Ralf Münnich, geboren 1964 in Heidelberg, steht wie kaum ein anderer aktiver deutscher Statistik-Hochschullehrer für die Verbindung zwischen akademischer und amtlicher Statistik. Er begann sein Berufsleben zwar als Diplom-Mathematiker (Studium in Heidelberg und Tübingen mit Nebenfach VWL, dazwischen Erasmus-Stipendium am St. Patrick’s College Maynooth, Irland), wandte sich aber bald angewandten Fragestellungen besonders aus der Amtsstatistik und dem Wirtschaftsleben zu. Seine Promotion zum Dr. rer. pol. bei Eberhard Schaich in Tübingen 1996 erfolgte mit der Arbeit Gebundene Hochrechnung bei Stichprobenerhebungen mit Hilfe von Splines, seine Habilitation im Jahr 2005 behandelte die Datenqualität in komplexen Stichproben. In dieser Zeit, bis zu seinem Wechsel als Professor an die Universität Trier im Jahr 2005, arbeitete Ralf Münnich zunächst als Wissenschaftlicher Mitarbeiter, dann als Akademischer Rat am Tübinger Lehrstuhl für Statistik, Ökonometrie und Unternehmensforschung.

Trotz mehrerer auswärtiger Rufe nach Dortmund, Stockholm und Bielefeld ist Ralf Münnich der Universität Trier und seinen ersten Forschungsinteressen Stichprobendesign und Survey-Statistik bis heute treu geblieben. Er vertritt die deutsche Statistik in der Internationalen Gesellschaft der Survey Statistik, berät das Statistische Bundesamt in Zensusfragen, war von 2011 bis 2016 Herausgeber des Allgemeinen Statistischen Archivs und ist seit 2020 gewählter Vorsitzender der Deutschen Statistischen Gesellschaft. Mit dem Interviewer Walter Krämer traf er sich am Rande der Feierlichkeiten zum 75-jährigen Bestehen des Statistischen Bundesamtes Anfang Juli 2023 in Wiesbaden.

Krämer: Meine beliebte Eröffnungsfrage: Herr Münnich, wie kamen Sie eigentlich ursprünglich zur Statistik (Abb. 1)?

Abb. 1
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Ralf Münnich: Ein wichtiger Mittler zwischen universitärer und amtlicher Statistik

Münnich: Eher durch Zufall. Darf ich das als Vorsitzender der Deutschen Statistischen Gesellschaft eigentlich zugeben? Meinen Lebenslauf bezeichne ich gerne auch mal als „random walk with lucky drift“ – etwas, was ich meinen Schülern eigentlich absolut nicht empfehle. Während des Mathematik-Grundstudiums in Heidelberg hatte ich zwar im zweiten Semester Stochastik gehört, aber gedacht: Oje, das vielleicht nicht mehr. Als ich dann nach Tübingen gekommen bin und überlegt habe, welche Scheine ich noch mache, bin ich in einem Seminar bei Eberhard Schaich gelandet, eigentlich in meinem Nebenfach. Es ging um Armutsmessung, und gerade das Zusammenspiel zwischen Mathematik bzw. Statistik und anwendungsorientierten Problemen fand ich sehr spannend und genau das hat mir sehr viel Spaß gemacht …

Krämer: Da sind wir schon zwei, siehe Krämer (2000).

Münnich: … und das Seminar lief so gut, dass Herr Schaich mir danach eine Hiwi-Stelle angeboten hat. Das Seminarthema war perfekt auf mich zugeschnitten. Ich konnte zeigen, dass in den mir zugeteilten zwei Papieren alle Beweise falsch waren, worauf ich dann die Hiwi-Stelle sehr gerne angenommen habe. Als dann Hans Wolfgang Brachinger, der ja wissenschaftlich mein großer Bruder ist, seinen ersten Ruf bekommen hatte, wurde mir dessen Mitarbeiterstelle angeboten; Schaich hatte immer gerne einen Mathematiker in seinem Team. So bin ich dann Assistent geworden. Meinem Wunsch, als neuer Assistent dann erstmal was eher Mathematisches zu machen, entsprach Schaich aber nicht. Stattdessen hat er mich auf die Übungen zur Stichprobentheorie gesetzt. Das war so etwas, wo ich plötzlich merkte: Mann, das ist sehr spannend, und da bin ich heute noch – und bin ihm natürlich sehr dankbar, dass er mich dazu ein wenig gezwungen hat (Abb. 2).

