1 Einleitung

Aus einer Educational Governance-Perspektive können Bildungsverbünde, -netzwerke oder auch -landschaften als eine neue Form der Steuerung verstanden werden. Sie bieten innovative Antworten auf Probleme, die anhand von top-down Steuerung durch den Staat nicht gelöst werden konnten (vgl. Fink 2011). Mithilfe von Bildungslandschaften soll den regionalen Bildungsakteur/innen mehr Autonomie in der Gestaltung von Bildungsprozessen ermöglicht werden, während staatliche Steuerung auf die Formulierung von Bildungsstandards reduziert wird (vgl. Kussau und Brüsemeister 2007). Akteur/innen unterschiedlicher Organisationen arbeiten an der gemeinsamen Bewältigung aktueller Herausforderungen. Ihnen wird damit Raum gegeben, durch die koordinierte Zusammenarbeit mit anderen Tätigkeitsbereichen wirksam zu werden.

Bisherige Forschungen zu Bildungsnetzwerken zeigen einen grundsätzlich positiven Effekt des Zusammenschlusses auf die Beteiligung der Akteur/innen. Jedoch weist die Beteiligung selbst und die Zufriedenheit der Akteur/innen mit ihren Möglichkeiten der Mitgestaltung hohe regionale Varianzen auf (vgl. Rolff 2014). Es fällt auf, dass bei den Untersuchungen die Qualität der Beziehungen der Akteur/innen untereinander keine Berücksichtigung findet, obwohl diese in Zusammenhang mit den hohen regionalen Varianzen stehen könnten. Die wissenschaftliche Untersuchung der Lokalen Bildungslandschaften in Kooperation von Jugendhilfe und Schule, gefördert durch das BMFSFJ, fand bei ihren Analysen der Kooperationsformen zwar heraus, dass dem persönlichen Engagement der Beteiligten eine besondere Rolle beigemessen wird und die Zusammenarbeit erleichtere, dabei werden die einzelnen Akteur/innen jedoch immer als Vertreter/innen ihrer Institutionen gesehen. Interpersonale Beziehungen spielen in den Analysen keine Rolle (vgl. Schalkhaußer und Thomas 2011). Bildungsnetzwerke konstituieren sich jedoch aus den sozialen Beziehungen ihrer Beteiligten; dabei ist Vertrauen ein grundlegendes Moment (vgl. Kolleck und Bormann 2014). Netzwerke, wie sie in der Governance-Literatur beschrieben werden, beruhen auf Vertrauen als zentralem Mechanismus und einer kooperativen Form der Zusammenarbeit (vgl. Wald und Jansen 2007). Bildungsnetzwerke im Besonderen sind geprägt von Kooperation einerseits und Hierarchie andererseits, in die die kooperativen, vertrauensvollen Beziehungen eingebettet sind (vgl. Preuß 2012). Tschannon-Moran (2001) fand in ihrer Untersuchung von Kooperationen zwischen Schulleitungen, Lehrkräften und Eltern heraus, dass sich eine vertrauensvolle Atmosphäre positiv auf eine tatsächliche, partizipative Kooperation (in Abgrenzung zu einer Schein-Zusammenarbeit ohne Partizipation) auswirkt. In der wissenschaftlichen Literatur finden sich zahlreiche Perspektiven auf Vertrauen, die einzelne Aspekte des Phänomens beleuchten oder dessen generelle Relevanz in unterschiedlichen Kontexten diskutieren. Doch obwohl Vertrauen entscheidend für den Erfolg von Bildungsnetzwerken sein dürfte, besteht bislang keine weitreichend akzeptierte Theorie zu Vertrauen in Netzwerken, aus der empirisch überprüfbare Hypothesen abgeleitet werden können. In dem vorliegenden Artikel wenden wir uns dem Forschungsdesiderat zu, indem wir das Vertrauen der in Bildungsnetzwerken involvierten Akteur/innen ergründen und damit einen ersten Schritt in Richtung der Entwicklung einer Theorie zu Dimensionen des interpersonalen Vertrauens im multiorganisationalen Zusammenschluss gehen.

Dabei wenden wir uns einem exemplarischen regionalen Bildungsverbund zu. Um den Herausforderungen im Bildungssystem aktiv zu begegnen, haben sich im Jahr 2013 mehrere Kommunen, Universitäten, Landesministerien und überkommunale Verbände stiftungsfinanziert zusammengeschlossen. Koordiniert wird der Verbund von einer eigens eingerichteten Geschäftsstelle.

Mit dem Zusammenschluss wird eine Verbesserung des regionalen Bildungssystems angestrebt, indem verstärkt auf individuelle Förderung gesetzt und der Aufbau einer durchgängigen Sprachbildung initiiert wird. Auf struktureller Ebene soll ein Modell zur kommunal und institutionell übergreifenden Zusammenarbeit entwickelt und eine stärkere Verzahnung von Schul- und Hochschulwesen zur Unterstützung von Studienberechtigten bei der Studienfachwahl erreicht werden. Ferner ist die Entkopplung der Studienerfolgsquote von der sozialen Herkunft der Studierenden Ziel des Bildungsverbunds.

Das spezifische Moment ist neben dem Einbezug von Hochschulen in die Gestaltung der Bildungslandschaft auch der Collective Impact Ansatz, der die Zusammenarbeit der Partnerinstitutionen prägen soll. Grundlage dieses Ansatzes des Gemeinsamen Wirkens ist die Erarbeitung kollektiv geteilter Ziele und damit einhergehend auch die Einigung über den Weg zum Ziel sowie dessen Messbarkeit. Neben einem koordinierten Handeln und der Einrichtung einer organisatorischen Einheit, steht besonders die Kommunikation der Partner/innen im Mittelpunkt. Diese stützt sich in erster Linie auf Offenheit und Vertrauen (vgl. Kania und Kramer 2011).

Vor diesem Hintergrund haben wir uns mit der Konstitution des Netzwerkes beschäftigt und in diesem Zusammenhang die Vertrauensbeziehungen näher beleuchtet.

Für die Herleitung einer Theorie zu empirisch fundierten Dimensionen des Vertrauens, werden zunächst die aktuellen theoretischen Vertrauensgrundlagen und der Forschungsstand vorgestellt. Darauf folgt die Darlegung der methodischen Vorgehensweise.

