1 Einleitung

Erklären die persönlichen religiösen oder weltanschaulichen Orientierungen von Lehrkräften deren berufliches Denken und Handeln? Zu dieser Frage besteht in Europa und Deutschland ein eklatantes Forschungsdefizit. Zugleich ist angesichts von theoretischen Überlegungen und empirischen Befunden aus den USA zu vermuten, dass die Religiosität von Lehrpersonen sowohl unterstützende Ressource als auch problematischer Störfaktor im Hinblick auf deren schulische Aufgaben sein kann (Häusler et al. 2019). Allerdings sind die häufig von religiösen Bildungsträgern ebenso wie von deren Kritikern schnell propagierten – und von ersteren teilweise normativ eingeforderten – Einflüsse der religiösen Orientierungen von Lehrkräften auf ihr pädagogisches Wirken kaum empirisch überprüft. Ob beispielsweise die via Kirchenmitgliedschaft eingeforderte christliche Orientierung von Lehrkräften an evangelischen oder katholischen Schulen wirklich „einen Unterschied macht“ (Hunt et al. 2004), ist, trotz manch vollmundiger Behauptungen, noch immer nicht hinreichend empirisch geklärt. Auch die häufig sehr emotional diskutierte Frage, ob die Religiosität von evangelikal-fundamentalistisch orientierten Lehrerinnen und Lehrern eine Auswirkung auf ihr professionelles Selbstverständnis hat, wurde bislang nicht hinreichend empirisch untersucht (vgl. Röhl und Pirner 2020). Im Folgenden nehmen wir daher exemplarisch die berufsethischen Überzeugungen von Lehrkräften in den Blick und untersuchen den darauf bezogenen Erklärungswert von Religiosität und Spiritualität, jeweils für sich sowie unter Einbezug einer Reihe potenzieller Einflussfaktoren.

2 Theoretischer Hintergrund

2.1 Berufsbezogene Überzeugungen von Lehrkräften

Neben spezifischem Professionswissen, Motivation sowie Selbstregulationskompetenzen lassen sich berufsbezogene Überzeugungen von Lehrkräften (teacher beliefs) als ein Aspekt der professionellen Handlungskompetenz beschreiben (nach Baumert und Kunter 2006; vgl. auch Baumert und Kunter 2011). Trotz beklagter Unschärfe (Pajares 1992; Reusser et al. 2011, S. 479) hat sich das Konstrukt der teacher beliefs in der Forschung durchgesetzt (Fives und Gill 2015). Überzeugungen von Lehrkräften können demnach verstanden werden als „affektiv aufgeladene, eine Bewertungskomponente beinhaltende Vorstellungen […], welche für wahr oder wertvoll gehalten werden und ihrem berufsbezogenen Denken und Handeln Struktur, Halt, Sicherheit und Orientierung geben.“ (Reusser et al. 2011, S. 478). Sie haben mit dem zu tun, wovon Lehrkräfte „berufsbiografisch geprägt sind und was sie von ihrem Wert- und Glaubenshorizont her bezüglich aller Facetten des berufsbezogenen Sehens, Denkens und Handelns antreibt“ (Reusser et al. 2011, S. 489). In diesem Sinn gilt: „The importance of teachers’ beliefs is evidenced by decades of research […].“ (Gill und Fives 2015, S. 1). Allerdings heben Reusser et al. (2011) hervor, dass Forschung v. a. zu den wertorientierten berufsbezogenen Überzeugungen von Lehrkräften bisher noch wenig entwickelt ist, und Gill und Fives (2015, S. 2) konstatieren: „little work has been done to draw across interrelated fields of study to examine the full corpus of perspectives on teachers’ beliefs“.

Wir folgen dem vielfach als sinnvoll aufgegriffenen Ordnungsvorschlag von Baumert und Kunter (2006, S. 497) und unterscheiden in unserer Forschung (1) berufsbezogene Wertebindung (Lehrerethos; value commitments), (2) epistemologische Überzeugungen sowie (3) subjektive Theorien über das Lehren und selbstbezogene Überzeugungen hinsichtlich des Lernens und Lehrens. In diesem Beitrag konzentrieren wir uns auf den Bereich 1, die berufsethischen Überzeugungen (vgl. Penthin et al. 2021a zu Bereich 3; die Publikation zu Bereich 2 ist in Vorbereitung).

Mit der berufsbezogenen Wertbindung von Lehrkräften werden die für den Lernprozess konstitutiven Werte wie Fürsorge, Forderung, Gerechtigkeit und andere allgemein ethische Orientierungen im Sinne des „Berufsethos“ beschrieben (vgl. Oser 1998; Reichenbach 1994). Wir haben solche berufsethischen Aspekte operationalisiert als (a) Abfrage der Bildungs- und Erziehungsziele der Lehrkräfte; (b) Verfolgen eines leistungsfordernden Unterrichtsstils; (c) Orientierung an den individuellen Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler, d. h. an ihrer individuellen Bezugsnorm bei der Leistungsbewertung sowie (d) Förderung der Schülerinnen und Schüler durch eine adaptive Ausrichtung des Unterrichts.

2.2 Religiöse und spirituelle Überzeugungen

Religiosität wird hier angesichts generell beklagter Definitionsprobleme im Sinne einer Arbeitsdefinition verstanden als „die individuelle, subjektive Seite des Religiösen – im Unterschied zu ‚Religion‘ als einem objektiv Gegebenen […].“ (Bochinger 2004, S. 413 f.). Religiöse Überzeugungen (‚religious beliefs‘) sind als Teil der mehrdimensional zu fassenden Religiosität von Menschen zu sehen. Sie stehen mit den anderen Dimensionen von Religiosität – nach Huber (2003, 2008) – im Zusammenhang und bilden gemeinsam mit intellektuellem Interesse, Praxis und Erfahrung die durch hohe Homogenität gekennzeichnete Zentralitätsskala, welche die Bedeutsamkeit von Religiosität für das einzelne Individuum zu erfassen erlaubt.

Für den verwandten Begriff ‚Spiritualität‘ lässt sich eine klare, allgemein anerkannte Definition ebenso wenig finden wie für den Begriff Religiosität. Er bezeichnet vielfältige Varianten von Sinnsuche, Transzendenzsehnsucht und Lebensvertiefung – in unterschiedlicher Nähe zu oder auch ganz abgekoppelt von Religion (Bucher 2007), wobei in der Forschung die Übergänge zwischen den beiden Konzepten Religiosität und Spiritualität, v. a. im englischsprachigen Bereich (religiosity/religiousness – spirituality), fließend sind. Zahlreiche Studien verweisen für moderne Gesellschaften und insbesondere für Deutschland auf einen Trend weg von Religiosität im engeren Sinne hin zu einer religionsdistanten und institutionenkritischen, häufig nicht-theistischen Spiritualität (Bucher 2007; Gräb und Charbonnier 2008; Pickel und Sammet 2011; Pollack 2007, 2009). Deshalb wird Spiritualität in diesem Sinne in der vorliegenden Studie eigens berücksichtigt.

