Die Notwendigkeit der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Personen, die gegen vorgegebene Regeln und Vorschriften verstoßen, ist seit langer Zeit selbstverständlich. Spätestens mit Einführung der „Constitutio Criminalis Carolina“ 1532 wurde der Umgang geregelt und erfolgt bis zu einem gewissen Maß strukturiert und einheitlich. Sehr viel später erst — im 20. Jahrhundert — richtete sich die öffentliche Aufmerksamkeit auf die durch Straftaten geschädigten Personen. Hilfs- und Unterstützungsangebote entwickelten sich langsam und allmählich aus unterschiedlichen Richtungen.

Es gibt diverse Begrifflichkeiten, die Personen beschreiben, die eine Straftat zu ihrem Nachteil erleben mussten: Geschädigte, Betroffene, Opfer, Verletzte, Klienten. Einigkeit darüber besteht auch zwischen Polizei, Justiz und Sozialer Arbeit nicht.

Opferhilfe — Bedarf in Deutschland

Unstreitig ist jedoch, dass Unterstützungsangebote für diese Personengruppe notwendig sind. Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) registrierte 1.017.602 Betroffene von Straftaten im Jahr 2016, was über einem Prozent der Bevölkerung entspricht (BKA 2017, Tab. 91; Statistisches Bundesamt 2016). Einschränkend ist zu erwähnen, dass es sich hierbei nur um jene Betroffenen handelt, die die Straftaten zu ihrem Nachteil bei der Polizei gemeldet haben. Erkenntnisse über die nicht polizeilich registrierten Straftaten bieten Opferbefragungen, anhand derer das sogenannte Dunkelfeld geschätzt wird. Hiernach ist die Zahl der Betroffenen von Straftaten deutlich höher, als vorangehende Angaben vermuten lassen (Birkel et al. 2014).

Überraschend mag im ersten Moment klingen, dass der überwiegende Anteil von Betroffenen von Straftaten insgesamt männlich (60,3%) und erwachsen (über 18 Jahren) (85,2%) ist (BKA 2017, Tab. 91), da bei der Begrifflichkeit Opfer in den meisten Fällen zunächst an Frauen oder Kinder gedacht wird (Christie 1986). Allerdings zeigen sich Variationen in den einzelnen Deliktgruppen: Während beispielsweise 63,5 Prozent der Betroffenen von Körperverletzungen Jungen und Männer sind, sind 83,9 Prozent der Opfer von Sexualdelikten weiblich (BKA 2017, Tab. 91). Sexualdelikte sind nach der PKS allerdings sehr viel seltener als Körperverletzungen (41.413 vs. 648.563 im Jahr 2016).

Gewiss haben nicht alle Straftaten den gleichen Einfluss auf die Geschädigten. Insbesondere strafbare Eingriffe in die sexuelle Selbstbestimmung, aber auch diverse andere Straftaten wie Körperverletzungen, Stalking oder Wohnungseinbruchsdiebstahl können das Leben — mindestens vorübergehend — negativ beeinflussen. Dies muss jedoch nicht zwangsläufig der Fall sein, da nicht ausschließlich eine Straftat Personen objektiv zu Opfern und Hilfebedürftigen macht, sondern das eigene subjektive Empfinden der Situation entscheidend für die daraus entstandenen Bedürfnisse ist (Christie 1986).

Diese kurze Darstellung zeigt, dass Betroffene von Straftaten sehr unterschiedlich sind (hinsichtlich Geschlecht, Alter, erlebter Straftat) und — auch daraus resultierend — Ereignisse unterschiedlich erleben sowie über verschiedene Ressourcen verfügen. Entsprechend gestalten sich auch die Folgen und Beeinträchtigungen vielfältig (Christie 1986).

Institutionelle Hilfe für Betroffene von Straftaten

Während Betroffene von Straftaten heutzutage Unterstützungsangebote durch kompetentes Fachpersonal in Anspruch nehmen können, stellte dies in der Vergangenheit keine Selbstverständlichkeit dar. Staatliche geförderte Hilfeleistungen und rechtliche Regelungen zum Schutz von Opfern entwickelten sich erst Ende des 20. Jahrhunderts. Bereits davor erkannten jedoch einzelne engagierte Gruppierungen die Probleme von Opfern von Straftaten und sahen Änderungsbedarf.

