1 Einleitung

Im Prozess des Forschenden LernensFootnote 1 spielen Beratung und Begleitung der Studierenden durch die Dozierenden eine wichtige Rolle, weil das forschungsorientierte Lernen konzeptionell mit einer stärkeren Selbstständigkeit der Lernenden bei gleichzeitiger Zurücknahme instruktionaler Lehrformen auf Seiten der Dozierenden verbundenen ist (Huber und Reinmann 2019; Mieg 2017; Stiller 2015; Wiemer 2017). Lehrende treten demzufolge weniger als Wissensvermittelnde denn als Lernbegleitende, die moderieren, motivieren und coachen, auf (Beyerlin et al. 2020; Sonntag et al. 2017). Dabei zeigt sich jedoch, dass insbesondere Studierende, die zum ersten Mal mit Forschendem Lernen in Berührung kommen, ein regelmäßiges Feedback und eine prozessbegleitende Beratung brauchen, da ansonsten ein zu hohes Belastungserleben und die Entwicklung einer forschungsablehnenden Haltung drohen (Artmann 2020; Schiefner-Rohs 2019). Stiller und Bührmann (2017, S. 239 f.) verweisen auf „neuralgische Stellen“ in der Beratung studentischer Forschungsprozesse, wie z. B. die Entwicklung einer anschlussfähigen Forschungsfrage oder die Bearbeitung von Widerständen im Praxisfeld, die besonderer Aufmerksamkeit bedürfen. Während Lern- und Lehrprozesse im Forschenden Lernen aktuell lebhaft beforscht werden (z. B. Artmann und Herzmann 2018; Basten et al. 2020; Wulf et al. 2020), wurde die Beratung Forschenden Lernens bisher kaum in den empirischen Blick genommen. Dies gilt umso mehr für die Erforschung von Beratungsprozessen auf Seiten der Studierenden.

Mit der vorliegenden Fallstudie soll ein Beitrag zur Schließung dieser Forschungslücke geleistet werden, indem zum einen mit der von Dozierenden angeleiteten Peer-Beratung ein charakteristisches Beratungsformat im Forschenden Lernen fokussiert wird; zum anderen werden über die Analyse studentischer Interaktionen Orientierungen und Handlungsmodi in der Bearbeitung spezifischer Ansprüche und Anforderungen, die an die Studierenden als Adressat*innen der Forschungsberatung herangetragen werden, sichtbar gemacht. Auf der Grundlage dieser Befunde werden Möglichkeiten und Grenzen von Forschungsberatung, insbesondere im untersuchten Beratungsformat, diskutiert und hochschuldidaktische Konsequenzen abgeleitet.

2 Beratung und Begleitung im Forschenden Lernen

Betrachtet man die aktuelle Praxisforschung zu projektorientiertem Forschendem Lernen, dann fällt die Verwendung eines zumeist wenig konturierten Beratungsbegriffs auf, der zudem häufig parallel, ergänzend oder als Teilaspekt der Begriffe „Begleitung“ und „Betreuung“ eingesetzt wirdFootnote 2 (vgl. Stiller 2015, S. 3). Dass der Begriff der Beratung in der universitären Lehre so diffus bleibt, ist nach Thünemann et al. (2020, S. 100) insofern nicht verwunderlich, als Hochschullehrende in der Regel zwar Beratung als integralen Bestandteil ihrer Lehre anbieten, zumeist aber keine spezifische Beratungsausbildung durchlaufen haben und als Autodidakt*innen nur über eine begrenztes Maß an beratungsspezifischen Kompetenzen verfügen. In Anlehnung an Schein (2003) definieren die Autor*innen Forschungsberatung im Kontext von Universität sowohl als Prozessberatung mit „zurückhaltender Berater*innenposition“ als auch als Fachberatung mit „Instruktionen und thematischen Inputs bis hin zu Lösungsvorschlägen“ (Thünemann et al. 2020, S. 101). Je nach Selbstverständnis der Beratenden, aber auch dem jeweiligen Anlass entsprechend variieren die in der forschungsorientierten Lehre vertretenen Formen der Beratung deutlich (vgl. Stiller 2015, S. 2).

Im Zuge des Paradigmenwechsels von „Teaching to Learning“ (vgl. Wulf 2017) und des oben beschriebenen Rollenwandels von Lehrenden und Lernenden kommt die Beratung durch Peers als charakteristisches, selbstständigkeitsförderndes Kernelement des Forschenden Lernens hinzu (vgl. Hiß und Schulte 2016; Huber und Reinmann 2019). Auch in der Lehrkräftebildung wird zunehmend die Peer-Ebene mit dem Ziel der gegenseitigen Unterstützung in studentischen Forschungsprozessen einbezogen (s. z. B. die Peer-LernteamsFootnote 3 im Kölner Praxissemester (Kricke und Robeck 2015) oder die Bamberger Peer-Education- und Peer-Counseling-Formate (vgl. Fricke et al. 2019)). Allgemeine Grundlage des Peer-Ansatzes ist das Prinzip der Gleichrangigkeit (vgl. Rohr 2013), das ein reziprok ausgerichtetes Lernen von- und miteinander auf Augenhöhe ermöglichen soll. Als zentrale Wirkfaktoren werden bei diesen Lernprozessen gegenseitige Anerkennung, Akzeptanz und Gleichberechtigung betrachtet. Diese nicht-hierarchischen Lernbeziehungen gilt auch für Peer-Formate, in denen Peer-Tutor*innen, -Edukator*innen oder -Coaches über (etwas) mehr Wissen oder höhere Kompetenzen verfügen (vgl. Bennewitz und Grabosch 2017; Fricke et al. 2019), denn Beratung im Rahmen von Peer-Formaten bedeutet allgemein „Prozessbegleitung, die Ratsuchende mit ihren Fragen und Problemen in den Mittelpunkt stellt, ohne dass Berater*innen die Verantwortung für das Gelingen des Prozesses oder die Lösung des Problems übernehmen“ (Henkel und Vollmer 2014, S. 53). Tauschen sich Lernteams über gemeinsame Probleme aus, ist Beratung zudem weniger im Sinne von „jemanden beraten“, als vielmehr in der Bedeutung von „sich mit jemandem beraten“ zu verstehen.

Bei genauerer Betrachtung finden sich in den erweiterten Praxisphasen der Lehrkräftebildung häufig nicht oder wenig institutionalisierte Formate der Beratung, die selten Gegenstand von empirischen Untersuchungen oder Evaluationen werden (vgl. Strauß und Rohr 2019). Während Lernbegleitung und Beratung, die durch eine bestimmte Akteur*innengruppe (Dozierende, Schulmentor*innen oder Mitarbeitende der ZfL bzw. ZfsLFootnote 4) erfolgt, langsam erforscht wird (vgl. Hesse und Lütgert 2020, S. 9), gilt dies bislang nicht für kooperative oder hybride Beratungsformen, die zunehmend in der forschungsorientierten Lehre anzutreffen sind. Dies betrifft, neben Modellformaten mit gemeinsamer Studierendenberatung durch Hochschul- und SchullehrkräfteFootnote 5, insbesondere solche Beratungsformen, in denen Peer-Gespräche durch die betreuenden Dozierenden initiiert und begleitet werden (z. B. im Rahmen von Gruppensprechstunden, Lernteam-Feedbacks oder in spezifischen SeminarsitzungenFootnote 6). Die Dozent*innen beschränken sich hier (mehr oder weniger) auf eine Beobachter*innenrolle, um einerseits über die Peer-Ebene ein unbefangeneres Sprechen über das eigene Projekt zu ermöglichen und eigenständige wissenschaftliche Diskussionen zu fördern; andererseits können sie aber steuernd oder korrigierend eingreifen, wenn das Gespräch nicht wie beabsichtigt läuft oder fehlerhafte Informationen transportiert werden. Während die Dozierenden auf diese Weise ein gewisses Maß an inhaltlich-didaktischer Kontrolle und Sicherheit behalten, befinden sich die Studierenden in einer sehr komplexen und ambivalenten Situation: Ist schon bei (reinen) Peer-to-Peer-Gesprächen im Kontext der Lehrer*innenbildung die Universität stets als „unsichtbarer Dritter“ dabei (Stiller 2015, S. 6), so sitzt bei den von Dozent*innen angeleiteten Peer-Beratungen die bzw. der beobachtende Dozierende in realiter – und damit für die Studierenden „unvergessbar“ – mit im Raum.

