Rechtliche und ethische Rahmenbedingungen

Genetische Beratung im Kontext genetischer Diagnostik soll, so die Gendiagnostik-Kommission in ihrer zugehörigen Richtlinie, „einem Einzelnen oder ggf. auch einer Familie helfen, medizinisch-genetische Fakten zu verstehen und ihre Relevanz für das weitere Leben einordnen zu können, Entscheidungsalternativen zu bedenken (Wissen – Nichtwissen), selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen und individuell angemessene Verhaltensweisen zu wählen“ [1]. Gemäß den autonomiezentrierten ethischen Konzepten von Nichtdirektivität und Recht auf Nichtwissen [2] soll der genetische Berater den Ratsuchenden in möglichst wertneutraler Weise die Fakten vermitteln, die sie für eine kompetente Entscheidungsfindung für oder gegen die Inanspruchnahme eines diagnostischen Angebotes benötigen. Der Gesetzgeber selbst beschreibt den Prozess der genetischen Beratung als „ergebnisoffen“ (§ 10 Abs. 3 GenDG, [3]).

Im Zusammenhang mit Pränataldiagnostik zieht das GenDG [3] in § 15 Abs. 3 jedoch der Entscheidungsautonomie der Ratsuchenden klare Grenzen: Anders als bei sonstigen genetischen Untersuchungen muss vor und nach pränataler Diagnostik eine genetische Beratung nicht nur nach einem auffälligen Ergebnis angeboten werden, sondern unabhängig vom Ergebnis tatsächlich erfolgen. Mit dieser Verpflichtung, die sich gleichermaßen an Berater und Ratsuchende richtet, soll verhindert werden, dass entscheidungsrelevante Tatsachen nicht zur Kenntnis genommen oder gebracht werden. Dieser erhebliche Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung wird dadurch gerechtfertigt, dass in der biologischen Sonderkonstellation der fetomaternalen Einheit die untersuchte Person mit einer falschen Entscheidung aufgrund nicht in Anspruch genommener genetischer Beratung nicht nur sich selbst schaden würde, sondern auch den Lebensinteressen des ungeborenen Kindes. Auch wenn die Rechtsfähigkeit des Menschen nach zivilrechtlicher Definition erst mit der Vollendung der Geburt beginnt (§ 1 BGB), kommen straf- und arztrechtlich schon nach der Verschmelzung der Vorkerne dem Embryo, dann mit zunehmender Entwicklung dem Fetus immer stringentere Schutzrechte zu. Dieses „gradualistische Konzept“ des vorgeburtlichen Lebensschutzes [4] prägt sich in für genetische Berater relevanter Weise teils in sanktionsbewehrten Vorschriften aus (etwa dem Verbot der Geschlechtsmitteilung an die Schwangere vor Ablauf der 12. Woche; § 15 Abs. 1 GenDG, [3]), teils in praktisch nicht minder wichtigen Konventionen wie der Zurückhaltung gegenüber genetischen Untersuchungen, deren Ergebnisse absehbar erst nach der 22. Woche vorliegen werden. Mithin ist der genetische Berater im Kontext pränataler Diagnostik zugleich Sachwalter der expliziten Interessen der vor ihm sitzenden Schwangeren als auch der mutmaßlichen Interessen des ungeborenen Kindes – dass beide nicht immer kongruent sind, stellt hier die zentrale ethische Herausforderung dar.

Auf der personellen Ebene versucht der Gesetzgeber, eine hohe fachliche Qualifikation des Beraters sicherzustellen. Zunächst gilt für jede genetische Beratung, auch postnatal, ein strikter Arztvorbehalt. Die Gesamtverantwortung des ArztesFootnote 1 für den genetischen Beratungsprozess lässt ihm aber die Möglichkeit, in geeigneten Situationen auf nichtärztliche Kompetenzen zurückzugreifen, zumal das Hinzuziehen „weiterer sachverständiger Personen“ in § 10 Abs. 3 des GenDG [3] explizit und ohne Begrenzung auf Ärzte vorgesehen ist. Beispiele hierfür sind die Interpretation einer technisch komplexen Labordiagnostik durch einen Naturwissenschaftler oder die Unterstützung eines Elternpaares bei der Bewältigung einer ungünstigen Diagnose durch einen Psychotherapeuten.

