Die humangenetische Forschung war traditionell auf die Aufdeckung der genomischen Sequenz fokussiert, auch gab es keine Zweifel an der grundlegenden Bedeutung der DNA-Sequenz für die phänotypische Diversität und Suszeptibilität für Erkrankungen. Wie neuere Daten jedoch ergaben, liefert auch die epigenetische Programmierung einen wichtigen Beitrag zur interindividuellen phänotypischen Diversität. Mit zunehmendem Wissen über die dynamische Natur des Epigenoms und seine Beeinflussung durch zahlreiche zelluläre Signalwege wird deutlich, dass es nicht nur während kurzer kritischer Zeitfenster empfänglich für Umwelteinflüsse ist, sondern dass epigenomische Veränderungen auch im späteren Leben nachweisbar sind. Somit können nichtgenotoxische Agenzien Genfunktionen stabil und lang anhaltend über epigenetische Mechanismen beeinflussen, die nicht von physikalischen Schädigungen der DNA unterschieden werden können. Derartige epigenetische Programmierungen können sowohl persistieren als auch über mehrere Generationen weitergegeben werden [1].

Ziel dieses Beitrags ist es, dem Leser eine Übersicht über das Epigenom und Transgenerationeneffekte zu geben, die Grundlagen der Epigenetik sollen dagegen lediglich erwähnt werden. Informationen zu den wesentlichen epigenetischen Mechanismen können Infobox 1 entnommen werden.

Unter epigenetischen Mechanismen versteht man Vorgänge, die lang anhaltende Auswirkungen auf die Expression von Genen haben, ohne zu Veränderungen ihrer eigentlichen Sequenz zu führen. Die epigenetische Programmierung in der Entwicklung eines Organismus erzeugt komplexe Muster der Genexpression und ist charakteristisch für komplexe Organismen wie den Menschen. Im Gegensatz zum Genom ist das Epigenom aber relativ dynamisch und wird durch verschiedene Umweltfaktoren während der fetalen und frühen postpartalen Entwicklung beeinflusst. Zwar ist die Mehrzahl der epigenetischen Markierungen während des Lebens wahrscheinlich stabil, ein Teil bleibt aber dynamisch. Phänotypische Unterschiede beim Menschen sind daher auch Ergebnis einer lang anhaltenden epigenetischen Programmierung. Daher sollte die Analyse interindividueller phänotypischer Unterschiede neben genomischen auch epigenetische Veränderungen berücksichtigen [15]. Letztere können wahrscheinlich auch in bestimmten Lebensphasen in spezifischen Geweben bewirkt werden. Während eine Keimbahnveränderung eine statische Eigenschaft eines Individuums darstellt und in jedem Gewebe zu jedem Zeitpunkt der Entwicklung nachweisbar ist, können epigenetische Unterschiede in verschiedenen Geweben zu verschiedenen Zeiten vorliegen.

Einzelne kritische Umweltfaktoren können auch die Etablierung der epigenetischen Markierung während der intrauterinen, aber auch während der postnatalen Entwicklung beeinflussen. Daher können Umwelteinflüsse wie Hungerperioden und chemische Noxen während dieser kritischen Zeitpunkte epigenetische und damit phänotypische Veränderungen bewirken. Jüngste Daten ergaben aber auch, dass zusätzlich zu diesen physischen Einflüssen auch spezifische Verhaltensweisen während bestimmter Entwicklungsphasen auf das Epigenom einwirken und zu Verhaltensänderungen führen [14]. Sozialverhalten in der frühkindlichen Entwicklung kann die Medikamentenverträglichkeit im späteren Leben durch epigenetische Programmierung beeinflussen.

Epigenetische Programmierung durch Umwelteinflüsse

Das dynamische DNA-Methylierungsmuster und seine Empfindlichkeit für trans wirkende Faktoren und zelluläre Signalwege stellen einen Ansatzpunkt für Umwelteinflüsse dar. Physiologische, pharmakologische und toxische Einflüsse, aber auch Verhaltensmuster können auf verschiedenen Ebenen durch Aktivierung oder Blockierung dieser Signalwege wirken, u. a. über Veränderungen der Chromatinstruktur, die dann wiederum die DNA-Methylierung oder -Demethylierung erleichtert. Xenobiotika könnten auch direkt die epigenetische Enzymmaschinerie in Form von Histon- bzw. DNA-Methylasen und -Demethylasen beeinflussen (Abb. 1).