Unter Rückgriff auf Schiersmanns (2010) „Systemisches Kontextmodell von Beratung“ verweist Stiller (2015, S. 5 f.) darauf, dass universitäre Beratung Forschenden Lernens grundsätzlich als beauftragte, organisationale Beratung gesehen werden müsse, die stets im Bewertungskontext stattfinde. Dabei stelle die Verzahnung von Beratung und Bewertung eine Herausforderung für die Beratungsarbeit dar. Um zu prüfen, ob die in Einsatz gebrachten Beratungsformen tatsächlich zum Prozess des Forschenden Lernens passen, müsse daher gefragt werden, wie „Aufgaben, Formen und Ziele der Beratung miteinander relationiert werden“ (Stiller 2015, S. 5). Dass die Nähe von Beratung und Bewertung im Forschenden Lernen nicht nur von den Lehrenden (vgl. Schiersmann 2005, S. 122), sondern auch von den Lernenden bearbeitet werden muss, gilt umso mehr, je stärker die*der anwesende Dozent*in das Gespräch der Studierenden anleitet, moderiert und kommentiert. Schubert et al. (2019, S. 19) verweisen darauf, dass der Grad der Steuerung die Qualität einer Beratung entscheidend forme: Je formeller und verpflichtenderFootnote 7 ein Beratungssetting angelegt und je stärker es an den Interessen der*des Beratenden ausgerichtet sei, desto weniger Möglichkeiten zur offenen und gleichberechtigten Gesprächsgestaltung habe die*der Teilnehmende. In der institutionalisierten universitären Forschungsberatung, in der die Nähe von Beratung und Bewertung Teil des selektiven Ausbildungssystems ist, liegt die Steuerung aufgrund organisationaler Entscheidungen nahezu ausschließlich in den Händen der Dozierenden (vgl. Thünemann et al. 2020, S. 102). Auch wenn in der angeleiteten Peer-Beratung die Studierenden nicht unmittelbar von der bzw. dem Lehrenden beraten werden, sondern gewissermaßen „eine Beratung in der Beratung“ erfahren, ist ihnen der immanente Beurteilungscharakter des Gesprächs sehr wohl bewusst. Insofern sind ihre Fragen, Äußerungen, Kommentierungen etc. immer auch Indikatoren dafür, was aus ihrer Sicht in diesem Setting gesagt werden kann, was gesagt werden sollte und wie es gesagt werden sollte.

Wie sich die Studierenden in diesem Spannungsfeld orientieren und welche Möglichkeiten sie dabei ausschöpfen (können), wird im vorliegenden Beitrag am Beispiel einer angeleiteten Lernteamberatung im Praxissemester rekonstruiert.

3 Methodisches Vorgehen

3.1 Datengrundlage und Fragestellungen

Grundlage der im Folgenden dargestellten Analyse studentischer Orientierungen in der hybriden Beratungskonstellation „Peer-Beratung unter Dozent*innenanleitung“ sind 14 audiographierte Beratungsgespräche, die von Dozierenden mit Studierenden an der Universität zu Köln durchgeführt wurdenFootnote 8. Gegenstand der Gespräche waren die Studienprojekte, die die angehenden Lehrkräfte im Rahmen des Praxissemesters durchführten: Dazu formulierten die Studierenden ein eigenes schul-, unterrichts- oder professionsbezogenes Erkenntnisinteresse, erstellten ein Untersuchungsdesign und erhoben an ihrer jeweiligen Praxisschulen Daten, die sie auswerteten, interpretierten und reflektiertenFootnote 9. Die untersuchten Beratungsgespräche fanden zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Forschungs- und Dokumentationsprozess statt. Zur Aufzeichnung der Gespräche wurden den Lehrenden von Seiten des Forscherinnenteams Aufnahmegeräte zur Verfügung gestellt, so dass das Forschungsteam selbst nicht bei den Beratungen anwesend war. Die Audiographien wurden anschließend nach den TiQ-Standards (Bohnsack 2010; Przyborski 1998) transkribiert.

Eine erste inhaltsstrukturierende Analyse aller erhobenen Beratungsgespräche ergab zunächst, dass sämtliche Dozierende, die sich zu einer Aufnahme bereit erklärt hatten, ihre Beratungen als Gruppengespräche mit zwei oder mehr Praxissemesterstudierenden – und nicht als Face-to-Face-Gespräche mit nur einer*einem Studierenden – durchführten. In diesen Gruppengesprächen zeigten sich jedoch unterschiedliche Grade der Steuerung und Selbstbeteiligung der Dozierenden: So waren in einigen Beratungen die Studierenden untereinander nur wenig in ein gemeinsames Gespräch eingebunden, so dass trotz des Gruppensetting die Interaktionen vorwiegend zwischen der*dem Lehrenden und jeweils einer*einem Studierenden stattfanden. In anderen Beratungen wurde explizit auch der Austausch der Peers untereinander angeregt, so dass hier sowohl kommunikative Interaktionen zwischen den Peers als auch zwischen der*dem Lehrenden und den Studierenden zu finden waren. Die weitere vertiefende Analyse mit Hilfe der Dokumentarischen Methode (s. unten) konzentrierte sich auf die zuletzt genannte Beratungsform, die im Folgenden als dozent*innengeleitete Peer-Beratung bezeichnet wird. Dieser Beratungsform ließen sich 11 Beratungsgespräche zuordnen, die unterschiedliche studentische Umgangsweisen mit der Aufgabe, sich unter Anleitung und in Anwesenheit der*des Dozierenden über die eigenen Studienprojekte auszutauschen und zu beraten, aufzeigen. Auf Basis dieses kontrastreichen Samples und im Rahmen einer komparativen Analyse (vgl. Asbrand und Martens 2018, S. 29) ließen sich spezifische studentische Orientierungen im Setting „dozent*innengeleitete Peer-Beratung“ rekonstruieren und als fallübergreifende homologe Muster abstrahieren (vgl. Asbrand und Martens 2018, S. 33 f.). Dabei kristallisierten sich zwei Orientierungen heraus, die in allen analysierten Gesprächen identifiziert werden konnten und damit von genereller Relevanz für die untersuchte Beratungsform zu sein scheinen. Diese Orientierungen sollen im vorliegenden Beitrag durch die exemplarische Rekonstruktion und Interpretation von Interaktionssequenzen eines Beratungsgesprächs zwischen einer Dozentin und drei Studentinnen sichtbar gemacht werden.

Das Beratungsgespräch fand im Büro der Dozentin statt und erfolgte während des Praxissemesters, in dem die Studentinnen an ihren Kooperationsschulen eigene Unterrichtsversuche im Fach Deutsch durchführten, die gleichzeitig die Grundlage ihrer Forschungsprojekte bildeten. Da die Dozentin den Austausch unter den Studierenden zeitlich und inhaltlich in den Mittelpunkt der Beratungsstunde stellte, besitzt das Beratungsgespräch einen hohen Peer-Gesprächsanteil. Anhand der von der Dozentin monologisierten Eingangssequenz und der daran anschließenden studentischen Austauschsequenzen lassen sich sowohl die im hybriden Peer-Dozierenden-Beratungssetting angelegten Charakteristika und Spannungsfelder als auch kontrastierende, daran ausgerichtete studentische Orientierungen exemplarisch-veranschaulichend herausarbeiten.

Im Zentrum der Analyse stand die Frage, wie die Studierenden mit dem doppelten Beratungskontext umgehen:

  1. 1.

    Welche Herausforderungen stellen sich ihnen konkret in dieser Gesprächssituation?

  2. 2.

    Welche Orientierungen sind handlungsleitend für ihre kommunikative Bearbeitung dieser Herausforderungen?

  3. 3.

    (Inwiefern) gelingt es ihnen, die spezifische Beratungskonstellation für sich zu nutzen?

3.2 Dokumentarische Interpretation des Datenmaterials

Die Analyseverfahren der Dokumentarische Methode ermöglichen einen Zugang nicht nur zu explizitem Wissen, sondern auch zu implizitem, handlungsleitendem Wissen und damit auch zur Handlungspraxis (Bohnsack et al. 2007, S. 9). Da sie auf das dieser Praxis zugrundliegende habitualisierte Orientierungswissen (Bohnsack 2017, S. 67) zielen, eignen sie sich (auch) zur Erforschung der Handlungsorientierungen, die sich im Sprechhandeln der Studierenden in dem hier fokussierten Beratungssetting dokumentieren:

Der praxeologischen Wissenssoziologie von Mannheim (1964) folgend unterscheidet die dokumentarische Methode zwischen kommunikativem und konjunktivem Wissen (Bohnsack 2010). Das kommunikative Wissen ist den Akteur*innen selbst reflexiv zugänglich und bezieht sich zumeist auf die Motive des Handelns, die im Sinne von Alfred Schütz (1974) „Um-zu-Motive“ genannt werden (Bohnsack 2017, S. 156). Das konjunktive Wissen ist hingegen implizites bzw. inkorporiertes Wissen, das das Denken und Handeln in der Regel vorreflexiv bestimmt. Es beruht auf kollektiv geteilten Erfahrungen, den sogenannten konjunktiven Erfahrungsräumen, die soziale Akteur*innen mit gemeinsamer Sozialisationsgeschichte in einem unmittelbaren „Verstehen“ (Mannheim 1980, S. 272) teilen und in eine bestimmte Handlungspraxis aufgenommen haben (Bohnsack 2012). In Anlehnung an Asbrand und Martens (2018), die die Dokumentarischen Methode auf die Kommunikationssituation von Unterrichtsgesprächen anwenden, erfolgt die sequenzielle Gesprächsanalyse des folgenden Gesprächsausschnitts auf der Grundannahme, dass auch in diesem Gespräch ein eigenständiger sozialer Zusammenhang sichtbar wird, da es seinen eigenen, kollektiv geteilten bzw. hergestellten Regeln folgt und von tiefer liegenden Sinnstrukturen bestimmt ist, die auf eben jenem konjunktivem Wissen basieren. Auch wenn die Dozentin, wie unten gezeigt wird, die Selbstläufigkeit des Peer-Gesprächs durch ihre einleitende Rahmung einschränkt, dokumentieren sich doch in der Art und Weise, wie die Peer-Gruppe miteinander spricht und zu eigenen Konklusionen kommt, kollektive Sinnstrukturen – gerade auch in ihrer performativen Bezugnahme auf das durch die Dozentin gerahmte spezifische Beratungssetting.