Das vierte Kapitel widmet sich den Erkenntnissen aus unseren Analysen. Die induktiv herausgearbeiteten Dimensionen von Vertrauen, die im Rahmen der multiprofessionellen Zusammenarbeit des Bildungsverbundes relevant sind, werden vorgestellt und in einem Kapitel der Theorieentwicklung zueinander in Beziehung gesetzt. Dabei findet auch eine Rückbindung an die theoretische Rahmung statt.

Es folgt eine abschließende Diskussion, in der die Errungenschaften des Beitrags und das methodische Vorgehen reflektiert sowie die forschungspraktische Relevanz der Ergebnisse mit Blick auf zukünftige Forschungsvorhaben fokussiert werden.

2 Theoretische Vertrauensgrundlagen und Forschungsstand

Die Datenanalyse und Theorieentwicklung wurde von einer Durchsicht wissenschaftlicher Literatur begleitet, die zunächst einen Überblick über das Grundkonzept des interpersonalen Vertrauens lieferte und sich schließlich auf interpersonales Vertrauen innerhalb von Organisationen fokussierte, in der Annahme, dass sich Ähnlichkeiten zum Vertrauen in multiorganisationalen Zusammenschlüssen finden können.

2.1 Grundannahmen interpersonalen Vertrauens

Die differentielle Vertrauenstheorie nach Schweer (1997) geht davon aus, dass sich das interpersonale Vertrauen aus verschiedenen Konzepten zusammensetzt. Entscheidend für die Vertrauensentwicklung ist demnach zum einen die individuelle Vertrauenstendenz jeder vertrauenden Person, die darüber Aufschluss gibt, inwiefern diese Person Vertrauensbeziehungen als möglich erachtet. Ob letztlich tatsächlich vertraut wird, entscheidet sich in der konkreten Interaktion mit einem Gegenüber. Diese individuelle Vertrauenstendenz ist keine Grundsätzliche, wie es Rotter (1967) mit seiner Definition des generalisierten Vertrauens postulierte, sondern eine vom jeweiligen Lebensbereich abhängige. Die individuelle Vertrauenstendenz kann demnach bspw. in Interaktion mit Freunden deutlich höher sein, als im Berufsleben. Darüber hinaus verfüge jede Person über eine individuelle implizite Vertrauenstheorie, in der „die Gesamtheit der individuellen normativen Erwartungen an das Verhalten anderer Personen im Hinblick auf die Förderung eines positiven Vertrauensverhältnisses zueinander“ enthalten sind sowie „Vorstellungen darüber, wie man sich „solchen“ Personen gegenüber zu verhalten hat (Schweer 1997, S. 6, Anführungszeichen im Original). Es soll jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass auch situative Faktoren, wie der Erstkontakt, Einfluss auf die jeweilige Vertrauensentwicklung nehmen.

Der Begriff der Vertrauensentwicklung impliziert bereits die Prozesshaftigkeit des Vertrauens. Möllering (2013) argumentiert, es sei von besonderer Bedeutung sich bewusst zu machen, dass am gegenseitigen Vertrauen stets gearbeitet werden müsse. Die Beteiligten eines Vertrauensprozesses müssten fortlaufend sowohl an ihrer Vertrauenswürdigkeit arbeiten, als auch dem Gegenüber Vertrauen schenken. So würde das Vertrauen in jeder neuen Situation noch einmal geprüft und bestenfalls bestätigt. Erfahrungen sammeln sich über die Zeit an und werden in (Erfahrungs‑)Wissen umgesetzt, durch die sich teils implizite Erwartungen einstellen (vgl. Koller 1990; Luhmann 2009; Bormann 2012). Damit verringert sich die Unsicherheit im Umgang mit dem Gegenüber. Unsicherheiten entstehen dort, wo Verhaltensweisen des Gegenübers nur schwer einzuschätzen sind, weil sie der vertrauenden Person unbekannt sind. Wenn das Verhalten des Gegenübers aber kalkulierbar scheint, wirkt sich das förderlich auf die Vertrauensentwicklung aus (vgl. Kassebaum 2004). Insbesondere subjektiv festgestellte Gemeinsamkeiten können Unsicherheiten reduzieren (vgl. Berger und Calabrese 1975). Vertrauen gilt zwar als komplexitätsreduzierend, indem es der Überbrückung von Unsicherheiten und Wissenslücken dient (vgl. Luhmann 2009; Beierlein et al. 2012; Bormann 2012), die Entscheidung zu vertrauen ist dennoch eine Risikoabwägung, bei der das Risiko bzw. die Unsicherheit nicht zu groß sein darf (vgl. Bachmann und Lane 2010).

2.2 Vertrauen innerhalb von Organisationen

Ein organisationaler Kontext hebt das Vertrauen auf eine andere Ebene. Menschen treffen nicht als Privatpersonen aufeinander, sondern als Geschäftspartner/innen. Eberl (2010) unterscheidet diesbezüglich zwischen „Vertrauensgrundlagen“ und „Beziehungsformen“. In einer geschäftlichen Beziehung ist viel von der Leistungsbereitschaft und -fähigkeit der Partner/innen abhängig. Daher spielt das Vertrauen in ihre fachliche Kompetenz als eine von drei Vertrauensgrundlagen für die Zusammenarbeit eine bedeutende Rolle. Besonders innerhalb einer Organisation stellt sich auch die Frage nach der moralischen Integrität der Kolleg/innen. Das bedeutet, sich darauf verlassen zu können, dass das Gegenüber die gleichen organisationsbezogenen Werte mit einem selbst teilt und auch entsprechend handelt. Als dritte Grundlage benennt Eberl (2010, S. 242) den „guten Willen“. Das Vertrauen darauf, dass das Gegenüber einem wohlgesonnen ist und nicht (vorsätzlich) gegen das eigene Wohl handelt. Bedeutsam ist zudem, dass die Vertrauensgrundlagen von „Kompetenz“ zum „guten Willen“ persönlicher werden.

Bei den „Beziehungsformen“ unterscheidet Eberl (2010, S. 242) zwischen einer Vertrauensbeziehung unter Kolleg/innen innerhalb einer Organisation, einer interorganisationalen Beziehung und der Beziehung zu Vorgesetzten bzw. zwischen Personen mit unterschiedlichen hierarchischen Stellungen.