An dieser Stelle ist die Frauen- bzw. Emanzipationsbewegung zu nennen, die ihren Höhepunkt in den 1970er Jahren hatte. In ihrem Rahmen wurde intensiv für die Rechte und Anliegen von Frauen gekämpft, und die traditionellen Rollenverteilungen in Frage gestellt. In diesem Zusammenhang entstanden verschiedene Beratungsangebote von Frauen für Frauen, die sich auch auf den Kontext der Gewalt bezogen. Während damals in der Gesellschaft die Ansicht vertreten wurde, was hinter verschlossenen Türen in der Familie passierte, sei Privatangelegenheit, kämpfte man dort offen gegen Männergewalt (Dlugosch 2010; Rucht 1994).

Es entwickelten sich in gegenseitiger Unterstützung verschiedene Hilfen für Frauen. Einerseits in Form von Frauenhäusern für Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen waren. Das erste Frauenhaus wurde 1976 in Berlin eröffnet (Fastie 2008, Rucht 1994). Bis heute bestehen diese Einrichtungen flächendeckend in Deutschland und sind nach wie vor Orte, die weiblichen Opfern von Männergewalt einen Anlaufpunkt und Unterstützung bieten. Damit übernehmen sie einen erheblichen Teil der institutionellen Hilfe in Fällen häuslicher Gewalt. Andererseits griff die Frauenbewegung das Thema sexuelle Gewalt in der aktiven sozialen Arbeit auf, indem 1983 der Verein „Wildwasser Berlin e.V.“ als Angebot für von sexueller Gewalt betroffene Mädchen und Frauen gegründet wurde. Weitere ähnliche Angebote in anderen Städten folgten. Zudem sorgten feministische Anwältinnen noch für die Unterstützung von Betroffenen im Strafverfahren (Fastie 2008).

Bei diesen Gründungen handelte es sich mit um die ersten Einrichtungen, die sich ausschließlich mit den Belangen von Gewaltopfern auseinandersetzten, auch wenn bereits zuvor diverse Beratungsstellen existierten, die — eng verknüpft mit der ersten Frauenbewegung — zu Beginn des 20. Jahrhunderts eingeführt wurden. Diese widmeten sich jedoch vorwiegend anderen Bereichen, wie der Erziehungs- oder der Eheberatung und hatten nicht speziell Opfer im Blick (Dlugosch 2010, 21ff.).

Der erste Verein, der sich allgemein Kriminalitätsopfern, egal welchen Geschlechts, widmete, war der „Weiße Ring“, der in Deutschland ebenfalls — wie das erste Frauenhaus — im Jahr 1976 entstand. Laut Satzung ist der Zweck des Vereins die „Hilfe für Personen, die durch mit Strafe bedrohte Handlungen geschädigt worden sind“. Ehrenamtliche, geschulte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen Betroffenen in solchen Situationen zur Seite. Der „Weiße Ring“ ist bis heute die größte derartige Organisation und bundesweit tätig (Steffen 2013, 54). Dabei erfolgt die Arbeit in der Regel aufsuchend, zudem kann finanzielle Unterstützung geboten werden. Die Finanzierung des „Weißen Rings“ erfolgt aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden, Geldbußen und testamentarischen Zuwendungen.

Staatliche Angebote zur Unterstützung und Betreuung von Opfern von Straftaten entstanden erst in den 1980er Jahren. So wurden damals Bedarfe im Umgang mit Opferzeugen im Strafverfahren bei bestimmten Delikten erkannt und mit der Einführung von Zeugenbetreuung an Landgerichten begegnet. Diese sollten die Situation während der Verhandlung für die Opferzeugen verbessern und unangenehme Begegnungen mit den Angeklagten verhindern. Dieses Angebot fand schnell bundesweite Verbreitung. Bspw. wurde in Limburg 1987 ein Angebot etabliert, das sich an sämtliche Zeugen richtete. Weitergehende Beratung außerhalb der Hauptverhandlung existierte dort nicht (Fastie 2008; Kaczynski 2000).

Die 1984 in Hessen eröffnete, teilweise durch die Justiz getragene Beratungsstelle, mit dem Namen „Hanauer Hilfe“, hingegen verfügte über die Möglichkeit, längerfristige Betreuung von Opfern von Straftaten anzubieten (Frese 2009; Schädler 1985). Diesem Modellkonzept als erste staatliche Opferhilfsorganisation folgend, entstanden weitere Einrichtungen in anderen hessischen Städten (Nini 1994). Nur vier Jahre nach der ersten professionellen Einrichtung bildete sich auf deren Initiative hin der bundesweite Arbeitskreis der Opferhilfen (ado e.V.), um einen Austausch zu ermöglichen und Standards zu etablieren (Nini 1994). Die im Jahr 2001 gegründete justiznahe „Stiftung Opferhilfe Niedersachsen“, die über elf Opferhilfebüros in verschiedenen Städten in Niedersachsen aktiv Beratung anbietet, ist die einzige landesweit agierende Institution zur Unterstützung von Betroffenen von Straftaten (vgl. Ferber 2004).

