trainingsanpassungseffekt hin zur maximalen Leistungsfähigkeit bzw. Funktionsfähigkeit aus. Dies bedeutet, es kann durch kurzfristige Leistungsreduktion im zeitlich versetzten Ablauf sogar wieder zu einer gesteigerten Leistungsveränderung kommen.

Werden keine weiteren, die Funktionsreserve beanspruchenden Belastungsreize gesetzt, wird sich die Funktionskapazität über die Zeit wieder auf das Ursprungsniveau vor dem Trainingsprozess zurückbilden (t5). Allgemeine motorische und somatische Entwicklungsveränderungen sind hiervon unberührt, müssten jedoch gerade bei langfristigen Trainingskonzeptionen zusätzlich im Rahmenmodell im Sinne von Plastizitätsanpassungen in der Lebensspanne Berücksichtigung finden (Baltes, 1990).

Überträgt man die Modellannahmen auf die Zielstellung des leistungsorientierten Trainings, so gilt es, den Ertrag (Δ Funktionsreserve) von jeweils aktueller Funktionskapazität und maximaler Funktionskapazität zu minimieren, bis der jeweilige individuelle, genetisch determinierte, willkürlich aktivierbare Kulminationspunkt erreicht wird. Dieser im Modell dargestellte Kulminationspunkt K ist streng betrachtet jedoch kein einzelner Punkt, sondern eine graduelle Phase, welche sich erst ex post empirisch bestimmen lässt. Idealtypisch stellt der Kulminationspunkt die maximale Leistungsfähigkeit, unter maximaler willkürlicher physischer und psychischer Voraussetzung und optimaler äußerer Bedingung, dar.

Oberhalb des Kulminationspunktes schließt sich die autonom geschützte Reserve des Organismus an. Diese dem Willen unzugängliche Notfallreserve wird tradiert mit etwa 5–10% angegeben, ohne jedoch empirisch abgesichert zu sein (Graf, 1954).

Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass durch die Verknüpfung des Modells der Funktionskapazität und des Grenzertragsmodells die Modellentwicklung für Trainingsadaptationen innerhalb der Trainingswissenschaft insgesamt profitieren könnte. So macht beispielsweise das Funktionsmodell, wie es bei Martin et al. (1993) beschrieben ist, keine Aussagen zu kurz-, mittel- und langfristigen Anpassungsprozessen sowie zu möglichen Effekten beim Überschreiten des Kulminationspunktes („overreaching“ bzw. „overtraining“) etc. Des Weiteren kann durch die Verbindung einzelner Grenzerträge für verschiedene Leistungsausprägungen (z. B. werden durch Leistungsdiagnostiken Optimalwerte in Abhängigkeit individueller Voraussetzungen analysiert) der verbundene Grenzertrag für eine komplexe Leistungsausprägung modelliert werden (Fröhlich et al., 2007).

Überträgt man die Implikationen des Funktionsmodells von Anpassungskapazität und Grenzertrag auf die sportliche Praxis, so müssten sich in den ersten Trainingseinheiten bzw. bei Anfängern zunächst sehr deutliche Leistungszuwächse nachweisen lassen, während in fortlaufenden Trainingsprozessen der Leistungszuwachs (Erträge) geringer ausfallen sollte. Dies scheint zwar trivial und dem Alltagsverständnis von Trainingsadaptation zu entsprechen sowie durch zahlreiche empirische Studien hinreichend belegt zu sein, wird jedoch durch kein entsprechendes trainingstheoretisches Rahmenmodell auf diese Weise explizit erklärt und dargestellt.

Fazit und Ausblick

Die vorliegenden Erörterungen zur Reflexion der Trainingswissenschaft als Wissenschaftsdisziplin, zum Gegenstand der Trainingswissenschaft sowie zu ökonomischen Überlegungen im Rahmen der trainingswissenschaftlichen Interventionsforschung in Theorie und Praxis sind als Diskussionsbeitrag zur weiteren Ergründung trainingswissenschaftlicher Prozesse zu verstehen.