Als weitere persönliche Voraussetzung speziell für die genetische Beratung zur Pränataldiagnostik fordert der Gesetzgeber in § 7 Abs. 3 GenDG, präzisiert durch die Gendiagnostik-Kommission (GEKO, [1]), über den Ärztestatus als solchen hinaus eine Zusatzqualifikation zum genetischen Berater. Über diese verfügen aufgrund ihrer Weiterbildung alle Fachärzte für Humangenetik und Ärzte mit Zusatzbezeichnung „medizinische Genetik“; sie kann aber auch durch Fortbildungen von Ärzten anderer Fachrichtungen erworben werden. Angesichts der offenkundigen quantitativen Lücke zwischen den nicht einmal 300 in der genetischen Beratung aktiven Humangenetikern und den jährlich über 600.000 Schwangerschaften mit potenziellem genetischem Beratungsbedarf in Deutschland wird derzeit und, angesichts absehbarer Anpassungen der frauenärztlichen Weiterbildungskataloge, auch künftig die Mehrzahl der genetischen Beratungen zur Pränataldiagnostik von Frauenärzten durchgeführt.

In jeder genetischen Beratung zur Pränataldiagnostik muss gemäß § 15 Abs. 3 GenDG [3] auf den psychosozialen Beratungsanspruch gemäß § 2 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes (SchKG, [5]) hingewiesen werden. Minimalanforderung dürfte hierfür die Aushändigung einer Adressenliste der anerkannten Konfliktberatungsstellen in der Region sein; es kann aber sehr entlastend für Ratsuchende mit entsprechendem Bedarf sein, in Absprache mit ihnen direkten Kontakt zu einem externen, nach dem SchKG anerkannten Konfliktberater herzustellen und sie sozusagen „weiterzureichen“. Gemeinsame Beratungsgespräche von genetischen Beratern und Konfliktberatern sind allerdings insofern problematisch, als die strafrechtlich bedeutsame Unterscheidung zwischen der medizinischen und der Konfliktindikation zum Schwangerschaftsabbruch (§ 218a Abs. 2 bzw. Abs. 4 des Strafgesetzbuches, [6]) unbedingt auch institutionell erkennbar bleiben muss.

Falls nach einer Pränataldiagnostik die Art der zu erwartenden Krankheit oder Schädigung des ungeborenen Kindes genau feststeht, soll, sofern die Schwangere es wünscht, zu einem Beratungsgespräch ein Kinderarzt hinzugezogen werden, der Erfahrung in der Behandlung geborener Kinder mit dieser Krankheit hat [1]. Dies kann sehr hilfreich sein; dabei ist es für den genetischen Berater wichtig, sich mit dem mitberatenden Kinderarzt vor dem gemeinsamen Beratungsgespräch mit der Schwangeren – vorzugsweise beiden Eltern gemeinsam – über die jeweils eigene Beurteilung der Situation abzustimmen, insbesondere hinsichtlich der Frage, ob eine medizinische Indikation zum Schwangerschaftsabbruch gegeben ist oder nicht. Optimal für die ärztliche Entscheidungsfindung vor dem Beratungsgespräch ist ein interdisziplinäres perinatologisches Konsil unter Einbeziehung von Experten aller beteiligten Professionen. Hilfreich kann auch die in der GEKO-Richtlinie zur genetischen Beratung [1] vorgesehene Kontaktherstellung zu Selbsthilfegruppen sein. Die praktischen Erfahrungen betroffener Eltern können eine wertvolle nichtärztliche Kompetenz darstellen; sie bergen aber die Gefahr, dass individuelle Erlebnisse im Guten oder Schlechten verallgemeinert werden und das Gesamtbild verzerren. Andererseits wäre es naiv zu glauben, dass Schwangere im Zeitalter von „Dr. Google“ darauf verzichten würden, einer ihnen genannten vorgeburtlichen Diagnose auf eigene Faust in Internetforen nachzugehen [7].

Auch in der, natürlich viel häufigeren, Situation eines unauffälligen Ergebnisses der Pränataldiagnostik muss, so das GenDG, eine genetische Beratung nach der Untersuchung erfolgen. Diese kann sehr bedeutsam sein, beispielsweise um bei einem Hydrops fetalis die Grenzen der Aussagekraft eines unauffälligen zytogenetischen Befundes zu verdeutlichen. In anderen Konstellationen, etwa bei einer 36 Jahre alten Schwangeren mit bislang unauffälligem Schwangerschaftsverlauf, kann die Interpretation eines unauffälligen Chromosomenbefundes durchaus schon im ersten Gespräch vor der Untersuchung so hinreichend erörtert werden, dass in diesem Falle keine unabweisbare Notwendigkeit für ein zweites Gespräch besteht. Ein pragmatisches Vorgehen hierbei kann die schriftliche Erklärung der Schwangeren gemäß § 10 Abs. 2 GenDG im Rahmen der Einwilligungserklärung zur Pränataldiagnostik sein, nach der – selbstverständlich unabdingbaren – genetischen Beratung vor der Untersuchung für den Fall eines unauffälligen Ergebnisses auf die genetische Nachberatung zu verzichten.

 Tab. 1 fasst die normativen Grundlagen der genetischen Beratung zur Pränataldiagnostik zusammen.