Beziehungen in Bildungsverbünden sind jedoch nicht nur geprägt durch das Vorhandensein oder nicht-Vorhandensein von hierarchisch geprägten Verhältnissen. Besonders durch den Zusammenschluss unterschiedlicher und oft auch voneinander weitgehend unabhängiger Bildungsakteur/innen können die vorhandenen Beziehungen nicht auf eine hierarchische Form reduziert werden (Vorgesetzte und Weisungsgebundene). Vielmehr spielt in diesem Kontext auch das Erlangen von Macht innerhalb des Netzwerkes eine entscheidende Rolle. Basierend auf dem dreidimensionalen Machtansatz nach Lukes unterscheidet Kolleck (vgl. 2009, 2013) die relationale, strukturelle und diskursive Macht. Relationale Macht entsteht demnach durch die Fähigkeit, gezielt Beziehungen zu nutzen und Kontakte für das Erreichen der eigenen Ziele zu knüpfen. Strukturelle Macht resultiert aus einer privilegierten Stellung im System, die meist auf finanzielle Ressourcen oder eine hierarchische Position zurückzuführen ist. Diskursive Macht hingegen ist die Macht einer Person, Gruppe oder Organisation, Diskurse in einem abgegrenzten Rahmen zu beeinflussen und zu gestalten (vgl. Kolleck 2012). Dabei zielt die Beeinflussung auf die Formung von Wahrnehmung und Wünschen und rückt die Bedeutung von Ideen und Werten in den Vordergrund (vgl. Kolleck und Bormann 2014). Diskursive Macht setzt am frühestmöglichen Zeitpunkt in gesellschaftlichen Veränderungsprozessen an, wirkt tief in Gesellschaften hinein und kann Vertrauen erzeugen (vgl. Kolleck 2015).

In Bezug auf Bildungsverbünde dürften vor allem die relationale und diskursive Macht eine Rolle spielen, wenn es darum geht, den Verbund auszuweiten und zu verstetigen sowie als Gemeinschaft auf Grundlage der gleichen Ziel- und Wertvorstellungen zu handeln. Strukturelle Macht obliegt dabei denen, die in einem solchen Verbund über die systemisch privilegierte Stellung der Fördergebenden verfügen und damit auch Inhalte steuern können sowie denjenigen, die innerhalb ihrer eigenen Organisation über eine privilegierte Position verfügen und dadurch das Geschehen im Verbund leichter beeinflussen können. An dieser Stelle wird erneut die von Preuß (2012) beschriebene Besonderheit von Bildungsnetzwerken deutlich, wonach Bildungsnetzwerke immer eine Mischung aus Kooperation und Hierarchie sind.

Im Folgenden reflektieren wir die theoretischen Überlegungen anhand einer eigenen Studie. Hierfür stellen wir in einem ersten Schritt das methodische Vorgehen der Studie vor.

3 Methode

3.1 Stichprobe

Für die Untersuchung der Forschungsfrage wurden 21 Akteur/innen mithilfe eines halb-standardisierten Fragebogens interviewt. Zu den Interviewten zählen Schlüsselpersonen des Verbunds, die als Ansprechpartner/innen der eigenen Organisation gelten und/oder dort eine leitend-koordinierende Rolle einnehmen. Die Auswahl der Interviewpartner/innen erfolgte nach dem Prinzip des Selektiven Samplings (vgl. Schatzman und Strauss 1973). Im Voraus wurde die Anzahl und die Akteurszugehörigkeit der Interviewten festgelegt, um sicherzustellen, dass aus jedem relevanten Organisationstypus mindestens eine Person befragt wird. Als Kriterien für die Auswahl der Interviewpartner/innen zählten demnach vor allem die aktive Einbindung ins Netzwerk und die institutionelle Varianz. Es wurden Repräsentant/innen interviewt, die den folgenden am Netzwerk beteiligten Bereichen zugeordnet werden können: Hochschule, Schule, kommunale Bildungsverwaltung, Landesverwaltung, Stiftung sowie die Geschäftsstelle.

Besonders relevant für die Befragung waren jene Akteur/innen, die bereits aktiv am Verbund mitwirkten, da erst durch die aktive Mitwirkung in dem Bildungsnetzwerk entscheidende Vertrauensbeziehungen entstehen können. Dabei handelt es sich sowohl um Vertreter/innen der Partnerinstitutionen, als auch um Maßnahmen-bezogene Kooperationspartner/innen, sowie Teilnehmende an Maßnahmen. Insgesamt wurden 14 Frauen und sieben Männer interviewt. Im Schnitt dauerten die Interviews etwa 80 min, wurden in den Arbeitsräumen der Interviewten durchgeführt, auditiv aufgezeichnet und anschließend nach den Regeln von Dresing und Pehl (2015) transkribiert.

3.2 Erhebung

Der Leitfaden, der für die Durchführung der Interviews verwendet wurde, beinhaltete (neben weiteren theoretischen Konstrukten, die nicht Gegenstand des vorliegenden Beitrags sind) Fragen zum Vertrauen der Interviewten in ihre Netzwerkpartner/innen. Die Fragen bauten sich sukzessive auf von der Frage der allgemeinen Rolle von Vertrauen im Arbeitskontext bis zur Benennung konkreter Vertrauensverhältnisse innerhalb des Netzwerks und ihrer jeweiligen Beschaffenheit. Im Detail wurden die Art und Häufigkeit des Kontakts, sowie die Inhalte des Austauschs erfasst. Unterstützt wurden die Ausführungen durch das Ausfüllen einer ego-zentrierten Netzwerkkarte im Interviewverlauf, in die die Befragten ihre bedeutendsten Kontakte im Rahmen des Bildungsverbundes einzeichnen sollten. Die Nähe oder Distanz mit der die Kontakte zur Mitte der Karte eingezeichnet wurden, repräsentierte ihre Wichtigkeit, d. h. je näher Kontaktpersonen ins Zentrum der Karte gezeichnet wurden, desto wichtiger wurden sie wahrgenommen. Die Erhebung des Netzwerks und die dazugehörigen Fragen zum Vertrauen bildeten die entscheidende, jedoch nicht ausschließliche Grundlage des vorliegenden Artikels. Gemäß der rekonstruktiven Sozialforschung wurde stets das gesamte Interview betrachtet. Aussagen wurden kontextualisiert. Ein besonderes Augenmerk wurde dabei auf diejenigen Beziehungen gelegt, die im Interviewabschnitt zum Vertrauen als besonders vertrauensvoll bezeichnet wurden. Eventuelle Äußerungen zu diesen Beziehungen in einem früheren Stadium des Interviews konnten ebenfalls Aufschluss über das jeweilige Vertrauensverständnis der Befragten und die darin impliziten Dimensionen des Vertrauens geben.