Abb. 2
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Ralf Münnich bei der Eröffnung der Statistischen Woche 2019 in Trier – die letzte vor der Covid-Krise und vor seiner Wahl zum Vorsitzenden der DStatG e. V.

Krämer: Aus diesem Umkreis stammt ja auch das Gros ihrer wissenschaftlichen Arbeiten. Welche haben Ihnen denn am meisten Spaß gemacht?

Münnich: Es gibt zwei Bereiche, die mich besonders beschäftigt haben, sowie einen dritten neuen, der sich teilweise daraus entwickelt hat. Bei der DStatG-Pfingsttagung 1998 in München entstand bei einem Gespräch mit Jürgen Schmidt vom Statistischen Bundesamt das Thema Varianzschätzung in komplexen Erhebungen, was zunächst mein Habilitationsthema und später auch mein erstes EU-Projekt DACSEIS (Data Quality in Complex Surveys within the New Europe Information Society) geworden ist. Ohne Projekterfahrung hatte ich auf einmal ein 1,6 Mio. €-Projekt zu leiten. Daraus ergaben sich eine Reihe von Publikationen im Komplex Stichproben und Varianzschätzung und etwas verzögert dann auch zur Small Area-Statistik (Münnich et al. 2012, 2016). Die eigentliche Königsdisziplin für mich war dann aber wohl die Forschung zum Zensus 2011 und später zum Zensus 2022. Niemals vergessen werde ich meinen Auftritt zum Zensus 2011 beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Als besondere Ehre habe ich es dabei empfunden, im Urteil namentlich genannt zu werden.Footnote 1 Als dritter Schwerpunkt, entstanden aus dem Bestreben, die Verfahren auch in einem anwendungsorientierten Kontext empirisch überprüfen zu können, kam nach anfänglich einfacheren Simulationsstudien die statistische Methodik von Mikrosimulationen hinzu, in der wir international gerade sehr aktiv sind (Münnich et al. 2021).

Krämer: Welche akademischen Lehrer neben Eberhard Schaich haben Sie denn sonst noch beeindruckt?

Münnich: Im Mathematikstudium war das wohl Rainer Nagel aus der Funktionalanalysis. Er war einfach als Lehrer und als Mensch sehr beeindruckend und hat immer auch die Leute gefördert und mir zum Beispiel das Stipendium nach Irland besorgt. Aber er hat auch seine Schüler in die Pflicht genommen. Als Rainer mich während meiner Assistentenzeit angerufen hat, wusste ich, OK, jetzt ist wieder ein Student da und er braucht deine Unterstützung. Das war irgendwie eine ganz große Familie, was mich sehr beeindruckt und eigentlich auch geprägt hat, so dass für mich meine Professur, die ja nicht ganz klein ist, sozusagen meine zweite Familie ist. Aber das kennen Sie ja auch sehr gut …

Krämer: Ja, kann ein Vorteil, aber auch ein Nachteil sein. Noch mal zu Ihrem Statistik-Werdegang. Der von Ihnen angeführte Zufall überrascht mich etwas, bei ihrem familiären Umfeld hätte ich eher das Gegenteil gedacht. Schließlich hat Ihr Vater Frank Münnich ja bei der immer noch einzigen deutschen Statistik-Fakultät in Dortmund Geburtshelfer gespielt … (Abb. 3).

Abb. 3
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Vater und Sohn – beim Ausarbeiten einer Vorlesung zu Statistical Literacy zu einem Artikel mit dem Thema „Steeplechase – from statistical insight to political reality“

Münnich: Ja, als er 1969 als junger VWL-Professor aus den USA an die neue TU Dortmund kam, hatte er das amerikanische System im Kopf. Und da hat halt jede halbwegs seriöse Universität einen eigenen Statistik Fachbereich. Deshalb hat er das auch in Dortmund propagiert und schließlich auch umgesetzt. Aber als Jugendlicher hat man eigene Flausen im Kopf, mich haben sehr früh immer schon Computer-Anwendungen interessiert – ich wäre fast in der Informatik in Karlsruhe gelandet. Und dann war auch immer das Gefühl, dass ich mich ein wenig distanzieren wollte und nicht als „kleiner Münnich“ profitieren wollte. So habe ich dann Mathematik studiert und mich dort dann auch zunächst eher auf Numerik fokussiert, bis ich dann in dem zuvor genannten Seminar plötzlich mein Interesse an angewandter Statistik entdeckt habe.