Tab. 1 Normative Grundlagen der genetischen Beratung zur Pränataldiagnostik

Beraterische Aspekte pränataldiagnostischer Methoden

Hinsichtlich der inhaltlichen Anforderungen an die genetische Beratung zur Pränataldiagnostik bestehen erhebliche Unterschiede, abhängig von der Ausgangskonstellation und der Methodik.

Pränatale Diagnostik von Chromosomenanomalien

Die weitaus meisten genetischen Pränataldiagnostiken gehen nicht von individuell aus der betroffenen Familie bekannten Erkrankungen aus, sondern zielen auf die Erfassung von Anomalien, die in der Schwangerenpopulation häufig sind, welcher die ratsuchende Schwangere zugehörig ist. Dies sind v. a. die mit zunehmendem mütterlichem Alter häufiger werdenden numerischen Chromosomenanomalien. Angesichts einer Prävalenz der Trisomien 13, 18 und 21 in Schwangerschaften von insgesamt 0,29 % in der europäischen Bevölkerung bei etwa 5-fach erhöhtem Risiko in der mütterlichen Altersgruppe von 35 bis 39 Jahren nach der EUROCAT-Studie 2013 [8] ist die Wahrscheinlichkeit eines pathologischen Befundes bei einer Amniozentese aufgrund erhöhten mütterlichen Alters weitaus geringer als die eines unauffälligen Befundes. Zugleich ist aber das Spektrum der möglichen Ergebnisse recht breit, namentlich die Vielzahl sehr unterschiedlich zu bewertender Befunde einer mikroskopischen Chromosomenanalyse. Hier kann der Berater nur exemplarisch typische Befunde wie die Trisomie 21 erörtern – mit der immanenten Gefahr, dass in der Wahrnehmung der Ratsuchenden die Diagnostik etwa auf die Amniozentese zum „Test auf das Down-Syndrom“ verengt erscheint.

Bei einer solch geringen A-priori-Wahrscheinlichkeit eines pathologischen Befundes spielt die Abwägung zwischen dem eingriffsbedingten Komplikationsrisiko der Probenentnahme durch Amniozentese (AC) etwa in der 16. Schwangerschaftswoche von etwa 0,5 % oder durch Chorionzottenbiopsie (CVS ) etwa in der etwa 11. Woche von etwa 1 % [9] eine wesentliche Rolle für die Beratung zur Entscheidungsfindung.

Klarer ist die Indikationsstellung bei im Ultraschall unerwartet festgestellten fetalen Fehlbildungen, etwa einem Herzfehler. Bei 16 % aller isolierten und sogar 66 % der mit anderen Organfehlbildungen assoziierten fetalen Herzfehler findet sich in der zytogenetischen Pränataldiagnostik eine Chromosomenanomalie [10]. Allerdings muss hierzu erörtert werden, dass ein unauffälliger zytogenetischer Befund keinesfalls eine Entlastung von der klinischen Problematik bedeuten kann. Dies gilt insbesondere für den pränatalen „Schnelltest“ mittels FISH oder PCR auf die häufigsten numerischen Aberrationen. Bei der Abklärung eines hinweisend auffälligen Ultraschallbefundes, etwa eines auf eine Trisomie 18 hinweisenden Musters fetaler Organfehlbildungen, ist er für die Schwangere durch die Verkürzung der Wartezeit bis zum Schwangerschaftsabbruch sehr hilfreich [11]. Beim Einsatz des Schnelltests in einer zuvor unauffällig verlaufenen Schwangerschaft muss erörtert werden, dass seine Aussagekraft auf numerische Veränderungen der von ihm erfassten Chromosomen limitiert ist, und dass ein hier auffälliger Befund nicht als alleinige Indikationsgrundlage für einen Schwangerschaftsabbruch ausreicht. Die Wartezeit auf die Bestätigung eines auffälligen Schnelltest-Befundes durch die mikroskopische Chromosomenanalyse stellt eine extreme emotionale Belastung für die Schwangere und einen möglichen Anlass für eine psychotherapeutische Begleitung dar.

Eine begrenzte Aussagekraft der pränatalen zytogenetischen Diagnostik gilt umso mehr bei diskreteren sonographischen Befunden wie Plexuszysten oder einem hyperechogenen Darm, wobei hier schon die zur Diagnostik Anlass gebende Auffälligkeit keinen eigenen Krankheitswert haben muss [12]. Hier ist es wichtig, im Beratungsgespräch einer vorschnellen Pathologisierung solcher Auffälligkeiten entgegenzuwirken und sie von eindeutig klinisch relevanten Fehlbildungen abzugrenzen.