3.3 Auswertung

Die Analyse der Daten erfolgte nach Abschluss der Erhebung aller qualitativen Daten. Ausgewertet wurden die transkribierten Interviews nach den Regeln der Grounded Theory von Strauss und Corbin (1996) und mit Hilfe der Analysesoftware MAXQDA.

Die Interviews wurden zunächst offen kodiert, das heißt die Daten wurden in kleinen Schritten auf ihren inhaltlichen Kern hin untersucht. Dieser Vorgang dient der Identifizierung „einzelner Phänomene und ihrer Eigenschaften“ (vgl. Strübing 2008, S. 20). Bezogen auf das Forschungsthema des interpersonalen Vertrauens im multiprofessionellen Bildungsverbund ergab sich im Verlauf dieses Kodierprozesses das Vertrauensverständnis der Interviewten sowohl allgemein, als auch berufsbezogen. Ersichtlich wurden die Bedingungen für die Entstehung von Vertrauen, die Gewinne einer vertrauensvollen Beziehung und ihre Risiken. Die Erkenntnisse aus diesem Analyseschritt wurden im nächsten Schritt, dem axialen Kodieren, bei dem die einzelnen Phänomene hinsichtlich der Fragestellung in einen Zusammenhang gestellt werden (vgl. Strübing 2008), reanalysiert und es konnten die Kontexte herausgearbeitet werden, in denen die Befragten ihre Vertrauensbeziehungen verorten. So fanden sich bspw. die Kontexte der Arbeitsgruppe, des gleichen Geschlechts, der Vorgesetzten, der zeitlichen Entwicklung uvm. Diese Kontexte konnten wiederum in Dimensionen gefasst werden, die schließlich richtungsweisend für die hier vorgestellte Theorie sind.

Den Regeln des selektiven Kodierens folgend wurde das Datenmaterial daraufhin noch einmal hinsichtlich der Integration aller identifizierten Konzepte in die Theorie der Dimensionen untersucht, wodurch sich für jede Dimension verschiedene Ausprägungen ergaben.

Um eine Unvoreingenommenheit dem empirischen Gegenstand gegenüber zu gewährleisten und damit eine in der Empirie gegründete Theorie zu ermöglichen, beschränkte sich die vorab-Recherche von Fachliteratur auf ein Grundverständnis des Phänomens Vertrauen und die Identifizierung des Forschungsdesiderats. Eine intensive Sichtung bisheriger Forschungen und theoretischer Abhandlungen zum Thema erfolgte erst nach der Auswertung des Datenmaterials und diente als Vergleichsgrundlage und Sensibilisierung für die Feinheiten der erlangten Erkenntnisse, wie es die Grounded Theory vorsieht (vgl. Strauss und Corbin 1996).

Die für diesen Beitrag ausgewählten Zitate sind den Interviewtranskripten entnommen und dienen der Illustration der Ergebnisse. Sie sind nicht als ausschließliche Interpretationsgrundlage zu sehen. Ausgewählt wurden solche Zitate, die die jeweilige Ausprägung einer Dimension möglichst prägnant darstellen.

4 Ergebnisse

Die Auswertung ergab fünf Dimensionen von interpersonalen Vertrauensbeziehungen im Bildungsverbund, die im Folgenden vorgestellt werden. Nach der Vorstellung werden die Dimensionen im Sinne einer Theorieentwicklung zueinander in Bezug gesetzt.

4.1 Individuelle Einstellung

Die Dimension der individuellen Einstellung hat sich im Verlauf der Auswertungen als grundlegende Dimension der hier vorgestellten Vertrauenstheorie herausgestellt.

Die Auswertung der Interviews weist auf verschiedene vertrauensbezogene Einstellungsausprägungen hin. Für die einen gilt Vertrauen als Notwendigkeit, weswegen sie eine hohe Neigung zeigen zu vertrauen. Für andere steht eher das Misstrauen im Fokus und sie weisen eine niedrige Neigung auf, sich gegenseitig zu vertrauen – zumindest vorerst. Zwischen den beiden Polen finden sich Abstufungen.

Für den Großteil der Befragten spielt Vertrauen im beruflichen Kontext eine wichtige Rolle oder wird gar als Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit erachtet.

Es ist die Basis für alles. (…) Ich würde es sogar noch höher bewerten als die fachliche Zusammenarbeit.

Darüber hinaus finden sich unter den Befragten solche, die ihren Netzwerkpartner/innen ein grundsätzliches Vertrauen entgegenbringen. Das bedeutet, dass sie bereits ohne gemeinsame Erfahrungswerte in eine Vertrauensvorleistung gehen.

Wenn ich ein Projekt anfange, vertraue ich erst mal allen gleichermaßen.

Sie sind bereit ihren Projektpartner/innen von vornherein Vertrauen entgegen zu bringen. Dieses Vertrauen wird im Laufe der Zusammenarbeit auf seine Berechtigung geprüft und den Erfahrungen angepasst, sodass eine Gleichverteilung des Vertrauens gegenüber allen Beteiligten dauerhaft nicht selbstverständlich ist.

Der größte Teil der Interviewten vertraut jedoch erst, nachdem die Beziehung durch einschlägige Erfahrungen geprüft wurde und ist nicht bereit a priori in Vorleistung zu gehen. Der Faktor ‚Zeit‘ spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Grundsätzlich ist die Bereitschaft zu vertrauen jedoch gegeben.