Krämer: Nochmal zum Thema Ausbildung. Glauben Sie, dass die Statistik-Ausbildung, die der typische deutsche Volks- und Betriebswirt mitbekommt, das Richtige ist für das spätere Berufsleben, etwa für eine Karriere im Statistischen Bundesamt?

Münnich: Das ist schwer zu sagen. Wir beide kennen ja noch die Klassik mit dem Diplom, wo die Statistik-Ausbildung immer ihren Platz und ihre Bedeutung hatte. Mit der Zeit und vor allem mit der Konkurrenz um Lehreinheiten im Bachelor habe ich aber den Eindruck, dass an der Statistik-Ausbildung immer mehr gespart wird mit der Folge, siehe Covid-Krise, dass in Deutschland auch sogenannte Experten einen geradezu fahrlässigen Umgang mit Daten pflegen. Hier müssen wir Statistiker vielleicht nochmal nachdenken; allzu methodisch orientierte Vorlesungen, wie an vielen Fakultäten immer noch gepflegt, sind vielleicht nicht mehr zeitgemäß. Es wäre auch hilfreich, wenn die Studierenden uns als Vertreter einer hoch spannenden Disziplin wahrnehmen, und nicht als die Hürde vor dem Abschluss.

Bachelor und Master liefern aber auch neue Möglichkeiten, Vertiefungen im Master anzubieten. In Trier zum Beispiel haben wir „Applied Statistics“ als Master eingeführt, mit der Möglichkeit der Spezialisierung in Survey-Statistik. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit, eine Art Doppel-Master zu erwerben, so dass man noch die eigene Herkunft aus der Volkswirtschaftslehre oder der Soziologie erkennt, aber trotzdem stärker in Statistik vertieft.

Krämer: Sie haben ja auch den „European Master of Official Statistics“ mit aus der Taufe gehoben. Wie geht es denn dem EMOS-Programm heute?

Münnich: Ich war Mitglied im Vorbereitungs-Board, das bei einem Workshop in Southampton nach einem ISI-Weltkongress, ich meine in Lissabon, 2008 gegründet wurde. Damals hatte Eurostat große Probleme mit der Fach-Ausbildung neuer Mitarbeiter und man hat überlegt, wie man die Statistik-Ausbildung verbessern und gleichzeitig etwas gemeinsames Europäisches daraus machen kann. Passiert ist aber wenig, bis dann Walter Radermacher als Generaldirektor kam. Bei einem Treffen in Helsinki wurden schließlich die entscheidenden Schritte getan, und seit zehn Jahren ist EMOS aktiv. Aktuell sind 34 Programme aus 18 Ländern dabei. Wir in Trier natürlich auch.

Krämer: Wie viele deutsche Universitäten machen denn jetzt mit?

Münnich: Eigentlich müssten nächstes Jahr Berlin, Bamberg, Dortmund und München wieder verlängern. Mannheim ist inzwischen auch dabei. Durch Corona haben wir ja gelernt, wie man mit Videotechniken umgeht, dieses Konzept kann man gerade für EMOS natürlich in hervorragender Art und Weise nutzen, wie wir das im gemeinsamen Master zwischen Bamberg und Trier machen – früher war auch noch Berlin dabei, hat sich aber für eine andere Ausrichtung entschieden. Gerade versuchen wir zusammen mit der EZB, Eurostat, der Bundesbank und dem Statistischen Bundesamt einen speziellen Master-Kurs für EMOS aufzubauen. Grundsätzlich wäre dieser Kurs auch exportierbar. Und wenn wir das ernst nehmen, könnte man im EMOS-Netzwerk auch weitere Veranstaltungen austauschen und diese auch im Sinne von Raising Awareness für Studierende anderer Disziplinen öffnen.

Krämer: Sie gehören ja auch zu den deutschen Zensus-Experten. Halten auch Sie den traditionellen Zensus per Fragebogen noch für zeitgemäß?