Durch die Anwendung ökonomischer Überlegungen wurde versucht, die trainingswissenschaftliche Fundierung in Theorie und Praxis, anhand eines Rahmenmodells für Trainingsadaptationen, zu erweitern. Der allgemeinen Forderung, trainingswissenschaftliche Probleme interdisziplinär zu untersuchen und Wissensbestände anderer Disziplinen zu integrieren (Willimczik, 2003), kommt der vorliegende Beitrag nach, indem die Bearbeitung trainingswissenschaftlicher Aspekte um die Perspektive der Ökonomik erweitert bzw. ergänzt wurde.

Derzeit steht die Verknüpfung von ökonomischen und trainingswissenschaftlichen Betrachtungen jedoch erst am Anfang der wissenschaftlichen Bearbeitung. Aus Sicht des Autors wären weitere Forschungsbemühungen anzustellen, um die Tragweite der skizzierten Überlegungen abschätzen zu können. Vertreter beider Wissenschaftsdisziplinen sind somit aufgerufen, den Forschungsgegenstand „sportliches Training“ weiter zu ergründen. Die Trainingswissenschaft als angewandte empirische ganzheitliche Wissenschaft muss in diesem Kontext jedoch nicht nur die Anschlussfähigkeit an die Praxis berücksichtigen, sondern sie muss wissenschaftlichen und ethischen Implikationen (Merton, 1985) genügen. In Anlehnung an die Überlegungen von Emrich (2006, S. 166) liegt die Zukunftsaussicht der Trainingswissenschaft darin begründet, Geltungsbereiche, Sicherheitsniveaus und Anwendungsbereiche trainingswissenschaftlicher Aussagen zu erweitern und empirisch – theoretisch fundiert – zu begründen, statt sich zur alleinigen Magd der Praxis zu machen (Albert, 1972b). Dies bedeutet, die Trainingswissenschaft muss mittels wissenschaftstheoretischer Begründungen über die speziellen und allgemeinen Erfahrungsregeln (Trainingsprinzipien, Handlungsregeln, singuläre Erfahrungsbezüge) der Trainingslehre hinausreichen, um als Wissenschaftsdisziplin verortet werden zu können. Eine Trainingswissenschaft, die auf der Ebene der Beschreibung von Handlungsanweisungen stehen bleibt, verliert langfristig die Legitimation als wissenschaftliche Disziplin. Institutionell wird sich die Trainingswissenschaft im wissenschaftlichen, universitären Kontext nur dann behaupten können, wenn sie u. a. die unterschiedlichsten Trainingsprozesse und deren Adaptationsmechanismen, theoriegeleitet und durch empirische Studien abgesichert, erklären kann. Hierbei ist die Trainingswissenschaft nur den rein wissenschaftlichen Kriterien, wie sie der sog. Grundlagenforschung zugeschrieben werden, verpflichtet („Universalismus“, „Kommunismus“, „Uneigennützigkeit“, „Organisierter Skeptizismus“; Merton, 1985, S. 90 ff.). Sie darf ihren Anwendungsbezug jedoch nicht leugnen. Diesen Spagat teilt sie mit anderen anwendungsorientierten Wissenschaften oder Disziplinen.

Darüber hinaus sollte die transdisziplinäre Trainingswissenschaft theoretische Anleihen in anderen Disziplinen machen und transformativ auf den genuinen Gegenstand, das sportliche Training, die sportliche Leistung und den sportlichen Wettkampf, anwenden. Albert (1972b) hat in diesem Kontext bereits sehr früh darauf hingewiesen, Resultate und Methoden der verschiedenen Disziplinen füreinander fruchtbar zu machen und das jeweilige Potenzial für den weiteren Erkenntnisfortschritt zu nutzen. Letztendlich ist die Scientific Community aufgerufen, die empirische Modellprüfung sowie deren Güte zur Erklärung abzuschätzen.