Ein essenzieller Bestandteil der genetischen Beratung sind Berechnungen der Mutationsträger- oder der Erkrankungswahrscheinlichkeit. Falls bei monogenen Krankheiten eine Mutation im verantwortlichen Gen direkt nachgewiesen werden kann und falls aus dieser Mutation auch der Ausbruch der Krankheit folgt (vollständige Penetranz), sind gesicherte Aussagen für jedes Familienmitglied möglich.

Bei unvollständiger Penetranz oder wenn keine molekulargenetische Untersuchung in der Familie möglich ist, ist nur eine unsichere Aussage in Form einer Wahrscheinlichkeit möglich. In vielen einfachen Familiensituationen lassen sich die Risikoberechnungen gut mit einem Taschenrechner durchführen. Schon bei wenigen verkomplizierenden Faktoren erfordern sie jedoch oft umfangreiche Berechnungen. Dies ist der Fall, wenn Ratsuchende mit den Kranken weitläufiger verwandt sind, Informationen über genetische Marker, diagnostische Tests oder flankierende Marker einbezogen werden müssen oder Besonderheiten der genetischen Vererbung wie bei Duchenne-Muskeldystrophie vorliegen. Besonders schwierig ist es bei genetisch komplexen Krankheiten, bei denen mehrere Gene und nichtgenetische Risikofaktoren eine Rolle spielen. Bei erblichen Krebskrankheiten gibt es öfter seltene monogene Subtypen. Dennoch kann nicht ausschließlich ein klassisches Mendel-Vererbungsmodell zur Vorhersage der Erkrankungswahrscheinlichkeiten genutzt werden. Ein erster Ansatz besteht in der Verwendung von Schätzungen der empirischen Wiederholungsrisiken aus Familienstudien. So ist z. B. das lebenslange Brustkrebsrisiko für Schwestern von Brustkrebspatientinnen, die vor dem 40. Lebensjahr erkrankten, knapp doppelt so hoch wie für eine beliebige Frau in der Population ohne Erfassung der Familienanamnese.

Gibt es für eine Krankheit ein validiertes genetisches Modell mit einem oder mehreren Hauptgenen, die einen Teil der familiären Häufung erklären, kann man dies bei den Risikoberechnungen nutzen. Brust- und Eierstockkrebs (BC: „breast cancer“, OC: „ovarian cancer“) sind ein Beispiel für eine komplexe Krebserkrankung mit Hauptgenen. Trägerinnen von Mutationen in BRCA1 oder BRCA2 haben eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit, an Brust- und Eierstockkrebs zu erkranken, als die Allgemeinbevölkerung. Sie können von einer engmaschigen Vorsorge und Präventionsstrategien profitieren [9]. Dies und die Möglichkeit, nach disponierenden Mutationen in beiden Genen zu suchen, hat zu einer erhöhten Nachfrage an genetischer Beratung und an Risikoschätzungen in Familien mit Brust- und Eierstockkrebs geführt. Daher konzentrieren wir uns hier auf Risikoberechnungen für diese Erkrankung.

Die Schätzung der Wahrscheinlichkeit, mit der an BRCA1 oder BRCA2 eine disponierende Variante vorliegt (im Folgenden Mutationswahrscheinlichkeit genannt), dient als Basis für die Empfehlung eines molekulargenetischen Tests. Auf der Erkrankungswahrscheinlichkeit beruht die Entscheidung über die Teilnahme an speziellen Vorsorgeprogrammen. Sie ist für Mutationsträgerinnen, aber auch für Ratsuchende wichtig, bei denen kein molekulargenetischer Test durchgeführt wurde oder dieser negativ ist.