Münnich: Ja, es gibt immer weniger Länder in der Welt, die eine klassische Volkszählung durchführen. Der Ausgleich von Kosten und Aufwand ist ja eines der Grundprinzipien des European Statistics Code of Practice. Das bedeutet insbesondere Sparsamkeit bei der Befragung. Ich bin der Meinung, auch wenn es noch ein längerer Weg in Deutschland sein wird, aber manche Länder machen das schon, dass man noch viel stärker Register verwenden sollte und später möglicherweise einen Zensus direkt unter Verwendung von Registern durchführen kann. Aber die Verknüpfung der Einheiten, in Deutschland gibt es noch immer keinen für die Statistik verwendbaren eindeutigen Identifikator, zwischen Registern und die Ergänzung weiterer fehlender Informationen ist hochgradig nichttrivial. Beispielsweise befindet sich ein Bildungsregister erst im Aufbau, und wir beide werden da wohl nicht auftauchen, wenn wir beispielsweise nicht doch noch einen weiteren Titel machen. Ich bin mir sicher, dass es in nächster Zeit noch viel Diskussionen um die Zukunft des Zensus in Deutschland geben wird. Schließlich muss die Gesetzgebung angepasst werden, um die notwendigen Grundlagen zu schaffen.

Krämer: Wo wir schon bei neuen Techniken für die Amtsstatistik sind: Was halten Sie von der verstärkten Einbindung von Internetdaten und Big Data allgemein in die Amtsstatistik?

Münnich: Viel, aber bitte mit der nötigen Sorgfalt. Nehmen wir als Beispiel Satellitendaten für die Agrarstatistik. Da sieht man, was angebaut wird, und wie die Erntestände sind. Für mich gab es dazu ein Schlüsselereignis, als ich in Urlaub gefahren bin durch Deutschland und die Sonnenblumen links und rechts der Straße angesehen habe. Die waren in manchen Feldern drei Meter hoch und in bester Blüte, und wenig weiter völlig ausgedörrt und haben die zwei Meter nicht erreicht. Sowas kann man mit Fernerkundungsdaten besser erfassen. Genauso könnte man die Bautätigkeitsstatistik durch Satellitendaten unterstützen, um zu sehen, wo dann auch wirklich Häuser bezogen werden. Dazu gab es kürzlich eine sehr schöne Arbeit, übrigens aus Dortmund, die den DESTATIS-Nachwuchspreis erhalten hat.Footnote 2

Krämer: Satellitendaten schreien natürlich geradezu nach Künstlicher Intelligenz. Sehen Sie eine Gefahr, dass auch auf anderen Gebieten die KI auch vielen Amtsstatistikern ihre Arbeitsplätze streitig machen wird?

Münnich: Wie bei jeder Innovation müssen wir zunächst mal umdenken. Im Moment bin ich noch skeptisch, was die Reichweite betrifft. Nehmen wir Machine Learning in der Statistik. Oft ignoriert man hier das, was wir Statistiker mit der Muttermilch aufsaugen, die Unsicherheit in den Daten, die Variabilität und die Varianz. Wichtiger ist vielen hier das Finden der besten Lösung und des tollsten Algorithmus. Und bei KI ist das dann noch viel undurchsichtiger. Man hat Ergebnisse, die oft sehr gut und sehr interessant sind und man weiß nicht, warum sie möglicherweise gut sind. Oft hat man noch nicht mal einen Qualitätsbegriff. Es passiert dann, dass solche Ergebnisse auch mal vollkommen neben der Wirklichkeit liegen oder sogar manipulierbar sind. Und gerade das ist, meine ich, ein Asset amtlicher Statistik: die Unabhängigkeit und dieses darüber nachdenken. Kann oder kann nicht manipuliert werden? Ist es objektiv, was da rauskommt? Welche Qualität haben die Ergebnisse? Das halte ich für ganz essenziell! Deswegen glaube ich, dass es keinen großen Bruch geben wird. Die amtliche Statistik sollte auf den KI-Zug aufspringen, sie darf es aber nicht übertreiben und darf ihre Wurzeln keinesfalls vergessen. Woher kommen die Daten und was sagen sie aus? Wenn wir uns etwa Mobilfunkdaten ansehen, stellt man fest, dass gerade die 50- bis 55-jährigen Männer deutlich überrepräsentiert sind. Ja, das sind die Väter von den Kindern, die einen nicht geringen Teil dieser Mobilfunkgeräte nutzen. Hier sind wir gerade am überlegen, wie man mit Hilfe einer zusätzlichen Stichprobe solche demografischen und natürlich auch weitere Verzerrungen korrigieren kann.