Als Verfahren für die Diagnostik unbalancierter chromosomaler Anomalien bis weit unter die Auflösungsgrenze der mikroskopischen Chromosomenanalyse von etwa 20 bis 50 Megabasen beginnt sich die aus der postnatalen Diagnostik bereits nicht mehr wegzudenkende Array-Analyse auch in der Pränataldiagnostik zu etablieren. Dies gilt umso mehr, als sie bei geeigneten klinischen Fragestellungen auf Einzelantrag auch von gesetzlichen Krankenkassen finanziert wird. Hinsichtlich der invasiven Probenentnahme unterscheidet sie sich nicht von AC und CVS; die Sensitivität der Erfassung chromosomaler Anomalien ist höher als bei der pränatalen mikroskopischen Chromosomenanalyse, mit etwa 6 % klinisch relevanter Array-Diagnosen unter sonographisch auffälligen Feten – allerdings auf Kosten der Spezifität, mit etwa 3 % klinisch nicht klar interpretierbarer Kopienzahlvarianten (CNV, [13]). Hier muss der Berater die Schwangere darüber aufklären, dass der verbesserten Chance der Diagnosefindung eine erhöhte Wahrscheinlichkeit auch emotional belastender unklarer Befunde gegenübersteht.

Molekulargenetische Pränataldiagnostik monogener Krankheiten

Die Zahl der einer molekulargenetischen Diagnose zugänglichen Krankheiten und Behinderungen hat seit 1993 von weniger als 100 auf aktuell über 4000 zugenommen, mit weiter steigender Tendenz [14]. Die Indikation für eine molekulargenetische Diagnostik auf eine bestimmte monogene Krankheit kann sich beim heutigen Stand nur aus der individuellen Anamnese und genetischen Vorbefunden ergeben, etwa einer Heterozygotie der Schwangeren für eine X-chromosomale DMD-Mutation, mit 50 %igem Risiko für eine Duchenne-Muskeldystrophie bei einem Sohn. Hier ist die in Rede stehende Krankheit den Eltern bereits aus eigener Erfahrung bekannt, und die Diagnostik bietet auch die Chance einer weitgehenden Entlastung von diesem individuellen Risiko. Für nicht wenige Eltern in dieser Ausgangslage ist die Option der Pränataldiagnostik überhaupt erst die Voraussetzung, sich für eine Schwangerschaft zu entscheiden, wobei angesichts des hohen Risikos für einen pathologischen Befund von z. B. 25 % bei Heterozygotie beider Partner für dasselbe autosomal-rezessive Erbleiden die Schwangerschaft besonders intensiv als „Schwangerschaft auf Probe“ erlebt wird. Ein Schwangerschaftsabbruch ist aber nicht die einzige mögliche Konsequenz aus einem auffälligen pränataldiagnostischen Befund; auch bei Weiterführung der Schwangerschaft können dadurch die weitere Schwangerschaftsüberwachung sowie das perinatale und postnatale therapeutische Vorgehen bestimmt werden. Nicht zuletzt empfinden es viele Eltern als Gewinn, sich und ihr persönliches Umfeld bereits vor seiner Geburt auf ihr krankes Kind vorbereiten zu können [15].

Im Zusammenhang mit monogenen Krankheiten wird sich in den kommenden Jahren der diagnostische Bedarf sicherlich teilweise in Richtung der – hier nicht zu erörternden – Präimplantationsdiagnostik verschieben. Zudem wird das aufkommende Screening für Paare mit Kinderwunsch auf Heterozygotie für zahlreiche rezessive Erkrankungen in den kommenden Jahren eine neue Gruppe von Ratsuchenden generieren, nämlich Paare mit hohem Risiko für ein Kind mit einer erblichen Erkrankung, die noch nicht aus der eigenen Familie bekannt ist [16].

Nichtinvasive Pränataldiagnostik

Die, auch für die genetische Beratung, wohl tiefgreifendste methodische Umwälzung in der Geschichte der Pränataldiagnostik, ist die rasch fortschreitende Einführung der molekulargenetischen Analyse freier fetaler DNA im mütterlichen Blut [17]. Durch den nichtinvasiven pränatalen Screeningtest (NIPT) wird die für die Indikationsstellung zentrale Abwägung zwischen dem Risiko für die in Rede stehende genetische Anomalie und dem eingriffsbedingten Komplikationsrisiko praktisch aufgehoben. Der technisch ab der 10. Schwangerschaftswoche mögliche, meist ab der 12. Woche durchgeführte NIPT auf die häufigsten numerischen Chromosomenanomalien, hat zwar nicht die gleiche Aussagekraft wie eine mikroskopische Analyse aller Chromosomen aus Fruchtwasserzellen, sehr viele Eltern nehmen – korrekte Beratung über diese Limitierungen vorausgesetzt – einen unauffälligen NIPT-Befund aber doch zum Anlass, auf eine invasive Pränataldiagnostik zu verzichten. Ein hier auffälliger Befund muss immer invasiv überprüft werden. Dadurch wird zwar die Gesamtdauer des individuellen diagnostischen Prozesses verlängert, aber es ist zu hoffen, dass NIPT die für alle Beteiligten bedrückenden und ethisch äußerst problematischen Konstellationen pränataler genetischer Diagnosen erst an oder jenseits der extrauterinen Lebensfähigkeit des Fetus um die 23. Woche noch seltener werden lässt, als sie es schon sind.