Für die Ermittlung der Mutations- und der Erkrankungswahrscheinlichkeit gibt es mehrere Ansätze, die sich in empirische und genetische Modelle unterteilen lassen. Bei Ersteren fließen keine Annahmen über ein genetisches Modell ein, die Familienanamnese wird in zusammengefasster Form berücksichtigt. Alternativ beruhen die Vorhersagen auf einem genetischen Modell der Krankheit. Wir stellen einige Modelle kurz vor, eine Liste von zusätzlichen Referenzen kann unter http://www.genepi.uni-hd.de abgerufen werden.

Empirische Modelle

Sie berücksichtigen die Familiengeschichte ohne Erbgangsmodell. Der Einfluss der Familie und weiterer Risikofaktoren kann mit logistischer Regression modelliert werden. Das vielgenutzte empirische Gail-Modell für die Erkrankungswahrscheinlichkeit bei BC von 1989 beruht auf einer Fall-Kontroll-Studie mit rund 6000 Probandinnen. Berücksichtigt werden die Anzahl erstgradig verwandter BC-Fälle, die Anzahl durchgeführter Biopsien sowie Charakteristika aus der Reproduktionsgeschichte und das Vorhandensein einer atypischen Hyperplasie.

Eierstockkrebs und andere Krebsarten in der Familie gehen nicht ein.

Mehrere empirische Ansätze modellieren die Mutationswahrscheinlichkeit angepasst an eine spezielle Population. So ordnet der Manchester-Score, der 2004 auf der Basis einer Stichprobe von 422 Familien aus Nordwestengland entwickelt wurde, jeder Ratsuchenden eine Summe von Punkten zu, je nachdem, in welchem Alter sie oder Vorfahren in direkter Linie Brust-, Eierstock-, Pankreas- oder Prostatakrebs hatten. Ob die Heterozygotenwahrscheinlichkeit größer als 10% ist, liest man anschließend aus einer Tabelle ab. Die Fa. Myriad stellt Mutationsprävalenzen zur Verfügung, die auf allen von ihr durchgeführten molekulargenetischen Tests basieren (49.000 Tests bis zum Januar 2006, ohne Aschkenasim-Vorfahren, http://www.myriadtests.com/provider/mutprevo.htm).

Die Stärke empirischer Modelle liegt in ihrer Nutzerfreundlichkeit.

Ihr Nachteil besteht darin, dass die Klasseneinteilung nach persönlicher und Familienvorgeschichte nicht genau genug ist. Zum Beispiel sind in den Myriad-Tabellen alle nichterkrankten Frauen zusammengefasst, in deren Familie 2 oder mehr BC-Fälle unter 50 Jahren, jedoch kein Eierstockkrebs aufgetreten sind.

Genetische Modelle

Das Ziel der Modellierung der Erkrankungswahrscheinlichkeit besteht darin, die familiäre Häufung und den Einfluss nichtfamiliärer Risikofaktoren für den jeweiligen Zweck hinreichend gut zu beschreiben. Einerseits können Hinweise auf die Existenz weiterer Risikogene und -faktoren gewonnen werden. Andererseits können auf der Basis des genetischen Modells für jedes Mitglied eines Stammbaums unter Nutzung der exakten Familienstruktur, der bekannten BC- und OC-Fälle und der Altersstruktur (Erkrankungsalter oder bei Gesunden aktuelles Alter) mit Hilfe der Bayes-Formel und der Penetranzen die altersabhängigen Mutations- und Erkrankungswahrscheinlichkeiten berechnet werden.

1-Gen-Modell

Das Claus-Modell für Brustkrebs verwendet ein autosomal-dominantes Gen mit altersabhängigen Penetranzen. Hier wird vereinfachend angenommen, dass am Suszeptibilitätsgenort entweder ein Wildtypallel d vorliegt oder krankheitsrelevante Varianten. Wir fassen diese zu einem Allel D zusammen. Die Penetranzen P(K|Dd) und P(K|dd) beschreiben die Erkrankungswahrscheinlichkeit bedingt auf den genannten Genotyp. Das Vorliegen zweier disponierender Allele wird wegen seiner Seltenheit meist vernachlässigt. Die Wahrscheinlichkeit, an Brustkrebs zu erkranken, ohne dass eine Krankheitsmutation am Genort vorliegt, P(K|dd), entspricht bei Brustkrebs etwa dem Erkrankungsrisiko der Allgemeinbevölkerung. Bei dieser Modellierung nimmt man an, dass die Erkrankungswahrscheinlichkeiten für unterschiedliche krankheitsrelevante Mutationen gleich sind.

