1 Theorieteil

Praxisphasen im Lehramtsstudium wird im Hinblick auf die professionelle Entwicklung von angehenden Lehrkräften eine hohe Bedeutung zugesprochen (Gröschner und Hascher 2018). Im Zuge von Reformierungsbemühungen der Lehrpersonenausbildung wurden in den vergangenen Jahren bundesweit Langzeitpraktika, vielerorts als Praxissemester bezeichnet, eingeführt (Weyland und Wittmann 2015). Eingebettet in die lehramtsbezogenen Masterstudiengänge wird auch an den Universitäten in Nordrhein-Westfalen zumeist seit dem Sommersemester 2015 ein fünfmonatiges Praxissemester realisiert. Im Sinne einer Theorie-Praxis-Verknüpfung und unter Bezug auf die Bedeutung von Reflexion für die Entwicklung von Professionalität (Schön 1983) zielt das Praxissemester mit der Durchführung von Studien- und Unterrichtsprojekten darauf ab, dass die Studierenden Schule und Unterricht aus der Lehrpersonenperspektive kennenlernen und auf der Basis erworbenen (Theorie‑)Wissens erkunden und reflektieren (MSW 2016). Dieser Erfahrungsraum bietet den Studierenden die Gelegenheit, eigene berufsbezogene Einstellungen zu hinterfragen und eine positive Haltung gegenüber Reflexion zu entwickeln (Biederbeck et al. 2016; Fischer et al. 2018).

Für die Reflexion eigenen Unterrichts bietet es sich für Lehramtsstudierende in Praxisphasen an, neben den Rückmeldungen von Praktikumslehrkräften auch die Einschätzungen der Lernenden zu erfragen (Göbel et al. 2021). Schülerrückmeldungen können die eigene Perspektive auf den Unterricht sinnvoll ergänzen (Fauth et al. 2020), werden jedoch bislang nur selten systematisch in der Lehrpersonenausbildung eingesetzt (Clausen und Göbel 2020). Für die Entwicklung einer offenen Haltung gegenüber Reflexion sind neben konkreten Reflexionsanlässen auch persönliche Voraussetzungen und berufsbezogene Einstellungen relevant (Dewey 1933; Wyss 2013).

Der vorliegende Beitrag fragt nach der Bedeutung von Schülerrückmeldungen als Reflexionsanlass und persönlichen Voraussetzungen von Studierenden für die Entwicklung einer offenen Haltung gegenüber Reflexion im Praxissemester des Lehramtstudiums.

1.1 Reflexion von Unterricht

Das Leitbild des reflective practitioners (Schön 1983) ist für den Professionalisierungsdiskurs im Lehrerberuf nach wie vor von zentraler Bedeutung; Lehrpersonen werden entsprechend als lebenslang lernende und reflektierende Praktiker betrachtet (Messner und Reusser 2000). Wenngleich in gängigen Kompetenzmodellen nur implizit verortet, gilt Reflexivität, d. h. die Bereitschaft und Fähigkeit zur Reflexion, als wichtige Voraussetzung für professionelles Handeln von Lehrkräften (Clarà 2015; Combe und Kolbe 2008; Häcker 2019). Reflexion wird dabei zumeist als spezielle Form des Denkens verstanden, die sowohl kognitive als auch metakognitive Prozesse umfasst (z. B. Clarà 2015; Korthagen 2002). Durch Prozesse der Reflexion können Lehrkräfte ihr unterrichtliches wie pädagogisches Handeln sowie eigene Haltungen und Einstellungen betrachten, kritisch prüfen und ggf. modifizieren (Gläser-Zikuda et al. 2018; Hatton und Smith 1995). Reflexionsprozesse können berufliche Traditionen und Routinen aufbrechen und damit nicht nur Unterrichtsentwicklung anregen, sondern zugleich die Weiterentwicklung der eigenen Professionalität ermöglichen (vgl. Kunter et al. 2011). Um die Bedeutung von Reflexion für die professionelle Entwicklung bereits frühzeitig zu vermitteln, nehmen in schulpraktischen Phasen der Lehrpersonenausbildung Initiativen zur Unterstützung von Reflexionsprozessen einen hohen Stellenwert ein (Svojanovsky 2017). Häufig werden schriftliche Dokumente, z. B. Lerntagebücher und Portfolios (Hascher und Hofmann 2014; Schellenbach-Zell et al. 2018), sowie kooperative Strukturen, z. B. Peer-Reflexion und Coaching (Greiten 2018; Schnebel et al. 2017), eingesetzt, da durch die Verschriftlichung bzw. Versprachlichung eigener Gedanken kognitive wie metakognitive Prozesse – und somit Prozesse der Reflexion – angeregt werden (Hübner et al. 2007). Zur Unterstützung der schriftlichen wie kollegialen Reflexion können Strukturierungshilfen, d. h. Hinweise zu Reflexionszielen oder Reflexionsinhalten sowie reflexionsanregende Fragen (Prompts), eingesetzt werden (Roberts 2008). Empirische Befunde konnten vereinzelt zeigen, dass der Einsatz von Strukturierungshilfen in Form von reflexionsanregenden Fragen das Ausmaß kognitiver und metakognitiver Aktivitäten erhöhen und für eine intensive Auseinandersetzung mit Lern- und Reflexionsinhalten besonders wertvoll sein kann (z. B. Hartung-Beck und Schlag 2020). Strukturierungshilfen kommen auch in videogestützten Reflexionsformaten häufig zum Einsatz und werden auch hier im Hinblick auf die Unterstützung von Reflexionsprozessen als hilfreich wahrgenommen (Göbel und Gösch 2019; Kleinknecht und Gröschner 2016).

Da die Umsetzung professioneller Reflexion insbesondere eine offene Haltung erfordert (Dewey 1933; Košinár und Wyss 2020; Lermer et al. 2017) und günstige Einstellungen zentrale Voraussetzungen für die Nutzungsbereitschaft unterschiedlicher Reflexionsangebote darstellen (vgl. Ajzen und Fishbein 2005), sollte die Lehrpersonenausbildung neben der Vermittlung geeigneter Reflexionsstrategien auch den Aufbau positiver Einstellungen anzielen. Bisherige Studien weisen auf generell positive Einstellungen von Lehrpersonen gegenüber Unterrichtsreflexion hin (z. B. Kittel und Rollett 2017; Wyss 2013). Ergebnisse für den Kontext der Lehrpersonenausbildung zeigen, dass auch angehende Lehrkräfte der Reflexion eigenen Unterrichts positiv gegenüberstehen (Dehne et al. 2018; Göbel und Neuber 2017; Raaflaub et al. 2019), wobei insbesondere kollegiale Formate für nützlich erachtet werden (Schnebel et al. 2017; Rosenberger, 2014). Schriftliche und kollegiale Reflexionsformate werden von angehenden Lehrkräften sogar noch positiver eingeschätzt als von Praktizierenden (Göbel und Neuber 2020).