Der Doppelstruktur der Dokumentarischen Methode von Verstehen und Interpretieren (Bohnsack 2010, S. 59) entsprechend erfolgte die Analyse des Beratungsgesprächs über zwei Interpretationsschritte: (1) In der formulierenden Interpretation, die sich auf den immanenten, objektiven Sinngehalt einer Aussage oder Handlung bezieht, geht es darum, „was die soziale Wirklichkeit aus der Perspektive der Beforschten ist“ (Martens 2015, S. 216). Bezogen auf die hier beschriebene Untersuchung interessierte in diesem Schritt, was die Studierenden in dem benannten Setting konkret zum Thema machen und was sie den anderen bezüglich des vorgestellten Projekts mitteilen bzw. rückmelden. (2) In der reflektierenden Interpretation steht der dokumentarische Sinngehalt, der auf eine der Praxis zugrundeliegende Handlungsweise („modus operandi“, Bohnsack 2010, S. 60) bzw. Orientierung verweist, im Mittelpunkt; dazu wird beschrieben, wie die Beteiligten ihre Themen oder Handlungen bearbeiten und rahmen (vgl. Nohl 2017, S. 31). In diesem Sinne interessierte hier die Art und Weise der studentischen Sprechhandlungen, d. h. in welchem Modus sich die Studentinnen in dem beschriebenen Setting äußern.

Mithilfe beider Interpretationsschritte sowie in komparativer Analyse einzelner kommunikativer Interaktionen konnten – unter Herausarbeitung von Homologien und Kontraste (vgl. Bohnsack 2011) – sowohl wiederkehrende bzw. im Mittelpunkt stehende Themen oder Gesprächsgegenstände als auch implizite Regelhaftigkeiten in der studentischen Wahrnehmung und Bearbeitung der Gesprächssituation identifiziert werden. Diese Befunde werden im Folgenden unter Zusammenfassung der Ergebnisse der formulierenden und reflektierenden Interpretation dargestellt.

4 Empirische Befunde

Die folgende Analyse skizziert zunächst die in dem hybriden Beratungssetting angelegten Ambivalenzen und rekonstruiert dann die Orientierungsmodi und Rollenkonstruktionen der Studierenden in der Bewältigung dieser Widersprüchlichkeiten.

4.1 Das Peer-Gespräch als beauftragte Beratung

Die Dozentin beginnt die Lernteamberatung mit einer engen Rahmung des von ihr initiierten, folgenden Peer-Gesprächs und setzt damit ihre Rolle als (zurückhaltende) Leiterin des Gesprächs. In Form von „Um-zu-Motiven“ (Bohnsack 2017) benennt sie dabei zum einen den Zweck des Beratungsgesprächs: Die Studierenden sollen sich über ihre Projekte austauschen, um inhaltlich und methodisch voneinander zu profitieren und gleichzeitig das Sprechen über ihr Projekt für das Abschlusskolloquium üben. Zum anderen steckt die Lehrende den Ablauf des Gesprächs mittels einer listenartigen Aufzählung fest: Die jeweils Vorstellende soll zunächst – in Orientierung an ihren zuvor rundgemailten Entwurf – kurz den aktuellen Stand ihres Projekt vorstellen, die nächsten Schritte benennen und eigene Fragen formulieren. Die Peers sollen dann – optional mithilfe eines von der Dozentin vorab zugeschickten Rückmeldebogens – ein Feedback in Form von „Fragen, Lob oder Kritik“ (Z. 23) geben. Abschließend will sie dann das Gesagte bündeln, ihre Einschätzung zu dem jeweiligen Projekt geben und ggfs. akute Fragen beantworten. Insgesamt soll jedoch das Gespräch der Studierenden untereinander „im Mittelpunkt stehen“ (Z. 28), denn eine ausführliche Rückmeldung der Dozentin erfolge später schriftlich per Mail sowie – falls gewünscht – in Form einer individuellen Sprechstundenberatung.

Durch diese Einführung der Dozentin ergeben sich drei Ambivalenzen, die eng miteinander verzahnt sind und für das anschließende Peer-Gespräch bedeutsam werden:

Die erste Ambivalenz entsteht durch die doppelte Zielsetzung des studentischen Austauschs: So soll einerseits eine inhaltliche Bearbeitung der Projekte auf Peer-Ebene – also auf Augenhöhe – erfolgen, bei der sich die Studentinnen inhaltlich und methodisch gegenseitig unterstützen und untereinander „etwas abschauen“ (Z. 13). Andererseits sollen die Studierenden Projektvorstellung und -verteidigung für das Abschlusskolloquium üben und dafür auch gegenseitig „nochmal den Finger irgendwo drauf legen“ (Z. 13). Durch den Hinweis auf die am Ende des Semesters liegende Prüfungssituation bzw. das Hinarbeiten auf diese Prüfung wird die per se allen Beratungsgesprächen im Forschenden Lernen immanente Nähe zwischen Beratung und Bewertung (s. Kap. 1) explizit gemacht und zugleich auf die Peer-Ebene verlagert: Die Studierenden sollen im Vorgriff auf das Abschlusskolloquium untereinander ein Prüfungsgespräch simulieren. Mit der doppelten Aufladung des Gesprächs als gegenseitige Bewertungs- und lockere Unterstützungssituation ergeben sich jedoch zwei einander widersprechende Aufträge für die Peer-Interaktion.

Die zweite Ambivalenz ergibt sich aus der angekündigten Zweiphasigkeit des Beratungsgesprächs mit wechselnden Akteurinnen: Der eigentlich „im Mittelpunkt“ stehenden Peer-Beratung stellt die Dozentin das anschließende Korrektiv ihrer eigenen Rückmeldung und Einschätzung gegenüber. Für das Feedback der Studierenden signalisiert dies bestenfalls eine gewisse Vorläufigkeit, denn die wichtigere Rückmeldung erfolgt am Ende (bzw. sogar außerhalb) der Teamberatung durch die Dozentin, deren Eindrücke auch in die spätere Benotung der Projekte einfließen (können). Dies steht jedoch im Widerspruch zu der Bedeutung, die die Dozentin dem studentischen Austausch explizit zuschreibt. Für die Studierenden bleibt daher unklar, welche Relevanz – und letztendlich welchen Sinn – ihre Beiträge in diesem Beratungsgespräch haben.

Die dritte Ambivalenz entsteht durch eine Rollendiffusion aufseiten der Studierenden, die sich wiederum auf die Doppelrolle der Dozentin in diesem Beratungssetting gründet: Während die Studentinnen ihre Kommilitoninnen beraten und deren Projekte bewerten, sind sie sich der Beobachtung und des genauen Zuhörens durch die anwesende Dozentin bewusst – nicht zuletzt aufgrund ebenjener Ankündigung, das Gesagte am Ende zu bündeln und zu kommentieren. Als nicht nur aktuell Beratende, sondern auch spätere Prüferin wertet die Dozentin die Kommentierungen und Lösungsvorschläge der feedbackgebenden Studierenden potenziell auch bereits mit Blick auf deren prüfungsrelevante Kompetenzen und Kenntnisse. Insofern sind die Studentinnen in dieser Übe-Situation für das Abschlusskolloquium in ihrer Rolle als Bewertende gegenüber den Peers zugleich auch selbst Prüflinge gegenüber der Dozentin.