In der Religiositätsforschung finden sich vielfach Hinweise, dass nicht nur die Stärke von Religiosität, sondern auch ihre Ausprägung verantwortlich für bestimmte Effekte ist. Dies betrifft insbesondere fundamentalistisch-intolerante versus liberal-tolerante Ausprägungen von Religiosität (vgl. z. B. Zwingmann et al. 2017; Pickel et al. 2020). Wir haben deshalb die Dimension der religiösen Toleranz eigens in die Erhebung einbezogen.

2.3 Zusammenhänge zwischen religiösen und berufsbezogenen Überzeugungen von Lehrkräften: Theorie und Forschungsstand

Alle großen Religionen erheben den Anspruch, dass von einem authentischen (intrinsischen) Glauben nur dann gesprochen werden könne, wenn die in ihm gründenden Orientierungen und Überzeugungen tendenziell das ganze Leben der Glaubenden durchdringen und deren Lebensgestaltung (mit-)bestimmen. Dies gilt besonders für den Bereich des moralischen bzw. ethischen Handelns, für den Religionen Leitlinien und Orientierung geben können, und somit auch für berufliches und erzieherisches Handeln. Zugleich gilt gerade für die theologische Selbstverständigung des Christentums, dass auch die je eigene Rationalität unterschiedlicher Lebensbereiche ernstgenommen wird, also beispielsweise christliche Normen wie Nächstenliebe nicht ungebrochen auf den Bereich der Politik oder der Schule angewandt werden können. Die christlich-theologische Ethik bietet hierzu eine umfangreiche Literatur (vgl. als Überblick Nüssel 2009).

Dass das berufliche Handeln von Lehrkräften auf deren allgemeinen persönlichen Überzeugungen und Werten fußen solle, ist eine jahrhundertealte normative Forderung, die zugleich in jüngster Zeit kritisch in Frage gestellt wird (vgl. Cramer und Oser 2019). Die empirische Forschungslage zum faktischen Bestehen solcher Beziehungen ist unbefriedigend; dies gilt insbesondere für den Bereich der religiösen Überzeugungen von Lehrkräften (vgl. den Literaturüberblick von Häusler et al. 2019). Einige Studien, vorwiegend mit qualitativem Design und aus dem US-amerikanischen Kontext, liefern Anhaltspunkte dafür, dass es Zusammenhänge zwischen persönlichen religiösen Überzeugungen von Lehrkräften und ihrem professionellen Denken und Handeln gibt. So fand eine quantitative Erhebung des American Higher Education Research Institute (HERI) unter N = 40.670 College-Professoren positive Zusammenhänge zwischen hohen Werten von selbst eingeschätzter „spirituality“ und den berufsbezogenen Orientierungen „Focus on Students’ Personal Development“, „Student-Centered Pedagogy“, „Civic-Minded Practice and Civic-Minded Values“ und „Positive Outlook in Work and Life“ (HERI 2006, S. 7). Eine Reihe von qualitativen Studien zeigt zudem, dass religiöse Lehrkräfte an amerikanischen Grund- und Sekundarschulen ihren Glauben als eine wichtige Motivations- und Orientierungsquelle erleben, die ihnen hilft, empathisch, fürsorglich und wertschätzend mit ihren Schülerinnen und Schülern sowie mit ihren Kolleginnen und Kollegen umzugehen (Baurain 2012; Kang 2009; Nelson-Brown 2007; Pajak und Blasé 1989). Aufgrund der lokal unterschiedlichen generellen Ausprägung und gesellschaftlichen Bedeutung von Glaube und Religiosität lassen sich solche Ergebnisse aus den USA nicht einfach auf den europäischen oder deutschen Kontext übertragen, können aber doch der Ableitung von Forschungsfragen und Hypothesen dienen.

Vorliegende Forschungsbefunde legen zudem nahe, dass mögliche Zusammenhänge zwischen religiösen und berufsbezogenen Überzeugungen von Lehrkräften durch Kontextfaktoren und subjektive Faktoren moderiert werden können. Zu den potenziell relevanten Kontextfaktoren zählen wir (a) die Schulart, denn wir vermuten, dass Förder- und Grundschullehrkräfte stärker erzieherische und persönlichkeitsfördernde Ziele verfolgen, die eine größere Nähe zu religiösen Orientierungen haben; (b) die konfessionelle Prägung von Schulen, denn es liegt nahe zu vermuten, dass in konfessionellen Schulen Bezüge zwischen religiösen und berufsbezogenen Lehrerüberzeugungen stärker gefördert werden als an nicht-konfessionellen Schulen; (c) Religionslehre als Unterrichtsfach der befragten Lehrkräfte, denn es ist davon auszugehen, dass Religionslehrkräfte über eine ausgeprägte Sensibilität für Bezüge zwischen Religion und Schule bzw. Religiosität und Lehrerprofessionalität verfügen; (d) die Religionsfreundlichkeit der Schulkultur, denn wenn Schulleitung und/oder Kollegium Religion in der Schule eher befürworten als ablehnen, wird sich dies vermutlich auf die Bereitschaft der Lehrkräfte auswirken, ihre religiösen Überzeugungen in Schule und Unterricht einzubringen.

Zu den potenziell relevanten beeinflussenden subjektiven Faktoren zählen wir Überzeugungen der Lehrkräfte bezüglich der Vereinbarkeit von Religion und Schule bzw. der Vereinbarkeit der Religiosität und Professionalität von Lehrerinnen und Lehrern („bildungstheologische Überzeugungen“ nach Pirner und Wamser 2017). Dahinter steht die folgende Überlegung: Je stärker eine Gruppe von Lehrkräften der Meinung ist, dass die Präsenz von Religion in der Schule nicht legitim ist (kontextbezogen) und dass sie ihre eigene Religiosität besser nicht in die Schule einbringen sollten (personenbezogen), desto geringer dürften Zusammenhänge zwischen deren religiösen und berufsbezogenen Überzeugungen ausfallen, unabhängig davon, wie religiös diese Lehrkräfte im Einzelnen sind. Ebenfalls zu den subjektiven Faktoren rechnen wir das Berufungsempfinden der Lehrkräfte, insbesondere das Empfinden, von Gott zur Profession der Lehrkraft berufen zu sein (= religiös begründetes Berufungsempfinden). In der Forschung gibt es Anhaltspunkte dafür, dass sich ein solches Berufungsempfinden auch in berufsethischen Einstellungen der Lehrkräfte niederschlägt (Häusler et al. 2019; Röhl und Pirner 2020).