1.2 Voraussetzungen für positive Einstellungen gegenüber Reflexion

Für die Nutzung von Lern- und Reflexionsgelegenheiten können neben externen Kontextbedingungen, z. B. Evaluations- und Kooperationsklima oder Ausbildungsstrukturen, auch individuelle Voraussetzungen, z. B. berufsbezogene Einstellungen und motivationale Orientierungen, als Bedingungsfaktoren eine Rolle spielen (Helmke 2014; Kunter et al. 2011).

Hinsichtlich der motivationalen Orientierung kann insbesondere auf das Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung verwiesen werden, also die subjektive Überzeugung, schwierige Anforderungen erfolgreich bewältigen zu können (Bandura 1977). Die Selbstwirksamkeitserwartung beeinflusst die Zielsetzung von Handlungen, die Anstrengungsbereitschaft und die Ausdauer bei der Bewältigung von Schwierigkeiten. Eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung könnte folglich die Nutzung von Lern- und Reflexionsgelegenheiten intensivieren, um die eigenen Kompetenzen zu verbessern. Betrachtet man Reflexion aus einer psychologischen Perspektive als metakognitiven Prozess, der stets das eigene Selbstbild infrage stellen kann, wird der Bezug zur Selbstwirksamkeitserwartung deutlich (vgl. Korthagen und Wubbels 2002; McCombs 1988). Eine positive Fähigkeitseinschätzung im Hinblick auf die Bewältigung beruflicher Anforderungen kann die Einlassung auf Reflexionsprozesse mit dem Ziel der Optimierung eigener Handlungsweisen begünstigen. In Anlehnung an Dewey (1933) erfordert Reflexion jedoch die Toleranz gegenüber Verunsicherungen; aus dieser Perspektive könnten hohe Wirksamkeitserwartungen einer kritisch reflektierenden Haltung auch widersprechen (Kunter und Pohlmann 2009). In bisherigen Studien finden sich jedoch positive Zusammenhänge zwischen der Selbstwirksamkeitserwartung und der Reflexionsbereitschaft von Lehrkräften (Hosenfeld 2010; Hosenfeld und Helmke 2008).

Für die Nutzung von Reflexionsgelegenheiten können auch berufsbezogene Einstellungen hinsichtlich der wahrgenommenen Belastung und Beanspruchung relevant sein. Die Einlassung auf Reflexion erfordert berufliches Engagement und einen effektiven Umgang mit den eigenen Ressourcen, wohingegen ein erhöhtes negatives Beanspruchungserleben als Folge eines unzureichenden Umgangs mit Ressourcen die eigene Handlungsfähigkeit einschränkt (Buchwald und Hobfoll 2004; Klusmann 2011) und auch die Bereitschaft zur Reflexion negativ beeinflussen kann. Empirische Studien unterstützen diese Annahme und zeigen positive querschnittliche Zusammenhänge zwischen der Berufszufriedenheit von Lehrkräften (als Ausdruck einer positiven Beanspruchung, vgl. Rudow 1990) und deren Reflexionsbereitschaft (Hosenfeld 2010). Weiterhin zeigt sich im Kontext der Lehramtsausbildung, dass die Erwartung angehender Lehrkräfte, berufliche Anforderungen als Herausforderung zu antizipieren, und deren positive Einstellungen zur Unterrichtsreflexion zusammenhängen (Göbel und Neuber 2017). Werden berufliche Anforderungen hingegen als Bedrohung empfunden und liegt entsprechend ein negatives Belastungs- und Beanspruchungserleben vor, könnte dies eine offene Haltung gegenüber Reflexion und das Einlassen auf Reflexionsprozesse beeinträchtigen. So wird ein erhöhtes Belastungserleben (z. B. Zeitmangel, vielfältige Anforderungen) zur Erklärung einer Abnahme der Bereitschaft zur Selbstreflexion im Verlauf des Referendariats angehender Lehrkräfte herangezogen (Košinár 2010). Daher sollte die Einschätzung der beruflichen Anforderungen bei der Konzeption von Reflexionsangeboten in der schulpraktischen Lehramtsausbildung nicht außer Acht gelassen werden, weil diese von einigen Studierenden als belastend wahrgenommen werden (z. B. Mertens et al. 2018).

Die Wirkrichtung zwischen Reflexion und der Wahrnehmung beruflicher Anforderungen ist auch in die andere Richtung denkbar, so können Prozesse der Selbstreflexion die Kluft zwischen den realen Handlungsmöglichkeiten in der Schule und den eigenen Ansprüchen verringern und dadurch einer negativen beruflichen Beanspruchung entgegenwirken (Dauber 2006). Längsschnittlich angelegte Studien zeigen negative Zusammenhänge zwischen der selbsteingeschätzten Reflexionsfähigkeit bzw. der reflexionsbezogenen Selbstwirksamkeit und der Veränderung der emotionalen Erschöpfung (als Ausdruck einer negativen Beanspruchung, vgl. Rudow 1990) im Vorbereitungsdienst angehender Lehrkräfte (Linninger 2016; Lohse-Bossenz et al. 2019). Mediiert über das Beanspruchungserleben könnte auch das Geschlecht für die Nutzung von Reflexionsangeboten eine Rolle spielen; Befunde der Lehrerbelastungsforschung weisen vereinzelt auf ungünstige Muster der Beanspruchung insbesondere bei weiblichen Lehrkräften hin (z. B. Schaarschmidt 2005). Auch Befunde zum Einsatz von Reflexionsangeboten in der Lehramtsausbildung finden vereinzelt Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Demnach scheinen weibliche Studierende der Reflexion mit Peers positiver gegenüberzustehen als Männliche (Raaflaub und Wyss 2018). Weiblichen Studierenden scheint es bisweilen besser zu gelingen, umfangreiche und qualitativ hochwertige Reflexionsprodukte anzufertigen (Lüsebrink und Grimminger 2014), dieser Befund wird in einer Studie von Thißen (2019) jedoch nicht bestätigt.