Aus allen drei benannten Ambivalenzen – der gegensätzlichen Zielsetzung des Peer-Austauschs, der widersprüchlichen Relevanzzuschreibung des Peer-Feedbacks und der Doppeldeutigkeit der Peer-Rolle in Anwesenheit der Dozentin – ergeben sich Spannungsfelder, zu denen sich die Studierenden in irgendeiner Weise performativ-kommunikativ verhalten müssen. Die folgende Analyse rekonstruiert, wie die Studentinnen den oben skizzierten vielschichtigen und ambivalenten Handlungsentwurf der Dozentin für den Peer-Austausch im Gespräch enaktieren (vgl. Bohnsack 2012, S. 124). Dabei lassen sich anhand der beiden Feedback-Sequenzen der Studentinnen Mara Diem und Sina Kunz zu der Projektvorstellung ihrer Kommilitonin Lisa HenkeFootnote 10 zwei kontrastierende performative Modi Operandi (vgl. Bohnsack 2017, S. 151) aufzeigen.

4.2 „Ich hab das leider bei mir auch feststellen müssen“ – das Setting als Ort der geteilten Erfahrungen

Im Anschluss an die oben skizzierte Einführung der Dozentin beginnt Lisa Henke (LH) mit der Vorstellung ihres Projekts. Sie schildert kurz ihr Erkenntnisinteresse, den aktuellen Stand ihres Projekts, die nächsten geplanten Schritte sowie die Schwierigkeiten, auf die sie bei der Datenerhebung gestoßen ist. An eine dieser Schwierigkeiten, den zögerlichen und unvollständigen Rücklauf der Arbeitsblätter, die zur Erfassung der Schüler*innen-Sprachstände dienen sollten, schließt Mara Diem (MD) nach Aufforderung durch die Dozentin mit ihrem Feedback an:

MD: Ja du hattest am Ende der Dokumentation so aufgeführt was für     Probleme dir ähm begegnet sind teilweise LH:                               ⎣jaFootnote

In Anlehnung an die TiQ-Transkriptionsrichtlinien steht das ⎣-Zeichen für den Beginn einer Überlappung, @.@ für ein kurzes Auflachen, von @-Zeichen eingeklammerte Wörter werden lachend gesprochen, (.) markiert eine Pause bis zu einer Sekunde, Unterstreichungen stehen für betonte Silben oder Wörter (vgl. Bohnsack 2010, S. 236).

MD: ich hab (.) das leider bei mir auch feststellen müssen. bei dir     ist es zum Beispiel das Material. bei mir ist es jetzt ähm diese     Einverständniserklärung die irgendwie nicht LH:                                       ⎣ah ja ja. MD: gewissenhaft wieder abgegeben wurde. wie würdest du damit umgehen?     also oder auch mit der Tatsache dass die das nicht alleine     bearbeitet haben LH: ja. MD: vielleicht Hilfe bekommen haben von Geschwistern, wie geht das in     die Auswertung mit ein?

Indem Mara Diem die Schwierigkeiten von Lisa Henke bei der Datenerhebung auch zu ihren eigenen erklärt und ihre Kommilitonin um einen Lösungsvorschlag bittet, verweist sie gleichzeitig auf ein forschungsmethodisches Problem, das (auch) von Lisa Henke noch bearbeitet werden muss. Sie kommt damit der Aufforderung der Dozentin nach, kritisch „den Finger auf etwas zu legen“, formuliert dies jedoch vorsichtig im Sinne einer sozial kooperativen Interaktionspraxis (vgl. Kunze und Wernet 2014, S. 169). So lässt sich das Benennen der Leerstelle als gemeinsames Problem („Ich hab das leider auch bei mir feststellen müssen“ und „Bei dir ist es … bei mir ist es …“) als soziale Abmilderungsgeste ihrer kritischen Rückfrage verstehen, die ja von der Kommilitonin auch vor der anwesenden Dozentin beantwortet werden muss. Dass Mara Diem einen kritischen Punkt angesprochen hat, der zudem nicht leicht zu beantworten ist, wird in dem Anschluss von Lisa Henke deutlich, bei dem lautes Aus- und Einatmen sowie ein Ringen um Worte auf ein Anfangsproblem verweisen:

LH: ((lautes Ausatmen) Ja also das ist- ich ähm hab ja so ein bisschen     diese (.) Frage und die Aufgabenstellung evaluiert dass ich halt     jetzt gucke wie ich das verbesser ((tiefes Einatmen)).

Die Verwendung des wissenschaftssprachlichen Begriffs „evaluiert“ markiert den Versuch, sich trotz oder gerade wegen der geäußerten Kritik als ausreichend versierte Forschende im Praxissemester-Projekt auszuweisen.

Im weiteren Verlauf entwickelt Lisa Henke zögernd und mit häufigen Satzabbrüchen ihre Lösungsidee, nach der sie „das ganz normal erst mal auswerte[n]“ und dann in einem „Extra-Kapitel“ die Probleme der Datenerhebung thematisieren wolle. Dass sie sich ihres Lösungswegs unsicher ist und ihn als eine Möglichkeit des Umgangs mit der schwierigen Datenlage zur Disposition stellt, bildet sich auch über die einschränkende Ich-Form („also ich würd das einfach“, „ich würd das jetzt erst mal so“) ab. Wie Kunze und Wernet (2014) ausführen, geht die Entwicklung von Gedanken und Positionen im Sprechen immer auch mit dem „Vertrauen in die Diskursgemeinschaft [einher], dass diesem Entfaltungsprozess einerseits Raum gegeben wird und dass ein mögliches Misslingen andererseits auf Wohlwollen und Verständnis trifft“ (Kunze und Wernet 2014, S. 166 f.). Tatsächlich übernimmt Mara Diem den Part der unterstützenden Peer-Gesprächspartnerin, indem sie Lisa Henkes Schilderung eng mit ermutigenden Interjektionen („mhm“, „okay“) begleitet und den Lösungsvorschlag anschließend als auch für ihre eigene Projektdokumentation geeignet bestätigt:

MD: @.@ (.) Aber finde ich gut ja LH: Oder? also das hatte ich jetzt. MD:  ⎣ wenn man das als Extra-Kapitel nochmal aufführt das werde ich      mir vielleicht auch hier notieren.

Nach einem kurzen zustimmenden Einschub von Sina Kunz zu dem vorgeschlagenen Lösungsweg setzen Mara Diem und Lisa Henke ihren Austausch über die erlebten forschungsmethodischen Schwierigkeiten mit einer Rechtfertigungsfigur fort:

MD: Man rechnet halt irgendwie nicht damit ne? LH: Ja ich hätte auch nicht gedacht dass @die dass dann doch so     viele nicht abgeben@ naja. MD: Also ich hab zum Beispiel zwei dreimal erinnert LH:                                        ⎣ja ja ich auch @.@ MD: ja meine Mama hat gesagt das ist okay. ja André @.@damit kann ich     auch nichts anfangen. LH:  @ja@

In dieser gemeinsamen Verteidigung ihrer Forschungsschwierigkeiten demonstrieren Mara Diem und Lisa Henke erneut Konsens: Indem sie ihre negativen Erfahrungen teilen und lachend gemeinsam beklagen, wehren sie kooperativ eine etwaige Schuld an ihren Schwierigkeiten mit dem Hinweis auf deren Unvorhersehbarkeit ab („Man rechnet halt irgendwie nicht damit“, „Ich hätte auch nicht gedacht dass“) und verteidigen das eigene Vorgehen während der Datenerhebung („ich hab zum Beispiel zwei dreimal erinnert“ – „ja ja ich auch“). Dass ihre Bemühungen ohne den erhofften Erfolg geblieben sind, attribuieren sie extern, indem sie es mit der Säumigkeit der betroffenen Schüler*innen (bzw. mit der Fehleinschätzung eines Schülers) begründen. Im gemeinsamen Lachen über Mara Diems karikierten Wortwechsel mit einem Schüler demonstrieren sie wechselseitiges Verständnis und konstituieren sich damit als Schicksalsgemeinschaft, die die Schuld für ihre forschungsmethodischen Schwierigkeiten den Schüler*innen zuweist.

In der nachfolgenden Passage führt Lisa Henke aus, dass die Schüler*innen Schwierigkeiten beim Verständnis der von ihr entwickelten Aufgaben hatten und sie die Arbeitsblätter daher für den nächsten Durchlauf überarbeiten müsse. Sie sei jedoch auf einen interessanten Buchstabendreher gestoßen, den die Schüler*innen im ersten Durchlauf häufig gemacht hätten. Auch hierzu erfolgt eine Unterstützung durch Mara Diem, die von Lisa Henke ausdrücklich angenommen wird:

MD: Ist ja eigentlich auch ein interessantes LH:                                   ⎣genau ja MD: also interessante Erkenntnis. LH:                        ⎣ja genau MD: Oder? LH: Genau.

Die Rückmeldung von Mara Diem, dass der – trotz der mangelnden Güte der Arbeitsblätter – beobachtete Zufallsbefund „eigentlich auch [eine] interessante Erkenntnis“ sei, kann zum einen als Aufmunterung und Trost für die Kommilitonin gedeutet werden: Auch wenn bei der Datenerhebung eigentlich etwas anderes, nämlich die Sprachstandserhebung der Schüler*innen im Mittelpunkt steht, ist die erste Erhebung dennoch nicht fruchtlos, der unerwartete Befund lässt sich in das Projekt integrieren. Vor diesem Hintergrund lässt sich Mara Diems Kommentar auch als eine Form der Verteidigung des Projekts der Kommilitonin vor der zuhörenden Dozentin verstehen.