Relativiert wird die Bedeutung von Vertrauen im Arbeitskontext von denjenigen, die Vertrauen als „toll“, aber nicht notwendig betrachten und ihren Netzwerkpartner/innen nicht mit einer vertrauensvollen Grundhaltung entgegentreten. Die Entwicklung einer Vertrauensbeziehung wird nicht angestrebt und sollte sie dennoch entstehen, tut sie das auf einer zwischenmenschlichen und nicht geschäftlichen Ebene.

Zwischen Geschäftspartnern (…), kann ich auch geschäftlich abrechnen. Partner und Vertrauen, da bin ich dann in diesem zwischenmenschlichen Bereich.

Als konträres Extrem zu jenen, für die eine Zusammenarbeit ohne Vertrauen nicht möglich ist, gibt eine befragte Person an, selbst ein misstrauischer Mensch zu sein, der niemandem vertraut.

Die Interviews weisen eine große Bandbreite der grundsätzlichen Einstellung zu Vertrauen im Arbeitskontext auf, welche sich folglich auf die Beziehungen im Verbund auswirkt.

4.2 Zeit

Neben der Dimension ‚Individuelle Einstellung‘ erwies sich ‚Zeit‘ ebenfalls als zentrale Dimension, die übergreifend in jeder weiteren Dimension von Bedeutung ist.

In den Interviews wird deutlich, dass Vertrauen innerhalb von Beziehungen wächst. Dafür benötigt es Zeit.

Formulierungen wie „noch nicht viel Vertrauen“ weisen auf die Prozesshaftigkeit und die Entwicklung von Vertrauen hin.

Auch das folgende Zitat macht deutlich, dass Vertrauen nicht plötzlich entsteht, sondern wächst und daher Zeit benötigt.

(Name) ist eigentlich schon super und das Vertrauensverhältnis, das wächst so nach und nach.

Der Entwicklungsprozess von Vertrauen ist entscheidend. Die Vertrauenden haben in dieser Zeit die Möglichkeit, einschlägige Erfahrungen miteinander zu machen, deren Auswertung über wachsendes oder sinkendes Vertrauen entscheidet. Verlaufen Erfahrungen positiv, geht wachsendes Vertrauen damit einher.

Großes Vertrauen habe ich zu der Schulaufsicht (…), weil wir seit 15 Jahren eng zusammenarbeiten.

Im Arbeitskontext bedeutet eine positive Erfahrung meist, dass die Vertrauensperson als fachlich und organisatorisch verlässlich erlebt wird – und wurde, denn ein Großteil der engen Vertrauensbeziehungen im Netzwerk besteht aufgrund von langfristigen oder früheren Arbeitsbeziehungen.

Ja genau, die kennen sich auch schon ewig. Also die (Ebene) wird eigentlich komplett (…) von (Name) bespielt, (…) einfach durch die (berufliche) Herkunft, na klar.

Erfahrungen und daraus entstandenes Vertrauen aus früheren Arbeitssettings übertragen sich zumindest in Teilen auf das neue Setting, auch wenn sich die Aufgaben und Rollen der Beteiligten verändert haben.

4.3 Fachlich-organisationale Nähe

Unter Betrachtung der in den Interviews behandelten Vertrauensbeziehungen zeichnet sich eine deutliche Relevanz der fachlichen und organisationalen Zugehörigkeit der jeweils in Beziehung stehenden Personen ab.

Auf organisationaler Ebene spielt die formale Nähe von Kolleg/innen eine Rolle. Es zeigte sich, dass denjenigen, die im gleichen Team arbeiteten, am meisten vertraut wird. Besonders die Zusammenarbeit mit persönlichen Assistent/innen, wie auch mit Stellvertretenden ist durch besonderes Vertrauen gekennzeichnet und fällt unter Bezeichnungen wie „inner circle“ oder in die Gruppe, der „blindes Vertrauen“ geschenkt wird.

Ja, blind kann ich sagen meiner Stellvertreterin, das ist fast kohärentes Denken.

Einige der Interviewten nahmen keinerlei Trennung zwischen sich und ihrem „inner circle“ vor und sprachen vom generischen „Wir“. Nur wenige dieser sehr vertrauensvollen Beziehungen im engsten Kreis werden von den Interviewten argumentativ begründet, stattdessen eher durch Formulierungen wie „natürlich“ als selbstverständlich erachtet.

(…) aber natürlich auch mit (Name), das sind jetzt also quasi die Kolleginnen aus meinem Bereich.

Das unterscheidet innerorganisationale Beziehungen von solchen mit Kolleg/innen aus anderen Institutionen. Bei diesen finden sich argumentative Begründungen für das vertrauensvolle Verhältnis, die häufig auch Einschränkungen beinhalten. Beispielsweise brauchen interorganisationale Beziehungen einen thematisch-fachlichen Bezug, von dem die Zusammenarbeit handelt. Es ist auffällig, dass im Kontext der Vertrauensfrage jene außerorganisationalen Kolleg/innen genannt werden, die in einem themen- oder funktionsverwandten Bereich (z. B. Leitung) tätig sind.

Damit einher gehen Beschreibungen von Beziehungen, in denen die Beteiligten aus unterschiedlichen Kontexten stammen – ein Kerngedanke multiprofessioneller Zusammenschlüsse. Diese Beziehungen müssen sich jedoch der Herausforderung stellen, mit den Gepflogenheiten des jeweiligen Gegenübers zurechtzukommen. Das kann bei den Beteiligten zu Irritationen führen, weil sie andere organisationale Verfahrens- und Umgangsweisen gewohnt sind.

Da ist noch kein Vertrauen (…) da, und das hat mich ehrlich gesagt überrascht, weil ich habe dann immer gesagt „Na ja, gut, aber wir machen das doch zusammen und wir sind doch hier zusammen.“ (…) Also die Person, (…) kommt aus der Verwaltung und natürlich ist in Verwaltung noch mal viel stärker dieses „alles (…) fix festhalten“ und in so starren Mustern und da merkt man natürlich, (…) aus was für einem Bereich die kommen. Aber das hat mich ein bisschen überrascht.

Die interviewte Person äußert sich in diesem Zitat überrascht über das formale Verhalten ihres Gegenübers, während sie mit einem Gedanken der Gemeinschaftlichkeit in die Interaktion getreten war. Sie erklärt das unerwartete Verhalten ihres Gegenübers mit dessen/ deren Herkunft aus der Verwaltung und bringt ihre Irritation mit einer verzögerten Vertrauensentwicklung in Verbindung.