Ein neuerer Schritt in der Opferhilfe sind Trauma-Ambulanzen, die in den vergangenen Jahren in verschiedenen Bundesländern etabliert wurden. Die erste nahm in Nordrhein-Westfalen 1993 ihre Arbeit auf. Sie stellen eine Akutversorgung bei psychischen Problemen dar, da von Gewalt betroffene Personen teilweise erhebliche Folgen in Form von Traumatisierungen und Traumafolgestörungen erfahren müssen. Finanziert wird die Hilfe durch das Opferentschädigungsgesetz (OEG) und nicht durch die Personen selbst (Möllering 2006). Heute gibt es sie in mehreren Bundesländern flächendeckend.

Erst in der jüngeren Vergangenheit, bedingt durch eine gesellschaftliche Änderung, in der sich Männlichkeit und Opferschaft nicht mehr unbedingt ausschlossen, rückten auch männliche Opfer in die Diskussion. Da aufgrund der geschichtlichen Entwicklung ein Übergewicht von Angeboten für Mädchen und Frauen herrschte, entstanden vereinzelt Einrichtungen, die gezielt und ausschließlich Angebote für Jungen und Männer darstellen. Angelehnt an die Frauenhäuser existieren in Deutschland mittlerweile seit dem Jahr 2000 Männerwohnhilfen, die Männern eine Alternative anbieten, die aufgrund von Konflikten in der Partnerschaft nicht mehr zu Hause leben möchten (Rosenthal 2010). Andere, bereits länger existierende, Einrichtungen entstammen der Schwulenbewegung und richten sich an Jugendliche und Männer, die von schwulenfeindlicher Gewalt und Diskriminierung betroffen sind. Ergänzend finden sich einige wenige Männerberatungsstellen, die den Bereich Opferhilfe konkret abdecken, sowie Anlaufstellen für Jungen und junge Männer, die von sexuellem Missbrauch betroffen sind. Dennoch besteht nach wir vor ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen Angeboten für Frauen und Männer (Leuschner, Schwanengel 2014).

Ein weiterer Bereich von spezifischen ambulanten Beratungsangeboten ist in Deutschland aus dem Kinder- und Jugendschutz entstanden und richtet sich entsprechend an Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Zudem sind ursprünglich allgemeine Lebensberatungsangebote der Wohlfahrtsverbände teilweise spezialisiert worden und widmen sich somit nun in besonderem Maß der Hilfe für Betroffene von Straftaten (Leuschner; Schwanengel 2014).

Parallel zu genannter Entstehung der institutionellen psychosozialen Unterstützung von Opfern änderten sich auch — nicht zuletzt durch das Engagement der oben genannten Gruppen, Vereine und Initiativen — die Rechte von Opfern im Strafverfahren. Rechtliche Änderungen erfolgten zunächst mit dem Opferschutzgesetz 1986 und darauf folgend mit dem Zeugenschutzgesetz 1998 sowie dem ersten und zweiten Opferrechtsreformgesetz 2004 und 2009. Die hierdurch entstandenen Möglichkeiten der Nebenklagevertretung und des Zeugenbeistandes erhoben Betroffene von Straftaten aus der gänzlich passiven Rolle im Strafverfahren (Herrmann 2010). Dass der Prozess noch nicht abgeschlossen ist, wird durch die jüngst umgesetzten Änderungen des dritten Opferrechtsreformgesetzes deutlich, die bspw. zur Psychosozialen Prozessbegleitung, eine Begleitung zur psychischen Unterstützung im Strafverfahren, führten und Informationsrechte weiterhin stärken. Weiter wird durch das System der Sozialen Entschädigung seit 1976 eine Entschädigungsleistung für Betroffene von Gewalttaten angeboten (Leuschner, Schwanengel 2014).

Heutige Konsequenzen aus der Entstehungsgeschichte der Opferhilfe

Eine einheitliche staatliche Initiative, die sich bundesweit der Hilfe und Unterstützung von Kriminalitätsopfern widmet, existiert nach wie vor nicht. Stattdessen haben die aufgezählten Initiativen noch heute Einfluss auf die Ausgestaltung und Gesinnung der einzelnen Einrichtungen, auch wenn einige Änderungen stattfanden. Bspw. erkannten Einrichtungen, die einst aus der Frauenbewegung entstanden, dass auch Bedarfe bei Jungen und Männern vorhanden sind und öffneten ihre Türen teilweise auch für diese Klientel. Weiterhin bestehen verschiedene Träger und Finanzierungen (Leuschner, Schwanengel 2015).