Abb. 1
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DNA- und Chromatingleichgewicht, Einflussmöglichkeiten verschiedener Umweltfaktoren auf spezifische Signalwege, HMTAS Histon-Methyl-Transferase, TF Transkriptionsfaktor, AC Azetylgruppe, M Methylgruppe an DNA oder Histonen, HP-1 Methyl-K9-H3-Histon bindendes Protein/Heterochromatinprotein 1, K9 K9-Rest am H3-Histon-Ende, Erläuterung s. Text

Bedeutung epigenetischer Mechanismen für die Toxikologie – Krebsentstehung

Sowohl die Methylierungs- als auch die Demethylierungsmaschinerien können potenziell durch Umwelteinflüsse wie Hungerperioden, Alkohol und Umweltgifte (z. B. Nikotin, Arsen) moduliert werden. So wurde mehrfach über eine Hemmung der Demethylaseaktivität durch den Methyldonor SAM in vitro berichtet, u. a. in Brust- und Prostatazelllinien [6, 19, 22]. Dabei waren die SAM-Konzentration sowohl über methylhaltige Diäten, Folsäure und Vitamin B12 als auch durch Alkohol modulierbar [20, 21]. Es konnte nachgewiesen werden, dass Substanzen, die den Kohlenstoffwechsel oder direkt die SAM-Konzentration beeinflussen, einen Effekt auf die epigenetische Programmierung von kritischen, Krebs und Metastasen fördernden Gene haben.

Unlängst konnte nachgewiesen werden, dass Zigarettenrauch die Demethylierung von Metastase beeinflussenden Genen in Lungenkarzinomzellen durch Hemmung der DNMT3B-Exression stimuliert [12]. Damit war bewiesen, dass Umweltgifte auf das Genom durch nichtgenotoxische Mechanismen wirken können. Es ist vorstellbar, dass dieser Effekt von Zigarettenrauch eine kritische Rolle bei der Krebsprogression spielt. Daher ist es notwendig, Xenobiotika zu identifizieren, die die Expression von DNMT beeinflussen können. Phenobarbital kann z. B. bei Nagern allgemeine Hypo- und regionale Hypermethylierungen induzieren.

Pränatale epigenetische Veränderungen als Ergebnis mütterlicher Determinanten

Umwelteinflüsse führen insbesondere dann zu lang anhaltende Effekten auf die epigenetische Programmierung, wenn sie pränatal wirken. Ein anschauliches Beispiel hierfür ist die Agouti-Maus, deren gelbe Fellfarbe durch die ektopische Expression des Agouti-Gens reguliert wird. Dieses wird wiederum durch transposable Elemente kontrolliert. Wird den Muttertieren eine folsäurehaltige Diät verfüttert, wird der Phänotyp der A(vy)/a-Nachkommen über eine zunehmende CpG-Methylierung am A(vy)-Locus verändert [25]. Dieses Experiment illustriert die potenzielle Beeinflussbarkeit der epigenetischen Maschinerie durch mütterliche Determinanten. Daher kann die Agouti-Maus als Biosensor zum Nachweis von Umweltsubstanzen und -toxinen dienen, die die epigenetische Programmierung während der Schwangerschaft beeinflussen. So verändert das Füttern von schwangeren Agouti-Mäusen mit Genistein, dem Hauptphytoöstrogen der Sojabohne, die Methylierung des Transposonelements oberhalb des Agouti-Startkodons und führt damit zu einer Veränderung der Fellfarbe bei den Nachkommen [7]. Die Bedeutung dieser Beobachtung liegt u. a. darin, dass mit dem Nachweis epigenetischer Modifier nun auch Substanzen identifiziert werden können, die klassischen Nachweisverfahren für genotoxische und Umweltgifte entgangen sind.

Verhalten als Ursache und Ziel epigenetischer Veränderungen

Der wesentliche Fokus der epigenetischen Toxikologie lag bisher in der Untersuchung molekularer Veränderungen durch Chemikalienexposition. Aktuelle Daten zu epigenetischen Mechanismen weisen aber auch darauf hin, dass auch die soziale Umwelt das Epigenom beeinflussen kann. Dabei wirken soziale Faktoren über gleichartige Mechanismen wie chemische Agenzien. Umgekehrt können epigenetische Faktoren wiederum das Sozialverhalten und darüber vermittelt den Gesundheitszustand eines Individuums beeinflussen.

Mittlerweile wurden zahlreiche Studien publiziert, die den sozioökonomischen Status in der (frühen) Kindheit mit dem Gesundheitszustand im späteren Leben korrelieren. Die zugrunde liegenden Mechanismen sind bisher jedoch noch nicht vollständig aufgeklärt.