Die BC-Erkrankungswahrscheinlichkeit für Mutationsträgerinnen bis zum Alter von 80 Jahren wurde im Claus-Modell auf 89% und in der Gesamtbevölkerung die Allelhäufigkeit der Krankheitsmutationen auf 0,3% geschätzt. Auf dem Claus-Modell basieren Tabellen, aus denen die auf die deutsche Bevölkerung angepassten Erkrankungswahrscheinlichkeiten für eine ausgewählte Anzahl typischer Familiensituationen abgelesen werden können [6].

Um OC-Fälle in der Familie berücksichtigen zu können, wurde das Claus-Modell in erweiterter Form in das kommerzielle Stammbaumzeichenprogramm Cyrillic integriert.

2-Gen-Modelle

Nachdem BRCA1 die familiäre Häufung des BC/OC nicht allein erklären konnte, wurde ein Modell mit 2 dominant wirkenden Genen betrachtet. Hierbei sind die Häufigkeiten für Krankheitsmutationen in BRCA1 und BRCA2 sowie die altersabhängigen Penetranzen für BRCA1- und für BRCA2-Heterozygote für BC und OC zu schätzen.

Eine Übersicht der Penetranzschätzungen aus 5 Studien zwischen 2000 und 2004 haben Bickeböller u. Fischer [5] zusammengestellt. Abb. 1 zeigt die neueste Schätzung der altersabhängigen Penetranzen anhand einer Analyse von fast 2000 Familien aus den USA [7]. Die Erkrankungswahrscheinlichkeiten sind relativ niedrig, liegen aber innerhalb der Konfidenzintervalle früherer Schätzungen.

Abb. 1
figure 1

Altersabhängige kumulative Erkrankungswahrscheinlichkeiten für Brustkrebs (rot) und Eierstockkrebs (blau) mit 95%-Konfidenzintervallen für BRCA1- und BRCA2-Mutationsträgerinnen. (Nach [7])

Beim BRCAPRO-Modell werden die Schätzungen der Allelhäufigkeiten und altersabhängigen Penetranzen aus mehreren Studien durch Anwendung eines Bayes-Verfahrens berücksichtigt. Dadurch wird die Unsicherheit der Parameterschätzung miteinbezogen, während sie ansonsten als fest angenommen wird. Der Stammbaum wird bis zu Verwandten 2. Grades verwendet, zusätzlich sind molekulargenetische Testergebnisse und andere Tumoren einbezogen.

Erweiterte genetische Modelle

Auch BRCA1 und BRCA2 können die familiäre Häufung nicht vollständig beschreiben. In einer Segregationsanalyse erklärte ein 3., rezessiv wirkendes Gen mit einer Häufigkeit von 24% und einer BC-Penetranz von 42% bis zum Alter von 70 bei Ausschluss von BRCA1/BRCA2 die familiäre BC-Häufung ebenso gut wie eine zusätzliche polygene Komponente [3]. Aus diesen Untersuchungen entstand ein gemischtes Modell mit 2 Genen und einer polygenen Komponente, in der die Effekte aller anderen Gene zusammengefasst sind, das BOADICEA-Modell („breast and ovarian analysis of disease incidence and cancer estimation algorithm“). Für Eierstockkrebs passte bei den gegebenen Daten das Modell ohne polygene Komponente am besten. Damit ist bei diesem Modell das Brustkrebsrisiko für alle Frauen sowohl vom Genotyp von BRCA1 und BRCA2 sowie zusätzlich der polygenen Komponente beeinflusst. Insbesondere hängt die Erkrankungswahrscheinlichkeit für Mutationsträgerinnen zusätzlich von der Familiengeschichte ab. Nach diesem Modell ist die Erkrankungswahrscheinlichkeit einer gesunden 40-jährigen BRCA2-Mutationsträgerin bis zum Alter von 60 Jahren allgemein etwa 30%. Sind jedoch ihre 2 Schwestern im Alter von 45 und 50 Jahren und ihre Mutter im Alter von 40 Jahren an BC erkrankt, beträgt ihre BC-Erkrankungswahrscheinlichkeit bis zum Alter von 60 etwa 55% [3]. Für BOADICEA steht noch kein Programm zur Verfügung.