Insgesamt kann in dieser ersten Feedbacksequenz zwischen Mara Diem und Lisa Henke ein geteilter kooperativ-entwickelnder Modus identifiziert werden, der von einer gleichrangigen Kommunikation und gegenseitiger Unterstützung getragen wird. Dabei fällt insbesondere vor dem Hintergrund des oben beschriebenen schwierigen Beratungssettings auf, dass Lisa Henke freimütig von Problemen in ihrer Projektdurchführung berichtet, indem sie die Schwierigkeiten des Materialrücklaufs und die Güte der Erhebungsinstrumente (ihre Arbeitsblätter) thematisiert. Durch diese Offenheit macht sie die von der Dozentin angestrebte Peer-Unterstützung erst möglich und eröffnet – für sich selbst ebenso wie für die Kommilitoninnen, die nach ihr ihre Projekte vorstellen – die Chance, inhaltliche, methodische und emotionale Unterstützung durch die Peers zu erhalten. Gleichzeitig stellt sie sich der Kritik ihrer Mitstudentinnen, die auch angehalten sind, prüfend „den Finger irgendwo drauf[zu]legen“ (Z. 13). Als Erste, die in dieser Beratungsstunde ihr Projekt vorstellt, begegnet sie damit – ebenso wie bei der oben geschilderten Entwicklung ihrer Lösungsidee – dem Setting ungeachtet seiner Ambivalenzen mit großem Vertrauen. Mara Diem, die das erste Feedback gibt, nimmt Lisa Henkes Angebot eines vertrauensvoll-unterstützenden Beratungsgesprächs an, indem sie zum einen die geschilderten Erhebungsschwierigkeiten als eine von ihr geteilte Problematik benennt. Zum anderen vermeidet sie bei ihrem impliziten Verweis auf die noch ausstehende auswertungsbezogene Klärung durch die Frageform („Wie würdest du damit umgehen […] wie geht das in die Auswertung mit ein?“) einen konfrontative(re)n Modus der Kritik. Das Kränkungspotential ihres Feedbacks mildert sie auch dadurch ab, dass sie die Kommilitonin als kompetente Ratgeberin adressiert, der sie prinzipiell zutraut, einen geeigneten Lösungsweg aufzuzeigen. Während der Entwicklung des Lösungsansatzes ermutigt sie die unsichere Kommilitonin ebenso wie bei deren Bekenntnis bzgl. der verbesserungswürdigen Arbeitsblätter und der Schilderung des „interessanten“ Zufallsbefunds. Summa summarum zeigt sie damit eine vornehmlich peer-unterstützende Handlungsorientierung.

Dass die von Lisa Henke angelegte symmetrischen Gesprächsbeziehung (vgl. Watzlawik et al. 201112) von Mara Diem geteilt wird, zeigt sich insbesondere in den mehrfachen wechselseitigen Bestärkungen in allen zitierten Passagen, insbesondere in der letzten („genau ja“, „ja genau“, „oder?“, „genau“). In ihrer gegenseitigen Adressierung als Gleichgesinnte und Schicksalsgefährtinnen nutzen die Studentinnen das durch widersprüchliche Anforderungen gerahmte Setting in erster Linie als Ort der geteilten Erfahrungen. Dabei gelingt ihnen – auch in bzw. trotz der Anwesenheit der Dozentin und Prüferin – ein sorgender Austausch im Sinne eines „Sharing is Caring“ Footnote 12, indem sie sich für ein solidarisches Vorgehen und gegenseitige Bestärkung bei einer ähnlich erlebten Problematik entscheiden.

Dass in dieser spezifischen Gesprächssituation auch andere studentische Orientierungen denkbar und möglich sind, zeigt sich im Folgenden exemplarisch in der direkt aus der Vergleichsperspektive rekonstruierten zweiten Feedbacksequenz.

4.3 „Also, das ist für mich eine Behauptung, die in den Raum gestellt wird“ – das Setting als Ort der Kompetenzmarkierung

Im Anschluss an das Feedback von Mara Diem wird auch Sina Kunz (SK) von der Dozentin aufgefordert, Lisa Henke eine Rückmeldung zu deren Projekt zu geben. Dieser Aufforderung kommt Sina Kunz nach, indem sie rasch hintereinander drei Kritikpunkte platziert. Sie beginnt folgendermaßen:

SK: Ähm ja also teilweise habe ich mich also jetzt speziell bei deiner     (.) Skizze was LH:            ⎣ja SK: du oder bei deinem Entwurf was du geschickt hast. am Anfang ähm     sprichst du davon ähm dass glaube ich im Mathematik-Unterricht     dass da die Sprache nicht so wichtig ist LH: ja SK: und dann habe ich mich aber gefragt (.) warum ist sie nicht so     wichtig also was ist der Beleg dafür weil es gibt ja auch     Textaufgaben LH: ⎣ja SK: da müssen die das ja auch filtern können. LH: stimmt ja SK: Also das ist für mich eine Behauptung die wird in den Raum     gestellt aber LH:          ⎣okay SK: (.) da solltest du vielleicht nochmal gucken ob du einen Beleg     findest oder LH: mhm SK: oder ob du es irgendwie anders formulierst. Genau.

In ihrer Rückmeldung zu Lisa Henkes Aussage, die Sprache sei im Mathematikunterricht nicht so wichtig, orientiert sich Sina Kunz insofern an den Regeln der sachlichen Kritik, als sie einen Beleg für diese Aussage einfordert und einen argumentativ gestützten Widerspruch („weil es gibt ja auch Textaufgaben“) einbringt. Sprachlich steigert sich ihre Kritik von eher vorsichtig formulierten, indirekten Fragen („ich hab mich gefragt warum […] was ist der Beleg dafür“) zu einem deutlichen Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit („das ist für mich eine Behauptung, die wird in den Raum gestellt“). Sie nutzt dabei kaum sprachliche Gesten der Abmilderung (vgl. Kunze und Wernet 2014) und formuliert ihr Feedback damit deutlich konfrontativer als Mara Diem.

Darüber hinaus fällt bereits in dieser Passage („da solltest du vielleicht noch mal gucken“), noch stärker jedoch in der folgenden, ein oberlehrerhafter Duktus auf, mit dem Sina Kunz ihrer Kommilitonin Ratschläge erteilt:

SK: Und dann, ähm, ist mir noch aufgefallen dass du in deinem Kapitel     (.) 3 das hast du jetzt einfach nur das Projekt genannt ähm das     was du da geschrieben hast dass das für mich manchmal so ein     bisschen äh die Stichprobenbeschreibung LH: mhm SL: vermischt mit der Reflexion LH: ah okay SK: und mit dem eigentlichen Projekt ist. also dass du einfach nochmal     guckst ähm dass du das irgendwie einzel- in einzelne Unterkapitel     gliedern kannst LH: okay SK: weil du hast hier ja sowas wie Stichprobenbeschreibung glaube ich     auch schon aufgeschrieben LH: mhm SK: aber hast es vorher auch schon genannt LH:                                ⎣ach so SK: teilweise. LH: (.) Also würdest du das ein bisschen unterteilen in also     eine Stichprobe und Material und so. SK: ⎣Genau also einfach     nochmal durchlesen und dann fällt dir das bestimmt LH:                                             ⎣ah, okay SK: auch auf dass (.) du da teilweise schon die Stichprobe     beschrieben hast.

In dieser Passage, die nahtlos an ihren ersten Kritikpunkt anschließt und damit keine Stellungnahme der Kommilitonin zulässt, bringt Sina Kunz ihre zweite Kritik an, die einerseits zwar behutsamer („dass das für mich manchmal so ein bisschen“, „glaube ich“), andererseits aber auch in einem gönnerhaft-belehrenden Stil („also dass du einfach nochmal guckst“) geäußert wird. Letzteres wird besonders deutlich in der Formulierung „Genau, also einfach nochmal durchlesen und dann fällt dir das bestimmt auch auf“, die man auch mit „Das ist doch eigentlich augenfällig, dass du da nicht sorgfältig gearbeitet hast“ paraphrasieren könnte und die ein deutliches Gefälle zwischen Sprecherin und Empfängerin markiert.