3 Forschungsfrage und Hypothesen

Wir untersuchten, inwiefern Zusammenhänge bestehen zwischen den religiösen bzw. spirituellen Überzeugungen von Lehrkräften und deren berufsethischen Überzeugungen. Unter den religiös konnotierten ethischen Überzeugungen lassen sich insbesondere eine altruistische Tendenz zur Förderung der Mitmenschen („Nächstenliebe“ bzw. gottgefällige Mitmenschlichkeit) sowie eine Betonung innerer menschlicher Werte im Gegensatz zu materiellen Werten herausstellen. Hier können vor dem Hintergrund der Literatur Zusammenhänge mit den auf die Förderung von Schülerinnen und Schülern ausgerichteten berufsbezogenen Wertüberzeugungen von Lehrkräften vermutet werden. Da die erwähnten religiös-ethischen Überzeugungen sich auch in der verwendeten Spiritualitätsskala wiederfinden, kann vermutet, dass die (nicht-theistische) Spiritualität von Lehrkräften ein ähnliches Zusammenhangsmuster mit berufsbezogenen Überzeugungen aufweist wie die Religiosität.

Auf der Basis dieser Überlegungen und der oben angesprochenen bereits vorhandenen Forschungsergebnisse wurden folgende präregistrierteFootnote 1 Hypothesen zu Zusammenhängen zwischen religiösen bzw. spirituellen und berufsethischen Überzeugungen der Lehrkräfte aufgestellt (vgl. auch die schematische Übersicht in Abb. 1):

Abb. 1
figure 1

Überblick zum Zusammenhang zwischen religiösen bzw. spirituellen Überzeugungen und berufsethischen Überzeugungen bei Lehrkräften unter Berücksichtigung von Kontextfaktoren, subjektiven Faktoren sowie Kontrollvariablen. (Abbildung verfügbar unter https://osf.io/9ae2r, Lizenz: CC-BY 4.0)

H1.1

Je religiöser bzw. spiritueller Lehrkräfte sind, desto wichtiger sind ihnen Bildungs- und Erziehungsziele im Bereich Persönlichkeitsbildung und soziale Verantwortung.

H1.2

Je religiöser bzw. spiritueller Lehrkräfte sind, desto mehr präferieren sie einen fördernden, an der individuellen Bezugsnorm orientierten Unterrichtsstil gegenüber einem leistungsfordernden Unterrichtsstil.

H1.3

Je religiöser bzw. spiritueller Lehrkräfte sind, desto stärker bemühen sie sich um einen an den individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten adaptierten Unterricht.

Ergänzend zu den präregistrierten Hypothesen wird jeweils der Erklärungswert der religiösen Toleranz – im Sinne einer Ausprägung von Religiosität – als Prädiktor für alle Hypothesen in den Blick genommen. Wir vermuten, dass hohe Toleranz einhergeht mit einer ausgeprägten Unterstützung von Persönlichkeitsbildung, sowie förderndem und adaptivem Unterricht.

Kontextfaktoren und subjektive Faktoren als moderierende Einflussgrößen auf die Zusammenhänge zwischen religiös-spirituellen und berufsethischen Überzeugungen der Lehrkräfte

H2.1 (a)

Lehrkräfte an Förderschulen oder Grundschulen zeigen eine höhere Ausprägung von Zusammenhängen zwischen religiösen bzw. spirituellen und berufsethischen Überzeugungen als Lehrkräfte der anderen Schularten, gleiches gilt (b) für Lehrkräfte an konfessionellen vs. nichtkonfessionellen Schulen und (c) für Lehrkräfte mit vs. ohne Unterrichtsfach Religionslehre.

H2.2

Bildungstheologische Überzeugungen: Je stärker die Lehrkräfte die personenbezogenen sowie kontextbezogenen Bezüge zwischen Religiosität und Lehrerberuf bejahen, desto stärker sind die Zusammenhänge, die sich zwischen ihren religiösen bzw. spirituellen und berufsethischen Überzeugungen zeigen.

H2.3

Je stärker das Schulklima als religionsfreundlich eingeschätzt wird, desto stärker sind die Zusammenhänge zwischen den religiösen bzw. spirituellen und den berufsethischen Überzeugungen der Lehrkräfte.

Kontrollvariablen. Das Geschlecht, die Schulträgerschaft, das Dienstalter, die Konfessionszugehörigkeit, die Affinität zum Lehrerberuf sowie die Wahrnehmung der Heterogenität der Schülerinnen und Schüler dienen als Kontrollvariablen zum Ausschluss von weiteren Einflussfaktoren und werden für alle berufsethischen Überzeugungen getestet.

4 Methode

4.1 Stichprobe

Die DatenFootnote 2 wurden im Rahmen eines ForschungsprojektesFootnote 3 zwischen September und Dezember 2019 erhoben. Die Akquise der Teilnehmer erfolgte zum größten Teil über direkte Kontaktaufnahme mit den Schulen. Darüber hinaus konnten Personen durch persönliche Kontakte der Autorin und Autoren zu Schulbehörden gewonnen und es konnte auf Lehrerfortbildungen sowie Konferenzen auf die Umfrage aufmerksam gemacht werden. Von den 1534 zum allergrößten Teil über die Online-Umfragesoftware Unipark (www.unipark.com) beantworteten Fragebögen wurden für die vorliegende Studie lediglich auf die 1441 Lehrkräfte fokussiert, die angaben, entweder einer der christlichen Konfessionen (81 %) oder keiner Religionsgemeinschaft anzugehören (19 %), da andersreligiöse Lehrkräfte nur eine kleine, statistische Minderheit darstellten. 1056 (74,0 %) der Befragten sind männlich, 368 (25,8 %) weiblich und drei (0,2 %) divers. 408 (29,6 %) haben Religionslehre als Unterrichtsfach. Die meisten (69,8 %) der Lehrkräfte in unserer Stichprobe unterrichten in Bayern, 18,9 % in Nordrhein-Westfalen und 9,7 % in Sachsen. 14,2 % der Befragten lehren an einer Schule mit konfessionellem Charakter (für Details zur Stichprobe siehe Onlinematerial 1).

4.2 Erläuterungen zu den statistischen Berechnungen

4.2.1 Zum Erhebungs- und Auswertungsverfahren

Die Daten wurden aus ökonomischen Gründen über ein Booklet-Design erhoben und designbasiert fehlende Werte über ein multiples Imputationsverfahren geschätzt (vgl. Onlinematerial 2). Als Schätzverfahren wurden Maximum Likelihood-Verfahren mit robusten Standardfehlern verwendet (MLR; vgl. Brown 2015, S. 346), um Abweichungen von der Standardnormalverteilung der nicht dichotomen Variablen zu korrigieren (Schiefe [−2,59; 0,28], Exzess [−1,53; 8,08]). Das gewählte Signifikanzlevel für alle Analysen war p = 0,05. Als substantiell betrachten wir Effekte von r bzw. β ≥ 0,20.