Das IBIS-Modell (International Breast Cancer Intervention Study) modelliert BRCA1/2 und ein 3., dominantes Gen mit einer hohen Häufigkeit des Risikoallels, aber einer geringen Penetranz. Das Modell wurde mittels Literaturangaben und IBIS-Daten entwickelt und berücksichtigt zusätzlich die Reproduktionsgeschichte, lobuläres Karzinom, atypische Hyperplasie, Größe und Body-Mass-Index [1].

In Tab. 1 sind Mutations- und BC-Erkrankungswahrscheinlichkeiten für die Stammbäume in Abb. 2 nach verschiedenen Risikoberechnungsmodellen aufgeführt. P(M) ist für Stammbaum A in den Myriad-Tabellen besonders niedrig, da alle Ratsuchenden mit 2 oder mehr BC-Fällen unter 50 Jahren in einer Risikogruppe zusammengefasst sind. Da sich P(M) auf die Gene BRCA1 und BRCA2 bezieht, liefert IBIS bei beiden Familien einen kleineren Wert als die anderen genetischen Verfahren, denn im Modell sind andere genetische Ursachen für die familiäre Häufung von BC-Fällen berücksichtigt. Die BC-Erkrankungswahrscheinlichkeit ist aufgrund der speziellen Stammbaumstruktur in Familie A für alle Verfahren ähnlich. Ansonsten gibt es z. T. deutliche Unterschiede (s. folgenden Abschnitt und Tab. 2); im Mittel unterschätzen das Gail-, das Claus- und das BRCAPRO-Modell P(K) im Vergleich zum IBIS-Modell.

Tab. 1 Mutationswahrscheinlichkeit P(M) in BRCA1/2 und BC-Erkrankungswahrscheinlichkeit P(K) bis zum einem Alter L
Abb. 2
figure 2

Stammbaumbeispiele, Pfeil ratsuchende Person

Validierung und Vorhersagewerte

Im wissenschaftlichen Interesse und v. a. als Voraussetzung für den Einsatz im klinischen Alltag müssen die Verfahren an unabhängigen Datensätzen validiert werden.

In Validierungsstudien wird untersucht, wie gut die nach einem Modell erwartete Anzahl der Mutationsträgerinnen oder Erkrankungsfälle mit der tatsächlich beobachteten Anzahl übereinstimmt. Zusätzlich wird die berechnete Mutationswahrscheinlichkeit auf ihre diagnostischen bzw. prognostischen Eigenschaften bei verschiedenen Schwellenwerten hin untersucht. Zum Beispiel bestimmt man die Sensitivität und die Spezifität für einen Schwellenwert der Mutationswahrscheinlichkeit von 10%. Überschreitet eine Person diesen Schwellenwert, wird in einem sequenzialdiagnostischen Verfahren anschließend eine molekulargenetische Diagnostik angeboten. Für diesen Schritt der Validierung (nur Mutationswahrscheinlichkeit, nicht Erkrankungswahrscheinlichkeit) dient das Ergebnis der molekulargenetischen Diagnostik als Goldstandard. Am wichtigsten für die Praxis sind die prädiktiven Werte, also wie viele der Personen mit einer Mutationswahrscheinlichkeit über dem Schwellenwert tatsächlich eine Mutation tragen und wie viele derjenigen unter dem Schwellenwert tatsächlich keine Mutation haben.