Dass sich zwischen Sina Kunz und Lisa Henke eine komplementäre Beziehung (vgl. Watzlawik et al. 2011) etabliert, wird in der folgenden Passage, in der Sina Kunz ihren dritten Kritikpunkt formuliert, noch mal deutlicher:

SK: Ähm und inhaltlich habe ich was nicht verstanden. und zwar sprichst     du am Anfang Beschreibung der Materialien ähm da redest du von zwei     verschiedenen Niveaustufen LH: mhm SK: und weiter hinten redest du von drei bis vier LH:                                            ⎣ach so SK: Niveaustufen. LH: Okay ja das ähm kann sein dass ich mich da bei der Zwei vertippt     hab oder verschrieben oder dass irgendwie weil also es gibt bei     uns es gibt ähm insgesamt kann ich ja nochmal kurz erklären SK:                                                     ⎣ja LH: eigentlich drei Gruppen eigentlich aber es gibt drei Schülerinnen     und Schüler die sind so sehr unterschiedlich. also die eine die     ist super die ist ganz ganz weit am Anfang und die anderen beiden     die sind so ähnlich und die werden aber alle immer zusammen     genommen obwohl die eine wirklich noch viel schlechter ist als die     anderen. und dann deswegen hat die das auch zum Beispiel gar     nicht bekommen das Material weil’s sie es gar nicht verstanden     hätte und äh genau da sollte ich mich vielleicht nochmal     festlegen @3@ genau wie ich die Gruppen SK:                                 ⎣ja LH: unterteil. SK: ja LH: Ähm würdest du das dann aufschreiben nochmal genau wie die Gruppen     eingeordnet sind wenn ich damit (.) später ja ne? SK:                                  ⎣Also es kann auch sein, dass     mir jetzt der die nötige Information für IVK-Klassen fehlt.     ich denke. LH: Ja das ist wahrscheinlich auch an jeder Schule     unterschiedlich @.@ geregelt. SK:                   ⎣Ja also bei uns     gibt’s das zum Beispiel gar nicht aber (.) das sind jetzt so die     Sachen die mir aufgefallen sind. LH: mhm SK: Und sonst fand ich den Aufriss von deinem Problem oder die     Fragestellung die du beschreibst fand ich auf jeden Fall     verständlich und nachvollziehbar das fand ich auch schon gut     gelungen. SK: Okay dankeschön. @.@

Während Lisa Henke in den beiden vorherigen Passagen Sina Kunz’ Kritik durch eine Vielzahl zustimmender Interjektionen („okay“, „ja“, „stimmt“, etc.) annimmt und damit den Eindruck einer geflissentlich-bemühten Schülerin vermittelt, nimmt sie hier zwar ausführlicher Stellung zur Beanstandung ihrer Materialbeschreibung. Dies erfolgt jedoch in Form eines Ausweichens bzw. einer Verteidigungsfigur („kann sein dass ich mich da vertippt oder verschrieben [habe]“), um dann stockend das Zustandekommen der widersprüchlichen Niveauangaben zu rechtfertigen bzw. zu entschuldigen. Im weiteren Verlauf erfolgt dann ihre Anfrage an die Kommilitonin, wie diese das Problem lösen würde. Vor dem Hintergrund, dass hier auch eine gemeinsame Beratung und Entwicklung einer Lösungsidee auf Augenhöhe möglich gewesen wäre, wird deutlich, dass Lisa Henke stattdessen Sina Kunz als die kompetentere Problemlöserin adressiert und dieser damit die Rolle einer (gewissermaßen stellvertretenden) Dozentin zuweist. Letztere wehrt diese Zuschreibungen zwar zunächst mit dem Hinweis auf möglicherweise fehlende Informationen scheinbar ab. Mit dem – im Gegensatz zur vorherigen ausführlichen Kritik – knappen Lob, mit dem sie ihr Feedback klassischerweiseFootnote 13 beschließt, setzt sie jedoch letztlich die bereits eingenommene (in gönnerhaft-belehrendem Duktus konstruierte) Rolle einer (Ersatz‑)Dozentin fort. Ob das daraufhin durch Lachen begleitete Bedanken von Lisa Henke als artiges Bedanken, pazifizierende KritikabwehrFootnote 14 oder eher ironisch-konterkarierender Dank dieses pädagogischen LobsFootnote 15 gemeint ist, lässt sich an dieser Stelle nicht eindeutig beantworten.

Insgesamt verweist die sprachliche Interaktion zwischen Lisa Henke und Sina Kunz – insbesondere im Vergleich zum Wortwechsel zwischen Lisa Henke und Mara Diem – auf ein asymmetrisches oder hierarchisches Gefüge, in dem sich die beiden Studentinnen weniger in Peer-Rollen, als vielmehr in simulierten Dozentin-Studentin- bzw. Prüferin-Prüfling-Rollen gegenüberstehen. Das Angebot zur gemeinsamen, auf Augenhöhe angelegten Suche nach Lösungswegen, das Lisa Henke eingangs durch die freimütige Offenlegung ihrer methodischen Schwierigkeiten macht, wird von Sina Kunz – im Gegensatz zu Mara Diem – nicht angenommen; vielmehr stellt sie sich bei der Abarbeitung ihrer vorbereiteten Kritikpunkte in einem abgrenzend-konstatierenden Modus über die Kommilitonin und adressiert diese als ihr forschungsmethodisch und im wissenschaftlichen Schreiben Unterlegene. Die Anwesenheit der (beobachtenden und zuhörenden) Dozentin nutzt sie als Gelegenheit, ihre Qualifikation im Hinblick auf das Abschlusskolloquium unter Beweis zu stellen. Sie zeigt damit eine prüfungsbezogene Handlungsorientierung und nutzt das Setting in erster Linie als Ort der Kompetenzmarkierung, indem sie in ihren Sprechhandlungen ausweist, dass sie an der Universität etwas gelernt hat, nämlich ein qualifiziertes Feedback zu geben und wissenschaftlich zu argumentieren („was ist der Beleg dafür“, „das ist eine Behauptung“). Dabei fällt auf, dass sie die Kommilitonin zwar auf Leerstellen und Mängel aufmerksam macht, jedoch – selbst auf Rückfragen, die sie zudem unterbricht – wenig konkrete Ratschläge oder Hilfestellungen gibt: die Mitstudentin soll selbst darauf kommen, wie’s geht („dass du einfach noch mal guckst“). Lisa Henke reagiert auf dieses – weniger sozial-, als sach- und profilierungsorientiertesFootnote 16 – Feedback in einem überwiegend passiv-subalternen Modus, indem sie sich nahezu widerspruchslos in die von Sina Henke zugewiesene Rolle als (bloße) Kritikempfängerin fügt.

5 (Un‑)Möglichkeiten der dozent*innengeleiteten Peer-Beratung – Fazit und Diskussion

Dozent*innengeleitete Peer-Beratungen zum Forschenden Lernens folgen der Intention, einen ungezwungenen und selbstständigen Austausch unter den Studierenden zu ermöglichen ohne dabei auf Seiten der Dozierenden die Möglichkeit aufzugeben, steuernd oder korrigierend in den Beratungsprozess eingreifen zu können. In dem Versuch, die für Peer-Formate charakteristische Begegnung auf Augenhöhe mit dem institutionell hierarchisch angelegten Beziehungsgefüge zwischen Hochschullehrkräften und Studierenden zu verbinden, ergeben sich jedoch zwangsläufig Widersprüche und Spannungsfelder, die von den Studierenden als Adressat*innen bzw. Nutzer*innen dieses Settings bearbeitet werden müssen. Ausgangspunkt der empirischen Analysen war daher die Frage, wie die Studierenden mit diesem ambivalenten doppelten Beratungskontext umgehen. Dazu galt es zunächst, die Herausforderungen zu identifizieren, die sich den Studierenden in dieser Gesprächssituation konkret stellen. Im Mittelpunkt der weiteren Analyse stand dann die Herausarbeitung der handlungsleitenden Orientierungen in der kommunikativen Bearbeitung dieser Herausforderungen, um zu klären, ob bzw. inwieweit die Studierenden das komplexe und ambivalente Setting für sich nutzen (können).

Über die Analyse der Eingangssequenz des vorgestellten Beratungsgesprächs lassen sich drei charakteristische Ambivalenzen identifizieren, die durch die weiteren Beratungsgespräche des Samples gestützt werden und allgemein für hybride Peer-Dozierenden-Beratungen im Forschenden Lernen gelten dürften: Diese ergeben sich (a) aus einer gegensätzlichen Zielsetzung des Beratungsgesprächs (gegenseitige Projektunterstützung vs. Üben für die prüfungsrelevante Projektvorstellung), (b) einer unklaren Relevanz des Peer-Feedbacks (vor dem Hintergrund des prüfungsbedeutsameren Dozierenden-Feedbacks) und (c) einer Rollendiffusion auf Seiten der Studierenden (als Peer-Bewertende und selbst von der Dozentin Bewertete).