Die ungewohnten Handlungsweisen des Gegenübers steigern die Unsicherheit der vertrauenden Person. Durch fehlende Erfahrung mit den Gepflogenheiten des Gegenübers ist das Verhalten nur schwer vorhersagbar, was die Vertrauensentwicklung zumindest verlangsamt.

4.4 Macht

Eine weitere Dimension, die wir zu Vertrauen aus dem Datenmaterial generieren konnten, bezieht sich auf Machtverhältnisse. Macht kann sich je nach Beziehung und Individuen sehr unterschiedlich auf Vertrauen auswirken und unterschiedliche Formen annehmen. Auf der Basis der empirischen Analysen des Datenmaterials erwiesen sich dabei insbesondere drei Facetten der Macht als relevant: strukturelle Macht (finanzielle Ressourcen und privilegierte Stellung) sowie relationale (Kontakte und Vernetzung) und diskursive Macht (Einfluss).

Bildungsnetzwerke, wie der hier vorgestellte Beispielverbund, haben die besondere Situation, dass eine fördernde Einheit (d. h. die finanzierende Stiftung) unter bestimmten Voraussetzungen finanzielle Ressourcen für das Netzwerk bereitstellt. Die finanzielle Grundlage dient dabei zum einen der Förderung der beteiligten Netzwerkmitglieder, zum anderen sollen das Netzwerk etabliert und sein Funktionieren gesichert werden. Für interpersonale Vertrauensbeziehungen bedeutet das, dass die für das Netzwerk abgestellten Mitarbeiter/innen für andere Beteiligte des Zusammenschlusses eine Vorgesetztenrolle einnehmen. Als Repräsentant/innen der geldgebenden Institution sind sie für die Mittelvergabe und die Kontrolle der Mittelverwendung zuständig. Damit geraten die Fördernehmenden in eine Abhängigkeit und Reportpflicht. Das folgende Zitat zeigt, wie die geldgebende Institution eingeordnet wird (als Vorgesetzte) und dass die Zusammenarbeit aufgrund fehlender Transparenz als verunsichernd erlebt wird. Die bestehende Abhängigkeit hemmt das Vertrauen in die „Vorgesetzten“.

(…) es sind Vorgesetzte und es/wir sind Mitarbeiter und, ja, (…) man weiß nicht, was die (…) für eine Agenda haben, wie das mal geplant ist (…) und das ist glaube ich manchmal in all dieser Arbeit hier so (…) ein kleines bisschen schwierig

Die Geschäftsstelle, als moderierende Einheit, ist für die Etablierung und Koordination des Netzwerkes zuständig und verwaltet die Mittel zur Maßnahmenförderung. Dadurch verfügt sie über eine strukturelle Machtposition. Ihre anfänglichen Versuche, den Bildungsverbund zu beleben und Partner/innen zu gewinnen, stießen auf Misstrauen.

Ich muss sagen am Anfang war ich sehr skeptisch

Erst durch Zeit und Überzeugungskraft für die Inhalte des Verbundes (diskursive Macht) wuchs das Vertrauen der Aktiven vor Ort in die Geschäftsstelle. Gestärkt wurde es außerdem durch den Einsatz persönlicher Kompetenzen und Ressourcen (bspw. Kontakte; relationale Macht) seitens der Geschäftsstelle.

Also bestimmte Kontaktaufnahmen funktionieren mit Sicherheit in Person der (Geschäftsstellenmitarbeitenden), die einfach gute Kontakte haben.

Auch jenseits der Geschäftsstelle, die qua Definition eine Sonderrolle innerhalb des Verbundes einnimmt, wirken sich ein erhöhtes Engagement einiger der strukturell gleichgestellten Beteiligten und deren daraus resultierende aktivere und einflussreichere Stellung im Netzwerk positiv auf das ihnen entgegengebrachte Vertrauen aus.

Daraus kann auf die vertrauensfördernde Eigenschaft diskursiver Macht geschlossen werden.

4.5 Multiplexität

Als finale Dimension wurde im Zuge der Auswertungen die Multiplexität von Beziehungen im Bildungsverbund definiert. Der Begriff stammt aus der Netzwerkanalyse und bezeichnet die Überlappung verschiedener Beziehungsformen (vgl. Verbrugge 1979 S. 1286). Das bedeutet Netzwerkakteur/innen kennen sich nicht nur als Kolleg/innen, sondern bspw. auch aus dem gleichen Sportverein o. ä. Im vorliegenden Kontext bezieht sich diese Bezeichnung jedoch auch auf unterschiedliche berufliche Rahmen, in denen sich die Beteiligten des Netzwerkes bereits begegnet sind. Solche Strukturen sind insbesondere durch den Projektcharakter vieler Initiativen nicht ungewöhnlich.

Eine Überlappung von Beziehungsebenen kann zur Vertiefung von Vertrauen beitragen, wenn sich zwei Personen sowohl auf fachlicher als auch auf persönlicher Ebene kennen. Diese Verortung in verschiedenen emotionalen Bereichen bringt auch ein davon abhängiges persönliches Involvement mit sich. In den Interviews finden sich vermehrt Verweise der Befragten auf solch multiplexe Verbindungen.

Jetzt kommt noch hinzu, dass die Tochter von (Name) in die gleiche Klasse geht, wie mein Sohn. Was Dinge nicht unbedingt erschwert, also man findet sich dann auch mal irgendwie beim Zweitliga-Basketball-Spiel auf einmal wieder in der Halle, weil man die gleichen Freikarten bekommen hat.

Die Verbindung auf einer persönlichen Ebene wird in diesem Fall als positiv für das Arbeitsverhältnis bewertet. Die Regionalität des Verbundes spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Durch den gemeinsamen Lebens- und Arbeitsraum können solche Überlappungen leichter entstehen. Das gilt auch für Verbindungen mancher Verbundsmitglieder, wie sie im Abschnitt zur zeitlichen Dimension von Vertrauen bereits vermerkt sind. Ein Teil der Akteur/innen kennt sich bereits aus früheren Arbeitsverhältnissen. Für die Entwicklung von Vertrauen erwiesen sich solche Überlappungen von Beziehungen als besonders relevant. Das liegt daran, dass – wie im vorherigen Kapitel bereits dargelegt – Erfahrungen, die der Entwicklung von Vertrauen dienen, bereits gemacht werden konnten. Das bereits vorhandene Vertrauen erleichtert damit den Einstieg in eine neue Arbeitsbeziehung, wie das folgende Zitat zeigt.