1.3 Schülerrückmeldungen und Unterrichtsreflexion in der Lehrpersonenausbildung

Reflexionsprozesse können in unterschiedlicher Weise angeregt werden. Rückmeldungen zum eigenen Handeln können einen Beitrag leisten, indem sie den individuellen Entwicklungsstand und weiterführende Schritte aufzeigen und somit die Reflexion und Entwicklung angehender Lehrkräfte unterstützen (Hascher et al. 2004; Körkkö et al. 2016). Informationen über das eigene Unterrichtshandeln einzuholen, gilt entsprechend als wichtiger Ausgangspunkt für die Unterrichtsreflexion (Helmke 2014). Hierbei scheint der Rückgriff auf Schülereinschätzungen vielversprechend, weil sich die Unterrichtswahrnehmung der Schülerschaft von denen der Lehrpersonen oftmals unterscheidet (Clausen 2002; Fauth et al. 2020). Der Perspektive der Lernenden auf den Unterricht wird daher zunehmend Bedeutung für die Unterrichtsreflexion beigemessen (Bastian et al. 2016; Clausen und Göbel 2020). Studien zeigen, dass Lernende bestimmte Merkmale der Unterrichtsqualität, z. B. Unterrichtsklima, Aspekte der Klassenführung sowie Merkmale der Motivierung, bereits im Primarstufenalter valide einschätzen können (z. B. Downer et al. 2015; Fauth et al. 2014; Wagner et al. 2016). Neben dem Nutzen für Lehrkräfte, durch Schülereinschätzungen Stärken und Schwächen im Unterricht aufzuzeigen sowie Reflexionsprozesse und Veränderungen anzuregen (s. zur motivationsförderlichen Wirkung z. B. Gärtner 2014), können Schülerrückmeldungen auch die Bereitschaft der Lernenden zur Mitwirkung am Unterricht erhöhen (Wisniewski und Zierer 2017), mit einer Verbesserung der Schüler-Lehrer-Beziehung und des Lernklimas einhergehen (Gärtner und Vogt 2013; Rösch 2017) und als Baustein einer demokratischen Unterrichts- und Schulkultur betrachtet werden (Groot-Wilken 2011; Schmidt 2018).

Bislang werden Schülerrückmeldungen im Schuldienst und in der Lehrpersonenausbildung nur selten systematisch eingesetzt (Buhren und Wildgans-Lang 2019; Clausen und Göbel 2020). Bisherige Studien beziehen sich häufig auf den Unterricht von praktizierenden Lehrkräften und zeigen auf, dass Lehrkräfte nach dem Einsatz von Schülerrückmeldungen eine hohe Akzeptanz gegenüber derartigen Rückmeldeformaten aufweisen (z. B. Gärtner 2013; Rösch 2017), den Einschätzungen der Lernenden zum Unterricht jedoch vereinzelt auch skeptisch gegenüberstehen (Gärtner 2014). Für eine positive Haltung gegenüber Schülerrückmeldungen scheinen berufsbezogene Einstellungen, insbesondere eine hohe Zufriedenheit und ein geringes Belastungserleben, relevant zu sein (Ditton und Arnoldt 2004). Weiterhin können sowohl intrinsisch als auch extrinsisch motivierte Gründe für die Feedbacknutzung relevante Prädiktoren für Veränderungen im Unterricht und die Bereitschaft, zukünftig Schülerrückmeldungen einzusetzen, sein (Gärtner 2014). Befunde der Rezeptionsforschung zeigen zudem, dass die eingeschätzte Nützlichkeit der Rückmeldungen deren Rezeption und die eigene Veränderungsbereitschaft begünstigen (z. B. Schrader und Helmke 2004).

Zur Frage, welchen Beitrag Unterrichtsrückmeldungen von Lernenden zur professionellen Entwicklung angehender Lehrkräfte leisten können, liegen nur wenige Befunde vor (Lawson et al. 2015). Aktuelle Ergebnisse im Kontext der schulpraktischen Lehramtsausbildung weisen darauf hin, dass Studierende der Nutzung von Schülerrückmeldungen gegenüber positiv eingestellt sind (Göbel et al. 2021; Neuber und Göbel 2020; Snead und Freiberg 2019; Tulgar 2019; Wyss et al. 2020), diese im Vergleich zu den Rückmeldungen von Praktikumslehrkräften jedoch als weniger bedeutsam einschätzen und daher in Praxisphasen nur selten zusätzlich zu den Rückmeldungen der Praxislehrpersonen erfragen (Crichton und Gil 2015; Hascher et al. 2004). Eigene Befunde zum Einsatz von Schülerrückmeldungen im Rahmen einer Interviewstudie weisen darauf hin, dass der Einsatz von Schülerrückmeldungen aus Sicht der angehenden Lehrpersonen insbesondere mit einem Zugewinn an Sicherheit im Unterrichtshandeln und mit einer Verbesserung der Schüler-Lehrer-Beziehung einhergeht (Neuber und Göbel 2021). Dabei werden von den angehenden Lehrpersonen gerade die aus Sicht der Lernenden weniger gelungenen Aspekte des Unterrichts als hilfreich für die Reflexion von Handlungsalternativen erachtet; Ähnliches zeigte sich auch in der Studie von Snead und Freiberg (2019). Erste explorative Analysen der Daten der Interventionsstudie, die auch dem vorliegenden Beitrag zugrunde liegen, zeigen im Vergleich zwischen einer Lehrpersonen- und einer Studierendenstichprobe, dass nach dem Einsatz von Schülerrückmeldungen zum eigenen Unterricht die reflexionsbezogenen Einstellungen von Lehrkräften weitgehend stabil bleiben (Göbel und Neuber 2020). Bei den untersuchten Studierenden zeigt sich nach dem Einsatz der Schülerrückmeldungen, dass sie die Relevanz von Reflexion für den Lehrerberuf als bedeutsamer einschätzen und ihre positiven Einstellungen gegenüber Strukturierungshilfen (in Form von Leitfragen zur inhaltlichen Strukturierung der individuellen und kollegialen Reflexion) leicht abnehmen (Göbel und Neuber 2020).

2 Anliegen der Untersuchung und Forschungsfragen

Die Bereitstellung strukturierter Reflexionsangebote kann die Reflexion eigener Erfahrungen in der schulpraktischen Lehrpersonenausbildung unterstützen und den Aufbau positiver Einstellungen gegenüber Reflexion begünstigen. Studien weisen darauf hin, dass Strukturierungshilfen und kollegiale Formate hilfreich sein können, um die Reflexion im Lehrerberuf zu unterstützen. Die wenigen bisher vorliegenden Befunde zum Einsatz von Schülerrückmeldungen als Reflexionsanlass im Kontext der schulpraktischen Lehrpersonenausbildung machen auf das Potenzial dieses Ansatzes aufmerksam. Der vorliegende Beitrag vergleicht die Veränderung reflexionsbezogener Einstellungen zweier Gruppen von Studierenden im Praxissemester im Kontext von Praxissemesterbegleitseminaren, wobei eine der beiden Gruppen im Praxissemester Schülerrückmeldungen zu ihrem Unterricht eingesetzt und strukturiert reflektiert hat. Neben der Betrachtung der Einstellungsveränderungen der beiden Gruppen wird der Zusammenhang zwischen reflexionsbezogenen Einstellungen und individuellen Voraussetzungen der Studierenden im Praxissemester untersucht. Folgende Fragen werden adressiert:

F1

Wie verändern sich die reflexionsbezogenen Einstellungen nach der strukturierten Reflexion von Schülerrückmeldungen zum Unterricht bei Studierenden im Praxissemester (IG) im Vergleich zu Studierenden ohne strukturierte Schülerrückmeldungsreflexion im Praxissemester (KG)?