Obwohl in Deutschland bislang die meisten, nämlich die gesetzlich versicherten Schwangeren einen NIPT selbst finanzieren müssen, ist bereits jetzt ein deutlicher Rückgang der invasiven zugunsten der nichtinvasiven Pränataldiagnostik spürbar. Dieser Trend wird sich weiter verstärken, wenn die NIPT zur Kassenleistung werden sollte. Die zugehörige genetische Beratung, jedenfalls die vor einem auffälligen Befund, erfolgt dabei in aller Regel durch die den NIPT veranlassenden Frauenärzte.

Wohl schon recht bald dürfte das diagnostische Spektrum des NIPT von den häufigsten numerischen Chromosomenanomalien auf unbalancierte Strukturanomalien aller Chromosomen erweitert werden [18]. Dieser erweiterte NIPT wäre hinsichtlich seiner Aussagekraft der mikroskopischen und Array-Diagnostik aus Fruchtwasser annähernd ebenbürtig und könnte die invasive zytogenetische Pränataldiagnostik weitgehend ablösen. Vorläufiger Endpunkt der Entwicklung wird wohl ein mehr oder weniger routinemäßiger erweiterter NIPT auch für junge Schwangere sein, was auch den Bedarf an kompetenter genetischer Beratung ansteigen lassen wird. Noch in weiter Ferne, aber technologisch erreichbar, ist die pränatale molekulargenetische Analyse des fetalen Genoms, dessen Implikationen für die genetische Beratung sich allenfalls erahnen lassen [19].

 Tab. 2 fasst die derzeit und in absehbarer Zukunft verfügbaren Techniken der genetischen Pränataldiagnostik zusammen.

Tab. 2 Methoden der genetischen Pränataldiagnostik nach typischem Zeitpunkt

Auswirkungen pränataldiagnostischer Maßnahmen auf den psychosozialen Kontext der Ratsuchenden

Die schulisch-beruflichen, wirtschaftlichen und familienstrukturellen Veränderungen der letzten Jahrzehnte haben zu tiefgreifenden Veränderungen im Reproduktionsverhalten in Deutschland geführt. Das durchschnittliche mütterliche Alter zum Zeitpunkt der ersten Kindsgeburt wird derzeit bundesweit mit 30 Jahren angegeben [20]. Insbesondere Akademikerinnen entscheiden sich aufgrund ihrer längeren Ausbildungsphase später für ihre erste Schwangerschaft [21]. Dementsprechend ist in Europa von 1990 bis 2009 der Anteil über 35 Jahre alter Frauen an den Gebärenden von 13 % auf 19 % angestiegen [8].

Unabhängig von ihrem Alter erfahren die meisten werdenden Eltern eine Schwangerschaft als Wendepunkt in ihrer persönlichen Entwicklung, der in fast allen Bereichen ihres Lebens eine Neuorientierung erfordert. Das eigene Selbstwertgefühl, die Partnerschaft, die sozialen Außenbeziehungen, Beruf und die materiell-finanziellen Lebensbedingungen stehen gleichermaßen auf dem Prüfstand. Dementsprechend verläuft der kognitive und emotionale Vorbereitungsprozess auf das werdende Kind in aller Regel zwiespältig. Die Freude über die oftmals aus beruflichen Gründen lange hinausgeschobene Schwangerschaft und die Vorfreude auf das Kind werden durch die Angst vor einer Störung der Schwangerschaft, einer Fehlgeburt oder einer genetischen Auffälligkeit beim werdenden Kind getrübt. Hinzu kommen auch nach einer bewussten Entscheidung zur Schwangerschaft oftmals Zweifel über die eigenen Fähigkeiten zur Mutter- bzw. Vaterrolle. Nicht zuletzt wechseln sich Optimismus und Ängste bezüglich der zu erwartenden Veränderungen in der alltäglichen Lebensplanung nach der Geburt des Kindes ab.