Aufgrund der Vielzahl an Variablen wurde ein schrittweises Vorgehen bei den Berechnungen gewählt. Zunächst wurde die faktorielle und diskriminante Validität der einzelnen Konstrukte sowie des Gesamtmodells mit allen Konstrukten mittels konfirmatorischer Faktorenanalysen überprüft (vgl. Tab. 1). Anschließend wurden zunächst zwei Strukturgleichungsmodelle berechnet, in denen bei Kontrolle der religiösen Toleranz jeweils der Erklärungswert der religiösen Überzeugungen (vgl. Abb. 2) bzw. der spirituellen Überzeugungen (vgl. Abb. 3) für die berufsethischen Überzeugungen ermittelt wurde. Für das finale Modell wurden schließlich diejenigen der Kontextfaktoren und subjektiven Faktoren sowie Kontrollvariablen hinzugezogen, die sich im Rahmen der nachfolgend beschriebenen vorläufigen Analysen als relevant herausgestellt haben.

Tab. 1 CFAs mit den Modellpassungen der einzelnen Skalen und des Gesamtmodells mit allen Skalen sowie Angaben zur Konstruktreliabilität
Abb. 2
figure 2

Strukturgleichungsmodell fokussiert auf den Erklärungswert religiöser Überzeugungen unter Kontrolle von religiöser Toleranz für berufsethische Aspekte. Siehe Onlinematerial 5 für das komplette Messmodell und den Modell-Fit sowie Tab. 2 für das finale Modell inklusive Kontextfaktoren, subjektiven Faktoren und Kontrollvariablen

Abb. 3
figure 3

Strukturgleichungsmodell fokussiert für den Erklärungswert spiritueller Überzeugungen unter Kontrolle von religiöser Toleranz für berufsethische Aspekte. Siehe Onlinematerial 5 für das komplette Messmodell und den Modell-Fit sowie Tab. 3 für das finale Modell inklusive Kontextfaktoren, subjektiven Faktoren und Kontrollvariablen

Angesichts der großen Zahl von relevanten Einflussfaktoren wurde zunächst in vorläufigen Analysen ermittelt, welche davon für die finalen Modelle (vgl. Tab. 2 bzw. 3) potenziell relevant sind. Dazu wurden für die berufsethischen Überzeugungen Strukturgleichungsmodelle mit folgenden latenten Prädiktoren berechnet (1) die drei Facetten der Spiritualität (oder analog dazu Religiosität), (2) religiöse Toleranz, (3) als potenzielle Moderatorvariable in Betrachtung stehender Kontextfaktor/subjektiver Faktor und (4) die latenten Interaktionseffekte der Kontextfaktoren/subjektiven Faktoren mit a) den drei Facetten der Spiritualität (oder analog Religiosität) und b) religiöser Toleranz. Die Indikatoren der latenten Interaktionen wurden gebildet als Produktterme aus den (zentrierten) Indikatoren der jeweiligen Spiritualitäts- oder Religiositätsskalen und den (unzentrierten) dichotomen Kontextfaktoren/subjektiven Faktoren (Foldnes und Hagtvet 2014). In keinem der berechneten Strukturgleichungsmodelle zeigten sich statistisch signifikante Interaktionseffekte (vgl. Onlinematerial 3 für die Auswertung). Deshalb wurde in den finalen Strukturgleichungsmodellen auf die Berechnung von Interaktionstermen verzichtet. Stattdessen wurden lediglich die Haupteffekte derjenigen Einflussfaktoren modelliert, für die sich in den vorläufigen Analysen der latenten Korrelationen mit den berufsehtischen Überzeugungen statistisch signifikante Effekte gezeigt hatten. Es handelte sich dabei um die Kontextfaktoren Schulart, Unterrichtsfach Religionslehre und religionsfreundliches Schulklima sowie den subjektiven Faktor zum allgemeinen Berufungsempfinden (vgl. Onlinematerial 4).

Tab. 2 Pfadkoeffizienten, Standardfehler und Signifikanz des finalen Strukturgleichungsmodells mit religiösen Überzeugungen (R-S‑T und religiöse Toleranz) inklusive Kontextfaktoren, subjektiven Faktoren und Kontrollvariablen zur Erklärung der Varianz in den berufsethischen Aspekten
Tab. 3 Pfadkoeffizienten, Standardfehler und Signifikanz des finalen Strukturgleichungsmodells mit spirituellen Überzeugungen (SAIL und religiöse Toleranz) inklusive Kontextfaktoren, subjektiven Faktoren und Kontrollvariablen zur Erklärung der Varianz in den berufsethischen Aspekten

Analog dazu wurde für die Kontrollvariablen vorab analysiert, ob sich statistisch signifikante Haupteffekte für die berufsbezogenen Überzeugungen zeigten. Nur solche Kontrollvariablen wurden in die finalen Modelle einbezogen. Es handelte sich dabei um das Geschlecht, die Affinität zum Lehrerberuf und die wahrgenommene Leistungsheterogenität sowie kulturelle und soziale Heterogenität.

4.2.2 Bewertung der statistischen Modelle

Die Passung aller Modelle wurde bestimmt anhand der χ2-Werte, den Fit-Indizes CFI (Comparative Fit Index) und TLI (Tucker-Lewis-Index) und dem Misfit-Index RMSEA (Root Mean Square Error of Approximation). Da der χ2-Test eine hohe Sensitivität aufweist und dadurch voreilig zu einer Ablehnung von Modellen bei großen Stichproben, kleinen Abweichungen von multivariaten Normalverteilungen oder geringen Unterschieden in Modellen führen kann (Brown 2015, S. 69), haben wir uns bei der Beurteilung der Modelpassung auf CFI/TLI und RMSEA konzentriert. CFI/TLI über einem Wert von 0,95 bzw. RMSEA unter 0,06 sind indikativ für eine gute bis sehr gute Modellpassung (Brown 2015; Hu und Bentler 1999). CFI/TLI zwischen 0,90 und 0,95 resultieren in einer akzeptablen Modellpassung, wenn die Werte aller anderen Fit-Indizes zu einer guten Modellpassung führen würden (Brown 2015, S. 75). Die Konstruktreliabilität wurde mit McDonald’s ω erfasst (Revelle und Zirnbarg 2009). Alle Kovarianzen und Regressionskoeffizienten werden komplett standardisiert berichtet.Footnote 4 Die Auswertungen erfolgten in R (Version 4.1.0) unter Verwendung der Pakete „lavaan“ (Rosseel 2012) und „mice“ (van Buuren und Groothuis-Oudshoorn 2011).