Aufgrund dieser Ambivalenzen und Spannungen ergibt sich für das Peergespräch eine Atmosphäre, die zum einen einen künstlichen, bühnenähnlichen Charakter hat – die Studierenden proben gewissermaßen ihre Rückmeldungen vor den Augen und Ohren der anwesenden Dozentin; zum anderen besitzt diese „Gesprächsbühne“ einen heimlichen Prüfungscharakter, da die Studierenden vor ihrer späteren Prüferin für das Abschlusskolloquium üben (sollen). Aufgrund der Vagheit und Widersprüchlichkeit der an sie gestellten Anforderungen versuchen die Studierenden über Erwartungserwartungen (vgl. Luhmann 2001) zu antizipieren, was die Dozentin eigentlich bzw. zuvorderst von ihnen hören möchte. Bei dieser Entschlüsselung des Arbeitsauftrags gilt es, sowohl die Aspekte zu identifizieren, die sie bearbeiten können, als auch diejenigen, die die Studierenden im Sinne einer günstigen Selbstexposition und Selbstinszenierung bearbeiten wollen.

In Abhängigkeit von ihren Orientierungen und Rollenkonstruktionen begegnen die Studierenden, wie gezeigt, den (geäußerten und wahrgenommenen) Erwartungen der Dozentin in unterschiedlichen Modi Operandi. Dabei ist maßgeblich, welchen Aspekt der Gesprächsrahmung die Lernenden in den Vordergrund stellen bzw. auf welche konjunktiven Erfahrungen (Mannheim 1980) in universitären Lern‑, Beratungs- und Bewertungsformaten sie sich bei der Deutung dieses Settings vornehmlich stützen:

Wird die Gesprächskonstellation in erster Linie als Beratungs- und Unterstützungsgelegenheit gedeutet, dann kann sie – wie hier exemplarisch in der Interaktion von Mara Diem und Lisa Henke sichtbar – als Ort der geteilten Erfahrungen genutzt werden: Die Studentinnen knüpfen über das Offenlegen ihrer Schwierigkeiten (Lisa Henke) bzw. ein authentisch-peerorientiertes Feedback (Mara Diem) ein egalitäres Arbeitsbündnis, in dem trotz der beschriebenen Ambivalenzen ein vertrauensvolles „Sharing is Caring“ glückt. Dieser Befund ist anschlussfähig an eine Untersuchung von Forrest et al. (2002), der zufolge es Peers in symmetrischen Beziehungen ohne Wertungs- oder Moralisierungstendenzen leichter fällt, über heikle Themen zu sprechen. Mara Diem und Lisa Henke konstituieren sich gerade über die geteilten Probleme als Schicksalsgemeinschaft, in der einerseits die Schwierigkeiten der jeweils Anderen empathisch anerkannt werden, andererseits – in einem geteilten kooperativ-entwickelnden Modus – gemeinsam nach geeigneten Lösungsstrategien gesucht wird.

Wird das Setting hingegen zuvorderst als Prüfungssimulation interpretiert, dann wird es – wie am Fallbeispiel Sina Kunz sichtbar – zur „Gesprächsbühne“ für die eigene Kompetenzmarkierung: In einer prüfungsbezogenen Handlungsorientierung wird dafür ein Feedback inszeniert, das die Expertise der (späteren) Prüfungskandidatin ausweisen soll. Dabei erfolgt in abgrenzend-konstatierendem Modus eine Profilierung zulasten der Kommilitonin, die beide Beteiligte, Feedback-Geberin und -Nehmerin, in hierarchische Prüferin-Prüfling-Rollen verweist. Dieser letztlich am konjunktiven Erfahrungsraum „Prüfung“ bzw. an den Konkurrenzlogiken des universitären Prüfens und Selektierens ausgerichtete Modus Operandi fügt sich in Spies’ (2017) Beobachtungen bzgl. des Peer-to-Peer-Prinzips unter den Bedingungen der Bologna-Reform ein: Danach ist das reformierte Lehramtsstudium weder auf Peer-to-Peer-Orientierungen noch auf Gruppenprozesse angelegt. Im Forschenden Lernen bildet sich dies in Form eines Widerspruchs zwischen zielgerichteter Forschungsarbeit und bewertbaren Projektergebnissen einerseits und sozial-orientiertem, reziprok-unterstützendem Lernen in kooperativen Forschungsformaten andererseits ab. Da gruppendynamische Prozesse jedoch auch stets die Gefahr des Scheiterns in sich bergen, resümiert Spies (2017, S. 135): „Insofern ist das Peer-to-Peer-Prinzip dem Lernertrag des Forschenden Lernens unterzuordnen“. In diesem Sinne löst auch Sina Kunz den von ihr wahrgenommenen Widerspruch zwischen Peer- und Prüfungsorientierung auf, indem sie sich für eine eigenständige, prüfungsförderliche Performanz entscheidet.

Da die heimliche Adressatin von Sina Kunz‘ Feedback die Dozentin ist, wird zudem deutlich, dass hier nicht nur das Thema (das Projekt von Lisa Henke), sondern auch die Beziehung zwischen den Studentinnen und der Dozentin sowie zwischen den Studentinnen untereinander verhandelt wird. Dies gilt – wenn auch unter anderen Vorzeichen – ebenso für die zuvor beschriebene peer-unterstützende Handlungsorientierung von Mara Diem: So solidarisiert sich diese mit der Kommilitonin und verteidigt gleichzeitig deren sowie ihr eigenes Projekt vor der anwesenden Dozentin. Nach Cohn (2009) beeinflusst das Beziehungsgefüge einer Gruppe immer auch das Thema oder die Aufgabe des Gruppengesprächs. Im vorgestellten Setting bedeutet dies, dass für die Interaktionen der Studierenden in dem beschriebenen charakteristischen Spannungsfeld zwischen Beratung und Bewertung die Rolle der prüfenden Dozentin bedeutsamer wird als die Rolle der beratenden Dozentin. Durch das Eingehen auf den Bewertungsanteil im Beratungsgespräch besteht jedoch die Gefahr, dass die im Sinne eines Peer-Learnings intendierten informellen und offenen Lernprozesse nicht mehr oder nur sehr eingeschränkt stattfinden können (vgl. Strauß und Rohr 2019). Die Rekonstruktionen zeigen, dass die Studierenden das Setting tatsächlich entweder zur reziproken, kollegial-empathischen Unterstützung (und auch dies nur eingeschränktFootnote 17) oder zu einem in hierarchischen Rollen angelegten Üben für das Abschlusskolloquium nutzenFootnote 18.

Beides hat dennoch im Kontext der Forschungsberatung insofern seinen Sinn, als das von der Dozentin intendierte inhaltlich-methodische „Voneinander-Profitieren“ in der Bearbeitung der (ähnlich angelegten) Studienprojekte tatsächlich auf beiden Wegen gelingt. Für das Forschende Lernen, das ohnehin in einem institutionell gesetzten selektiven Bildungs- und Ausbildungskontext stattfindet (vgl. Horn et al. 2012, S. 145), stellt sich daher weniger die Frage, ob, sondern wie Beratung und Bewertung sinnvoll nebeneinander gestellt werden können. Die hier vorgestellte Analyse zur dozent*innengeleiteten Peer-Beratung in der Lehrer*innenbildung knüpft damit zum einen an aktuelle hochschuldidaktische Fragen zu Möglichkeiten und Grenzen von Forschungsberatungsformaten (z. B. Thünemann et al. 2020) an. Sie zeigt, dass bzw. inwiefern es auf Seiten der Hochschullehrenden unerlässlich ist, bei der Wahl der jeweiligen Beratungsform zu prüfen, welche Ziele und Ansprüche an die Beratung anlegen werden (sollen) und ob diese zum Prozess des Forschenden Lernens passen: Was soll und kann das Format (realistischerweise) leisten? Wie kann eine Überladung der Gesprächssituation durch zu viele Ansprüche vermieden werden? Wie lässt sich eine positive Produktivität fördern – jenseits von Konkurrenz, die im Widerspruch zur Peer-Integration steht? Usw.