F2

Welche Zusammenhänge zeigen sich zwischen den reflexionsbezogenen Einstellungen und dem Geschlecht der Studierenden, deren Selbstwirksamkeitserwartung und der antizipierten beruflichen Beanspruchung (Erwartungen an den Lehrerberuf)? Welche Effekte haben die individuellen Voraussetzungen und die Gruppenzugehörigkeit auf die Einstellungsveränderungen im Praxissemester?

3 Methode

3.1 Studiendesign

Die Fragestellungen werden in einer Prä-Post-Kontrollgruppen-Studie untersucht. Die hierfür entwickelte Intervention sieht in der Interventionsgruppe (IG) den Einsatz und die strukturierte Reflexion von Schülerrückmeldungen zum eigenen Unterricht im Praxissemester vor (Neuber und Göbel 2019). Mithilfe schriftlicher Fragebögen wurden alle Studienteilnehmenden in einem zeitlichen Abstand von circa 3,5 Monaten zu Beginn und zum Ende des Praxissemesters befragt (s. Kapitel 3.3). Im vorliegenden Beitrag wird zwischen einer Interventions- und einer Kontrollgruppe unterschieden. Die Gruppen sind insofern vergleichbar, als dass es sich jeweils um Studierende im Praxissemester handelt, die in universitären Begleitveranstaltungen zum Praxissemester rekrutiert wurden. IG und KG unterscheiden sich im Hinblick auf den Einsatz von Schülerrückmeldungen und deren strukturierte individuelle und kollegiale Reflexion.

3.2 Intervention

Die Studierenden der IG haben ein strukturiertes Reflexionsangebot erhalten, das Schülerrückmeldebögen zum Unterricht sowie Strukturierungshilfen für die individuell schriftliche und kollegiale Reflexion umfasst. Gemäß der Interventionsvorgaben haben die Studierenden der IG im Anschluss an den Prätest in zwei eigenverantwortlich durchgeführten Unterrichtsstunden im Praxissemester Schülerrückmeldebögen zum Unterricht eingesetzt. Diese enthielten drei offene Fragen, sodass die Lernenden in eigenen Worten gut gelungene, weniger gut gelungene und verbesserungswürdige Aspekte der Unterrichtsstunde nannten. Ergänzend konnten Fragebögen zu verschiedenen Aspekten der Unterrichtsqualität einsetzt werden, nämlich zur Klassenführung, kognitiven Aktivierung und zum Unterrichtsklima (s. für einen Einblick Neuber und Göbel 2019). Die Rückmeldebögen wurden selbständig ausgewertet und im Klassengespräch mit den Lernenden reflektiert.

Für die anschließende individuelle und kollegiale Reflexion der Schülerrückmeldungen wurden Strukturierungshilfen im Sinne reflexionsanregender Fragen entwickelt (Neuber und Göbel 2019); die schriftliche bzw. verbale Beantwortung dieser Fragen sollte eine vertiefte Reflexion der Rückmeldeergebnisse ermöglichen (vgl. Hübner et al. 2007) und zur Entwicklung von Handlungsalternativen für den eigenen Unterricht beitragen. Die Studierenden erhielten zunächst einen schriftlichen Reflexionsbogen, den sie im Anschluss an den Einsatz der Schülerrückmeldebögen ausfüllen konnten. Die im Reflexionsbogen enthaltenen Fragen beziehen sich auf die Unterrichtsstunde und die Schülerrückmeldungen (z. B.: Was sind Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Ihrer Unterrichtswahrnehmung und der Wahrnehmung der Lernenden? Welche Folgen ergeben sich für Ihr zukünftiges Unterrichtshandeln?). Das kollegiale Reflexionsformat wurde in Ergänzung zur individuell schriftlichen Reflexion als Peer-Gespräch über die Schülerrückmeldungen im Zuge der universitären Begleitveranstaltungen realisiert und fand zu zwei Zeitpunkten im Praxissemester statt. Auch hierfür wurden zur inhaltlichen Strukturierung reflexionsanregende Fragen für die Gesprächsgestaltung bereitgestellt (z. B.: Was waren deine Gründe, dass du so gehandelt hast? Was könntest du auch noch anders machen?); zudem konnten die Studierenden ihre schriftlichen Reflexionsbögen nutzen.

Die Studierenden der Kontrollgruppe (KG) haben keine Schülerrückmeldungen eingesetzt und keine Strukturierungshilfen zur individuellen und kollegialen Reflexion erhalten.

3.3 Stichprobe

Es wurden die Daten von insgesamt n = 126 Lehramtsstudierenden der Sekundarstufe (65,9 % weiblich, MAlter = 24,52; SDAlter = 2,01) aufbereitet, die im Anschluss an den Prätest der IG (nIG = 53) bzw. KG (nKG = 73) zugeordnet wurden. Für die Zuordnung zu den Vergleichsgruppen wurde auf bereits bestehende Seminargruppen der Universität [Name anonymisiert] zurückgegriffen, da eine randomisierte Zuordnung der Studierenden aus forschungspraktischen Gründen nicht möglich war. Die Studierenden hatten zum Zeitpunkt der Studienteilnahme bereits eine Praxisphase absolviert, im Rahmen derer sie ausschließlich an Unterrichtshospitationen teilnehmen durften. Daher war anzunehmen, dass eigene Erfahrungen im Unterrichten und in der Unterrichtsreflexion nur begrenzt vorhanden waren. Die KG wurde hinsichtlich eines eigenständigen Einsatzes von Schülerrückmeldungen im Praxissemester befragt, vor dem Hintergrund dieser Angaben wurden Studierende ggf. aus der KG entfernt. Im Prätest zeigten sich keine Unterschiede zwischen IG und KG im Hinblick auf die Einstellungen gegenüber Unterrichtsreflexion sowie hinsichtlich der Zusammensetzung in Bezug auf Geschlecht, motivationale Orientierungen und antizipierte berufliche Beanspruchung.

3.4 Erhebungsinstrumente

Alle Studierenden absolvierten einen schriftlichen Prä-Post-Test zur Erfassung ihrer reflexionsbezogenen Einstellungen, wobei die Fragebogenitems anhand einer vierstufigen Likert-Skala (1 = „stimme gar nicht zu“ bis 4 = „stimme voll und ganz zu“) eingeschätzt wurden. Die verwendeten Skalen (s. Tab. 1) wurden in Anlehnung an konzeptionelle Grundlagen zur Reflexion im Lehrerberuf konzipiert (Neuber und Göbel 2018) und umfassen die Relevanz von Reflexion im Lehrerberuf, die Einstellung gegenüber Schülerrückmeldungen, die Einstellung gegenüber Strukturierungshilfen, die Einstellung zur kollegialen Reflexion (Peer-Reflexion) sowie die Präferenz einer individuellen Reflexion. Über die entwickelten Items wurden folglich affektive Einstellungskomponenten (vgl. Fabrigar et al. 2005) erfasst.