Vor diesem Hintergrund kommt den pränataldiagnostischen Möglichkeiten der heutigen Medizin eine bedeutsame Rolle für das Schwangerschaftserleben zu. Waren vor der Einführung der Pränataldiagnostik Mütter in aller Regel „guter Hoffnung“ und verließen sich bei ihrer kognitiven und emotionalen Geburtsvorbereitung auf ihre eigenen körperlichen Beobachtungen, Empfindungen und Intuitionen, so wird nunmehr eine möglichst frühzeitige und umfassende Pränataldiagnostik vielfach als willkommene und unverzichtbare „Qualitätskontrolle“ auf dem Weg zu einem gesunden Kind angesehen. Die nach den Mutterschafts-Richtlinien vorgesehenen Ultraschalluntersuchungen um die 10., 20. und 30. Schwangerschaftswoche als Standard der frauenärztlichen pränatalen Diagnostik finden in fast jeder Schwangerschaft statt und können durch gezielte humangenetische Pränataldiagnostik ergänzt werden.

Unbestritten und von hohem Wert für die Schwangeren ist die emotionale Entlastung durch einen unauffälligen pränataldiagnostischen Befund [22]. Andererseits wird das Vertrauen der Mutter in ihre eigene Körperwahrnehmung ein Stück weit an das pränataldiagnostische Repertoire von Gynäkologen und Humangenetikern delegiert. Die Schwangerschaft findet quasi unter Vorbehalt statt, bis das hoffentlich unauffällige Ergebnis der Pränataldiagnostik vorliegt. Gleichzeitig verdrängt die Schwangere während dieser Wartezeit nicht selten angenehme Vorstellungen bezüglich des Lebens mit dem Kind und vermeidet aus Angst vor dem möglicherweise „notwendigen“ Schwangerschaftsabbruch allzu euphorische Gefühle der Vorfreude. Diese emotionale Distanz zum Kind ist besonders ausgeprägt bei Schwangeren vor einer Pränataldiagnostik bei hohem Risiko für eine familiär bekannte monogene Erkrankung oder Chromosomentranslokation, die sich schon vorab auf einen Abbruch im Falle des befürchteten pathologischen Befundes festgelegt haben.

Der hohe Preis einer „Schwangerschaft unter Vorbehalt“ dürfte ein erschwertes „bonding“ sein, worunter die natürliche Phase der intensiven Gefühls- und Bindungsentwicklung zwischen Mutter und Kind zu verstehen ist. Dieses setzt bereits zu dem Zeitpunkt ein, in dem die Mutter ihr Ungeborenes kognitiv und emotional als eigenständiges Wesen wahrnimmt und es mit Vorfreude, Liebe und aufmerksamer Sorge vor Gefahren beschützen möchte.

Hinzu kommen die tatsächlichen oder von der Schwangeren vermuteten Erwartungen ihres Umfelds. Welche Mutter möchte sich schon Fahrlässigkeit oder gar bewusste Schuld für ein möglicherweise krankes Kind vorwerfen lassen, indem sie trotz erhöhten mütterlichen Alters auf eine Fruchtwasseruntersuchung verzichtet? Erfordert eine verantwortliche Vorbereitung auf das werdende Kind nicht die Inanspruchnahme aller verfügbaren medizinisch-technischen Möglichkeiten? Dem genetischen Berater kommt hier die Aufgabe zu, die Vielfalt von teils von den Krankenkassen getragenen, teils von der Schwangeren selbst zu finanzierenden Untersuchungsverfahren in für sie verständlicher Weise so zu ordnen, dass sie das für sich selbst Notwendige und Sinnvolle erkennen und in Anspruch nehmen, zugleich aber guten Gewissens auf das ihrer medizinischen Ausgangslage oder ihren Wertvorstellungen Unangemessene verzichten kann. Für eine beispielsweise 25 Jahre alte Schwangere kann die Information sehr entlastend sein, dass eine NIPT auf die häufigsten numerischen Chromosomenanomalien in ihrer Altersgruppe zu für sie vielleicht schmerzlich hohen Kosten nur einen kleinen Bruchteil aller Behinderungen erfassen kann, die ihr Kind betreffen könnten – dies vor dem Hintergrund der Tatsache, dass gerade NIPT derzeit Gegenstand intensiven Marketings durch die Anbieter ist.

Genetische Beratung vor der Pränataldiagnostik

Die qualitativen und inhaltlichen Anforderungen an die genetische Beratung wurden von GfH und BVDH in der „S2-Leitlinie Humangenetische Diagnostik und genetische Beratung“ der AWMF [23] verabschiedet. Darin sind neben den Rahmenbedingungen, dem Setting und den Kerninhalten der genetischen Beratung auch die Bedeutung, der Aufbau und die wiederzugebenden Inhalte der nach jeder genetischen Beratung obligaten schriftlichen humangenetischen Stellungnahme festgeschrieben.