4.3 Variablen und Messmodelle

Im Folgenden werden die Skalen und deren Modellierung erläutert. Die Passung der Modelle ist gemeinsam mit den Angaben zu deren Konstruktreliabilität der Tab. 1 zu entnehmen. Der Übersichtlichkeit halber sind der komplette Wortlaut der verwendeten Items und die Antwortformate im Onlinematerial 2 sowie die latenten Korrelationen aller Variablen im Onlinematerial 3 angegeben.

4.3.1 Religiös-spirituelle Überzeugungen (Prädiktoren)

Religiöse Überzeugungen: Die religiösen Überzeugungen wurden mit der Basisversion des Religiositäts-Struktur-Test (R-S-T) erhoben. Die Skala soll eine Aussage darüber erlauben, wie zentral (bedeutsam) die Religiosität für einen Probanden im Gesamtgefüge seiner persönlichen Orientierungen ist. Jedes der fünf Items bezieht sich auf jeweils eine Hauptdimension von Religiosität nach Huber und Huber (2012): intellektuelle Dimension („Wie oft denken Sie über religiöse Themen nach?“), ideologische Dimension („Wie stark glauben Sie daran, dass Gott, Gottheiten oder etwas Göttliches existiert?“), private Praxis („Wie häufig beten Sie?“), öffentliche Praxis („Wie häufig nehmen Sie an Gottesdiensten teil?“) und Erfahrungsdimension („Wie oft erleben Sie Situationen, in denen Sie das Gefühl haben, dass ‚Gott‘ oder etwas ‚Göttliches‘ in Ihr Leben eingreift?“). Die Items wurden entsprechend den Angaben von Huber und Huber (2012, S. 720) in ein einheitliches fünfstufiges Antwortformat umkodiert, wobei höhere Werte eine ausgeprägtere Religiosität bedeuten. Das Messmodell zeichnete sich durch einen exzellenten Fit und gute Reliabilität aus (vgl. Tab. 1).

Spirituelle Überzeugungen wurden mittels der Spiritual Attitude and Involvement List (SAIL) erhoben. Dieses Instrument besteht im Original aus sieben Subskalen, welche drei Hauptdimensionen von nicht-theistischer Spiritualität erfassen (Meezenbroeck et al. 2012, S. 161). Drei der SAIL-Subskalen wurden in vorliegender Studie nicht erhoben, da sie im Falle von „Spiritual Activities“ schon vom R‑S‑T abgedeckt wurden und im Falle von „Awareness in the Present“ und „Acceptance“, die Items zu unspezifisch für das Forschungsprojekt erschienen. Darüber hinaus wurde zwar die Subskala „Connectedness with Nature“ erhoben, diese besteht jedoch aus lediglich zwei Items und erschien zudem für die Untersuchung professioneller Überzeugungen von Lehrkräften nicht relevant. Sie wurde daher nicht in der Auswertung berücksichtigt. Das resultierende dreifaktorielle SAIL-Messmodell setzte sich wie folgt zusammen: Verbundenheit mit dem Transzendenten (Subskala „Transcendental Experiences“, vier Items, z. B. „Ich habe Erfahrungen gemacht, in denen alle Dinge Teile eines größeren Ganzen zu sein schienen.“), Verbundenheit mit sich selbst (zusammengefasste Subskalen „Meaning“ und „Trust“, sieben Items, z. B. „Ich weiß, welche Bedeutung mein Leben hat.“ und „Ich versuche, das Leben so zu nehmen wie es ist.“) und Verbundenheit mit anderen (Subskala „Caring for Others“, vier Items, z. B. „Ich versuche einen bedeutsamen Beitrag für unsere Gesellschaft zu leisten.“). Das ursprünglich sechsstufige Antwortformat wurde analog zum R‑S‑T auf ein fünfstufiges adaptiert (stimmt überhaupt nicht (1) bis stimmt voll und ganz (5) für die Skalen Verbundenheit mit sich selbst und mit anderen bzw. Nie (1) bis sehr oft (5) für die Skala Verbundenheit mit dem Transzendenten). Der Fit dieses Modells war gut (vgl. Tab. 1).

Religiöse Toleranz. Mit dieser Skala wurden die Einstellungen der Lehrkräfte in Hinblick auf die allgemeine Offenheit gegenüber religiösen oder weltanschaulichen Positionen erhoben. Sie wurde aus dem sogenannten Religionsmonitor (Traunmüller 2014, S. 72) übernommen (drei Items, z. B.: „Man sollte gegenüber allen Religionen und Weltanschauungen offen sein.“, Antwortformat: stimme nicht zu (1) bis stimme voll zu (5)).

4.3.2 Einflussfaktoren

Zur Kontrolle thematisch relevanter Kontextfaktoren, welche die Zusammenhänge zwischen den religiösen und berufsbezogenen Überzeugungen moderieren könnten, wurden die folgenden dummykodierten Variablen verwendet: Schulart Förderschule, Schulart Grundschule, konfessioneller Charakter der Schule, sowie Unterrichtsfach Religionslehre (Antwortformat: Nein (0), Ja (1)). Ferner wurde eine selbstentwickelte Skala zur Messung der Aufgeschlossenheit gegenüber Religion in der Schule eingesetzt („religionsfreundliches Schulklima“, drei Items, Antwortformat: trifft nicht zu (1) bis trifft voll zu (5), z. B.: „Religiöse Aktivitäten werden vom Lehrerkollegium an meiner Schule wohlwollend wahrgenommen.“).

Als subjektive Einflussfaktoren wurden die bildungstheologischen Überzeugungen der Lehrkräfte mit den von Pirner (Pirner und Wamser 2017) entwickelten und von Penthin et al. (2021b) pilotierten Skalen mit je vier Items erhoben (Antwortformat: stimme nicht zu (1), bis stimme voll zu (5)). Eine Subskala erfasste die personenbezogenen Überzeugungen zur Rolle der eigenen Religiosität im Verhältnis zum Lehrerberuf (z. B.: „Ich möchte meinen Schüler*innen etwas von meiner weltanschaulichen oder religiösen Einstellung weitervermitteln.“). Die andere Subskala erfragte die kontextbezogenen Überzeugungen zum Verhältnis von Religiosität und Schulkultur (z. B.: „Ich finde es gut, dass Religionsunterricht ein ordentliches Unterrichtsfach an allen öffentlichen Schulen ist.“). Die Bestimmung als Lehrkraft zu arbeiten wurde über das religiös begründete Berufungsempfinden (Einzelitem: „Ich fühle mich von Gott dazu berufen, als Lehrer*in zu arbeiten.“, Pirner und Wamser 2017) als auch über das allgemeine Berufungsempfinden erhoben (Einzelitem: „Ich fühle mich zum Lehrer/zur Lehrerin berufen.“, Ortenburger 2010). Das Antwortformat für beide Items wurde von Ortenburger (2010) übernommen und von ursprünglich vier auf fünf Stufen angepasst (trifft nicht zu (1) bis trifft voll zu (5)).