Tab. 1 Beispielitems und Reliabilitätskoeffizienten der Skalen zu reflexionsbezogenen Einstellungen

Zu beiden Erhebungszeitpunkten zeigen sich zufriedenstellende Reliabilitätskoeffizienten. Die Berechnung der internen Konsistenzen erfolgte auch getrennt für IG und KG; die jeweiligen Reliabilitätskoeffizienten sind ausreichend bis zufriedenstellend (αKG = 0,70–0,91; αIG = 0,66–0,91).

Weiterhin wurden im Prätest relevante Voraussetzungen der Studierenden erfasst. Neben dem Geschlecht wurde die Selbstwirksamkeitserwartung der Studierenden erhoben (10 Items, α = 0,76; Beispiel: Für jedes Problem kann ich eine Lösung finden), wobei das Instrument von Schwarzer und Jerusalem (1999) im Original verwendet wurde. Um die von den Studierenden antizipierte Beanspruchung im LehrerberufFootnote 1 zu betrachten, wurden in Anlehnung an Schwarzer und Jerusalem (1999) die Erwartungen an den Lehrerberuf erhoben. Dazu sollten die Studierenden einschätzen, inwieweit sie die antizipierten Anforderungen des Lehrerberufs als Herausforderung (Herausforderungserleben: 3 Items, α = 0,58; Beispiel: Ich bin zuversichtlich, dass ich den Anforderungen im Lehrerberuf gewachsen bin) oder als Bedrohung (Bedrohungserleben: 3 Items, α = 0,75; Beispiel: Ich befürchte, dass mich die beruflichen Belastungen überfordern) erleben. Die Beantwortung der Items erfolgte anhand vierstufiger Likert-Skalen (1 = „trifft gar nicht zu“ bis 4 = „trifft voll und ganz zu“).

3.5 Analyseverfahren

Für eine deskriptive Betrachtung der Einstellungsveränderungen wurden für IG und KG die Mittelwertdifferenzen zwischen Prä- und Post-Tests gebildet (Döring und Bortz 2016). Zur analytischen Betrachtung der Einstellungsveränderungen und Gruppenunterschiede wurden zweifaktorielle Varianzanalysen mit Messwiederholung gerechnet; diese Vorgehensweise empfiehlt sich für die Auswertung nicht-randomisierter Prä-Post-Kontrollgruppen-Designs (Döring und Bortz 2016).Footnote 2

Zusammenhänge zwischen den Konstrukten wurden mit Korrelationsanalysen geprüft. Zudem wurden Kovarianz- und Regressionsanalysen berechnet. Als Prädiktoren wurden Geschlecht, Selbstwirksamkeitserwartung und Erwartungen an den Lehrerberuf (Herausforderungs- und Bedrohungserleben) berücksichtigt, als Kriteriumsvariablen die Skalen zu reflexionsbezogenen Einstellungen im Posttest. Da auch der Skalenwert des Prätests berücksichtigt wurde, werden die Parameter der Kovariaten als Effekte auf die Einstellungsveränderung interpretiert. Für alle Testverfahren wurde das Signifikanzniveau α auf 5 % fixiert. Ausgehend vom explorativen Charakter der Untersuchung werden p-Werte < 0,10 als Tendenzen gewertet.

4 Ergebnisse

4.1 Veränderung der Einstellungen gegenüber Unterrichtsreflexion

Die dargestellten Mittelwerte signalisieren, dass beide Gruppen die Relevanz von Reflexion im Lehrerberuf als generell hoch einschätzen (vgl. Tab. 2). Insbesondere die Nutzung von Schülerrückmeldungen und kollegialen Reflexionsformen mit Peers werden für hilfreich erachtet; die gruppenspezifischen Mittelwerte für die Einstellung gegenüber Schülerrückmeldungen und die Einstellung zur kollegialen Reflexion liegen in Prä- und Posttest über dem theoretischen Skalenmittelwert von 2,50, was eine hohe Zustimmung und somit generell positive Einstellungen gegenüber diesen Reflexionsangeboten signalisiert.

Tab. 2 Ergebnisse zu den reflexionsbezogenen Einstellungen – Vergleich von IG und KG

Für die Relevanz von Reflexion im Lehrerberuf zeigt sich ein signifikanter Effekt der Messwiederholung (F(1,123) = 5,996; p = 0,016; η2 = 0,046). Die IG weist eine höhere Zunahme (∆post−prä = 0,10) hinsichtlich der Relevanzeinschätzung auf als die KG (∆post−prä = 0,06); die Interaktion zwischen Messwiederholungs- und Gruppierungsfaktor erweist sich allerdings nicht als signifikant (F(1,123) = 0,397; p = 0,530; η2 = 0,003). Während die positive Einstellung gegenüber Schülerrückmeldungen und die Einstellung zur kollegialen Reflexion weitgehend stabil bleiben (vgl. Tab. 2), zeigt sich über beide Gruppen hinweg eine Abnahme der Präferenz einer individuellen Reflexion zum zweiten Messzeitpunkt (Zeiteffekt: F(1,124) = 7,615; p = 0,007; η2 = 0,058). Die KG (∆post−prä = −0,17) schätzt im Vergleich zur IG (∆post−prä = −0,06) individuelle Reflexionsformen nach dem Praxissemester noch weniger positiv ein als zuvor, die Interaktion zwischen Messwiederholungs- und Gruppierungsfaktor erweist sich allerdings nicht als signifikant (F(1,124) = 1,598; p = 0,209; η2 = 0,013). Für die Veränderung der Einstellung gegenüber Strukturierungshilfen zeigt sich ein kleiner Effekt der Interaktion zwischen Messwiederholung und Gruppenzugehörigkeit (F(1,124) = 6,452; p = 0,012; η2 = 0,049). Während sich für die IG eine negative Einstellungsveränderung zeigt (∆post−prä = −0,16), wird für die KG eine positive Einstellungsveränderung gegenüber Strukturierungshilfen deutlich (∆post−prä = 0,15).