χ2-Anpassungstest und Receiver-Operator-Charakteristiken gehören zur statistischen Methodik der Bewertung diagnostischer und prognostischer Verfahren [8]. Eine ausführliche Untersuchung der Modelle mit kommentierter Literaturliste findet man in dem ausgezeichneten Übersichtsartikel von Antoniou u. Easton [2].

Nur bei dem empirischen Gail-Modell wird die Erkrankungswahrscheinlichkeit berechnet, alle anderen empirischen Modelle zielen auf die Mutationswahrscheinlichkeit. Mit den genetischen Modellen können immer sowohl Mutationswahrscheinlichkeit (ggf. für BRCA1 und BRCA2) als auch Erkrankungswahrscheinlichkeit (ggf. für BC und OC) berechnet werden.

Keines der Modelle gilt für die Berechnung der Mutationswahrscheinlichkeit klar als Bestes. Das Claus-Modell wurde selten untersucht und zeigte in einer Studie eine schlechte Anpassung. Der Manchester-Score, die Myriad-Tabellen, das BCRAPRO- und das BOADICEA-Modell lieferten ähnlich gute Ergebnisse, wobei die Diskriminierung zwischen den beiden Hauptgenen nicht gut passte. Bei den beiden größten Vergleichsuntersuchungen mit 568 bzw. 472 Familien [4, 10] zeigten BRCAPRO in der italienischen Studie und BOADICEA in der USA-Studie die beste Anpassung an die beobachteten Mutationsanzahlen. Kritisch ist, dass in den Vergleichsstudien jeweils nur eine Auswahl der Modelle berücksichtigt wurde, sodass es derzeit nicht möglich ist, zu einer abschließenden Bewertung zu kommen.

Die Validierung bezüglich der Erkrankungswahrscheinlichkeit verlangt aufwändige prospektive Untersuchungen. In einer neuerer Studie [1] mit 3150 Frauen in Großbritannien wurden die Modelle Gail, Claus, BRCAPRO und IBIS verglichen. IBIS, das als einziges Modell neben BRCA1/2 eine weitere genetische Komponente und zusätzliche Risikofaktoren einbezieht, zeigte sich als bestes Modell. Die anderen unterschätzten die Erkrankungswahrscheinlichkeit deutlich (Tab. 2). BOADICEA wurde in dieser Studie nicht untersucht.

Tab. 2 Erwartete (E) und beobachtete (B) BC-Fälle und 95%-Konfidenzintervalle für E/B

Umsetzung in die medizinische Praxis

Die Risikoberechnungen finden unmittelbar Eingang in das Gesundheitswesen. Mittels der Erkrankungswahrscheinlichkeit werden Hochrisikogruppen definiert, die gut von einem intensiveren Screeningprogramm oder von prophylaktischen Operationen profitieren könnten [9]. Für den Einsatz in der medizinischen Praxis muss die Berechnung auf einfache Art durchführbar sein. Empirische Verfahren und Tabellen sind einfacher zu nutzen als Programme mit Eingabe des Stammbaums. Programme stehen für alle besprochenen Modelle außer BOADICEA zur Verfügung (s. http://www.genepi.uni-hd.de).