Und dadurch ist diese Zusammenarbeit entstanden, weil nämlich in dem Gespräch zwei Dinge aufeinander trafen. Zum einen, dass (Name) meine Chefin (…) war und damit zumindest eine gewisse Offenheit da war, (…)

Außerdem geben die Interviewdaten Anlass zur Annahme, dass auch soziodemografische Merkmale vertrauensfördernd wirken können, wenn sie beidseitig übereinstimmen, wie die Fortführung des vorherigen Zitats zeigt.

(…) zum zweiten die Viererkonstellation von vier Frauen noch mal einen besonderen Moment da rein brachte. Also vier Frauen in (…) in einem ähnlichen Verantwortungsrahmen.

Das Zitat bestätigt auch noch einmal die Annahme aus dem Abschnitt zur Fachlich-organisationalen Nähe, demnach Vertrauensbeziehungen zu Kolleg/innen außerhalb der eigenen Organisation primär jene beträfen, die in einem funktionsverwandten Bereich tätig sind.

5 Theorieentwicklung

Die zuvor vorgestellten fünf Dimensionen konnten als zentrale Vertrauensdimension im Bildungsverbund aus den Daten generiert werden. Fast jede der Dimensionen verfügt über verschiedene Ausprägungen, die sich auf die Vertrauensentwicklung auswirken. Außerdem stehen die identifizierten Dimensionen nicht zusammenhangslos nebeneinander, sondern können strukturiert in Beziehung gesetzt werden, was wir im Folgenden aufzeigen.

Wie im Abschnitt der Dimension ‚Individuelle Einstellung‘ bereits angedeutet, handelt es sich hierbei um eine grundlegende Dimension. Ihre drei idealtypischen Ausprägungen entscheiden über die jeweils grundsätzliche Bereitschaft einer Person, ihrem Gegenüber Vertrauen entgegenzubringen. Aus den Daten gingen jene hervor, die dem Vertrauen eine hohe Bedeutung beimessen und eine hohe Bereitschaft zeigen ohne vorherige Erfahrungswerte in Vertrauensvorleistung zu gehen. Als zweite Ausprägung wurden solche identifiziert, die Vertrauen im beruflichen Kontext als weniger relevant bewerten. Die dritte Ausprägung bezeichnet eine ablehnende Haltung gegenüber Vertrauen.

Die Dimension der ‚Individuellen Einstellung‘ ist eng verwoben mit der zeitlichen Dimension, da sich die Einstellung eines Menschen zu Vertrauen stetig weiterentwickelt. Das bedeutet, dass es auf bisherige Erfahrung zurückzuführen ist, welche individuelle Einstellung eine Person aufweist – teilweise sind diese als grundsätzlich zu betrachten, teilweise bestimmte Personen betreffend. Die Prozesshaftigkeit ist dem Vertrauen immanent. Das zeigt sich auch darin, dass die Dimension ‚Zeit‘ in allen weiteren Dimensionen von Bedeutung ist.

Diese zwei Dimensionen der ‚Individuellen Einstellung‘ und ‚Zeit‘ bilden eine allgemeine – nicht verbundspezifische – Grundlage für unsere Vertrauenstheorie (s. Abb. 1) und bestimmen auch im Rahmen aller weiteren Dimensionen mit über die interpersonale Vertrauensentwicklung. Ihr grundlegender Charakter bestätigt sich in den bereits vorhandenen Theorien und Konzepten des Vertrauens, wie sie eingangs vorgestellt wurden (vgl. u. a. Schweer 1997; Möllering 2013) und stellt deren Verbindung zum beruflichen Lebensbereich her.

Abb. 1
figure 1

Dimensionen interpersonalen Vertrauens im Bildungsverbund

Auf diese Basis aufbauend und als eine Erweiterung der Fachdebatte zu betrachten, sind die Dimensionen ‚Fachlich-organisationale Nähe‘ und ‚Macht‘. Sie verfügen über eine Verbundspezifik, weil sie in ihrer Betrachtung von interpersonalem Vertrauen über Organisationsgrenzen hinausgehen und die Besonderheit eines multiorganisationalen Zusammenschlusses fokussieren (s. Abb. 1), der jenseits hierarchischer Organisationsstrukturen und organisationsinterner Beziehungen angesiedelt ist.

Die ‚Fachlich-organisationale Nähe‘ unterteilt sich in drei Ausprägungen. Das ist zum einen die organisationale Nähe in Form von innerorganisationalen Beziehungen, die für die Befragten als natürliche Vertrauensbeziehungen gelten. Zum anderen ist es die fachliche Nähe, die über Organisationsgrenzen hinausgeht und Vertrauen über fachliche sowie funktionsbezogene Ähnlichkeiten aufbaut. Zum Dritten findet sich eine Ausprägung, die durch fachliche und organisationale Distanz geprägt ist und damit der Vertrauensentwicklung am meisten im Wege steht. In diesem Fall kann jedoch die Zeit das Fremdheitsgefühl durch Erfahrung relativieren. Damit stellt sich eine subjektiv wahrgenommene Kalkulierbarkeit des Verhaltens ein, die den Vertrauenden das Gefühl der Unsicherheit nimmt und die Vertrauensentwicklung fördert, wie es auch u. a. Berger und Calabrese (1975) sowie Kassebaum (2004) bereits schrieben.

Die Machtdimension verzeichnet drei Ausprägungen, die der Machttheorie von Kolleck (2009, 2013) entsprechen. Während die strukturelle Macht als hierarchieähnlich betrachtet wird und die Vertrauensentwicklung tendenziell hemmt, wirken sowohl der Einsatz diskursiver, als auch relationaler Macht – wenn sie für die gemeinsamen Ziele eingesetzt werden – vertrauensfördernd. Jedoch muss besonders der Einsatz für das Gemeinsame subjektiv als solcher wahrgenommen werden, weswegen das Vertrauen erst mit zunehmend positiven Erfahrungen wächst.