4.2 Zusammenhänge und Effekte von individuellen Voraussetzungen und Gruppenzugehörigkeit auf die Einstellungsveränderungen

Die korrelativen Analysen (s. Tab. 3) weisen zumeist geringe bis moderate Zusammenhänge zwischen den Einstellungsskalen im Posttest aus. Während die Präferenz einer individuellen Reflexion negativ mit den Einstellungsskalen korreliert, zeigen sich zwischen den weiteren Dimensionen jeweils positive Korrelationen. Zwischen Geschlecht und der Einstellung gegenüber Schülerrückmeldungen im Posttest zeigt sich ein signifikanter positiver Zusammenhang, der eine positivere Einstellung gegenüber Schülerrückmeldungen seitens weiblicher Studierender signalisiert. Für die Antizipation beruflicher Anforderungen als Herausforderung (Herausforderungserleben) zeigen sich positive Korrelationen zur empfundenen Relevanz von Reflexion im Lehrerberuf sowie zur Einstellung gegenüber Schülerrückmeldungen. Die Antizipation der beruflichen Anforderungen als Bedrohung (Bedrohungserleben) korreliert negativ mit der Einstellung gegenüber Strukturierungshilfen. Ein als positiv antizipiertes Beanspruchungserleben im späteren Lehrerberuf scheint die Einschätzung der Relevanz von Reflexion und eine positive Einstellung gegenüber Schülerrückmeldungen zu begünstigen, während die Erwartung, berufliche Anforderungen als Bedrohung zu erleben, mit geringeren Nützlichkeitsempfindungen in Hinblick auf den Einsatz von Strukturierungshilfen einhergeht.

Tab. 3 Pearson-Korrelationen (r) zwischen individuellen Voraussetzungen und den reflexionsbezogenen Einstellungen im Posttest

Die Befunde der Kovarianzanalysen zeigen eine jeweils geringe Aufklärung der Varianzen (R2 < 0,30, vgl. Cohen 1988) mit Ausnahme der Relevanz von Reflexion im Lehrerberuf, für die eine mittlere Varianzaufklärung deutlich wird. Zur Vorhersage der reflexionsbezogenen Einstellungen im Posttest tragen vor allem die Ausgangswerte der jeweiligen Skalen bei (vgl. Tab. 4). Für die Veränderung der Präferenz einer individuellen Reflexion zeigt sich ein Geschlechtereffekt mit positiver Wirkrichtung (β = 0,178, p = 0,031). Weiterführende Analysen verdeutlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern (t(124) = −1,966, p = 0,052) und zeigen, dass die Frauen (M = 1,73; SD = 0,40; n = 83) individuelle Reflexionsformen zum Ende der Praxisphase deutlicher ablehnen als die Männer (M = 1,90; SD = 0,52; n = 43) – wenngleich die Skalenmittelwerte jeweils eine tendenzielle Ablehnung signalisieren (M < 2,50). Der tendenzielle Geschlechtereffekt mit negativer Wirkrichtung auf die Einstellung gegenüber Schülerrückmeldungen im Posttest (β = −0,153, p = 0,060) deutet an, dass die weiblichen Studierenden eine stärkere Einstellungsveränderung zeigen als Männer. Nach der Praxisphase weisen die Frauen eine tendenziell positivere Einstellung gegenüber Schülerrückmeldungen (M = 3,43; SD = 0,37; n = 83) auf als die Männer (M = 3,28; SD = 0,42; n = 43; t(124) = 2,074, p = 0,040).

Tab. 4 Parameter der Kovarianzanalysen (F, df, η2), Regressionskoeffizienten und Signifikanzprüfung (p)

Für die Veränderung der Einstellung gegenüber Strukturierungshilfen zeigt sich ein Effekt der Gruppenzugehörigkeit: Unter Kontrolle des Ausgangswerts und der weiteren individuellen Voraussetzungen trägt die Gruppenzugehörigkeit negativ zur Vorhersage der Einstellung gegenüber Strukturierungshilfen im Posttest bei (β = −0,222, p = 0,009). Zudem deutet sich an, dass auch das Bedrohungserleben negativ zur Veränderung der Einstellung gegenüber Strukturierungshilfen beitragen kann (β = −0,181, p = 0,058), wobei das 5 %-Signifikanzniveau verfehlt wird.

5 Diskussion

Im vorliegenden Beitrag wurde die Bedeutung einer strukturierten Schülerrückmeldungsreflexion unter Berücksichtigung individueller Voraussetzungen von Lehramtsstudierenden für die Veränderung reflexionsbezogener Einstellungen im Praxissemester im Rahmen eines Prä-Post-Kontrollgruppen-Designs untersucht.

5.1 Zusammenfassung und Einordnung der Ergebnisse

Im Einklang mit bisherigen Befunden zur Haltung angehender Lehrkräfte gegenüber Reflexion (z. B. Dehne et al. 2018; Göbel und Gösch 2019; Lohse-Bossenz et al. 2019) zeigt sich auch in der vorliegenden Untersuchung, dass die Studierenden verschiedenen Formen der Unterrichtsreflexion insgesamt positiv gegenüberstehen. Die Relevanz von Reflexion im Lehrerberuf wird von den befragten Studierenden sowohl zu Beginn als auch zum Ende des Praxissemesters als sehr bedeutsam eingeschätzt (vgl. Göbel und Neuber 2020; Raaflaub et al. 2019). Die Befunde der Prä-Post-Studie weisen darauf hin, dass das Praxissemester für alle befragten Studierenden die Einschätzung der Relevanz von Reflexion im Lehrerberuf noch verstärkt hat. Dies zeigt, dass die Studierenden den zentralen Stellenwert der Unterstützung und Förderung von Selbstreflexion in schulpraktischen Ausbildungsphasen erkennen (Schüssler und Weyland 2014). Inwieweit die Reflexion von Schülerrückmeldungen diese positive Entwicklung weiter verstärken kann, ist ausgehend von den vorgelegten Befunden nicht zu belegen.

Auch die Nutzung von Schülerrückmeldungen als Reflexionsanregung wird von den befragten Studierenden sowohl zu Beginn als auch zum Ende des Praxissemesters positiv bewertet. Dies unterstützt bisherige Befunde zur positiven Haltung angehender Lehrkräfte gegenüber Schülerrückmeldungen (Göbel et al. 2021; Snead und Freiberg 2019; Wyss et al. 2020). In der IG hat sich die positive Einstellung gegenüber Schülerrückmeldungen nach dem Einsatz im eigenen Unterricht geringfügig erhöht, diese Veränderung ist allerdings nicht signifikant und unterscheidet sich zudem nicht bedeutsam von der Veränderung in der KG. Eine positive Haltung nach dem Einsatz von Schülerrückmeldungen zeigte sich auch in Studien mit praktizierenden Lehrpersonen (Ditton und Arnoldt 2004; Gärtner 2013). Trotz der anzunehmenden Unterschiedlichkeit der Kontexte an den Praxisschulen im Hinblick auf unterschiedliche Praktiken und Haltungen gegenüber Schülerrückmeldungen (Hascher 2006) und den vielfältigen Herausforderungen dieser Praxisphase bleiben in beiden Untersuchungsgruppen die Einstellungen gegenüber Schülerrückmeldungen stabil. In der IG zeigt sich auch trotz der anzunehmenden Heterogenität hinsichtlich der Qualität der Schülerrückmeldungen – beispielsweise aufgrund des Alters und der Erfahrungen der Lernenden (Lenske und Praetorius 2020) – eine stabil positive Einstellung gegenüber Schülerrückmeldungen.