Bei der Aufklärung möglichst beider Elternteile über die Untersuchungsmöglichkeiten, deren Aussagekraft und die Grenzen, obliegt dem genetischen Berater auch die Aufgabe, die mit pränataldiagnostischen Verfahren verbundenen medizinischen, psychologischen, sozialen, ethischen und gesetzlichen Konfliktpotenziale in sprachlich verständlicher Form (ggf. unter Hinzuziehung eines Sprachmittlers) und zugleich wertungsneutral darzustellen.

Dies wird nach gängigem Konsens innerhalb der Humangenetik durch die Einhaltung der vier Prinzipien Freiwilligkeit, individuelles Recht auf Entscheidung, Nichtdirektivität und Recht auf Nichtwissen verwirklicht. Konfliktträchtig gestaltet sich im Zusammenhang mit Pränataldiagnostik für den genetischen Berater zuweilen die Wahrung der individuellen Entscheidungsfreiheit der Schwangeren sowie der nichtdirektiven Gesprächsführung. Ein konfliktträchtiges Abweichen des Arztes vom Prinzip der Nichtdirektivität kann beispielsweise dann unausweichlich sein, wenn den technisch möglichen und von der Schwangeren nachgefragten Untersuchungsverfahren rechtliche Bedenken entgegenstehen (z. B. hinsichtlich einer nach dem GenDG verbotenen vorgeburtlichen Vaterschaftsbestimmung). Abweichende individuelle Werthaltungen und religiöse Einstellungen zwischen den Ratsuchenden und dem Berater können ebenfalls eine nichtdirektive Gesprächsführung erschweren. Die konkrete psychosoziale Situation der Schwangeren, ggf. auch ihres Partners, legt u. U. die Einbeziehung von Psychologen, Psychotherapeuten oder Sozialarbeitern nahe. Über die schriftliche humangenetische Stellungnahme hinaus, in der die Inhalte, der Verlauf und die letztlich getroffenen Vereinbarungen und Entscheidungen sprachlich verständlich für die Ratsuchenden zusammengefasst sind, können auch externe Zusatzinformationen wie z. B. Broschüren von Selbsthilfeverbänden oder weiterführende Internetlinks für die Ratsuchenden wichtige Hilfen zur Entscheidung sein.

Es mag nach Defensivmedizin klingen, aber dient der Vermeidung von Missverständnissen, in jedem Beratungsgespräch zu pränataler Diagnostik und insbesondere in der schriftlichen humangenetischen Stellungnahme an die Ratsuchenden, mit dem Adjektiv „gesund“ sehr zurückhaltend umzugehen. Auch ein noch so klar unauffälliger pränataldiagnostischer Befund kann lediglich mit der Gesundheit des Kindes vereinbar sein, mehr aber nicht. Auch die Erwähnung des meist mit 3–4 % angegebenen allgemeinen Basisrisikos für eine angeborene gesundheitliche Beeinträchtigung des Kindes [24] sollte zu jedem Beratungsbrief im Zusammenhang mit Kinderwunsch und Pränataldiagnostik gehören.

Genetische Beratung nach auffälligem Befund

Glücklicherweise führen nur wenige pränataldiagnostische Untersuchungen zu einem klinisch bedeutsamen auffälligen Befund. Bei weniger als 2 % der Schwangeren zwischen 35 und 39 Jahren führt eine angesichts ihres Alters durchgeführte Chromosomenanalyse zu einem pathologischen Ergebnis [8]. Schon deshalb bedeutet eine aufgrund eines pränatalen Befundes prognostizierte körperliche oder geistige Beeinträchtigung des werdenden Kindes für die weitaus meisten werdenden Eltern ein unerwartetes Trauma. An die Stelle von Vorfreude und Zuversicht auf ein gesundes Kind treten Schock, Ungläubigkeit, Verzweiflung und Furcht vor der nunmehr anstehenden Entscheidung. Dabei steht die Notwendigkeit, die entscheidungsrelevanten Informationen der Ärzte aufzunehmen und sie bewusst zu bewerten, auch noch unter dem Zeitdruck der voranschreitenden Schwangerschaft.