Im Rahmen der 2005 angelaufenen Regelversorgung in 12 spezialisierten Zentren für familiären Brust- und Eierstockkrebs in Deutschland wird anhand diverser Kriterien über BC-/OC-Fälle in den Familien und anhand des Erkrankungssalters [9] entschieden, ob den Ratsuchenden molekulargenetische Tests angeboten und über die Krankenkassen finanziert werden. Durch diese Regelung ist die Berechnung der Mutationswahrscheinlichkeit direkt nicht nötig. In den dann durchgeführten Mutationstests werden über 10% Mutationen in BRCA1/2 gefunden. Ratsuchende können an intensivierten Vorsorgeprogrammen teilnehmen, wenn ihre Erkrankungswahrscheinlichkeit >30% oder ihre Mutationswahrscheinlichkeit >20% sind. Die Berechnung der Erkrankungswahrscheinlichkeit erfolgt nach den gültigen Anforderungen der Kassen mit dem modifizierten Claus-Modell implementiert in Cyrillic 2.1.3. Bei Berücksichtigung des gesamten Stammbaums ist eine zeitaufwändige und somit fehleranfällige Dateneingabe erforderlich. Die Ergebnisse aus Cyrillic sind für erfahrene genetische Berater manchmal kontraintuitiv. Hier besteht erheblicher Verbesserungsbedarf.

Ausblick

Nach weiteren genetischen Ursachen des familiären Brust- und Eierstockkrebs wird intensiv gesucht, es ist zu erwarten und teilweise bekannt, dass andere Risikofaktoren eine Rolle spielen. Die Suche nach disponierenden Genen wird beispielsweise zurzeit durch genomweite Assoziationsstudien vorangetrieben.

Weitere Risikofaktoren werden von Gadzicki et al. [9] in diesem Heft ausführlicher besprochen. Morphologie, Immunhistochemie, Hormonrezeptoren, andere Tumorarten in der Familie, Geburtskohorte, Reproduktionsgeschichte sowie auch Lebensstilfaktoren sind mit dem Auftreten von Brust- und Eierstockkrebs assoziiert. Neue Risikofaktoren müssen zunächst bestätigt und dann in die Risikoberechnungsmodelle umgesetzt werden. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die beschriebenen Risikoberechnungsmodelle die Wirklichkeit voraussichtlich noch nicht gut genug abbilden. Letztlich muss die Prognosekraft für die Erkrankungswahrscheinlichkeit als Maßstab gelten.

Die Risikoberechnung ist bei einer Person mit einem negativen molekulargenetischen Testresultat nach vollständigem Screening besonders problematisch. Vermutlich handelt es sich nur bei einem sehr kleinen Teil der negativen Ergebnisse um falsch-negative Resultate. Davon abgesehen sind alle Modelle ungeeignet, die eine familiäre Häufung nur aufgrund von BRCA1 oder BRCA2 oder dem Zufall zulassen, denn damit wird das Erkrankungsrisiko mit dem allgemeinen Bevölkerungsrisiko erklärt, unabhängig davon, wie viele Fälle in der Familie aufgetreten sind. Diese Situation könnte z. B. im Rahmen der Modelle IBIS und BOADICEA passend behandelt werden, da diese eine zusätzliche genetische Komponente enthalten.

In jedem Modell sind die Schätzungen der Parameter mit statistischer Unsicherheit behaftet. Die Unsicherheit dieser Werte ist meist nicht berücksichtigt, sondern könnte z. B. in Form einer Sensitivitätsanalyse analysiert werden, die aber sehr aufwändig ist. Dabei untersucht man die Veränderung der Erkrankungswahrscheinlichkeit bei Verwendung verschiedener Schätzungen für die einzelnen Parameter.

Wenn die Familienstruktur im Rahmen von genetischen Modellen ausführlich einbezogen werden soll, ist es sehr wichtig, dass diese Daten zuverlässig sind. Bei Brust- und Eierstockkrebs ebenso wie bei anderen genetisch komplexen Krankheiten gibt es viele Risikofaktoren, für die immer differenziertere Modelle erarbeitet werden könnten. Für die praktische Nutzung zur Berechnung von Mutationswahrscheinlichkeiten und zur Prognose der Erkrankung reicht es jedoch aus, wenn sich die Modellierung des Einflusses der genetischen und nichtgenetischen Risikofaktoren in prospektiven Studien als hinreichend gut und deren Anwendung als praktikabel erweisen.