Die fünfte und letzte Dimension ‚Multiplexität‘ ist größtenteils als räumliche Dimension zu betrachten und bezieht sich daher auf die Regionalität des Bildungsverbunds (s. Abb. 1). Sie weist ebenfalls drei Ausprägungen auf: zum einen die Überlappung von privaten und beruflichen Beziehungen, die sich im Fall des vorgestellten Verbunds positiv auf das Verbund-Vertrauen auswirkt. Eine solche Überlappung ist in einem regional begrenzten Raum wahrscheinlicher als bei überregionalen Verbünden. Zum anderen – und an dieser Stelle überschneidet sich ‚Multiplexität‘ mit der zeitlichen Dimension – entsteht die Parallelität der Beziehungen aus früheren und aktuellen Arbeitsverhältnissen, wobei die Erfahrungen aus früheren Verhältnissen Einfluss nehmen auf das aktuelle Vertrauensverhältnis. An dieser Stelle spielt erneut die Regionalität eine bedeutende Rolle. Die Befragten weisen vermehrt eine regionale Berufsbiografie auf, was bedeutet, dass sie einen Großteil ihres Berufslebens in der einen Region verbracht haben. Das wirkt sich quantitativ auf die Häufigkeit früherer beruflicher Begegnungen aus. Drittens handelt es sich um eine soziale statt räumliche Ausprägung. Die Parallelität beruflich-formaler und/oder soziodemographischer Merkmale schafft förderliche Bedingungen für eine Vertrauensentwicklung. Diese Ausprägung geht ebenfalls auf die Kalkulierbarkeit von Verhalten durch wahrgenommene Ähnlichkeit zurück und überschneidet sich damit zum Teil mit der Dimension ‚Fachlich-organisationale Nähe‘.

Jede der Dimensionen stellt einen Erfahrungsraum für Vertrauen dar, in dessen Rahmen Vertrauen sowohl gefördert, als auch an der Entwicklung gehindert bzw. enttäuscht werden kann. Keine der Dimensionen ist als unabhängiger Erfahrungsraum zu verstehen, sondern wirkt in ihrer Verschränkung mit den jeweils anderen Dimensionen.

6 Diskussion

In diesem Artikel haben wir anhand eines beispielhaften Bildungsverbunds gezeigt, dass Vertrauensbeziehungen in Bildungsverbünden in unterschiedlichen Dimensionen stattfinden. Je nach Ausprägung der Dimensionen (Individuelle Einstellung, Zeit, Fachlich-organisationale Nähe, Macht und schließlich Multiplexität) entstehen unterschiedliche Vertrauensbeziehungen. Dabei wurde deutlich, dass Grundannahmen über Vertrauen bei der Übertragung auf einen Bildungsverbund nicht an Bedeutung verlieren. Vielmehr ist es mit dieser Forschungsarbeit gelungen, Grundannahmen in diesem Kontext einerseits zu bestätigen, andererseits aber auch zu konkretisieren, verbundspezifisch zu erweitern und zu systematisieren.

Die Datengrundlage erwies sich zur Beantwortung der Forschungsfrage als besonders geeignet, da die Interviewten aufgefordert waren ihre persönlichen Eindrücke zur Netzwerkarbeit zu schildern. Nichtsdestotrotz bedeutet eine qualitative Erhebung, die nicht repräsentativ ist, immer auch eine Einschränkung der Generalisierbarkeit. Das gilt sowohl für die Generalisierbarkeit für den untersuchten Bildungsverbund selbst, besonders aber auch für die Generalisierbarkeit auf andere Bildungsverbünde. Es ist zu berücksichtigen, dass die generierten Dimensionen nur als erste Skizze einer interpersonalen Vertrauenstheorie im Bildungsverbund verstanden werden können.

Wie einleitend bereits erwähnt, sind Vertrauensbeziehungen in einem Zusammenschluss, wie dem Vorgestellten, elementar. Um an der Entwicklung eines Netzwerkes zu arbeiten und um die Zusammenarbeit der Beteiligten zu optimieren, bedarf es daher der näheren Betrachtung der Vertrauensbeziehungen und damit auch eines differenzierten Verständnisses von Vertrauen in multiprofessionellen Zusammenschlüssen. Es ist gelungen, eine theoretische Perspektive zu entwickeln auf deren Grundlage Hypothesen generiert werden können. Diese Perspektive ist in weiterführenden Untersuchungen mit repräsentativen Stichproben zu prüfen. Durch die Klassifizierung dieser Beziehungen nach den in diesem Beitrag vorgestellten Dimensionen ist eine Netzwerkanalyse möglich, die es erlaubt, gezielt und unter Berücksichtigung der Spezifika der jeweiligen Vertrauensdimensionen Entwicklungsmöglichkeiten für das Netzwerk auszuloten.

Für die weitere Betrachtung der Vertrauensbeziehungen in Bildungsverbünden auf Grundlage der in diesem Beitrag identifizierten Dimensionen stellt sich die Frage, wie die verschiedenen Vertrauensbeziehungen im individuellen, aber auch Gesamtnetzwerk verteilt sind und welche Aussagen sich daraus in Bezug auf die Beschaffenheit eines Verbundes, seinen Erfolg und seine Nachhaltigkeit ableiten lassen. Lohnenswert könnte hierbei sein, den Zusammenhang von interpersonalem Vertrauen und Verbundvertrauen zu untersuchen. Darüber hinaus ist die Betrachtung von Auswirkungen enttäuschten Vertrauens – sowohl auf fachlicher, als auch auf persönlicher Ebene – auf die Zusammenarbeit im Verbund ein weiteres spannendes Themenfeld für künftige Forschungsvorhaben.

Insgesamt stellen unsere Analysen einen ersten Schritt für ein besseres Verständnis der Vertrauensbeziehungen in Bildungsverbünden dar. Da der Erfolg solcher Kooperationen maßgeblich vom Vertrauen der Beteiligten abhängt und in Zukunft eine noch stärkere Verbreitung und Ausdehnung von Bildungsnetzwerken zu vermuten ist, sind weitere, insbesondere auch quantitativ-repräsentative Studien über die Gültigkeit der Vertrauensdimensionen unabdingbar.