Das derzeit beste Beispiel von epigenetischer Programmierung durch die soziale Umwelt ist der Einfluss mütterlicher Brutfürsorge bei Ratten auf die Expression des GR-Gens im Hippocampus der Nachkommen. So zeigen Nachkommen von Rattenweibchen mit überdurchschnittlicher Brutfürsorge und -ernährung („high licking/grooming“, „high LG“) im Vergleich zu Tieren von Weibchen mit unterdurchschnittlicher Brutpflege („low LG“) eine erhöhte hippocampale GR-Expression, eine verstärkte Glukokortikoid-Feedback-Sensitivität, eine reduzierte hypothalamische CRF-Expression und schwächere HPA-Stress-Antworten [8, 11]. Bei Austausch der Nachkommen von „high“- und „low LG“-Weibchen bestätigte sich der direkte Einfluss mütterlicher Fürsorge auf Genexpression und Stressverhalten. Daraus kann geschlossen werden, dass das mütterliche Verhalten epigenetische Veränderungen bei den Nachkommen bewirken kann, die sich von genetischen Mechanismen unterscheiden [15].

Diese Daten sind von grundlegender Bedeutung für unser Verständnis des Zusammenhangs von Verhalten und Epigenetik:

  • Das soziale Verhalten eines Individuums kann die epigenetische Programmierung in einem anderen Individuum verändern. Damit scheint ein molekularer Mechanismus zu existieren, der Brutfürsorge und Epigenom verbindet.

  • Epigenetische Veränderungen können durch chemische oder andere Umweltfaktoren lang anhaltende Einflüsse auf das Verhalten haben.

Programmierung der Stressreaktionen bei Nachkommen durch Brutfürsorge

Das Brutfürsorgeverhalten kann bei Ratten das epigenetische Muster der Nachkommen beeinflussen. Dabei werden u. a. das Chromatin, die DNA-Methylierung und Transkriptionsfaktoren, die an den GR-Exon-17-Promotor anlagern, über die Stillzeit hinaus beeinflusst [26]. Im Erwachsenenalter ist dieser frühe Einfluss des mütterlichen Brutpflegeverhaltens im Expressionsmuster von mehr als hundert Genen nachweisbar. Die Unterschiede im mütterlichen Fürsorgeverhalten in der frühen Kindheit haben Auswirkungen auf Expressionsunterschiede, die ein Leben lang aufrechterhalten bleiben.

Damit ist auch vorstellbar, dass eine Chemikalien- oder Toxinexposition in frühen Lebensphasen einen deutlichen Effekt auf späteres Verhalten durch Beeinflussung der epigenetischen Programmierung haben kann. Umgekehrt können Expositionen im frühen Leben die Reaktion auf Umwelteinflüsse im späteren Leben modulieren. So können früh erworbene Schäden in einer veränderten epigenetischen Programmierung von Genen münden, die an dem Metabolismus von Toxinen und Therapeutika beteiligt sind und damit zur Anfälligkeit für Alkoholismus und Drogenabusus prädisponieren. Tatsächlich ist aus Studien zu Primaten bekannt, dass Individuen, die in ihrer frühen Entwicklung Stress ausgesetzt waren, Verhaltensmuster entwickeln, die denjenigen ähneln, die für Alkoholismus anfällige Menschen im Jugendalter zeigen [9]. Falls auch hier eine epigenetische (Um-)programmierung eine Rolle spielt, erlaubt dieser Befund interessante Schlussfolgerungen bezüglich der Anfälligkeit für Umweltgifte, der Wirkung individueller Therapien und der Reaktion auf Drogen und Alkohol.

Umkehrbarkeit der epigenetischen Programmierung

Obwohl die epigenetische Programmierung durch die mütterliche Fürsorge auf ein kritisches Zeitfenster kurz nach der Geburt beschränkt und sehr stabil ist, aber auch zu lang wirksamen Veränderungen in der Genexpression führt, ist sie dennoch potenziell reversibel. Dabei ist das scheinbar stationäre Methylierungsmuster durch ein dynamisches Gleichgewicht von Methylierung und Demethylierung definiert [23]. So ist mittlerweile bewiesen, dass eine zunehmende Histonazetylierung durch HDAC-Inhibitoren wie TSA die oben angeführte Balance zugunsten der Demethylierung verschiebt [2]. Wenn erwachsene Nachkommen von „low LG“-Ratten mit TSA behandelt werden, kommt es zu einer Umkehrung des epigenetischen Musters beim GR-Exon-17-Promotor: Die Histonazetylierung nimmt zu, das Gen selbst wird demethyliert. Weiterhin wird eine zunehmende Bindung des Transkriptionsfaktors NGFI-A beobachtet, dies wiederum führt zu einer verstärkten Expression des GR-Exon-17-Promotors. Die epigenetische Umkehr ist begleitet von Verhaltensänderungen: So ist die Stressantwort von TSA-behandelten erwachsenen Nachkommen von „low LG“-Rattenweibchen nicht mehr unterscheidbar vom Nachwuchs von „high LG“-Weibchen [26]. Dieser Befund belegt eindrucksvoll die Umkehrbarkeit der frühkindlich bewirkten Verhaltensweisen durch pharmakologische Modulation des Epigenoms im Erwachsenenalter.