Die Ergebnisse zeigen weiterhin, dass insbesondere kollegiale Reflexionsformate mit Peers als hilfreich erachtet und individuell schriftliche Reflexionsformen eher kritisch gesehen werden. Dies unterstützt Befunde anderer Studien, nach denen individuell schriftliche Reflexionsformen von Studierenden eher kritisch betrachtet werden (Rosenberger 2014), wohingegen kollegiale Formate von Studierenden eher als nützlich eingeschätzt werden (Neuber und Göbel 2020; Schnebel et al. 2017). Die Zurückhaltung aller befragten Studierenden in der vorliegenden Studie gegenüber individuellen Reflexionsformen nimmt zum Ende der Praxisphase noch zu, was das Bedürfnis nach kollegialem Austausch im und nach dem Praxissemester verdeutlicht. Unter Umständen werden die Studierenden in dieser ersten langen Praxisphase auf die Notwendigkeit der Entwicklung ihrer eigenen professionellen Kompetenzen für eine erfolgreiche Ausübung ihrer Lehrpersonentätigkeit aufmerksam gemacht. Dadurch werden ihnen die Grenzen ihrer individuellen Reflexionsprozesse und die Chancen des Austauschs mit Peers sowie mit Mentorinnen und Mentoren für ihre professionelle Entwicklung umso deutlicher. Das Potenzial der kollegialen Reflexion wird in verschiedenen Studien für die professionelle Entwicklung von angehenden Lehrpersonen bestätigt (Brown et al. 2021; Kreis und Schnebel 2017). Die Kompetenzen in der Zusammenarbeit, die sich in diesen Formaten entwickeln können, sind auch für Prozesse der Schul- und Unterrichtsentwicklung im späteren Lehrerberuf wichtig (De Zordo und Hascher 2017).

Für die Einstellung gegenüber Strukturierungshilfen zur Unterstützung der Unterrichtsreflexion werden unterschiedliche Entwicklungen deutlich; während in der KG die Einstellung weitgehend stabil bleibt, zeigt sich für die IG eine Abnahme der eingeschätzten Nützlichkeit von Strukturierungshilfen. Auch die Befunde der Kovarianzanalysen weisen in diese Richtung und zeigen einen signifikanten Gruppeneffekt mit negativer Wirkrichtung. Die vorliegende Operationalisierung der Einstellung gegenüber Strukturierungshilfen fokussiert insbesondere schriftliche Formate und Leitfragen. Der für die Nutzung des Reflexionsbogens erforderliche aktive Schreibprozess, die aufzubringenden zeitlichen Ressourcen und die nötigen schriftsprachlichen Kompetenzen (Valdorf et al. 2014), könnten bei den Studierenden eine kritischere Einschätzung der Items zu Strukturierungshilfen hervorgerufen haben. Aufgrund mangelnder Erfahrungen könnte auch die Vorab-Einschätzung des Nutzens einer strukturierten Unterrichtsreflexion zu optimistisch ausgefallen sein. Durch die Nutzung der Strukturierungshilfen könnte sich das eigene Verständnis über die Nützlichkeit eben dieser und der Bewertungsmaßstab für die Einschätzung der jeweiligen Items verändert haben; dies führt zu einer vermeintlichen „Korrektur“ der Vorab-Einschätzung und einer möglichen Verzerrung der wahren Interventionseffekte („Response-Shift Bias“, z. B. Howard 1980). Da sich schriftliche Strukturierungshilfen in anderen Studien z. B. Im Zusammenhang mit der Nutzung von Lerntagebüchern als günstig für die Entwicklung der Reflexionsqualität herausgestellt haben (z. B. Hartung-Beck und Schlag 2020), überrascht der Befund des Rückgangs der positiven Einstellung gegenüber Strukturierungshilfen. Während bei Hartung-Beck und Schlag (2020) das strukturierte Lerntagebuch als Bestandteil einer Seminarleistung zu fünf Zeitpunkten von den Studierenden eingesetzt wurde, wurde die Strukturierungshilfe der vorliegenden Studie unabhängig von einer Seminarleistung und zu nur zwei Zeitpunkten im Praxissemester eingesetzt. Die kritischere Einschätzung von Strukturierungshilfen in der IG könnte in der Gestaltung der eingesetzten Reflexionsunterstützung begründet sein. Die Strukturierungshilfen könnten stärker in Abstimmung mit den Studierenden gestaltet und der Reflexionsinhalt noch weiter präzisiert werden; auch eine verbindlichere Nutzung (beispielsweise als Bestandteil einer Seminarleistung) sowie eine intensivere Einführung in die schriftliche Strukturierungshilfe könnte zielführend sein. Weiterhin ist vor dem Hintergrund der allgemeinen Itemformulierung der Skala Einstellung gegenüber Strukturierungshilfen nicht auszuschließen, dass die Studierenden sich in ihren Antworten nicht auf die vorliegenden Strukturierungshilfen, sondern auf andere Erfahrungen beziehen. Weiterhin ist vorstellbar, dass trotz der leichten Abnahme positiver Einstellungen nach der Intervention, die Strukturierungshilfen dennoch den Prozess der Reflexion unterstützt haben könnten. Für zukünftige Studien im Kontext der Schülerrückmeldungsnutzung sollten daher neben den reflexionsbezogenen Einstellungen auch der Reflexionsprozess selbst (in seiner Struktur und Qualität) und die Wirkungen der Reflexion im Sinne professioneller Kompetenzentwicklung in den Blick genommen werden.

Bisherige Befunde der Reflexionsforschung zeigen, dass individuelle Voraussetzungen mit den Einstellungen zur Unterrichtsreflexion zusammenhängen können (z. B. Hosenfeld 2010; Linninger 2016). In der vorliegenden Untersuchung zeigen sich signifikante Korrelationen zwischen der Relevanz von Reflexion im Lehrerberuf und der Einstellung zu Schülerrückmeldungen und dem antizipierten Herausforderungserleben. Weiterhin zeigt sich ein negativer Zusammenhang zwischen der Antizipation der beruflichen Anforderungen als Bedrohung und der Einstellung gegenüber Strukturierungshilfen. Die beschriebenen Zusammenhänge werden im Rahmen der Kovarianzanalysen in Teilen bestätigt, verfehlen jedoch das 5 %-Signifikanzniveau. Es ist zu bedenken, dass die Reliabilität der Skala Herausforderungserleben sehr gering ausfiel (α = 0,58) und das antizipierte Herausforderungs- und Bedrohungserleben im Lehrerberuf nicht mit der Aktual-Beanspruchung im Praxissemester gleichzusetzen ist. Vor dem Hintergrund anderer Studien für den Kontext des Vorbereitungsdiensts (z. B. Linninger 2016) und des Lehrerberufs (Hosenfeld 2010) ist jedoch zu erwarten, dass Zusammenhänge zwischen der Beanspruchung und der Reflexionsbereitschaft und -fähigkeit bestehen. Die Relevanz der Aktual-Beanspruchung für reflexionsbezogene Einstellungen gilt es in weiterführenden Studien zu prüfen. Zielführend wäre auch eine motivationspsychologische Betrachtung der Reflexionserfahrungen im Praxissemester, zum Beispiel könnte die Erwartung auf Erfolg (Heckhausen und Rheinberg 1980) die Bewertung von Reflexionsaufgaben im Sinne einer positiven Herausforderung oder potenziellen Bedrohung beeinflussen und sich folglich auf die Bereitschaft, sich auf Reflexion einzulassen, auswirken.