4.3.3 Kontrollvariablen

Aufgrund ihrer in den vorausgehenden Analysen aufgedeckten Effekte werden folgende Kontrollvariablen im Modell berücksichtigt: das Geschlecht (männlich (0), weiblich (1)), die Schulträgerschaft (staatlich (0), privat (1)), das Dienstalter (vgl. Onlinematerial 1) und die Konfessionszugehörigkeit (nicht konfessionell (0), christlich (1)). Die Affinität zum Lehrerberuf („Ich bin gerne Lehrer/in.“), die Selbsteinschätzung sowie die wahrgenommene Fremdeinschätzung der eigenen Unterrichtsqualität („Ich bin ein guter Lehrer/eine gute Lehrerin.“ bzw. „Ich bin beliebt bei meinen Schüler/innen.“) wurden als eigenkonstruierte Skala modelliert (Antwortformat: trifft nicht zu (1) bis trifft zu (4)).

Wie stark die wahrgenommene Heterogenität der Schülerinnen und Schüler den Unterricht beeinträchtigt, wurde mit zwei Subskalen der aus der COACTIV-Studie stammenden Skala zu Unterrichtserschwernissen (Baumert et al. 2009) im vierstufigen Antwortformat erfragt (sehr stark (1) bis überhaupt nicht (4)): Wahrgenommene Leistungsheterogenität (ursprünglicher Skalenname: „leistungsschwache Schüler“, z. B.: „Unterschiedliche Begabung der Schüler*innen“) und wahrgenommene kulturelle und soziale Heterogenität (z. B.: „Zu viele Schüler*innen aus Migrantenfamilien“).

4.3.4 Berufsbezogene Überzeugungen (Kriterien)

Das Berufsethos wurde mit vier Skalen vom Likert-Typ operationalisiert. Eine Skala erfragte im Sinne allgemeiner Bildungs- und Erziehungsziele, inwiefern es den Lehrkräften wichtig erscheint, die Persönlichkeit der Schülerinnen und Schüler zu bilden und die soziale Verantwortung bei ihnen zu stärken (sieben Items, Frageprompt: „Für wie wichtig halten Sie es, dass in der Schule Folgendes vermittelt wird?“, z. B.: „Angemessene soziale Umgangsformen.“, Antwortkategorien: weniger wichtig (1) bis äußerst wichtig (4), Baumert et al. 2009). Die beiden dazugehörigen Skalen „Ordnung und Leistungsbereitschaft“ sowie „breite intellektuelle Orientierung“ ließen sich nicht zufriedenstellend modellieren (vgl. Syntax zur Berechnung in Onlinematerial 3), weswegen lediglich die Skala „Persönlichkeitsbildung und soziale Verantwortung“ in die Analysen einbezogen werden konnte, um zumindest die präregistrierte Hypothese in Bezug auf die Bildungs- und Erziehungsziele zu testen. Weitere berufsethische Orientierungen wurden mittels folgender Skalen erfasst (Antwortkategorien: trifft nicht zu (1) bis trifft genau zu (4)): das Verfolgen eines leistungsfordernden Unterrichtsstils (z. B.: „Mir ist wichtig, dass sich meine Schüler/innen bei mir besonders anstrengen müssen.“) und die (selbstwahrgenommene) Orientierung an der individuellen Bezugsnorm (z. B.: „Wenn ein schwächerer Schüler sich verbessert, gebe ich ihm ein positives Feedback, auch wenn die Qualität seiner Beiträge noch unter dem Durchschnitt liegt.“) mit je vier Items (vgl. Jerusalem et al. 2009). Die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler im Rahmen einer adaptiven Ausrichtung des Unterrichts wurde mit fünf Items erfragt (Antwortkategorien stimme gar nicht zu (1) bis stimme völlig zu (4), z. B.: „Ich achte darauf, dass alle Schüler/innen den Unterrichtsstoff verstehen.“, adaptiert nach Baumert et al. 2009).

5 Ergebnisse

5.1 Faktorielle Struktur und Konstruktreliabilität

Die latente Modellierung aller einzelnen Skalen resultierte in akzeptabler bis sehr guter Modellpassung. Auch der Fit des Gesamtmodells mit allen Skalen war gut: χ2 = 2814,48 (df = 1834), CFI = 0,931, TLI = 0,924 und RMSEA = 0,019 (90 % C.I. [0,018; 0,021]). Es zeigte sich eine hohe mittlere Konstruktreliabilität von McDonald’s ω ϵ [0,53; 0,94] und der durchschnittlich extrahierten Varianz AVE ϵ [0,28; 0,76] (vgl. Tab. 1). Die Richtungen der latenten Korrelationen der Prädiktoren sowie der Kriterien untereinander waren erwartungskonform (vgl. Onlinematerial 4).

In der folgenden Ergebnisdarstellung werden zunächst die Ergebnisse der auf den Erklärungswert der religiösen bzw. spirituellen Überzeugungen für die berufsethischen Aspekte fokussierten Modelle dargestellt. Im Anschluss daran folgen die Darstellungen der kompletten Modelle unter Einbezug von Kontextfaktoren, subjektiven Faktoren und Kontrollvariablen.

5.2 Zusammenhänge zwischen religiös-spirituellen Überzeugungen und berufsethischen Aspekten (ohne Kontextfaktoren, subjektiven Faktoren und Kontrollvariablen)

Insgesamt ergab sich für den R‑S‑T und die religiöse Toleranz gemeinsam kein substantieller Erklärungswert für die erhobenen Aspekte des Berufsethos (R2 ≤ 0,06). Die Pfade von der religiösen Toleranz auf die Aspekte des Berufsethos fielen zwar statistisch signifikant aus, waren jedoch nur teilweise substantiell. Die Pfade vom R‑S‑T waren lediglich in Bezug auf die Überzeugungen hinsichtlich eines leistungsfordernden Unterrichtstils statistisch signifikant und auch dort nicht substantiell (vgl. Abb. 2).