Diese Studie zeigt, dass Umweltagenzien, die die epigenetische Maschinerie beeinflussen, sich auch auf das Verhalten auswirken können. Daher sollten Tests zur Einstufung von Gefährdungspotenzialen epigenetischer Modifier verstärkt auch Verhaltenstests berücksichtigen. Substanzen mit Wirkung auf das Zentralnervensystem können das epigenetische Muster kritischer Gene beeinflussen und das Verhalten verändern (Abb. 2). Ein interessantes Beispiel ist das antiepileptische und stimmungsstabilisierende Medikament Valproinsäure. Wir konnten in verschiedenen Studien zeigen, dass Valproat eine replikationsunabhängige DNA-Demethylierung in der Zellkultur auslöst [5, 18]. Auch wird im Tiermodell die DNA-Methylierung im Gehirn inhibiert [24]. Ebenso konnte mittlerweile für mehrere Arzneistoffe mit gut bekannten Wirkmechanismen ein Einfluss auf die DNA-Methylierung nachgewiesen werden. So verhindern das Antihypertensivum Hydralazin und das Antiarrhythmikum Procainamid eine DNA-Methylierung und verursachen dadurch eine allgemeine epigenetische Reprogrammierung in T-Zellen [3].

Abb. 2
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Epigenetische Reprogrammierung und damit stabile Phänotypveränderung durch a Toxine, b zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Entwicklung wirkende Umwelteinflüsse

Ein fundamentales Element für die hier vorgestellte Hypothese besteht darin, dass das DNA-Methylierungsmuster ein dynamisches Äquilibrium zwischen Methylierung und Demethylierung im gesamten Leben darstellt. Es ist gut vorstellbar, dass dieses Gleichgewicht im Hippocampus durch eine Zunahme der DNA-Methylierung durch pharmakologische Manipulation gestört werden kann. So inhibiert der Methyldonor SAM die Demethylierungsreaktion [6]. Eine Veränderung der SAM-Konzentrationen sollte daher das oben angeführte Gleichgewicht durch Erhöhung der DNA-Methylierungsrate oder durch Behinderung der Demethylierung beeinflussen. Erste Bestätigungen lieferten Methionininjektionen in Rattenhirne: Dabei ging die SAM-Erhöhung mit einer Hypermethylierung und einer Reduzierung der GR-Exon-17-Expression im Hippocampus von adulten Nachkommen von „high LG“-Weibchen einher [24]. Dieses Methylierungsmuster war dann nicht von demjenigen von Nachkommen von „low LG“-Ratten zu unterscheiden [27].

Zusammenfassend kann also gezeigt werden, dass der epigenetische Zustand dynamisch durch das ganze Leben aufrechterhalten wird. Die Art und der Umfang der Antwort eines Organismus auf Chemikalien können dann vom epigenetischen Zustand eines Organismus abgeleitet und durch Ereignisse nach der Geburt beeinflusst werden. Die epigenetische Reprogrammierung durch Umweltagenzien kann in Verhaltensänderungen resultieren.