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Bildquelle: Kriminologische Zentralstelle

Diese Unterschiede können für Hilfesuchende jedoch von Vorteil sein: Wie bereits erwähnt, werden Personen durch das Erleben von Straftaten unterschiedlich belastet. Aus diesem Grund ist die Existenz von verschiedenen Einrichtungen mit unterschiedlicher Anbindung und verschiedenen Ausrichtungen sinnvoll und gibt Betroffenen verschiedene Optionen. Eine eigene Auswahl aus den Beratungsangeboten kann dabei möglicherweise in eine effektivere und besser zugeschnittene Unterstützung münden.

Nachteil dieser Kleinteiligkeit der institutionellen Opferhilfe ist allerdings die ungenügende Bekanntheit und Erreichbarkeit der einzelnen Einrichtungen für Hilfesuchende (Treibel 2016). Diese Problematik wird auch durch die Einführung des § 406 k StPO im Rahmen des dritten Opferrechtsreformgesetzes deutlich, wonach eine Information der Betroffenen über Hilfeeinrichtungen gefordert wird. Hierbei bleibt die Information jedoch nur für jene verfügbar, die den Schritt der Anzeige und somit der Strafverfolgung der Taten gehen. Ein Sachverhalt, der nicht auf alle zutrifft.

Über das Hilfesuchverhalten von Menschen nach dem Erleben einer Straftat ist wenig bekannt (Treibel 2016; Leuschner, Schwanengel 2014). Sinnvoll ist sicher die weitestgehend etablierte Information durch Personen, die mit den Betroffenen von Straftaten in Kontakt kommen: die Polizei bei der Anzeigeerstattung. Dies beschränkt sich jedoch auf die Personen, die auch Anzeige erstatten. Betrachtet man die Zahlen des Statistischen Bundesamtes, nach denen 2015 85 Prozent aller Haushalte in Deutschland über einen Internetanschluss verfügen und über 80 Prozent der Bevölkerung Internetsuchmaschinen zur Recherche von Informationen über Waren oder Dienstleistungen nutzen (Statistisches Bundesamt 2015), liegt eine Verbesserung der Auffindbarkeit an dieser Stelle nahe. Die durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales finanzierte Internetseite https://doi.org/www.ODABS.org setzt daran an. Eine Darstellung der Einrichtungen der Opferhilfe, gemeinsam mit Hinweisen zu den Vorgehensweisen und Arbeitsgebieten, kann Betroffenen von Straftaten die Möglichkeit geben, sich Überblick über entsprechende Angebote zu verschaffen. Dabei werden durch eine vorangehende Filterführung nur solche Beratungsstellen präsentiert, die für den speziellen Einzelfall geeignete sind. Ergänzende Vorteile dieses Mediums sind die Niedrigschwelligkeit und Anonymität mit der hier die ersten Schritte erfolgen können.

Fazit

Opfer einer Straftat zu werden, versetzt Menschen in eine Situation, in der sie zum großen Teil die Kontrolle über das Geschehen verlieren. In solchen Fällen sind Aufklärung und niedrigschwellige Unterstützung der Betroffenen dringend notwendig. Diese Aufgabe wurde und wird durch verschiedene engagierte Vereine und Institutionen übernommen. Dabei stellt sich allerdings die Frage, wie die Betroffenen zunächst von den verschiedenen Angeboten erfahren. Das Anbieten einer umfangreichen Liste von möglichen Hilfsangeboten, egal ob persönliche Beratung, Telefon- oder Onlineberatung, die somit Optionen aufzeigt, ohne ein bestimmtes Handeln vorzugeben, kann dafür ideal sein.

Mit der Online-Datenbank für Betroffene von Straftaten (https://doi.org/www.ODABS.org) wurde der Versuch unternommen, dies umzusetzen. Dabei handelt es sich um eine Internetseite, die eine anonyme Information über die Betreuungs- und Hilfsmöglichkeiten in der jeweiligen Region gibt und mittlerweile bundesweit etwa zwei Drittel aller in Deutschland vorhandenen Einrichtungen mit unterschiedlichen Beratungsangeboten für Kriminalitätsopfer umfasst. Dass Betroffene sich eigenständig informieren können und selbst entscheiden, welches Angebot sie wahrnehmen möchten, kann darin unterstützen, verlorene Kontrolle wiederzuerlangen und somit einen positiven Effekt auf die Verarbeitung des Geschehens haben. Auf diese Weise können die Vorteile der heterogenen Opferhilfelandschaft gefördert und Nachteile reduziert werden, so dass Betroffene von Straftaten die adäquate und angemessene Unterstützung in ihrer Situation selbstständig ermitteln können.