Wenn man anstelle der religiösen Überzeugungen die Facetten der spirituellen Überzeugungen in das Modell aufnimmt, ergaben sich deutlich höhere Erklärungswerte für die berufsethischen Überzeugungen (mit Ausnahme des Verfolgens eines leistungsfordernden Unterrichtsstils, vgl. Abb. 3). Substantielle Effekte der Spiritualität ergaben sich dabei vor allem bei der Subskala Verbundenheit mit anderen. Hinzu kam auf Seiten der Spiritualität ansonsten lediglich noch ein statistisch signifikanter, aber nicht substantieller Effekt der Verbundenheit mit sich selbst auf die adaptive Ausrichtung des Unterrichts.

5.3 Zusammenhänge zwischen religiös-spirituellen Überzeugungen und berufsethischen Aspekten inklusive Kontextfaktoren, subjektiven Faktoren und Kontrollvariablen

Die finalen Modelle unter Hinzunahme der relevanten Kontextfaktoren und Kontrollvariablen zu den in Abb. 2 und 3 dargestellten, nur auf Religiosität und Spiritualität fokussierten Modelle sind in Tab. 2 (für Religiosität) und Tab. 3 (für Spiritualität) dargestellt. Das grundlegende Befundmuster blieb im Vergleich unverändert.

Im Hinblick auf die bereits zuvor kaum relevante Religiosität zeigte sich, dass diese nach wie vor lediglich einen geringen Erklärungswert aufweist.

Im Hinblick auf die Spiritualität zeigte sich, dass die beiden zuvor substantiellen Effekte der Verbundenheit mit anderen auf Persönlichkeit und soziale Verantwortung sowie auf adaptiv ausgerichteten Unterricht nach wie vor substantiell und statistisch signifikant ausfallen. Der zuvor substantielle Effekt auf die Orientierung an der individuellen Bezugsnorm verschwindet dagegen. Gleiches galt für den bereits zuvor nicht substantiellen Effekt der Verbundenheit mit sich selbst auf den adaptiv ausgerichteten Unterricht.

Im Hinblick auf die religiöse Toleranz zeigte sich, dass deren Effekte auch unter Kontrolle von Kontextfaktoren, subjektiven Faktoren und Kontrollvariablen weitgehend stabil bleiben. Sie trägt damit auch im finalen Modell substantiell zur Varianzaufklärung in dem Erziehungsziel Persönlichkeitsbildung und soziale Verantwortung sowie in der Orientierung an der individuellen Bezugsnorm bei (siehe Tab. 2 und 3).

Im Hinblick auf die Kontextfaktoren und Kontrollvariablen zeigte sich neben einer größeren Zahl zwar statistisch signifikanter, aber nicht substantieller Effekte Folgendes: Lehrkräfte an Förderschulen weisen eine starke Orientierung an der individuellen Bezugsnorm auf; hohe wahrgenommene Leistungsheterogenität geht mit einem weniger leistungsfordernden Unterrichtsstil einher; und eine hohe Affinität zum Lehrerberuf impliziert höhere Werte in Bezug auf adaptiv ausgerichteten Unterricht.

6 Diskussion

6.1 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

Die berufsethischen Überzeugungen von Lehrkräften lassen sich lediglich zu einem geringen Teil durch deren spirituell-religiöse Überzeugungen erklären. Höhere Religiosität im Sinne des Religiositäts-Struktur-Tests ging tendenziell mit weniger leistungsforderndem Unterrichtsstil einher. Dieser vergleichsweise sehr geringe Effekt war jedoch im finalen Modell statistisch nicht mehr signifikant, ließe sich aber – bei aller gebotenen Vorsicht – damit erklären, dass christlich-religiös orientierte Lehrkräfte sich im Sinne des christlichen Ethos weniger vom Gedanken der Leistungsforderung als dem der Förderung ihrer Schülerinnen und Schüler leiten lassen. Allerdings hätte man von daher auch positive Effekte des R‑S‑T auf einen individualisierten, adaptiven Unterricht erwartet, die aber weder substantiell noch statistisch signifikant ausfielen. Hinsichtlich der Spiritualität zeigte sich, dass es die Spiritualitäts-Facette „Verbundenheit mit anderen“ ist, die einen eigenständigen bedeutsamen Beitrag für das Erziehungsziel Persönlichkeit und soziale Verantwortung sowie den adaptiv ausgerichteten Unterricht leistet. Von daher müssen die Hypothesen H1.1 bis H1.3 weitgehend zurückgewiesen werden. Sie haben sich letztlich als zu undifferenziert erwiesen.

Insgesamt sprechen die Ergebnisse dafür, dass nicht die religiösen bzw. transzendenzbezogenen Überzeugungen wichtig für die berufsbezogenen Überzeugungen sind, sondern die Verbundenheit zu den Mitmenschen und die Toleranz gegenüber ihren religiösen und weltanschaulichen Einstellungen und Überzeugungen. In Bezug auf die religiöse Toleranz hat sich die Vermutung bestätigt, dass hier ein statistisch bedeutsamer Effekt auf das abgefragte Erziehungsziel sowie ein substantieller Effekt auf die Orientierung an der individuellen Bezugsnorm vorliegt – für einen adaptiv ausgerichteten Unterricht galt dies jedoch nicht.

„Verbundenheit mit anderen“ sowie „religiöse Toleranz“ lassen sich zudem als Merkmale auffassen, die sowohl religiöse als auch nichtreligiöse Menschen aufweisen können. Anders formuliert: Religiöse Lehrkräfte sind offenbar nicht mehr oder weniger tolerant oder altruistisch als nichtreligiöse Lehrkräfte. Dies entspricht auch der in anderen Studien sich zeigenden Tendenz in der deutschen Bevölkerung (vgl. z. B. Traunmüller 2014). Die Berücksichtigung der Kontextfaktoren, subjektiven Faktoren und Kontrollvariablen zeigt zudem, dass direkt auf den Unterricht bezogene bzw. im Zusammenhang mit Schule stehende Variablen bedeutsamer sind für die Ausprägung der berufsethischen Überzeugungen als Religiosität und Spiritualität. Zu nennen sind hier in erster Linie die Affinität zum Lehrerberuf, die unterrichtete Schulart oder die wahrgenommene Höhe der Leistungsunterschiede in der Klasse.

6.2 Nähere Betrachtung der Moderatoreffekte der Kontextfaktoren, subjektiven Faktoren und der Effekte der Kontrollvariablen

Die Stärke des Zusammenhangs zwischen den religiös-spirituellen Überzeugungen sowie der religiösen Toleranz mit den berufsethischen Überzeugungen wird von keiner der einbezogenen Einflussfaktoren moderiert, was sich an deren nicht signifikanten latenten Interaktionseffekten mit den Kriterien zeigte. Von daher müssen Hypothesen 2.1 bis 2.3 abgelehnt werden. Jedoch zeigte sich im Einklang mit Hypothese 2.1 (a) ein statistisch signifikanter und substantieller Haupteffekt des Kontextfaktors Schulart Förderschule, erwartungsgemäß auf die Orientierung an der individuellen Bezugsnorm.