Von der mütterlichen Fürsorge zur epigenetischen Programmierung

Eines der vielen Rätsel der epigenetischen Programmierung durch mütterliches Verhalten ist derzeit der funktionelle Zusammenhang zwischen Sozialverhalten und chemischer Modifikation von Chromatin und DNA. Eine aktuelle Hypothese sieht vor, dass die mütterliche Fürsorge eine Signalkaskade beim Nachkommen beeinflusst, der dann TF aktiviert, die wiederum DNA und Chromatin modifizierende Enzyme zu spezifischen epigenetischen Zielsequenzen leiten. So bewirkt die mütterliche Brutpflege nach der Geburt eine thyroidhormonabhängige Zunahme der 5-HT-Aktivität am 5-HT-7-Rezeptor und die daran anschließende Aktivierung von cAMP und cAMP-abhängiger PKA [10, 16, 17]. Diese Kaskade wird begleitet von einer zunehmenden hippocampalen Expression des Transkriptionsfaktors NGFI-A. Die GR-Exon-17-Promotorregion beinhaltet eine Bindestelle für NGFI-A [13]. Für Letzteres konnte kürzlich gezeigt werden, dass es mit der Transkriptionskoaktivator-Histon-Azetyl-Transferase CBP interagiert. Signalwege, die zu einer cAMP-Aktivierung führen, aktivieren ebenfalls CBP. Daher könnte die Interaktion von CBP mit dem GR-Exon-17-Promotor als Antwort auf mütterliche Brutpflege die zunehmende Azetylierung bzw. Demethylierung bei Nachkommen von „high LG“-Ratten erklären [26]. Wir gehen daher davon aus, dass NGFI-A Chromatin modifizierende Enzyme wie HAT-CBP als Antwort auf die Aktivierung der Signalkaskade durch mütterliche Pflege zum GR-Exon-17-Promotor lotst [28]. Die Histonazetylierung wiederum erleichtert die Demethylierung. So konnten wir zeigen, dass eine gezielte Azetylierung durch Aktivierung von Transkriptionsfaktoren zur Demethylierung von DNA führt (Abb. 2).

Es schließt sich die Frage nach den Proteinen an, die in die Demethylierung von DNA eingebunden sind. Bekannt ist mittlerweile die Rolle von MBD2 als Demethylase, durch sie konnte eine DNA-Demethylierung ausgelöst werden [4, 6]. Jüngste Daten legen nahe, dass MBD2 eine globale Demethylierung in Zellen und dadurch eine weitgestreute Aktivierung von Genen bewirkt, die in der Krebsmetastasierung eine Rolle spielen. Umgekehrt führt die Inaktivierung von MBD2 zu Blockade der Krebsmetastasierung [19, 22]. MBD2 kann aber auch am GR-Exon-17-Promotor als Reaktion auf die mütterliche Brutpflege nachgewiesen werden. Diese Daten stimmen mit der Hypothese überein, dass NGFI-A den Zugang von MBD2 an die zu demethylierende Zielsequenz steuert.

Zusammenfassend liefern diese Daten Hinweise darauf, wie Verhalten zu einer Veränderung der DNA-Methylierung spezifischer Gene führen kann. Diese Kaskade kann auch durch andere Umwelteinflüsse induziert werden. Agenzien, die einen Schritt in dieser Kaskade verändern, sollten zu epigenetischen Veränderungen führen, die dann wiederum zu Verhaltensänderungen führen [19, 22].

Fazit

Die Vorstellung eines dynamischen Epigenoms beruht darauf, dass Unterschiede in Genfunktion und Phänotyp nicht ausschließlich durch genomische Sequenzvarianten festgelegt werden, sondern auch durch reversible, aber stabile epigenetische Merkmale. Dabei ist das epigenetische Muster zelltypspezifisch, wodurch es sich von genomischen Veränderungen unterscheidet und zelltypspezifische phänotypische Unterschiede zwischen Individuen erzeugt. Ein wichtiges Element dieser Hypothese ist, dass das Epigenom durch ein dynamisches Gleichgewicht reguliert wird, wodurch es im Lauf des Lebens unterschiedlich auf sich ändernde Umwelteinflüsse reagieren kann. Die Epigenetik stellt daher einen Weg dar, durch den eine vorübergehende Exposition für ein Umweltgift dauerhafte, lang anhaltende phänotypische Effekte zur Folge haben kann. Unsere Daten deuten darauf hin, dass die Richtung des epigenetischen Gleichgewichts durch pharmakologische Einflüsse beeinflusst werden kann. Interindividuelle epigenetische Unterschiede können sowohl aus genetischen Unterschieden als auch aus der Exposition für verschiedene Verhaltenseinflüsse, Diäten und Chemikalien während kritischer Perioden in der Entwicklung eines Individuums resultieren (Abb. 2). Neu an unserem Konzept ist, dass epigenetische Veränderungen nicht nur durch chemische oder alimentäre Faktoren bewirkt werden können, sondern auch durch Verhaltensmuster. Soziale Einflüsse wie Kindheitstraumen könnten Einfluss auf die Reaktion auf Substanzen im späteren Leben haben und sollten bei der Einstufung des Effekts toxischer Substanzen mit berücksichtigt werden.