Zum anderen schließt die vorliegende Untersuchung an Fragen zum professionellen Habitus von Hochschullehrenden an: Welche Rolle(n) nehme ich ein? Wie markiere ich einen Rollenwechsel? Wie transportiere ich, dass ich in universitär gerahmten Beratungsformaten sowohl Berater*in als auch Prüfer*in bin? Etc. Schon Huber und Portele (1983, S. 209) haben auf die Rollenambiguität im zentralen Aufgabenbereich Lehre, Beraten und Prüfen hingewiesen, die zu antagonistischen Anforderungen an die Tätigkeit der Lehrenden führt. Dass die von Stiller (2015) und Thünemann et al. (2020) für beratende Dozierende empfohlene Rollenklärung eine prinzipiell zwar einleuchtende, jedoch schwer umzusetzende Lösung für diese Problematik darstellt, zeigen Brendel et al. (2006) in ihrer Studie zum Kompetenzerwerb in hochschuldidaktischen Qualifizierungsmaßnahmen. So belegen die Aussagen der von ihnen befragten Hochschullehrenden eine komplexe und detailreiche Vielschichtigkeit der erlebten Rollenunsicherheiten in Lehre und Beratung (vgl. Brendel et al. 2006, S. 77 f.). Diese können zwar im Rahmen von Weiterbildungsangeboten, die auf Selbstreflexivität ausgerichtet sind, bearbeitet werden – ebenso wie die Ausformung eines auf studierendenzentrierte(re) Lehre ausgerichteten Habitus’ im Rahmen des vielbeschworenen „Shift from Teaching to Learning“ (vgl. Wildt 2009, S. 27). Erlernt werden kann jedoch letztlich nur ein gutes Management dieser Rollenkonflikte, keine generelle Auflösung der institutionell und curricular angelegten Rollenambiguität. Bezogen auf die hier untersuchte hybride Beratungsform bedeutet der Einbezug der mit der Dozierendenberatung konfligierenden Peer-Ebene eine weitere Steigerung der Rollenwidersprüchlichkeiten in der Forschungsberatung. Es dürfte fraglich sein, ob die daraus erwachsenden Beschränkungen für eine authentische, d. h. informell-offene Peer-Unterstützung (noch) durch Rollenklärungen bearbeitbar sind. Die hier gezeigten Befunde verweisen eher darauf, dass diese Begrenzungen bei der Entscheidung für ein angeleitetes Peer-Beratungsformat in Kauf genommen werden müss(t)en, da aufgrund der diesem Setting inhärenten Widersprüchlichkeit von Peer- und Dozierenden-Beratung ein voll umfängliches „Sowohl – Als auch“ nicht möglich scheint.

Dies scheint jedoch ein grundständiges Problem hybrider Strukturen zu sein: Laut Duden bezeichnet „hybrid“ etwas, das aus Verschiedenem zusammengesetzt, gemischt, zwitterhaft ist. Durch das Zusammenbringen verschiedener Komponenten ergibt sich ein neues Ganzes, das neue Qualitäten besitzt und von dem ein Mehrwert erhofft wird (Miller 2019). Die Erkenntnis von Leimeister und Glauner (2008), dass bei hybriden (Dienstleistungs‑)Produkten jedoch nicht unmittelbar absehbar und daher empirisch zu überprüfen ist, wie sich die einzelnen Bestandteile zueinander verhalten und welche Interdependenzen sich ergeben, lässt sich auch auf hybride Beratungs- und Lernformen anwenden. Nach Stang (2010) bieten „gemischte“ Organisationsstrukturen in hybriden Lernwelten durch Kooperationen zwischen verschiedenen Akteur*innen, Lernorten und/oder (realen und virtuellen) Learning Communities erweiterte Nutzungsmöglichkeiten. Das „Konzept des Hybriden“ (Stang 2010, S. 318) stößt jedoch – so zeigen es auch die in diesem Beitrag vorgestellten Befunde zur hybriden Beratungsform „dozent*innengeleitete Peer-Beratung“ – dann an seine Grenzen, wenn Reibungen oder Widersprüchlichkeiten zwischen den einzelnen Komponenten (hier: Beratungskonzepten bzw. -strukturen) auftreten. Dass hybride Formate bei entsprechender Reflexion dieser Begrenzungen dennoch den o. g. erhofften Mehrwert haben können, konnte ebenfalls in diesem Beitrag gezeigt werden. Die vorliegende Arbeit schließt damit an die von Hößle et al. (2020) berichteten Erfahrungen bzgl. angeleiteter Peer-Beratungen an, wonach zum einen die von Peers geäußerten Meinungen und Änderungsvorschläge von den Studierenden besser angenommen, zum andere durch das (den Peers nachfolgende) Feedback der Lehrenden eine höhere Aufmerksamkeit und ein Erlernen angemessener Kritikäußerungen aufseiten der Lernenden ermöglicht würden (Hößle et al. 2020, S. 246.). Inwieweit hybride Forschungsberatung tatsächlich gelingt, hängt jedoch in hohem Maße von Expertise und Kompetenzen der Lehrenden ab sowie davon, inwiefern es diesen gelingt, „studentische Forschungsgemeinschaften auf[zu]bauen und den Studierenden [zu] zeigen, wie sie von anderen Studierenden und ‚Networking‘ im Allgemeinen profitieren können“ (Kedzior et al. 2020, S. 319).

Zum Verständnis der hier untersuchten hybriden Beratungskonstellation bedarf es auch des Vergleichs mit bzw. der Abgrenzung gegenüber ihren (Beratungssettings‑)Komponenten. Die analysierten studentischen Interaktionen sollen daher hier noch einmal vor der Vergleichsfolie der Formate „Peer-Beratung“ (in einer reinen Studierendengruppe) und „Einzelberatung“ (zwischen Dozent*in und Student*in) betrachtet werden: So lässt sich bspw. einwenden, dass auch in reinen Peer-to-Peer-Gesprächen gruppendynamische Prozesse stattfinden, in denen Studierende ihre (Macht‑)Positionen aushandeln. Spies (2017) verweist diesbezüglich auf die für Gruppenbildungen charakteristische (2.) Phase des Stormings, die auch als Konfrontations- oder Machtkampfphase bezeichnet wird und in deren Verlauf die Gruppenmitglieder über Kontrollaushandlungen ihre jeweilige Position und Rolle innerhalb der Gruppe finden und definieren (vgl. Spies 2017, S. 132). Das zurechtweisende Verhalten von Sina Kunz gegenüber ihrer Kommilitonin lässt sich jedoch nicht allein durch diese intragruppalen Prozesse erklären, denn Fachsprache und Fachinhalte ihrer Äußerungen („Behauptung“, „Beleg“) verweisen auf mehr als einen bloßen Machtkampf um eine günstige Position in der Gruppe: Sina Kunz inszeniert sich damit (auch) als gute (Novizen‑)Wissenschaftlerin und diese Rolle ist gegenüber der anwesenden Dozentin und Prüferin bedeutsamer als gegenüber den Kommilitoninnen. Letzteres wird durch aktuelle Befunde gestützt, nach denen Lehramtsstudierende dem universitären Forschen zumeist keine bis kaum Berufsrelevanz zusprechen und daher wenig Interesse entgegenbringen (s. z. B. Beutel et al. 2020; Thiem et al. 2020; van den Brink 2020).

Dennoch spielen auch im „moderierten Peer-to-Peer-Prozess“ (Spies 2017, S. 133) gruppendynamische Prozesse zwischen den Peers selbstverständlich eine Rolle – was diese hybride Konstellation wiederum von der Einzelberatung zwischen Dozent*in und Student*in abgrenzt. So würde sich bspw. der gönnerhaft-belehrende Duktus von Sina Kunz ebenso wenig gegenüber dem*der hierarchisch übergeordneten Dozent*in zeigen wie der tröstend-solidarisierende Duktus von Mara Diem. Andererseits ist die Peer-Beratung, wie in der Analyse gezeigt, auch stark durch die Gesprächsrahmung der Dozentin geprägt und trägt damit Züge, die auch für Einzelberatungskonstellationen im Forschenden Lernen gelten: Nach Shanahan et al. (2015) erfordert eine gelingende Forschungsberatung das Setzen klarer, gut formulierter und strukturierter Erwartungen gegenüber den forschenden Studierenden (s. a. Walkington und Rushton 2019). Die von der Dozentin zu Beginn der Beratung kommunizierten Regeln und Erwartungen werden von den Studentinnen für das anschließende Peergespräch angenommen und sind, wie in der Analyse gezeigt, als strukturierende Gesprächselemente auch deutlich in deren Kommunikation erkennbar. Insgesamt lässt sich daher als charakteristisch für das untersuchte hybride Beratungssetting resümieren, dass sich Gesprächsdynamik und sprachlich-interaktive Performanz sowohl an den Konventionen bezüglich netzwerkgestützter (Peer‑)Arbeit als auch den im- und expliziten Regeln (dozierendengestalteter) Leistungsbewertungskontexte ausrichten.

Abschließend muss auf die Begrenzung des Samples dieser Untersuchung hingewiesen werden: Die hier gemachten Aussagen beziehen sich ausschließlich auf die Begleitung und Beratung des Forschenden Lernens im Praxissemester an der Universität zu Köln. Weitere empirische Vergleichshorizonte, d. h. Fallvergleiche in ähnlich gerahmten Beratungsgesprächen an anderen Hochschulen müssten ergeben, ob sich die rekonstruierten Ambivalenzen des Settings und die kontrastierenden studentischen Modi Operandi im Umgang mit diesen als charakteristisch für dozent*innengeleitete Peer-Beratungen klassifizieren und die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen generalisieren lassen. Vor dem Hintergrund der bislang allgemein noch sehr wenigen empirischen Befunde zu Peer-Formaten in der Lehrer*innenbildung (Fricke et al. 2019) sowie mit Blick auf die Professionalisierung von Forschungsberatung ist in weitergehenden Analysen – neben der Fokussierung auf studentische Interaktions- und Positionierungsprozesse – auch die Perspektive der Dozierenden (stärker) einzubeziehen.