Krämer: Sie sind ja auch gewählter Vorsitzender der Deutschen Statistischen Gesellschaft, die ist ja anders als die Royal Statistical Society oder die American Statistical Association stärker auf die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften fokussiert. Kann und sollte man etwas dagegen tun? Ich meine mehr, als aktuell schon in der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Statistik (DAGStat).

Münnich: Die deutsche Verbandsstruktur ist wie die englische und amerikanische traditionell gewachsen. Die Deutsche Statistische Gesellschaft ist die älteste statistische Gesellschaft in Deutschland, mit der Biometrie sind wir die zwei größten. Aber eben zwei und nicht eine. Das ist ein bisschen schade, dass das in Deutschland so ist und möglicherweise einer der Gründe, warum die Statistik an den Universitäten in Deutschland so zersplittert gelehrt wird bzw. fast keine eigenen Fakultäten hat – also eine echte Statistik-Fakultät, wo Statistikerinnen und Statistiker dann auch zusammensitzen, auch über den Tellerrand hinausschauen. Anderswo sind die Statistik-Lehrstühle oft isoliert in Fächern und es entscheiden über die Berufungen Kolleginnen und Kollegen, die von der Statistik wenig vertiefte Kenntnisse besitzen. Das finde ich sehr schade, eigentlich sogar ärgerlich. Damit droht die Vielfalt unserer so spannenden Disziplin verloren zu gehen. Dieser Umstand ist leider an vielen Universitäten zu beobachten, dass immer weniger Statistik-Lehrstühle in ihrer eigentlichen Form wiederbesetzt werden. Und die aktuelle Diskussion um Data Science macht es leider noch schwieriger.

Gerade Corona hat gezeigt, wie wichtig die Statistik ist. Hier müssen wir aber noch viel Überzeugungsarbeit leisten. Und unsere Disziplin prominent zu vertreten, oder gar gute Lobby-Politik zu betreiben, ist bedauerlicherweise nicht unsere Stärke.

Krämer: Was denn zum Beispiel?

Münnich: Vielleicht müssen wir in Deutschland noch stärker anwendungsorientiert arbeiten. Ich sehe eine Lücke zwischen einer hervorragenden theoretischen Statistik, die wir in Deutschland haben, und den Anwendungen, qualitativ wie quantitativ. Ich selbst bin ja fast Monopolist für Surveys und Methoden der Amtsstatistik, hier brauchen wir mehr Personal. Eine starke Beteiligung an Drittmittelprojekten hilft sicher auch, Ministerien und Universitätsleitungen zu überzeugen (Abb. 4).

Abb. 4
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Walter Krämer und Ralf Münnich beim Interview auf der Terrasse des RheinMain CongressCenter in Wiesbaden

Krämer: Und zu allem Überfluss kommen jetzt auch noch die Informatiker und nehmen uns die Butter vom Brot?

Münnich: Ja, das ist die Data Science, vor der viele von uns Angst haben. Teilweise berechtigt, weil noch mehr Lehrstühle wegzufallen drohen und die Informatiker oft nicht die statistische Methodik und die damit verbundene Problematik hinter ihren Lösungsversuchen sehen. Hier müssen wir aber positiver und selbstbewusster sein, unsere Statistik modernisieren, stärker auch wirklich mit den Daten arbeiten. Was habe ich denn selber im Statistikstudium gelernt? Da gab es Datensätze der Größe 10, damit man von Hand die Regression berechnen konnte, heute lachen wir darüber. Aber ein bisschen von dieser Denkweise ist bei manchen noch hängen geblieben. Ich plädiere hier für mehr Offenheit, mehr Arbeit mit den Daten. Ich sage auch dem Statistischen Bundesamt: Wir brauchen eure Daten an den Unis. Die Geheimhaltung vieler Datensätze erschwert das Arbeiten mit amtlichen Daten leider immer noch sehr. Nur wo die Daten und Projekte sind, da sind auch Professuren; für diese Sichtweise setze ich mich immer wieder auf europäischer und nationaler Ebene ein.

Krämer: Ein positives und ermutigendes Schlusswort, vielen Dank für das Gespräch.