In dieser Phase der Orientierungslosigkeit und zuweilen höchst widersprüchlicher Gefühle, wünscht sich die Schwangere verständlicherweise von ihrem Gynäkologen und dem genetischen Berater eine Hilfe zur Entscheidung. Nach § 2a des Schwangerschaftskonfliktgesetzes müssen die „Aufklärung und Beratung in besonderen Fällen“ „die medizinischen und psychosozialen Aspekte, die sich aus dem Befund ergeben, unter Hinzuziehung von Ärztinnen oder Ärzten, die mit dieser Gesundheitsschädigung bei geborenen Kindern Erfahrung haben“ [5] zum Inhalt haben. Auch die Information über weitere vertiefende psychosoziale Beratungsangebote und die Vermittlung von Kontakten zu Selbsthilfegruppen sowie Patienten- und Fachverbänden sind Gegenstand der Beratung. Die widersprüchlichen Emotionen von Trauer und Schuldgefühlen bei der Schwangeren, der konkrete Ablauf des Schwangerschaftsabbruchs, die Entwicklung geeigneter Rituale für den Abschied vom Kind sowie die notwendige Trauer- und Verlustbewältigung der Eltern nach einem vollzogenen Abbruch, sind Felder für ein Zusammenwirken der primär involvierten Gynäkologen und genetischen Berater mit psychosozialen Fachkräften, ggf. auch Seelsorgern. Für viele Betroffene ist „in der Zeit danach“ der Austausch mit anderen betroffenen Eltern und Selbsthilfegruppen ein unverzichtbarer Teil des psychischen Verarbeitungsprozesses [25]. Auch einfühlsame und zugleich informative Literaturangebote können eine wichtige Hilfe zur Bewältigung sein [26] [27]Footnote 2.

Das Gewissen des Beraters

Für die medizinische Indikationsstellung zu einem, so die Formulierung des Strafgesetzbuches, „nicht rechtswidrigen“ Schwangerschaftsabbruch als von niemandem gewünschten, aber nun einmal realistischen Endpunkt einer Pränataldiagnostik, müssen nach § 218a Abs. 2 StGB vier Voraussetzungen gegeben sein:

  1. 1.

    die Einwilligung der Schwangeren,

  2. 2.

    die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres seelischen Gesundheitszustandes,

  3. 3.

    die Unzumutbarkeit einer andersartigen Abwehr dieser Gefahr und

  4. 4.

    die ärztliche Erkenntnis, dass dieses Vorgehen angezeigt ist.

Diese Erkenntnis muss für den genetischen Berater als objektives Element die untersuchungstechnisch hinreichend gesicherte Diagnose umfassen, aber als subjektives Element auch die fachlich begründete Überzeugung, dass der zu erwartende Zustand des Kindes nach der Geburt wirklich zu schwerwiegend ist, um ihn der Schwangeren zuzumuten.

Diese juristischen Formulierungen lassen sich auf einen ethischen Nenner bringen: Nicht nur das Gewissen der Schwangeren ist entscheidend, sondern auch das des Arztes.

In § 12 Abs. 1 SchKG [5] heißt es kurz und bündig: „Niemand ist verpflichtet, an einem Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken“. Gemeint ist damit in erster Linie die manuelle Ausführung des Abbruchs durch Frauenärzte und das nichtärztliche Klinikpersonal [29]. Es liegt aber in der Logik des Vorgangs, dass auch die rechtlich erforderliche medizinische Indikationsstellung und die sie vorbereitenden pränataldiagnostischen Untersuchungen als, wenn auch indirekte, Mitwirkung an einem Schwangerschaftsabbruch zu verstehen sind.

Dementsprechend muss nach unserer Auffassung nicht nur dem die genetische Beratung durchführenden ärztlichen Berater, sondern auch den an der Pränataldiagnostik mitwirkenden Nichtmedizinern, vom Psychologen über den Naturwissenschaftler bis zum medizinisch-technischen Personal im Labor, das Recht zugestanden werden, sich aus persönlichen Gewissensgründen einer technisch möglichen pränatalen Untersuchung oder deren Umsetzung in eine Abbruchsindikation zu verweigern. Die Fairness gegenüber den Ratsuchenden gebietet aber, solche Grenzziehungen, soweit irgend möglich, schon im ersten Beratungsgespräch vor der Diagnostik kenntlich zu machen [30]. Offenheit und Transparenz zu ethischen Fragen ist eines von vielen Qualitätsmerkmalen genetischer Beratung und sicher nicht das geringste.

Fazit für die Praxis

Genetische Beratung bei Pränataldiagnostik umfasst über die Vermittlung medizinischer Fakten und die Darstellung der naturwissenschaftlich-technischen Untersuchungsmethoden hinaus auch die Erörterung ihrer ethischen und juristischen Grenzen. Dieser anspruchsvolle Kommunikationsprozess muss auf die individuellen physischen, psychischen und intellektuellen Ressourcen der Ratsuchenden abgestimmt sein. Innerhalb der durch Gesetze und Richtlinien vorgegebenen Rahmenbedingungen obliegt dem genetischen Berater die Umsetzung in konkrete Handlungsoptionen, die den individuellen Bedürfnissen der Schwangeren und zugleich den Lebensinteressen des ungeborenen Kindes gerecht werden. Innerhalb der ärztlichen Gesamtverantwortung ergeben sich hier Felder für das kreative und partnerschaftliche Zusammenwirken von Beratern und Experten unterschiedlicher Professionen.