Die vorliegenden Befunde geben Hinweise darauf, dass sich die Veränderungen der Einstellung gegenüber Schülerrückmeldungen sowie der Präferenz einer individuellen Reflexion zwischen männlichen und weiblichen Studierenden unterscheiden können. Nach dem Praxissemester weisen weibliche Studierende eine noch geringere Präferenz für individuelle Reflexionsformen auf als vorher und sind Schülerrückmeldungen gegenüber tendenziell noch etwas positiver eingestellt als männliche Studierende. Hinsichtlich der positiven Einstellung zur kollegialen Reflexion zeigte sich entgegen bisheriger Befunde (Raaflaub und Wyss 2018) kein Unterschied zwischen Frauen und Männern. Die Relevanz des Geschlechts für die Einstellungen zur Reflexion wäre in weiterführenden Untersuchungen genauer zu prüfen.

5.2 Limitationen und Ausblick

Trotz der vor dem Hintergrund der niederschwelligen Intervention als klein einzustufenden Stichprobe zeigen die Kovarianzanalysen eine jeweils geringe bis mittlere Aufklärung der Varianzen (vgl. Cohen 1988). Die eingesetzten Skalen weisen weitgehend zufriedenstellende Reliabilitäten auf (mit Ausnahme der Skala Herausforderungserleben). Allerdings weisen die linksschiefe Verteilung der reflexionsbezogenen Einstellungsskalen sowie die hohen Ausprägungen einiger Items auf die Notwendigkeit der konzeptionellen Weiterentwicklung der Erhebungsinstrumente hin. Kritisch anzumerken ist zudem, dass die reflexionsbezogenen Einstellungsskalen ausschließlich affektive Einstellungskomponenten erfassen, für eine vollständigere Abbildung der Konstrukte wäre eine Ergänzung um verhaltensbezogene und kognitive Aspekte sinnvoll. Möglicherweise waren die Fragebögen zur Erfassung der reflexionsbezogenen Einstellungen nicht sensitiv genug, um tatsächliche Veränderungen abbilden zu können. Ebenso ist es möglich, dass die Ergebnisse der Vorher-Nachher-Messung durch das Phänomen des Response-Shift Bias zu erklären sind (Howard 1980). Darüber hinaus könnten auch Vorerfahrungen mit der Reflexion eigenen Unterrichts und der Nutzung unterschiedlicher Reflexionsangebote, z. B. Schülerrückmeldungen, die Ergebnisse verzerrt haben; diese wurden im Rahmen der Erhebungen nicht kontrolliert und sollten daher in weiterführenden Studien verstärkt in den Blick genommen werden. Zwar sind die Untersuchungsgruppen hinsichtlich der Geschlechterverteilung vergleichbar; der Anteil weiblicher Studierender (65,9 %) überwiegt jedoch in der Gesamtstichprobe, was ebenfalls zu Verzerrungseffekten geführt haben könnte.

Weitere Grenzen der Studie betreffen die Interventionsvorgaben im Projekt. Die kritische Entwicklung der Einstellungen gegenüber Strukturierungshilfen in der IG könnte eine eingeschränkte Passung der eingesetzten Interventionsinstrumente an die Interessen und Bedarfe der Studierenden signalisieren; eine konzeptionelle Weiterentwicklung der Interventionsvorgaben erscheint daher sinnvoll. Zudem sollte die Nutzung der Strukturierungshilfen systematisch trainiert und die Qualität der Reflexion erhoben werden. Trotz der genannten Restriktionen geben die vorliegenden Untersuchungsbefunde wertvolle Hinweise für den Einsatz und die Reflexion von Schülerrückmeldungen im Rahmen der schulpraktischen Lehrpersonenausbildung. In der Zusammenschau verdeutlichen die Befunde, dass Schülerrückmeldungen und kooperative Reflexionsformate von Studierenden im Praxissemester positiv bewertet werden. Beide Formate könnten daher häufiger in den Praxisphasen der Lehramtsausbildung genutzt werden.

Die vorliegende Studie gibt allerdings keine Hinweise auf tatsächliches Reflexionshandeln. Die Frage, in welcher Weise systematische Reflexionsprozesse unter Rückgriff auf Schülerrückmeldungen zum eigenen Unterricht in der Lehramtsausbildung mit Maßnahmen der Unterrichtsentwicklung und Veränderungen in der professionellen Kompetenz von angehenden Lehrkräften einhergehen, könnte daher als Forschungsdesiderat markiert werden. Ebenso die Frage, wie Veränderungen der Reflexionsqualität mit Veränderungen reflexionsbezogener Einstellungen einhergehen und wie diese von individuellen, sozialen und institutionellen Bedingungen geprägt sind. Weiterführende Studien an größeren Stichproben könnten inter-individuelle Unterschiede in den Veränderungen über die Zeit abbilden, z. B. im Rahmen von Latent Change Modellierungen. Eine bezüglich der verschiedenen Komponenten der Intervention sensiblere Messung und eine längsschnittliche Erhebung mit mehr als zwei Erhebungszeitpunkten wären vielversprechend, um Veränderungen bzw. Wirkungen der Intervention präziser aufzuzeigen (vgl. Fröhlich-Gildhoff und Hoffer 2017). In zukünftigen Studien sollten zudem retrospektive Pretests (Mezoff 1981) eingesetzt werden, um mögliche Verzerrungen der wahren Interventionseffekte zu vermeiden und eine Vorab-Einschätzung der Probanden zu erhalten, die ausgehend vom gleichen Bewertungsmaßstab vorgenommen wird, wie die Bewertung im Anschluss an die Nutzung der Interventionsinstrumente. Darüber hinaus könnte betrachtet werden, inwieweit die Schülerrückmeldungen für die eigene professionelle Entwicklung als nützlich eingeschätzt werden (Gärtner und Vogt 2013; Neuber und Göbel 2021). Individuelle Begründungen und Entwicklungsverläufe könnten beispielsweise auch im Rahmen qualitativer Perspektiven untersucht werden. Es wäre weiterhin zu erwägen, ein einführendes Schülerrückmeldungs-Training für Schülerinnen und Schüler zu entwickeln und auch die Qualität der Schülerrückmeldungen bei der Untersuchung der Reflexionsprozesse und deren Wirkungen im Sinne professioneller Kompetenzentwicklung in den Blick zu nehmen.