Etwas unerwartet zeigte sich weder ein Haupteffekt noch ein Moderationseffekt eines religionsfreundlichen Schulklimas sowie des konfessionellen Charakters der Schule. Letzteres könnte dadurch erklärt werden, dass an konfessionellen Schulen nicht zwangsläufig Lehrkräfte angestellt sind, die die damit verbundenen religiösen Überzeugungen auch tatsächlich teilen (r = 0,10; SE = 0,04, vgl. Onlinematerial 4). Auch stehen die bildungstheologischen Überzeugungen sowie das religiös begründete Berufungsempfinden in keinem Zusammenhang mit den berufsethischen Überzeugungen. Dies bestärkt weiterhin die oben beschriebene Vermutung, dass bei deutschen Lehrkräften die berufsbezogenen Überzeugungen sich relativ unabhängig von religiösen Überzeugungen sowie religiösen Kontextfaktoren bzw. subjektiven Faktoren gestalten.

Die Kontrollvariablen Schulträgerschaft, Dienstalter und Konfessionszugehörigkeit stehen in keinem Zusammenhang mit den berufsethischen Überzeugungen. Dies gilt gleichermaßen für die wahrgenommene kulturelle und soziale Heterogenität der Schülerinnen und Schüler. Für die wahrgenommene Leistungsheterogenität jedoch besteht zumindest ein negativer Zusammenhang im Rahmen der Strukturgleichungsmodelle mit einem leistungsfordernden Unterrichtsstil sowie eine Tendenz, sich dabei gleichzeitig an der individuellen Bezugsnorm zu orientieren. Darüber hinaus zeigt sich ein geringer statistisch bedeutsamer Effekt des Geschlechts zugunsten der weiblichen Lehrkräfte für einen weniger leistungsfordernden Unterrichtsstil. Die Affinität zum Lehrerberuf hat einen statistisch bedeutsamen Effekt auf einen leistungsfordernden Unterrichtsstil und einen vergleichsweise hohen substantiellen Effekt auf eine adaptive Ausrichtung des Unterrichts.

6.3 Validität der Skalen, Limitationen und weitere Forschungsperspektiven

Der R‑S‑T, die religiöse Toleranz und mit geringen Abstrichen in der durchschnittlich erklärten Varianz auch die Spiritualitätsskalen erwiesen sich als intern konsistent, was für deren Reliabilität spricht. Zur Konstruktvalidität dieser Instrumente liegen aus einer Reihe empirischer Studien überzeugende Belege vor (vgl. die Angaben bei Huber und Huber 2012). Der geringe Anteil an durch den R‑S‑T aufgeklärter Varianz lässt daher den Schluss zu, dass die allgemeinen religiösen Überzeugungen von Lehrkräften kaum Auswirkungen auf ihre berufsbezogenen Überzeugungen haben. Angesichts der zugleich substantiellen Effekte der erhobenen Kontrollvariablen erscheint es dagegen zunächst wenig plausibel, dass für die ausbleibenden Effekte der Religiosität mangelnde Reliabilität oder Validität der Kriteriumsskalen verantwortlich zu machen ist. Gleichwohl fallen die Belege für die Konstruktvalidität der Kriteriumsskalen nicht uneingeschränkt überzeugend aus. Hier sei auf die bereits bei Huth und Richter (2013) nicht hinreichend vorhandene diskriminante Validität der Erziehungsziel-Skalen verwiesen, weshalb in der vorliegenden Studie auf die Skala „Persönlichkeit und soziale Verantwortung“ fokussiert wurde. Insgesamt liegt es daher im Bereich des Möglichen, dass entsprechend optimierte Kriteriumsskalen in künftigen Studien in stärkerem Ausmaß durch Prädiktoren wie den R‑S‑T erklärbar würden.

Aufschlussreich wäre zudem die Untersuchung möglicher Effekte der Religiosität bzw. Spiritualität von Lehrkräften auf weitere Bereiche ihrer Professionalität, wie etwa motivationale Orientierungen oder Selbstregulationskompetenz, zu denen sich in der Literatur bereits vereinzelt Hinweise finden (vgl. Häusler et al. 2019).

7 Fazit

Die vorgestellten Ergebnisse zum Erklärungswert religiös-spiritueller Überzeugungen für berufsethische Überzeugungen von Lehrkräften stehen im Einklang mit unseren Projektergebnissen zu deren Erklärungswert für subjektive Theorien des Lehrens und Lernens (vgl. Penthin et al. 2021a). Erneut stellte sich die Religiosität im engeren Sinne als weitgehend bedeutungslos heraus, und für die Spiritualität gingen die – nicht sehr starken – Effekte, vor allem auf die nicht-transzendente Spiritualitätsfacette „Verbundenheit mit anderen“ zurück. Somit stellen Religiosität bzw. Spiritualität zumindest keine problematischen Störfaktoren für das berufliche Denken und Handeln von Lehrkräften dar. Unsere Ergebnisse stehen jedoch in deutlicher Spannung zu den eingangs und in unserem Literaturüberblick (Häusler et al. 2019) beschriebenen Studien aus den USA. Dies mag zum einen daran liegen, dass in den bisherigen quantitativen Studien Zusammenhänge zwischen religiösen und berufsbezogenen Überzeugungen unterkomplex erfasst und häufig nicht multivariat ausgewertet wurden. Zum anderen scheinen aber religiöse Überzeugungen im deutschen Kontext für die Entwicklung eines prosozialen, schülerorientierten Lehrerethos im Vergleich mit den USA faktisch eine geringere Rolle zu spielen. Als Grund dafür kann zum einen vermutet werden, dass die im Vergleich zu den USA gesamtgesellschaftlich geringere Bedeutsamkeit von Religion und Glaube sich auch im schulischen Kontext zeigt. Zum anderen kann darauf verwiesen werden, dass in Deutschland die Entwicklung der wissenschaftlichen Pädagogik und des Schulwesens historisch teilweise als Emanzipation von kirchlicher Bevormundung und religiöser Beeinflussung verlief, sodass sich eine breite Strömung dezidiert säkularer bis religionskritischer pädagogischer Orientierungen etabliert hat. Offenbar gelingt es in der deutschen Lehrkräftebildung ein weitgehend von religiös-weltanschaulichen Orientierungen unabhängiges Lehrerethos aufzubauen. Ob Lehrkräfte ermutigt werden sollten, die in unserer Studie zumindest fragmentarisch sichtbar werdenden positiven Potenziale ihrer Religiosität bzw. Spiritualität für ihr berufliches Handeln stärker zu reflektieren, wäre zu diskutieren.